Die COVID-19-Pandemie, die Deutschland im Frühjahr 2020 erreichte, unddie damit einhergehende Krise verstärkte die bereits bestehenden sozialen Ungleichheiten, zum Beispiel in Hinblick auf die Bildung, die Gesundheit und die Einkommen von Arbeitnehmer/innen.
Anders als vorherige Wirtschaftskrisen betraf die Corona-Krise jedoch nicht überwiegend den Industriesektor, sondern vor allem auch den Dienstleistungssektor, der stark von den Einschränkungen und Regelungen zur Bekämpfung der Pandemie betroffen war. Somit traf diese Krise auch Wirtschaftsbereiche, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt sind. Neben dem erheblichen Anstieg der Betroffenen von Kurzarbeit mussten zudem viele Beschäftigte ihre Arbeitszeit allein aus dem Grund reduzieren, um die eingeschränkte institutionelle Kinderbetreuung im Frühjahr und Sommer abzufangen. Studien zeigen, dass vor allem Frauen ihre Arbeitszeit verkürzten, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten (z. B. Bettina Kohlrausch/Aline Zucco: Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt. Weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit. WSI Policy Brief Nr. 40. 05/2020; Kai-Uwe Müller et al.: Corona-Krise erschwert Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter. DIW-Wochenbericht Nr. 19, 2020).
Dieser Beitrag geht daher der Frage nach, wie sich die Krise auf die Geschlechterungleichheit ausgewirkt hat. Im Fokus stehen drei Indikatoren, anhand derer Geschlechterungleichheit bestimmt wird: der Gender Pay Gap, der Gender Time Gap und der Gender Care Gap.
Studien konnten zeigen, dass der Gender Pay Gap im Verlauf von Rezessionen kleiner wird. Es ist allerdings fraglich, ob dies auch auf die COVID-19-Krise zutrifft, die frauendominierte Wirtschaftsbereiche ebenso traf wie männerdominierte Branchen. Es zeigte sich zudem, dass sich der Gender Time Gap in der ersten Phase des Lockdowns vergrößerte, unklar ist jedoch, wie er sich im weiteren Verlauf der Pandemie entwickelt hat.
Letztlich ist hinlänglich bekannt, dass Frauen bereits vor der Pandemie die hauptsächliche Sorgearbeit übernahmen. Der Gender Care Gap könnte sich durch die Einschränkung der institutionellen Kinderbetreuung während der Pandemie weiter verschärft haben. Allerdings deuten erste Studien ebenfalls an, dass auch Männer ihren Anteil an der Kinderbetreuung zu Beginn der Krise erhöhten. Damit ist unklar, wie sich der Gender Care Gap im Verlauf der Krise verändert hat.
Der Gender Pay Gap beschreibt die Differenz der durchschnittlichen Bruttostundenlöhne zwischen Männern und Frauen, der Gender Time Gap die Differenz der durchschnittlichen wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden zwischen Männern und Frauen und der Gender Care Gap die Differenz der durchschnittlichen wöchentlich geleisteten Sorgearbeitsstunden zwischen Männern und Frauen.
Erwerbspersonenbefragungen
Bei der Erwerbspersonenbefragung, die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) durchgeführt wurde, handelt es sich um eine Onlinebefragung, bei der die Personen an drei Zeitpunkten zu ihrer Arbeits- bzw. Betreuungssituation und ihrer finanziellen Situation befragt wurden. In einer ersten Befragungswelle wurden zwischen dem 3. und 14. April 2020 – also zu Beginn der Pandemie während des ersten weitreichenden Lockdowns – 7.677 Erwerbspersonen ab 16 Jahren in einem computergestützten Online-Interview zu ihrer Haushalts- und Erwerbssituation befragt. Das relativ große Sample ermöglicht es, Merkmale von Individuen und Paaren in verschiedenen Konstellationen zu betrachten und erlaubt aufgrund der Panelbefragung auch zeitliche Veränderungen zu untersuchen.
Folgen der Krise für den Gender Pay Gap: Die Corona-Krise ist in vielerlei Hinsicht wenig vergleichbar mit vorherigen Wirtschaftskrisen (z. B. der Finanzkrise von 2008/2009), insbesondere in Hinblick auf die Kontaktbeschränkungen. Da Männer häufiger einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen und somit stärker von Arbeitslosigkeit betroffen waren, hat die Krise wahrscheinlich einen stärkeren negativen Effekt auf die Einkommen der Männer, was das leichte Sinken des Gender Pay Gaps 2020 zum Teil erklären kann (Statistisches Bundesamt 2021). Allerdings ist die Arbeitslosigkeit bei Frauen im Januar 2021 stärker angestiegen als bei Männern. Sollte dies ein mittel- oder gar langfristiger Trend sein, könnte der Gender Pay Gap auf längere Sicht sogar größer werden. Zudem offenbart die Krise auch, dass Frauen durch das Ehegattensplitting geringere Sozialleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit erhalten und sie von dem krisenbedingten Wegfall der geringfügigen Beschäftigung häufiger betroffen sind.
Folgen der Krise für den Gender Time Gap: Auch die Einschränkungen bei der institutionellen Kinderbetreuung hatten bei Männern und Frauen unterschiedliche Folgen für die Arbeitszeiten: Frauen reduzierten ihre Arbeitszeiten häufiger wegen der Kinderbetreuung, während Väter aufgrund von Kurzarbeit oder anderen betrieblichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus kürzer arbeiteten. Der Gender Time Gap wurde während der Schließung der institutionellen Betreuungsstätten deutlich größer und erreichte auch im Herbst, als die Kinder wieder regulär betreut wurden, nicht wieder das Vor-Krisen-Niveau.
Da Frauen häufiger aufgrund der Kinderbetreuung ihre Arbeitszeiten verkürzten, besteht das Risiko, dass dies mittel- und längerfristig negative Folgen für den Gender Time Gap haben kann. Anders als bei der Kurzarbeit, bei der der Wechsel zurück zu Vollzeitarbeit automatisch geschieht, müssen Frauen ihren Wunsch auf längere Arbeitszeiten bei ihrem Arbeitgeber häufiger anmelden und gegebenenfalls durchsetzen. Dies kann im schlimmsten Fall zu einer Pfadabhängigkeit von Teilzeit führen, d. h. dass sich ungewünschte Teilzeit im weiteren Berufsverlauf verhärtet. Auch signalisieren kürzere Arbeitszeiten aus familiären Gründen oftmals ein geringeres Arbeitsengagement, was negative Folgen für den weiteren beruflichen Werdegang wie geringere Löhne, weniger Weiterbildungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten haben kann. Dies könnte wiederum mittel- bzw. langfristig den Gender Pay Gap vergrößern.
Folgen der Krise für den Gender Care Gap: Der Gender Care Gap könnte sich durch die Krise nur geringfügig dauerhaft ändern. Ein Großteil der Paare änderte die Aufteilung der Kinderbetreuung während der Krise nicht – und dies in den meisten Fällen dauerhaft. Die meisten Frauen übernahmen also vor und während der Krise den überwiegenden Teil der Sorgearbeit. Der Wechsel zu einer egalitären Arbeitsteilung oder einem Arrangement, bei dem der Vater der Hauptsorgetragende ist, fand bei einem deutlich kleineren Teil der befragten Paare statt und war auch nicht von Dauer. Die Egalisierung und umgekehrte Traditionalisierung, also, dass der Vater seit der Krise den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung übernimmt, scheint nicht mehr als eine kurzfristige Anpassung an eine Notfallsituation zu sein. Einige Paare wechselten zu einer traditionellen Arbeitsteilung, die während der Krise etwas häufiger fortdauert als die Veränderungen hin zu einer egalitären oder umgekehrt traditionellen Arbeitsteilung. Ob dies den Gender Care Gap aber längerfristig vergrößern wird, ist unklar. Die Ergebnisse liefern hierzu nur erste Anhaltspunkte, da die Fallzahlen in der HBS-Erwerbspersonenbefragung teilweise relativ klein sind und die Aufteilung der Kinderbetreuung nur zu drei Befragungszeitpunkten erhoben wurde. Umfangreichere Längsschnittstudien sind notwendig, um die langfristigen Folgen der Corona-Krise auf den Gender Care Gap abzuschätzen – auch für weitere Haushaltskonstellationen wie Alleinerziehende oder homosexuelle Paarbeziehungen.
Davon abgesehen lässt sich ein Modernisierungspotenzial bei der partnerschaftlichen Arbeitsteilung beobachten, das durch Homeoffice und kürzere Arbeitszeiten von Vätern befördert werden kann, wenn diese Arrangements in den Betrieben verbreitet und akzeptiert sind. Der Wechsel zu einer egalitären Arbeitsteilung oder einer Arbeitsteilung, bei der Väter die Hauptsorgearbeit übernehmen, ist während der Krise wahrscheinlicher, wenn Väter im Homeoffice arbeiten bzw. kürzere Arbeitszeiten haben. Aber auch an dieser Stelle ist weitere Forschung notwendig: Die Informationen über die Arbeitsarrangements der Partnerin liegen in der HBS-Erwerbspersonenbefragung leider nicht vor, sind aber notwendig, um die Rolle flexibler Arbeitsarrangements von Vätern für den Gender Care Gap voll zu erfassen. Denn vorherige Studien zeigen, dass Väter vor allem dann mehr Zeit für Kinderbetreuung aufwenden, wenn sie im Homeoffice und ihre Partnerinnen im Betrieb arbeiten.
Die wirtschaftlichen Folgen und der beschränkte Zugang zu institutioneller Kinderbetreuung hatte einen erheblichen Einfluss auf die Sorge- und Erwerbsarbeit von Frauen und Männern. Noch sind die langfristigen Folgen auf den Gender Pay Gap, Gender Time Gap und Gender Care Gap nicht gänzlich abzuschätzen, dennoch offenbaren sich durch die Krise die zum Teil noch sehr traditionellen Rollenvorstellungen in Paarbeziehungen. Diese könnten sich nicht nur noch weiter verfestigen, sondern könnten auch mit einer längerfristigen Reduzierung des Erwerbsumfangs und schlechteren Karrierechancen von Frauen einhergehen. Um diese Prozesse aufzuhalten, gilt es, Frauen und Männern eine gleichberechtigte Teilhabe am Sorge- und Erwerbsleben zu ermöglichen. Die kann beispielsweise durch den Ausbau der Partnermonate des Elterngeldes, durch die Reformierung des Ehegattensplittings oder durch den Ausbau der 30-Stunden-Woche geschehen.
Abschließend sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass die hier vorgestellten Ergebnisse nicht mehr als eine Momentaufnahme der Krise erlauben. Die Maßnahmen, die ab November 2020 in Kraft getreten sind und deren Folgen können auf Basis der HBS-Erwerbspersonenbefragung nicht berücksichtigt werden.
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