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Die Strategiefragen der progressiven Parteien Neue Allianzen, mehr Konfliktfähigkeit

Dass diese Entwicklung kein nationales Phänomen ist, das somit auf Fehlleistungen oder strategische Irrwege einzelner Parteien reduziert werden könnte, macht die Herausforderung nur größer. So viel auch etwa beim Gebäudeenergiegesetz schief gelaufen ist, die Heizreform liefert sicher keine hinreichende Erklärung dafür, dass Emanzipation global zum Projekt der Rechtsautoritären geworden ist – als Emanzipation von Spielregeln, von Verantwortung, von Moral – und progressive Parteien in den meisten Ländern überrumpelt und überfordert daneben stehen.

Wie konnte es dazu kommen?

Die Arbeit progressiver und linker Parteien war in den letzten Jahrzehnten im Kern darauf ausgerichtet, die Werte der Moderne – Demokratie, Autonomie, Gerechtigkeit – tatsächlich und universalistisch zu verwirklichen. Für mich persönlich war die Französische Revolution und ihr Versprechen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ständiger Bezugspunkt. Wie viele andere wollte ich, dass dieses Versprechen nicht nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen eingelöst wird: für Wohlhabende, für Männer, für Weiße. Sondern für alle Menschen.

Liberale und konservative Kräfte mögen ihrerseits anders argumentiert, priorisiert und gewichtet haben. Doch bei aller Uneinigkeit darüber, auf welchem Wege wir die besagten Werte praktisch umsetzen: Es gab einen gemeinsamen Bezugsrahmen, nämlich die Werte selbst. Hinzu kam die Vorstellung, dass die zunehmende Krisenhaftigkeit der Gegenwart den Druck zur Verwirklichung für alle vergrößern würde. So wie Jürgen Habermas in den 70er Jahren voraussagte, dass der Kapitalismus an seinen eigenen Widersprüchen scheitern und grundlegende Reformen unumgänglich würden, waren viele Klimaschützer davon überzeugt, dass das spürbare Fortschreiten der Klimakrise auch im globalen Norden eine automatische Hinwendung zu mehr Nachhaltigkeit auslösen würde.

Derzeit beobachten wir das genaue Gegenteil. Während sich der Kapitalismus schlichtweg der Werte entledigt, die ihn vor Widersprüche stellen könnten, und China der ganzen Welt zeigt, dass Kapitalismus auch ohne Demokratie und Freiheit funktioniert, führen immer mehr Extremwetter eben nicht zu mehr Klimaschutz, sondern immer häufiger zur Abschottung der eigenen Peergroup vor den Folgen der Erderwärmung. Da geht es dann plötzlich nicht mehr um die wissenschaftliche Frage, ob wir auf diesem Planeten noch leben können, wenn die Temperaturen um einige Grad angestiegen sein werden. Stattdessen beobachten wir die hoch politische Auseinandersetzung darum, wie wir auf diesem Planeten leben, wer in der Klimakrise geschützt – und wer letztlich zurückgelassen werden sollte.

»Die Werte der Moderne werden grundsätzlich und fundamental infrage gestellt.«

Insbesondere rund um Donald Trump und Elon Musk entwickelt sich ein autoritärer und zugleich hyperindividualistischer Nationalismus, dessen Antwort auf die Polykrise das Recht des Stärkeren ist. Demokratie und eine regelbasierte Weltordnung, Verantwortungsethik und der soziale Ausgleich verkommen zunehmend zu Störfaktoren, die aus dem Weg zu räumen sind. Es steht nicht die Verwirklichung gemeinsamer Werte im Zentrum. Vielmehr werden die Werte der Moderne grundsätzlich und fundamental infrage gestellt: Was universell sein sollte, muss man sich fortan verdienen. Anderen wegnehmen. Sich leisten können.

Wenig überzeugende Verteidigungshaltung

Auf diesen Angriff waren wir Progressive nicht vorbereitet – und verfallen deshalb in die Verteidigung des Status quo. Die ist notwendig: Es ist richtig, Demokratie und Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit bestmöglich zu schützen. Aber es reicht nicht aus und hat hohe Kosten. Zum einen ist die reine Verteidigungshaltung wenig überzeugend, geschweige denn begeisternd oder hoffnungsspendend. Wenn wir nur noch damit beschäftigt sind, mit schwülstigen Worten die liberale Demokratie und ihre Institutionen zu beschwören: Was heißt das für all die Menschen, für die eben diese Institutionen in ihrem Alltag (ob gefühlt oder real) immer weniger funktionieren? Zudem macht die Strategie unglaubwürdig, weil sie uns in Widersprüche drängt. Plötzlich sind es ausgerechnet diejenigen, die sich immer für einen sozial gerechten Klimaschutz eingesetzt haben, die sich gezwungen sehen, ein rein preisgetriebenes Modell zu verteidigen, weil es noch das Beste ist, das sie zu bekommen glauben.

Beides ist nachvollziehbar. Aber es führt dazu, dass wir dauerhaft in der Defensive verharren, während andere die Richtung vorgeben. Im unleugbar wichtigen Versuch, unsere Demokratie zu verteidigen, überlassen wir denen das diskursive Steuer, die ihr schaden wollen. Die Demokratie verteidigt sich aber nicht vom Beifahrersitz aus. Wie kommen wir da raus? Ich glaube, niemand hat hierauf die eine, endgültige Antwort. Ich jedenfalls habe sie nicht. Statt nun aber in Aktionismus zu verfallen, um am Ende doch wieder alles zu machen wie immer: Beginnen wir mit den richtigen Fragen. Für mich und meine Partei sind das die folgenden vier:

Erstens: Wie gewinnen wir Deutungshoheit zurück? In der Ampelzeit sind Fehler passiert, die

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