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© picture alliance / Daniel Kubirski | Daniel Kubirski

Über den persönlichen Umgang mit Verschwörungsgläubigen Nachschlag: Trennen oder bleiben?

Die Mutter einer Freundin hat es beim Yoga im Park erwischt. Es war während einem der ersten Lockdowns und besagte Freundin war zunächst froh gewesen, dass ihre Mutter, Ü70, sich trotz allem an der frischen Luft bewegt, Austausch hat, neue Leute kennenlernt, so mitten in der Pandemie. Doch kurz darauf fingen die Yoga-Freundinnen an, die Mutter zu beraunen, säten Zweifel, erzählten von erhellenden Nachrichten auf Messenger und halfen ihr zwischen zwei Sonnengrüßen, die App auf ihrem Smartphone zu installieren.

Wenig später begann die Mutter sich laut zu fragen, ob Corona nicht ein großer Schwindel sei. Auf einmal war sie bereit, dem Virologen Christian Drosten eine recht grundsätzliche Charakterlosigkeit zu attestieren, obwohl sie nie auch nur einen seiner Podcasts angehört hatte. Und, ach so, impfen lassen wollte sie sich auch nicht. Der Bericht meiner Freundin schloss mit einem Seufzen. Dann sank ihre Stirn mit einem leisen Rumms auf die Tischplatte.

Während die Gesellschaft derzeit damit beschäftigt ist, die letzten Bastionen der Maskenpflicht einzuebnen und im selben Zug das Bewusstsein für das (zugegeben derzeit niedrig-inzidente) Andauern der Pandemie an den Rand der Wahrnehmung zu drängen, um endlich, ENDLICH wieder ein Stück Normalität zurückzuerobern, gibt es ein Erbe der Pandemie, das uns länger begleiten wird als Masken und Coronatests: Der Glaube an Verschwörungstheorien. Allsamstäglich defilieren Menschen an meinem Fenster vorbei, Transparente reckend, Lieder singend, Trommeln schlagend, gegen irgendwas seiend. Meist klingt es eher krude, aber stets sehr beleidigt.

Blieben sie dabei und wären in ihrer Freizeit, im Kreise ihrer Lieben zu Diskursen über andere Themen fähig, wäre das womöglich sogar hinnehmbar. Aber so ist es ja nicht. Im Gegenteil. Gerade diejenigen, die behaupten, gewisse Dinge gar nicht mehr sagen zu dürfen, äußern ständig und beharrlich Unsagbares und machen es ihrem Gegenüber so unmöglich, schwierige Thema aus Unterhaltungen auszusparen, und sei es nur um des lieben Frieden willens.

Was tun? Freundschaften lassen sich, bei allem Schmerz, meistens recht einfach beenden. Wer die Konfrontation scheut, kann unter Umständen auch ganz leise aus ihnen hinausschleichen. Aber wenn es Familienangehörige sind, die hartnäckig von Gates-Chips im Blut und vollen Booten raunen, die ihr Bekenntnis, beim nächsten Mal die AfD zu wählen, gerne unterm Weihnachtsbaum mit der gesamten Familie teilen wollen, dann fällt es unter Umständen schwerer, auf Distanz zu gehen.

Ich weiß aus Erzählungen, dass Fragen über den richtigen Umgang mit diesem Phänomen viele Menschen umtreiben. Und ich würde darauf gerne eine einfache Antwort geben, weil so vieles, das einen im Alltag beschäftigt, ohnehin schon so kräftezehrend ist. Aber ganz so einfach ist es eben nicht.

Leidensdruck und Leidensfähigkeit

Da ist zunächst die Frage des Leidensdrucks und der individuellen Leidensfähigkeit. Wie schwer fällt es Ihnen zum Beispiel, sich mit der rechten Hand kreisförmig den Bauch zu reiben, sich mit der linken gleichzeitig leicht auf den Kopf zu schlagen und dabei regelmäßig die Zunge herauszustrecken? Ich will nicht prahlen, aber: Ich bin darin ziemlich gut.

Und als jemand, die als Teenagerin regelmäßig in Diskotheken neben der Lautsprecherbox eingeschlafen ist, nur um die mütterliche Sperrstunde voll auszureizen, ist es mir ein Leichtes, einen sagen wir halbstündigen, bizarren Vortrag über mich ergehen zu lassen und mir dabei griechische Vokabeln zu vergegenwärtigen. Ich kann auch ab und zu ein »hm« von mir geben, mir aber dennoch ein Nicken versagen.

Wenn ich – und das ist wichtig – glaube, dass mein Gegenüber gerade eine schwierige Phase durchlebt, wenn mein Vertrauen in seine Vernunft so gefestigt ist, dass ich zu der Überzeugung gelange, vorübergehendes Schweigen und Hinnehmen könnte dazu führen, dass wir eines Tages, wenn wenigstens ein kleines bisschen weniger Scheiße in der Welt ist, wieder in die Lage geraten, ein aufrichtiges Gespräch führen zu können. Wenn es für mich Anlass gibt zu hoffen, dass mein Hinnehmen dazu beitragen kann, diesen Menschen nicht noch tiefer im Dickicht von Verschwörungstheorien und Rassismus zu verlieren.

Man muss sich aber – und auch das ist wichtig – nicht alles gefallen lassen. Von Brüdern und Schwestern nicht, die fern vom Herz rangieren (ja, das gibt es, biologische Familien sind überbewertet – es leben die Wahlverwandtschaften!), von Tanten und Onkeln schon gar nicht, und, ganz ehrlich: Auch nicht von Eltern. Es heißt, Blut sei dicker als Wasser. Aber noch viel dicker kann der Hals sein, der einem ein Leben lang über die Auseinandersetzung mit Menschen anschwillt, mit denen man vielleicht verwandt aber nicht verbunden ist. Wenn die Faszination für Verschwörungstheorien, für das Heraushusten von Ressentiments sich nicht als irritierendes, hoffentlich vorübergehendes Störgeräusch erweist, sondern vielmehr als ein weiterer Tropfen ätzender Flüssigkeit aus der bekannten, giftigen Quelle, dann kann es unter Umständen eine gute Idee sein, den Kontakt abzubrechen.

Eine Aussprache ist dafür zwar nicht zwingend notwendig, schon gar nicht in der aktuellen Ausnahmesituation. Dennoch würde ich dringend dazu raten, einen Abschiedsbrief zu schreiben, den Sie dann – je nach den Umständen – natürlich auch für sich behalten können. Trennungen tun weh, aber sie sind Teil des Lebens. Jeder darf Abstand halten zu Menschen, die ihm schaden. Unter Umständen handelt es sich dabei ganz schlicht um Notwehr.

Eine Bitte zum Schluss: Lassen Sie noch ein paar Monate die Maske im Gesicht. Ich hatte bisher kein Corona. Das ist kein Verdienst, ich hatte wohl einfach Glück. Aber ich hätte gern, dass es so bleibt. Und was noch viel wichtiger ist: Es gibt Menschen, für die unser aller Rücksicht überlebenswichtig ist.

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