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Nachschlag: Die Zukunft der Demokratie

Mit seinen 8.000 Kassettenelementen aus Gussglas ist das Berliner Futurium schon von Weitem ein Hingucker. Auf dem metallischen Hintergrund wird mithilfe des Lichteinfalls ein sich konstant wandelndes Wolkenbild reproduziert, welches für »ständige Veränderung« stehen soll. Dem Monolithen aus Stanley Kubrick’s Film Odyssee im Weltraum ähnlich, stellt sich das Gebäude zwischen Spree und Regierungsviertel als außerirdisch und weitsichtig dar.

Dementsprechend soll hier wohl auch der Inhalt die Form füllen, denn im März öffnete das Haus seine Tore für die Ausstellung Democracy in Progress. Zukünfte der Demokratie. Dabei sollen die »Besucher*innen entdecken, wie es mit der Demokratie weitergehen kann«. Auf diese entscheidende Frage reagiert die Ausstellung, kuratiert von Gabriele Zipf, nicht mit direkten Antworten. Vielmehr ist sie als »fluide« und »interaktive« Begleiterin konzipiert, die den Besucher*innen helfen soll, ihre Vorstellungskraft so zu benutzen, dass sie sich die möglichen Szenarien selbst ausmalen können.

Demokratie zum Mitmachen

Die futuristische Zeitreise beginnt mit der »leuchtenden Demokratie-Skulptur«, wo einige Tablets, rote Buzzer, und von der Decke hängende Lichterketten präsentiert werden. Dadurch sollen die Grundmechanismen der »Demokratie zum Mitmachen« greifbar werden. Wörtlich heißt es: »Sammelt vor Ort Mitstreiter*innen für eure Sache, bringt eure Themen auf die digitale Agenda und diskutiert Pixel für Pixel, um zu einer Einigung zu kommen. Von dort aus geht es in die Zukünfte der Demokratien.«

Dass Immobilien beispielsweise nicht in digitalen Agenden oder in Form von Pixeln vorkommen, müsste dann auch Grund dafür sein, dass Volksentscheide wie Deutsche Wohnen & Co. Enteignen mit 59,1 Prozent letztlich doch nicht so gut ins Demokratiekonzept passen. Oder wie Immanuel Kant gesagt hätte: »Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.«

An der Medienwand soll es dann um die »digitale Öffentlichkeit« gehen, also um die Frage, wie sich die Informationsvermittlung wohl entwickeln wird. Anhand eines farbenfrohen Designs – wohlgemerkt durch Emojis hier und da verfeinert - will das Kuratorium hier einen kritischen Ansatz präsentieren, ohne sich jedoch dabei zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Schließlich müssen Demokratien doch stets als Verhandlungsverfahren mit daraus resultierenden Kompromissen verstanden werden.

So lauten die Antworten auf die Frage »Demokratie in der Krise?« etwa »Demokratie ist noch lange nicht am Ende« oder »Democracy is fragile yet an enduring form of government«. Ausgewogen und vage, damit sich die Besucherinnen ihr Bild selbst zusammenbasteln können, und sich auf keinen Fall erschrecken – und sich im Ernstfall doch lieber für die Diktatur entscheiden.

Währenddessen veröffentlichte das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) im Mai eine Umfrage, nach der vier von fünf Personen (79 Prozent) die deutsche Demokratie zunehmend als bedroht wahrnehmen. In der Sprache des Futuriums wird dieser Zustand mit »zwischen Krisenmodus und Aufbruchsgeist« überschrieben.

»Zwischen Konflikt und politischem Unwillen gibt es einen sehr großen Unterschied.«

Unklar bleibt, wie sich ein Kompromiss dazwischen finden lässt. Dazu stellt Stefan Brandt, Direktor des Hauses, immerhin klar: »Zum Wesen der Demokratie gehört, bestimmte Konflikte nicht vollständig auflösen zu können.« Was er jedoch vergisst zu erwähnen ist, dass es zwischen Konflikt und politischem Unwillen, etwa in Sachen Klimawandel oder sozialer Ungleichheit, einen sehr großen Unterschied gibt.

Um den »lebendigen Prozess« der Demokratie praktisch zu erfahren, begeben sich die Besucher ins »Lab« im unteren Geschoss. Der verdunkelte Raum erinnert ans Headquarter eines Tech-Start-Ups. Hier stehen vier interaktive Stationen zur Verfügung, an welchen die »Möglichkeiten und Risiken« digitaler Demokratie erkennbar werden sollen. Wie der Design Thinker, Zukunftsforscher und Leiter des Labs David Weigend erklärt, soll Künstliche Intelligenz in Zukunft Fragen wie »Was sind die Probleme in meiner Nachbarschaft?« anhand von Meinungsumfragen und Datenanalyse besser auswerten können, als es zumindest dem Berliner Senat bis jetzt gelungen ist.

Smile to Vote

Ob diese Technologie tatsächlich die sinnvolleren Lösungsansätze auf Fragen der kontinuierlich steigenden Obdachlosigkeit oder dem Weichen von Berliner Kulturinstitutionen für den Bau von Autobahnen liefern wird, bleibt dennoch eine Frage für die reale Zukunft, aber nicht der Zukunftsvorstellung innerhalb des Futuriums.

Des Weiteren erweckt Alexander Peterhänsel’s »Wahlkabine 1« bei den Anwesenden Interesse. Einmal lächeln für den Gesichtsscan und schon wird anhand des »Smile-to-Vote«-Prinzips erkannt, welche Partei man wählen soll.

Hier ist die Entwicklung der Demokratie also in ihrem Kern zu erfassen: Musste man sich noch vor zwei Jahrzenten durch langatmige Parteiprogramme quälen, wurden diese irgendwann vom Wahl-O-Mat ersetzt, dessen Existenzrecht nun wiederum durch eine endlich textlose (also inhaltslose?) Technologie infrage gestellt wird.

Man möchte fast meinen, wir wohnen derzeit der Entleerung der Demokratie bei. Zumindest würde dies zum Resultat einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2022 passen, in der rund 31 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass wir in einer »Scheindemokratie leben, in der die Bürger nichts zu sagen haben«.

Optimierung durch Innovation

Kann die Demokratie durch Digitalisierung und Partizipationstools gerettet werden?

Die »Zukunft der Demokratie« wird insgesamt als eine perfektionierte Version des Status Quo präsentiert, die durch technologische Innovationen schlicht optimiert werden soll. Die Ausstellung suggeriert, dass die Demokratie durch Digitalisierung und hippe Partizipationstools gerettet werden kann. Und damit es sich nicht allzu viel nach neoliberaler Staatspropaganda anhört, schmückt man das Ganze mit halbherzigen, aber anscheinend selbstkritischen Floskeln, wie: »Die Demokratie hinterfragt sich selbst«.

Sollte die Selbstkritik nämlich ernstgemeint sein, ist nicht zu begreifen, weshalb ein Exponat zur Spionagesoftware Pegasus oder den Kameras mit Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz nicht zum Repertoire gehört. Schließlich ist es doch ein demokratisches Grundrecht zu wissen, weshalb der Staat es nötig hätte, die Gesichter jener zu registrieren, die in die Bahn steigen.

Die zu bewältigenden Herausforderungen wie Klimawandel, Meinungsfreiheit und soziale Ungleichheit werden durchaus benannt. Schade nur, dass man etwa von dem nach wie vor inhaftierten Julian Assange oder der betrügerischen Zusammenarbeit zwischen Staat und Autoindustrie beim Dieselskandal nichts erfährt.

Manchmal kommt es eben ganz gelegen, die fantastische Ebene nicht verlassen zu müssen. Das Futurium versteht seine Aufgabe nämlich darin, eine Brücke zwischen den vorhandenen Institutionen unserer parlamentarischen Demokratie und »utopischen Zukunftsszenarien« zu erbauen. In anderen Worten: Man will optimistisch nach vorne blicken.

Wir brauchen Mut

Dabei verpasst das Futurium eine große, wichtige Chance. Die Demokratie steht viel zu stark unter Druck, als dass man sich auf das Tagträumen beschränken könnte. Im Interview mit Erik Heier konstatieren Direktor Stefan Brandt und Sozialforscherin Naika Foroutan: »Wir brauchen Mut«. Doch genau am notwendigen Mut mangelt es hier besonders. Die ständige Abwägung von Gegensätzen mag zwar demokratietheoretisch lobenswert sein, jedoch ist sie spätestens dann fehl am Platze, wenn das zunehmende Gewicht an den Extremitäten das ausbalancierte Konstrukt zu kippen droht.

Woher, möchte man fragen, kommt dieser Zukunftsoptimismus? Und wer sind diejenigen, die die Exponate noch als Realität abkaufen? Und warum scheut sich ein Kuratorium dermaßen davor, einmal wirklich mutig zu sein? Wem würde das schaden, wenn nicht den immer gefährlicheren Demokratiegegnern in diesem Land?

Besser wäre ein Blick hinter die bunte Fassade

Es überrascht doch niemanden mehr, dass die Demokratie mehr denn je anfällig ist für die Einflussnahme mächtiger Interessengruppen und für Korruption, dazu auch noch ungerecht. Solange dies hinter der bunten Fassade der glückseligen Demokratie versteckt und als vereinzelte Kollateralschäden betrachtet wird, spielt man den Ball den Profiteuren des Status quo zu. Stattdessen könnte man eine Ausstellung doch mal mit der Ausgangsfrage konzipieren, warum denn so viele der Demokratie den Rücken kehren.

»Eine demokratische Gesellschaft sollte sich gegen Bedrohungen verteidigen können.«

Gewiss, eine Familie am Sonntagnachmittag mit anstrengenden Themen zu belästigen, oder einer Grundschulklasse Zukunftsängste einzuprägen ist nicht wünschenswert. Eine demokratische Gesellschaft sollte aber in der Lage sein, sich gegen Bedrohungen zu verteidigen und Missstände zu bekämpfen. Dementsprechend müsste der Optimismus, den wir zweifellos nötig haben, mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen gesucht werden.

Denn nur im wahrlich kritischen Spiegelblick besteht die Chance, jene Reformgedanken zum Leben zu erwecken, die in solch ernsten Zeiten, wie wir sie gerade erleben, die Wehrhaftigkeit der demokratischen Idee sichern können. Als ein den Himmel spiegelndes Gebäude wäre das Futurium der Ort schlechthin für eine solche Auseinandersetzung. Aber so lange der gegebene Zustand in Kombination mit einem »Weiter-so« auf der Tagesordnung stehen, präsentiert das Futurium nur eine Zukunft, die es so nicht geben wird.

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