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Netzzeitungen – Alternative zum Print-Qualitätsjournalismus?

Vor einem Jahr startete die Schweizer Netzzeitung Republik. Vorausgegangen war eine Crowdfunding-Kampagne. Anders als viele Netzzeitungen vor ihr begann Republik nicht aus dem Stand und ohne Vermögen, sondern sammelte zunächst Geld und versprach, mit der Publikation erst loszulegen, wenn neben einem tragfähigen publizistischen Konzept ein ausreichendes Startkapital gesichert sei. Die Kampagne begann im April 2017 und nach einem Monat waren bereits 1,8 Millionen Franken (ca. 1,7 Millionen Euro) eingegangen. Nach weiteren zwei Monaten hatten rund 7.000 Spender oder Abonnenten einen Jahresbeitrag von 240 Franken (rund 210 Euro) für das geplante, täglich erscheinende digitale Bezahlmagazin überwiesen.

Damit hatten die beiden Gründer Constantin Seibt und Christof Moser genügend finanzielle Mittel, um mit der zunächst etwa zehnköpfigen Redaktion das publizistische Konzept und die Detailplanung aufzunehmen. Als die Republik im Januar 2018 erstmals erschien, hatte sie rund 15.700 Abonnenten und rund 3,5 Millionen Franken (3,2 Millionen Euro) an Mitgliederbeiträgen gesammelt. Zusätzlich trugen das Gründungsteam und drei namentlich bekannte Investoren je eine halbe Million Franken als Anschubfinanzierung zum Kapital der »Republik AG« bei.

Die Redaktion arbeitet unabhängig im Rahmen der gemeinnützigen Genossenschaft »Project R« der Abonnenten, die Aktien der Investoren und Spender der »Republik AG« sind nicht frei handelbar, denn die AG besitzt ein Vorkaufsrecht. Die komplizierte juristische Konstruktion aus »Republik AG« und »Genossenschaft R« sichert ein Höchstmaß an redaktioneller Unabhängigkeit und sorgt dafür, dass in der AG gegen die Stimmen der Genossenschaft keine Mehrheit möglich ist, aber beide Gesellschaften so eng verzahnt sind, wie es Aktienrecht und Genossenschaftsrecht ermöglichen – eine juristische Spitzenklöppelei.

Unter dem Motto »Ohne Journalismus keine Demokratie. Und ohne Demokratie keine Freiheit« einigte man sich in der Redaktion auf ein Magazin für die vom boulevardisierten, teilweise arg nach rechts gerückten »Qualitätsjournalismus« der großen Schweizer Tageszeitungen (Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger, Basler Zeitung) enttäuschten Leserschaft.

Befangenheit in ganz altem Denken

Die Republik versteht sich im Gegensatz zu dem heruntergewirtschafteten Storytelling-Journalismus als Organ der Aufklärung und Kritik an der Macht und nicht als mehr oder weniger profitabler Geschäftsbereich unter dem Dach von Mischkonzernen. Die in der verqueren Diktion der Werbebranche manchmal etwas übersteuerte Kampagne um Republik-Abonnenten, die man als »Verleger und Verlegerinnen« ansprach, weckte sehr große Erwartungen. Die behäbig-selbstzufriedenen Verwalter des »Qualitätsjournalismus« reagierten auf die ersten Ausgaben von Republik angestrengt-zurückhaltend, verrieten jedoch schon mit ihrem Sprachgestus (»kein Primeur«, »keine Exklusivgeschichten«, »kein Scoop«, dafür »Erklärungstexte mit Überlänge«) ihre Befangenheit in ganz altem Denken und machten die Konkurrenz als »Intellektuellenzeitschrift« herunter, weil sich die Republik entschieden vom Cocktail aus seichtem Firlefanz, journalistischem Fast Food und People-Storys der immer dünner und dümmer werdenden »Qualitätszeitungen« verabschiedete.

Das Projekt Republik entwickelte sich im Laufe des ersten Jahres aufs Ganze gesehen erfolgreich. Nach kurzer Zeit stieg die Zahl der Abonnements auf 24.000. Mittlerweile hat sich die Zahl bei gut 18.000 Abonnenten eingependelt, aber die Kosten sind gestiegen, denn die Republik beschäftigt rund drei Dutzend Personen (Redaktion, IT-Team, Verwaltung, Marketing). 60 % der Erstabonnenten haben ihr Abo für das zweite Jahr verlängert. Um den Betrieb in dieser Größenordnung verlustfrei zu gestalten, benötigt das Magazin mindestens 25.000 bis 27.000 Abonnements. Diese Schwelle auf dem sehr begrenzten Markt der deutschsprachigen Schweiz zu erreichen, ist keine leichte Aufgabe. Constantin Seibt vom Gründungsteam ist sich bewusst, dass das Projekt trotz erfolgreichem Start noch lange nicht über dem Berg ist und spricht deshalb von »einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang« (Tages-Anzeiger vom 31.1.2019). Als »sturmfest«, wie in der Crowdfunding-Phase angekündigt, hat sich das Projekt in finanzieller Hinsicht noch nicht bewährt. Das strukturelle monatliche Defizit beträgt rund 30.000 Franken (27.000 Euro). Das Budget für das zweite Jahr wird deshalb um rund 10 % gekürzt werden müssen.

Schwierigkeiten gab es auch in der Redaktion. Von der Idee, die Chefredaktion aus Gründen der Transparenz alle drei Monate auszuwechseln, ist man schnell wieder abgekommen, denn das führte nur zu Konfusionen und unfruchtbaren endlosen Debatten. Vier Redakteure waren vom Betriebsklima so entnervt, dass sie kündigten und die Redaktion verließen. Auch der Verzicht auf Ressorts war ein Fehlschlag. Ein anderes Problem in der Redaktion sind die hohen Qualitätsansprüche an sich selbst. Diese werden längst nicht immer erfüllt und erzeugten bei einigen Autoren Schreibblockaden aus Angst, den hohen Erwartungen nicht zu genügen. Die Macher der Republik traten mit dem Anspruch an, den wegen sinkender Werbeeinnahmen, aber auch wegen intellektueller Verflachung und Verdünnung der Inhalte in die Krise geratenen »Qualitätsjournalismus« zu retten und neu aufzustellen. Diesen Anspruch kann das Magazin nach einem Jahr nur teilweise erfüllen. Journalistisch bieten die Beiträge im Onlinemagazin allemal handwerklich solide, aber sicher nicht durchweg überdurchschnittliche oder gar innovative Qualität. Das gilt auch für die brave, nicht überaus breite Auswahl an Feuilletonthemen, die oft nur Halbgares ausbreiten wie etwa Tobi Müller über einen Besuch im Berliner Club Berghain.

Auch mit dem Anspruch, mit Leserinnen und Lesern bzw. »Verlegerinnen und Verlegern« in einen Dialog auf Augenhöhe zu treten, läuft es wohl nicht ganz so gut, wie die Gründer hofften. Genaueres über Qualität und Intensität der Rückmeldungen der Community ist nicht bekannt, aber so richtig glücklich sind die Redakteure aus dem Gründungsteam um Seibt und Moser mit ihrer Kundschaft nicht. In den Spalten der Republik-Community geht es zu wie in den meisten Kommentarspalten im Netz: viel Geschwätzig-Belangloses, wenig Sach- und Stichhaltiges. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Republik ein »Club«, der »ein ästhetisches Gesamterlebnis« (Constantin Seibt) vermittelt – so bietet zum Beispiel die Gerichtsreporterin Brigitte Hürlimann (sie war bis zum Rechtsschwenk bei der NZZ) Besuche in Gerichtsprozessen an – samt anschließender Diskussion mit Richtern und Staatsanwälten sowie obligatem Austausch an der Bar im Hotel Rothaus, dem Sitz der Redaktion in Zürich.

Die besten Artikel bei der Republik waren auch die längsten. Das Dilemma für die Macher: Bei der Leserschaft gehören die langen »Riemen« nicht gerade zu den beliebtesten und am häufigsten gelesenen (etwa die Reportagen über Facebook oder einen Bauskandal im Kanton Graubünden). Auf die Frage, wie man diese Stärke der Magazinmacher auch beim Publikum zum Erfolg führen kann, gibt es nur die typisch »republikanische« Antwort: Man »schätzt das Tempo des Irrtums und das Tempo der Korrektur des Irrtums« (Philipp von Essen, »Project R«). Dazu passt, dass man bei der Republik mit nichts so oft und so gern kokettiert wie mit dem Image, eine »hochriskante Institution« zu sein: »Journalismus ist der Feind der uralten Angst vor dem Neuen«, heißt es im Gründungsmanifest des »Projects R«.

Nüchtern betrachtet hat das Projekt einer autonomen, von den Banalisierungs- und Trivialisierungstrends in den journalistischen Leitmedien befreiten, kritischen Netzzeitung nicht alle der sehr hohen Erwartungen erfüllt. Aufs Ganze gesehen kann sich aber die Bilanz des Experiments Republik sehen lassen. Der Versuch gibt begründeten Anlass zur Hoffnung, dass der faktisch fast vollständig verwaiste Ort des kritischen Qualitätsjournalismus nicht dauerhaft leer bleiben muss.

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