Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen Leute, die nicht an übermorgen denken. Dinge auf die lange Bank zu schieben, war noch nie eine gute Idee. So manche, die in jungen Jahren einen Bausparvertrag als »spießig« abtun, ärgern sich später, dass sie für den Immobilienkredit so hohe Zinsen zahlen müssen. In derselben Weise ärgerlich ist, wenn die Klimaforschung schon seit 40 Jahren vor steigenden Kosten durch die Folge der Erderhitzung warnt und im selben Zeitraum, zwar nicht nichts, aber eben leider nicht Ausreichendes passiert ist. Dabei kommt Klimaschutz nicht nur dem Klima zugute, sondern hat auch positive Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum.
»Schon heute gibt es massenhaft Klimajobs.«
Schon heute gibt es massenhaft Klimajobs. Allein im Bereich der erneuerbaren Energien waren im Jahr 2022 in Deutschland rund 387.000 Menschen beschäftigt. Dies bedeutet einen Anstieg um 50.400 Arbeitsplätze oder 14,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies war der größte jährliche Zuwachs seit 2006. Höher war der Beschäftigungsstand nur 2012. Damals hatte der Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere nach Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000, zu einem deutlichen Anstieg der Beschäftigung in diesem Sektor geführt.
Der Wendepunkt
Doch 2012 kam es zu einem nachweisbaren Wendepunkt, an dem die Beschäftigungszahlen in der Branche einknickten. Mit der Behauptung, erneuerbare Energien seien zu teuer geworden, setzte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung, allen voran der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, ab 2012 verstärkt darauf, den Ausbau der Solarenergie zu bremsen. Auch Bundesumweltminister Peter Altmaier verfolgte eine restriktive Politik gegenüber erneuerbaren Energien. So wurden beispielsweise Vergütungssätze für Photovoltaik drastisch um etwa zwei Drittel gesenkt. In der Folge kam es zu einer Welle von Insolvenzen bei Solarherstellern und -Installateuren. Deutschland verlor seine Spitzenposition in diesem Bereich.
Die Regierung in China erkannte ihre Chance und entwickelte das Land zum weltweit führenden Solarhersteller. Schon um die Jahrtausendwende hatte das Land begonnen Förderprogramme zur Installation von Photovoltaik- und Windkraftanlagen aufzulegen, um 23 Millionen Chinesen ohne Stromzugang zu versorgen. Ab 2009 folgte eine gezielte Stärkung des Binnenmarktes (»Rooftop Subsidy Program«, »Golden Sun Demonstration Program«). Ab den frühen 2010er Jahren gab es landesweite Strompreissubventionen mit Förderbeträgen pro Kilowattstunde für Betreiber von netzgekoppelten Photovoltaikanlagen.
2016 wurde ein Fünfjahresplan aufgelegt, der vorsah, bis 2020 mindesten 15 Prozent des Energiebedarfs aus nichtfossilen Quellen zu decken und bis zum selben Zieljahr sollten Solarzellen mit 23 Prozent Wirkungsgrad hergestellt werden. Der Staat investierte massiv in den Ausbau der Solarenergie und förderte, nachdem Lithium-Ionen-Batterien als eine der wichtigsten neuen Schlüsseltechnologien identifiziert waren, auch entsprechende Speichertechnologien. Allein 2023 wurden elf Milliarden US-Dollar in netzgekoppelte Batterien investiert, mehr als dreieinhalbmal so viel wie 2022. So baute China seine heute führende Rolle als Solarhersteller etwa seit Beginn der 10er Jahre auf und festigte diese Position seitdem kontinuierlich.
»Deutschland hat glücklicherweise aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.«
Glücklicherweise hat Deutschland aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die aktuelle Bundesregierung versucht, die hiesige Solarproduktion wieder anzukurbeln – und auch sonst wird der Ausbau erneuerbarer Energien wieder vorangetrieben. So wurden in den letzten Jahren mehr als 387.000 Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten. Die wichtigsten Bereiche sind die Solarenergie mit 84.100 Beschäftigten (22 Prozent Zuwachs), die Windenergie an Land (94.100; leichter Rückgang), Windenergie auf See (30.100; deutlicher Anstieg), Umweltwärme und Geothermie (55.000; starker Anstieg) und Biomasse (117.900; stabiles Niveau).
Klimaschutz belebt mittelbar die gesamte Wirtschaft
Investitionen in neue Anlagen für erneuerbare Energien und deren Komponenten bleiben weiterhin der Hauptmotor für die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften. Im Jahr 2022 waren in diesem Bereich rund 238.000 Menschen tätig, was einem Zuwachs von 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Auch der Betrieb und die Wartung von Anlagen aus allen Technologiebereichen erweisen sich als besonders stabile Grundlage für Beschäftigung. In diesem Segment waren 2022 etwa 85.200 Menschen beschäftigt – ein Anstieg um drei Prozent im Vergleich zu 2021. Mit dem weiteren Ausbau dieser Technologien wird dieser Bereich langsam, aber stetig wachsen.
Doch das Beschäftigungspotenzial der Klimawirtschaft geht weit über die Erneuerbare-Energien-Branche hinaus. Vor allem die Bauwirtschaft und die Elektroindustrie werden von ambitionierterem Klimaschutz profitieren, aber auch der Handel und der Dienstleistungssektor. Insgesamt könnten bis 2030 bis zu 1,2 Millionen neue Klimajobs in Deutschland entstehen. Das ist laut einer 2021 von Greenpeace veröffentlichten Meta-Studie auf Basis von 25 Szenarien das optimistischste gesamtwirtschaftliche Szenario. Und selbst das konservativste Szenario rechnet immer noch mit 30.000 neuen Stellen. Im Durchschnitt aller Studien würden etwa 275.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
Wissenschaftliche Szenarien dieser Art beschränken sich allerdings nicht allein auf Arbeitsplätze, sondern ermitteln die Effekte auf die Wirtschaft wie die Ringe auf dem Wasser, wenn man einen Stein hineinwirft. Bei der Gebäudesanierung beispielsweise werden unmittelbar zunächst nur zusätzliche Beschäftigte im Ausbaugewerbe benötigt. Im zweiten Ring gibt es aber auch mehr Aufträge für Zulieferindustrien, etwa für Dämmmaterialien. Im dritten Ring wächst der Fachkräftebedarf in der ganzen Branche, was im vierten Ring zu höheren Tariflöhnen führt. Im fünften Ring hat die Bundesagentur für Arbeit höhere Einnahmen sowie niedrigere Ausgaben. Davon profitiert im sechsten Ring der Gesamthaushalt, was im nächsten Ring andere politische Spielräume eröffnet. Dämpfend wirken dagegen die steigenden Baukosten und die sinkende Nachfrage nach Neubauten und Sanierungen.
»Vor allem die fossile Energiewirtschaft steht vor erheblichen Herausforderungen.«
Natürlich haben Klimaschutzmaßnahmen auch negative Auswirkungen für einzelne Branchen. So steht vor allem die fossile Energiewirtschaft vor erheblichen Herausforderungen. Schließlich muss, um die Klimaziele zu erreichen, der Anteil fossiler Energieträger bis 2050 auf weniger als 20 Prozent sinken. Laut IPCC-Bericht sollten bereits heute keine neuen fossilen Produktionsstätten mehr erschlossen werden. Investitionen in fossile Infrastrukturen drohen zu »Stranded Assets« zu werden. Die CO2-Bepreisung und der Emissionshandel verteuern fossile Energieträger zunehmend. Erneuerbare Energien werden immer wettbewerbsfähiger und verdrängen fossile Energieträger. Wenn sich die Energiewirtschaft nicht auf dezentralere und flexiblere Strukturen und erneuerbare Energien umstellt, drohen hier erhebliche Arbeitsplatzverluste.
Doch mit allen kurzfristigen Verzögerungstaktiken – ob durch Lobbyeinfluss in die Gesetzgebung oder durch Medienkampagnen auf die gesellschaftlichen Debatten – sägt die Branche nur am Ast, auf dem die deutsche Volkswirtschaft sitzt. Zwar lassen sich damit zeitweilig die Gewinne der Vergangenheit noch eine Weile aufrechterhalten. Aber Investitionen in moderne, klimafreundliche Infrastruktur könnten die Grundlage für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung schaffen, die weit über die nächsten zehn Jahre hinausreicht.
Besser Chancen erkennen und ergreifen
Das gilt insbesondere für die noch immer stark von Verbrennermotoren abhängige Autoindustrie. Die Beschäftigtenzahlen werden hier ebenso schnell sinken wie die Absatzzahlen. Doch durch den Umstieg auf Elektromobilität, vor allem in der Batterieproduktion, ließen sich dramatische Verluste abwenden. Zudem gilt es hier die – auch für den Klimaschutz insgesamt – so wichtige und vielschichtige Rolle der Digitalisierung zu erkennen und Chancen zu nutzen.
Digitale Technologien ermöglichen Effizienzgewinne in der Fertigung etwa durch optimierte Prozesssteuerung und intelligente Anwendungen. Digitale Plattformen und Dienstleistungen verändern den Mobilitätsmarkt. Auf Basis vernetzter und intelligenter Mobilitätssysteme lassen sich neue Geschäftsmodelle wie Ride-Sharing, Car-Sharing oder On-Demand-Shuttles entwickeln. Es entstehen selbststeuernde Systeme für Echtzeit-Verkehrsplanung, On-Demand-Verfügbarkeit und bedarfsgerechte Intermodalität. Verkehrsträgerübergreifende Ticketing- und Buchungssysteme vereinfachen die intermodale Mobilität. Digitale Lösungen unterstützen die Priorisierung von ÖPNV, Rad- und Fußverkehr. Hier gibt es große Potenziale, die gehoben werden können – da könnten verantwortungsbewusste Führungskräfte ihre hochkarätigen Fähigkeiten unter Beweis stellen.
»Klimaschutz fördert den dringend notwenigen Strukturwandel, Innovationen und Modernisierungen.«
Klimaschutz fördert den dringend notwenigen Strukturwandel, Innovationen und Modernisierungen, und bringt langfristig wirtschaftliche Vorteile und verhindert noch größere Schäden durch den Klimawandel. Eine kluge Klimapolitik kann diese Transformation so gestalten, dass die wirtschaftlichen Chancen genutzt und Härten abgefedert werden. Doch all dies darf nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden. Denn anders als wir haben andere Länder den Startschuss in die andere Klimazukunft gehört und ziehen inzwischen an uns vorbei. Jetzt müssen wir dringend in die Gänge kommen, auch wenn’s immer schwerer fällt, den Vorsprung der anderen wieder einzuholen. Wer weiterhin lustlos versucht, sich mit der alten Leier »nicht heute, nicht ich, nicht so«, aus der Affäre zu ziehen, wird eines Tages »zu spät« seufzen. Nicht für die Welt, sondern für sich selbst.
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bezeichnet inzwischen grüne Energie, Netztechnik, E‑Autos, Wärmepumpen, Power-to-Heat zur Wärmespeicherung, Wasserstoff, Robotik, industrielle Anwendungen künstlicher Intelligenz sowie Gesundheitstechnologien als »industrielle Zukunftsbranchen fürs Land«. Daraus könne Deutschland absehbar das meiste Wachstum holen. Das sollten wir nicht auf morgen verschieben!
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