In der Ampelkoalition muss die Verkehrspolitik heute als eines der spannungsreichsten Politikfelder gelten. Zwar mangelt es im Koalitionsvertrag nicht an allgemeinen Bekenntnissen zu einer klimagerechten und sozialverträglichen Mobilität, aber im Konkreten sind die inhaltlichen Differenzen zwischen den Koalitionsparteien doch gewaltig: etwa bei der Elektromobilität und dem Zeitpunkt ihrer verbindlichen Einführung, der Sinnhaftigkeit von Straßenneubau oder der Umverteilung von Straßenraum zwischen den Verkehrsträgern.
Uneins ist man sich auch bei der Frage, ob die existierende und rechtlich tief verankerte Vorrangpolitik für das Automobil und seine Infrastrukturen nicht durch eine Vorrangpolitik für umweltverträglichere Verkehrssysteme wie Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr, Sharing sowie Intermodalität, also die Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel, und eine aktive Zurückdrängung des privaten Autoverkehrs und des Straßengüterverkehrs ersetzt werden muss.
Doch wie können die Konflikte im Politikfeld Mobilität so be- und verarbeitet werden, dass sie nicht zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft oder gar zu einem Kulturkampf werden, wie er in Ansätzen bereits in verschiedenen Kommunal- und Landtagswahlkämpfen beobachtet werden konnte.
Grundsätzlich ist klar und auch nicht weiter verwunderlich, dass eine Transformation des Verkehrs mit tiefgreifenden Konflikten verbunden ist. Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. So wichtig eine schnelle Dekarbonisierung des Verkehrs ist – wie sie auch seitens der EU nun mit anspruchsvollen Zielen verfolgt wird – so sehr steht im Zentrum vieler lokaler Konflikte um die Verkehrswende jedoch die Neuverteilung des Verkehrsraumes. Hinzu kommen erhebliche Verschiebungen sowohl in der industriellen Wertschöpfung als auch bei den Infrastrukturinvestitionen.
Die überkommene Antriebstechnik verliert, egal wie eine rückwärtsgewandte FDP es nun auch dreht und wendet, rasant ihre Bedeutung. Die Automobilindustrie hat das, von Ausnahmen abgesehen, längst verstanden. Zugleich hat die Abkehr vom Verbrennungsmotor aber erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigung und bisher gut dotierte Qualifikationen. Gleichzeitig steht die jahrzehntelang vom Auto dominierte Verkehrsinfrastruktur vor einem immensen Um- und Rückbau. Siedlungsmodelle und auf der Trennung von Funktionen beruhende Distributions- und Konsumstrukturen werden obsolet und individuelle Routinen erschüttert.
Transformationskonflikte
Die mit einer solch umfassenden Transformation verbundenen Umbrüche in Produktion und Wertschöpfung einerseits und das Ende eingespielter Nutzungsmuster andererseits bringen Verlierer hervor, die Mühen der Anpassung sind groß. Das gilt zwar für alle großen Umwälzungen. Der Umbau des Verkehrssektors zeichnet sich jedoch durch eine Besonderheit aus. Dort sind die Transformationskonflikte nicht nur klassische Auseinandersetzungen zwischen divergierenden Interessen etablierter sowie neuer wirtschaftlicher und institutioneller Akteure. Sie gehen weit über die klassische Konfrontation einzelner Interessengruppen hinaus, weil neben den Anbietern auf den Verkehrsmärkten fast alle auch mit ihren (auf Gewohnheiten beruhenden) eigenen Verkehrsbiografien involviert sind.
Diese persönliche »Betroffenheit« ist auch der Grund dafür, dass Umfang und Intensität der Konflikte in der Verkehrswende besonders ausgeprägt sind. Die oft erfolgreiche Rahmung der Transformation als Chance, die es zu nutzen gilt, trifft deshalb bei vielen nur auf begrenzte Resonanz. Vielmehr verfangen im Diskurs über einen notwendigen Abbau von Privilegien des Autos oftmals populistische Vorwürfe einer angeblichen »Erziehungsdiktatur«, die hier an Autofahrerinnen und Autofahrern als Exempel statuiert werden solle.
Sperrungen von Durchfahrtrouten, die Umwidmung von Parkstreifen zu Rad- oder Fußwegen oder die Einführung von Parkgebühren werden in der öffentlichen Auseinandersetzung nicht selten als Teil eines Streits um die »richtige« Lebensführung inszeniert. In einem solchen Streit geraten die verkehrs-, umwelt- beziehungsweise raumpolitischen Motive in den Hintergrund. Unabhängig von der tatsächlichen persönlichen Klimabilanz im Verkehr tragen verkehrspolitische Konflikte um das Auto oft Züge eines Kulturkampfes, der von unterschiedlichen sozialen Gruppen und Milieus ausgetragen wird.
»Neue und alte Mittelschicht« (Andreas Reckwitz) stehen sich, ähnlich wie im Deutungsfeld der »richtigen Ernährung«, gegenüber. Sie streiten oft weniger um sachliche Argumente, als vielmehr um moralische Imperative auf der einen Seite und um eine – oft vehement vorgetragene – Abwehr von befürchteter Bevormundung und Freiheitseinschränkungen auf der anderen Seite. Diese Konfliktverschiebung erschwert nicht nur eine Konfliktlösung, sie belastet auch Beteiligungsverfahren und trägt zu Frustrationen bei denjenigen bei, die die Verkehrswende möglichst im Konsens voranbringen wollen.
Dennoch muss gelten: Vernunftgestützte Argumente dürfen gerade in der Mobilitätspolitik nicht von reinen Affekten verdrängt werden. Von politischen Akteurinnen und Akteuren erfordert die starke Emotionalisierung der Verkehrsdebatte ein hohes Maß an Widerstands- und Argumentationskraft, an strategischem Denken und Konfliktfähigkeit wie -bereitschaft.
Autoabhängigkeit als soziale Frage
Daneben taucht in der Verkehrswendediskussion sofort die »soziale Frage« auf. In einer automobilzentrierten Welt mit ihren zergliederten Siedlungs- und Raumstrukturen gibt es oft tatsächlich keine Wahlfreiheit bei den Verkehrsmitteln. Wer sich eine Wohnung in der Nähe des zentrumsnahen Arbeitsplatzes nicht leisten kann und weit abseits ohne Anbindung an den öffentlichen Verkehr wohnt, ist vom Auto oft abhängig. Eine unfreiwillige Autoabhängigkeit ist gerade in weniger gut entlohnten Arbeitsverhältnissen mit hohen Präsenzpflichten und Schichtdiensten verbreitet.
Allerdings wird diese reale Autoabhängigkeit nicht selten instrumentalisiert und muss dafür herhalten, generell den Abbau von Privilegien für das private Auto als unsozial zu diskreditieren. So wird in Diskussionen um die Einführung von Parkraumbewirtschaftung gerne die »Krankenschwester im Schichtdienst« bemüht, die ja das Auto brauche und nicht zusätzlich belastet werden dürfe.
Warum aber sollten das Dienstwagenprivileg für große Limousinen, die steuerliche Privilegierung für Dieselfahrzeuge und den Luftverkehr, die Abwälzung der gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs (etwa Gesundheitsschäden, Waldschäden, Klimaschäden, Straßen- und Gebäudeschäden) auf die Allgemeinheit oder die systematische Unterfinanzierung des ÖPNV als Argumente für den »Schutz der kleinen Leute vor Überforderung« akzeptiert werden?
Man kommt doch leicht zu dem Schluss, dass das Gegenteil richtig ist: Der Abbau der gewaltigen umweltschädlichen Subventionen im Verkehrssektor, die vor allem Einkommensstarken zugutekommen, nach Angaben des Umweltbundesamtes etwa 31 Milliarden Euro jährlich, ist eine wichtige Voraussetzung für einen sozial gerechten sowie klimagerechten Umbau des Verkehrssystems. Die so freigeschaufelten Mittel können für Investitionen in öffentliche, elektrifizierte und nicht-motorisierte Verkehrssysteme und in die gezielte soziale Kompensation für Menschen mit niedrigem Einkommen verwendet werden.
Das Verkehrsrecht als zentrales Instrument
Wie die Verkehrsinfrastruktur und die Raum- und Siedlungsstrukturen ist auch das Recht geronnene Vergangenheit. Das Verkehrsrecht wurde seit Mitte des 20. Jahrhunderts am Leitbild der Massenmotorisierung ausgerichtet. Das »Auto für alle« war das Ziel. So bedeutet die Formel von der »Leichtigkeit des Verkehrs« im Straßenverkehrsgesetz eigentlich einen hindernisfreien Autoverkehr. Das gilt bis heute. Ein Eingriff in den Straßenverkehr, etwa eine Umwandlung einer Autofahrspur in eine Bus- oder Fahrradspur ist nur dann rechtlich zulässig, wenn dies »verhältnismäßig« ist. Das heißt umgekehrt, dass der Autoverkehr nicht »unverhältnismäßig« belastet werden darf.
Eine Verkehrswendepolitik, die auf ein Zurückdrängen des Autoverkehrs und auf eine Bevorzugung von Fuß- und Radverkehr sowie öffentlichem Verkehr zielt, ist mit dem geltenden Verkehrsrecht schwer umzusetzen. Sie muss mit Klagen rechnen und vor allem damit, dass sie in entsprechenden Verfahren unterliegt. Selbst sozialökologisch progressive Verkehrsverwaltungen antizipieren das.
In der verkehrspolitischen Fachdebatte besteht Konsens darüber, dass eine Stärkung der Alternativen zum motorisierten Individualverkehr auch Teil einer überfälligen umfassenden Änderung sowohl der gesetzlichen als auch der steuerlichen Rahmenbedingungen sein muss, die bisher einseitig auf das private Auto ausgerichtet sind. Ohne eine grundlegende Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO), die abschiednimmt vom alleinigen Ziel der »Leichtigkeit des Verkehrs«, wird es nicht gehen.
Daneben bedarf es vor allem der Schaffung attraktiver Alternativen im öffentlichen Verkehr, einer Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs, der Reduktion und schnellen Dekarbonisierung der Fahrzeugflotten sowie einer verstärkten Förderung des nicht-motorisierten Verkehrs und der Integration verschiedener Verkehrsträger in intermodale Angebote.
Erreichbarkeit ist der neue Goldstandard
Neben den wachsenden intermodalen Sharing-Angeboten, die vor allem die digital sozialisierten Jungen in den Städten interessiert, erlebt der Rad- und Fußverkehr vielerorts eine Renaissance. Mittlerweile steigen auch in vielen Städten die Investitionen für abgetrennte Radstreifen, Radschnellwege und ‑abstellanlagen sowie die Ausweitung von Public-Bike-Angeboten. Die Entwicklung dürfte sich fortsetzen, da mehr und sichere Fahrradwege auch diejenigen auf das Rad bringen, die bisher ängstlich waren.
Kopenhagen ist für viele Städte das Vorbild. Die Zuwachsraten im Radverkehr bestätigen den bereits bei der Autoförderung immer wieder offensichtlichen Zusammenhang zwischen Infrastrukturinvestitionen und Nutzungsintensität. Zusätzlich wird das Fahrradfahren durch den Pedelec-Boom verstärkt, gerade auch im ländlichen und suburbanen Raum, weil so auch mittlere Distanzen in den Bereich der machbaren Alltagsmobilität rücken. Das Umstiegspotenzial auf das Fahrrad ist erheblich. Mehr als die Hälfte der städtischen Wege sind kürzer als fünf Kilometer.
Eine Lehre aus der Coronapandemie verstärkt diesen Trend, denn es hat sich gezeigt: Die Erreichbarkeit von Versorgungsfunktionen und die Ersetzung von Arbeitswegen durch Virtualisierung sind möglich. Während der Lockdowns hat sich vor allem gezeigt, welche Qualitäten der Nahraum hat. Die Verdichtung städtischer Räume erhöht schließlich die Erreichbarkeit vieler alltäglicher Ziele und erweitert damit die Spielräume für das Zufußgehen und Radfahren.
Umgekehrt profitiert der Fußverkehr davon, dass der städtische Raum weniger von Autos blockiert wird – vorausgesetzt, dass es tatsächlich einen Rückbau von Autofahrbahnen und Stellplätzen gibt. Es kommt zu einer positiven Feedbackschleife für den Rad- und Fußverkehr dort, wo die Bedingungen für die sogenannte »aktive Mobilität« verbessert werden. Auch das steigende Gesundheitsbewusstsein und der Wunsch nach beruhigten und weniger aggressiven Straßenverkehrsformen kommen der aktiven Mobilität zugute.
Vision einer »klimagerechten Mobilität für alle!«
In den letzten Jahren sind vielfältige Studien, Empfehlungen und Positionspapiere erschienen, die eine umweltfreundliche und mobilitätsgerechte Transformation des Verkehrssektors detailliert beschreiben. Aus technisch-rechtlicher Perspektive sind hier vor allem die Arbeiten zum »Klimaschutz im Verkehr« des Umweltbundesamtes zu nennen, aus einer Perspektive der Mobilitätsgerechtigkeit kann das gemeinsame Positionspapier »Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können« von Wohlfahrts- und Sozialverbänden, Gewerkschaften, Umweltverbänden und evangelischer Kirche als besonders überzeugend gelten.
Aber die Verkehrswende braucht nicht nur praktische Alltagsverbesserungen wie die Einführung des 49-Euro-Tickets im Regionalverkehr, sondern vor allem ein Leitbild, das viele Menschen überzeugt und nicht auf einzelne Sozialmilieus beschränkt bleibt. Dafür müssen echte und breite Diskursräume geschaffen werden, die es systematisch zu nutzen gilt, vor allem auf lokaler Ebene. Und dafür wiederum braucht es im politischen wie im zivilgesellschaftlichen Raum überzeugendes und beharrliches Personal, das den Diskursen Gestalt und Richtung gibt und das Notwendige ebenso benennt wie das Erstrebenswerte.
Die Erfolgsgeschichte des Automobils hat eines deutlich gezeigt: Ein politisches Programm und eine übergeordnete Erzählung standen Pate für eine konsequente Implementierung von verkehrsrechtlichen, steuerlichen und infrastrukturellen Voraussetzungen dafür, dass der »Traum vom privaten Auto« wahr wurde. Auf dem gleichen Weg und mit der gleichen Konsequenz muss nun auch das neue Ziel der »klimagerechten Mobilität für alle« verfolgt werden. Es geht ums Politisch-Praktische ebenso wie ums Visionär-Überzeugende, ums Zählen und Erzählen gleichermaßen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!