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Neue Rechte und alte Vordenker

Wenn heute die Rede von einer »Neuen Rechten« ist, dann ist das Attribut »neu« falsch. Denn es gibt eine Traditionslinie, die von der »Konservativen Revolution« in Deutschland ab ca. 1900 bis in die Gegenwart reicht. Die Neue Rechte steht zwischen dem traditionellen Konservatismus auf der einen und dem militanten Rechtsextremismus auf der anderen Seite – die Übergänge sind fließend. Ihre vehemente Kritik richtet sich gegen »den Hauptfeind, den die europäischen Länder zersetzenden Liberalismus«, so der Rechtsanwalt Thor von Waldstein in einer 2017 erschienenen Schrift. Auch das gehört zum Erbe. Schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg behauptete Arthur Moeller van den Bruck (1876–1925), eine führende Person der »Konservativen Revolution« in der Weimarer Republik: »An Liberalismus gehen die Völker zugrunde.«

In den Schriften und Stellungnahmen der Neuen Rechten, z. B. die des Verlags Antaios, stößt man immer wieder auf sogenannte »Vordenker«. Es gibt dort ein so betiteltes Staatspolitisches Handbuch. Es sind etliche namhafte und oft nicht mehr lebende Personen, die der heutigen Szene als intellektuelle Referenzgrößen dienen. Zwei Namen findet man immer wieder: Martin Heidegger und Carl Schmitt.

Martin Heidegger

Martin Heidegger (1889–1976) gehört zu den bekanntesten, aber auch umstrittensten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Schon am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei, er war nicht nur Nationalsozialist, er war auch Antisemit. Das beweisen seine im Jahr 2014 entdeckten und von ihm so genannten »Schwarzen Hefte«. Berühmt-berüchtigt ist seine Freiburger Rektoratsrede am 27. Mai 1933. Was er da propagierte, war eine unmissverständliche Unterwerfung der Wissenschaft und der Universität unter Adolf Hitler und die nationalsozialistische Diktatur: »Die vielbesungene ›akademische Freiheit‹ wird aus der Universität verstoßen, denn diese Freiheit war unecht, weil nur verneinend.« Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit (1927) war ein Buch, das »einschlug wie ein Blitz«, so Christian Graf von Krockow. Heidegger greift darin zentrale Themen auf wie Angst, Sorge und Tod, die in der akademischen Philosophie bis dahin eher ungewöhnlich waren. Viel zitiert und diskutiert sind die Paragraphen 26 und 27 des Buches. Da geht es um die für Heidegger charakteristische Kategorien wie »Sein«, das »Dasein«, das »In-der-Welt-Sein«, das »Selbstsein«, die »Anderen« und schließlich um das »Man«.

Es sind sperrige Gedanken, die über viele weitere Seiten variiert und differenziert werden. Sie offenbaren den Kern des existenziellen Denkens Heideggers und zeigen, wie aus dem »Mitsein« ein »Mitdasein« und schließlich ein »Mit- und Zueinandersein« wird.

Dort, wo es um das »Man« geht, setzt sich Heidegger mit dem Verhältnis des Selbst zu den Anderen auseinander. Nun »beunruhigt« dieses, es ist geprägt »von der Sorge um (…) Abstand«. Es gibt die »Herrschaft der Anderen«, aber »man selbst gehört zu diesen Anderen«. Das »Man« ist zwar neutral, doch es entfaltet in seiner »Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit (…) seine eigentliche Diktatur«. Heidegger beschreibt, wie »wir« das genießen und tun, was »man« genießen und tun soll. Aus dem »Mitsein« wird über das »Miteinandersein« schließlich »Durchschnitt«. Damit werden »alle Unterschiede des Niveaus und der Echtheit (…) verdunkelt«.

Das sind nicht unbedingt per e »rechte« Gedanken. Mit anderen Worten können diese Ideen auch in allgemeiner modernitätskritischer Absicht übernommen werden. Aber im Unterschied zu einer wirklich gesellschaftskritischen Betrachtung gibt es keine partikularen Interessen und Akteure, keine Ideologien, die aus den Verhältnissen herauskommen, keine mehr oder weniger Mächtigen. Dagegen imaginiert Heidegger so etwas wie eine Schicksalshaftigkeit und eine homogene Verwobenheit aller mit allen.

Die Beschäftigung mit Heidegger in den Medien und auf den Foren der Neuen Rechten ist umfassend und intensiv. Die Rektoratsrede wird im Staatspolitischen Handbuch so erklärt: »Moralisierende, externe Schuldzuweisungen, wie sie das problematon ›Heidegger und der Nationalsozialismus‹ nachhaltig bestimmen und in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, müssen hinter Heideggers Denken und seinem Anspruch weit zurückbleiben.« In einer anderen Veröffentlichung glorifizieren die Autoren Martin Sellner und Manfred Spatz – beide exponierte Vertreter der »Identitären« – die Rektoratsrede ihres »Meisters«. Sie enthalte »aufbrechende, kühne Zitate«, sie wären »notwendige Irrwege des Denkens, die es auf dem Weg zur Reife vollziehen mußte«. Indem sie Heideggers Kritik am »Man« weiterspinnen, verorten die beiden Autoren im Westen den »geschichtslosen Massenmensch«, den »faden Einheitsmensch«. Heideggers Modernitätskritik aufgreifend, beklagen sie, dass »die Moderne uns entzieht, uns als Volk zu fühlen«. Sich wieder auf Heidegger beziehend, leiten sie »drei Modi des Volksbegriffs« ab: »Körper, Seele und Geist (…) – das schließt den Ausschluß der Ausländer mit ein: ›Heimat, Freiheit, Tradition! Multikulti Endstation!‹«

In der Jungen Freiheit, dem Wochenblatt der Neuen Rechten, setzt sich ein Autor namens Wolfgang Müller mit der Diskussion um die »Schwarzen Hefte« auseinander: »Es spiegelt den traurigen Verfall tief verankerten Bewußtseins nicht allein im Feuilleton, sondern auch im akademischen Discount-Milieu wider, wenn der Blödsinn von der ›antisemitisch kontaminierten‹ Seinsphilosophie Heideggers inzwischen als diskutabel gilt.«

Carl Schmitt

Auch der Staatsrechtler Carl Schmitt (1888–1985) war Mitglied der NSDAP und Antisemit. Er sprach sich für die Entfernung von Büchern jüdischer Juristen aus Bibliotheken aus: »Wir müssen den deutschen Geist von allen jüdischen Fälschungen befreien.« Die Gleichschaltung der Rechtswissenschaft und Justiz begrüßte er überschwänglich: »Der Führer schützt das Recht.«

Von den Amerikanern wurde Schmitt im Herbst 1945 inhaftiert. Zwar hatte er danach seinen Lehrstuhl verloren, aber er entfaltete eine umfangreiche publizistische Arbeit und Vortragstätigkeit. Im Jahr 1922 erschien sein schmales, nur wenige Seiten starkes Büchlein Politische Theologie, es hat mittlerweile die zehnte Auflage (2015) erreicht. Darin hat Schmitt die immer wieder in Umlauf gebrachte These aufgestellt: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« In der Konsequenz heißt das, dass im »Ausnahmezustand« der Staat seine Autorität unter Aufgabe rechtsstaatlicher Normen herstellen kann: »die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«. Damit liefert er die Begründung einer Diktatur.

Schmitts wohl am meisten gelesene Schrift ist das in mehreren Auflagen und Fassungen erschienene Buch Der Begriff des Politischen. Der Kerngedanke ist eine »Begriffsbestimmung des Politischen«: »spezifisch« für politische Handlungen und Motive »ist die Unterscheidung von Freund und Feind«. Daraus folgt die zentrale Aufgabe des Staates, nämlich »Ruhe, Sicherheit und Ordnung« herzustellen. Dem Staat wird so auch zugestanden, den »innern Feind« zu bestimmen. Darin »liegt das Wesen seiner politischen Existenz«. Schmitts Begriffsbestimmung des Politischen bezieht sich auch auf »das Volk«. »Es steht einem politisch existierenden Volk keineswegs frei, dieser schicksalhaften Unterscheidung zu entgehen«. Wenn sich ein Volk »freiwillig entwaffnet«, »die Unterscheidung von Freund und Feind beseitigt«, dann »wird sich eben ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühe (der Unterscheidung, Anm. d. Verf.) abnimmt, indem es seinen ›Schutz gegen äußere Feinde‹ und damit die politische Herrschaft unternimmt«. Zum »Begriff des Feindes gehört die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines Kampfes«. Die »äußerste Realisierung der Feindschaft« ist der Krieg.

In den Publikationen und auf den Foren der Neuen Rechten hat Schmitt einen regelrechten Kultstatus. Die Zeitschrift Sezession, die sich selbst als »die bedeutendste rechtsintellektuelle Zeitschrift in Deutschland« versteht, widmete ihm im Juni 2011 ein Sonderheft. Er wird von Götz Kubitschek, dem verantwortlichen Redakteur der Sezession, als »der bedeutendste deutsche Staatsrechtler des 20. Jahrhunderts« gefeiert. Die Kritik an Schmitts nationalsozialistischen Aktivitäten bezeichnet er als »dümmliche Eindimensionaliät«. Wer – so heißt es weiter in dem Heft – »die polit-moralinsäuerhaltigen Nebelschwaden unserer Tage durchstoßen will, [der kann] nach wie vor kaum etwas Effektiveres tun«, als sich mit Schmitts Werk zu befassen. Von dem französischen Philosophen Alain de Benoist – selbst ein prominenter Vordenker der Neuen Rechten – wird Schmitt in den Rang des »letzten großen Klassikers« erhoben, »an der Seite eines Machiavelli, eines Hobbes, eines Locke oder eines Rousseau«.

Welche Aufschlüsse gibt die Begeisterung, mit der Vordenker wie die beiden vorgestellten bei den Vertretern der Neuen Rechten hervorruft? Welche Kernbestandteile ihrer Ideologie sind erkennbar?

Heideggers Gesellschaftsbild ist mit seinen verschwommenen Kategorien metaphysisch, es wabert ein »Sein«, das sehr an die bei Rechten immer wieder beschworene Schicksalshaftigkeit erinnert. Interessen und Konflikte sowie Lösungen zu deren Regelung werden nicht genannt. Die Kritik am »Durchschnitt« ist elitär.

Schmitts Definition von Politik als Unterscheidung von Freund und Feind, die Bejahung des »Ausnahmezustands«, in dem der Staat einen Rechtsbruch begehen kann, widersprechen dem liberalen Verständnis eines Rechtsstaats und einem emanzipatorischen Politikverständnis.

»Der Staat« wird essenzialisiert und zum handelnden, Ordnung schaffenden Subjekt. Das »Volk« wird homogenisiert. Die Suche nach dem »inneren Feind« ist durch menschenfeindliche Ressentiments und Aktivitäten der Neuen Rechten bestürzend aktuell. Die NSDAP-Mitgliedschaften Heideggers und Schmitts werden von den Rezipienten der Neuen Rechten bagatellisiert.

Die ganz und gar nicht »neue« Rechte ist auch insofern eine Gefahr für die Demokratie.

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