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Wissenschaft und Finanzwesen in der NS-Zeit Nicht Lehrsätze und Ideen

»Halb zog sie ihn, halb sank er hin«, dieser schöne Vers aus Goethes Fischer-Gedicht passt recht gut zu dem Verhalten deutscher Universitäten im Frühjahr 1933 gegenüber dem an die Macht gekommenen Nationalsozialismus. Teilweise war es brutaler Druck vor allem seitens einer »völkisch« gestimmten Studentenschaft, sich den neuen Machthabern zu fügen. Aber fast mehr noch war die Mehrheit der Professoren und Dozenten von sich aus bereit, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die berühmte Freiburger Rektoratsrede von Martin Heidegger am 21. Mai 1933 ist dafür beredter Ausdruck. Gegenüber Studierenden bekräftigte der Philosoph seine Überzeugung: »Nicht Lehrsätze und Ideen seien die Regeln Eures Seins. Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz«. Wenige Jahre später erklärten Juristen der NS-treuen »Kieler Schule« den Führerwillen und das Volksempfinden zu geltenden Rechtsnormen. Bei Kriegsende waren fast 60 Prozent der Ordinarien und Dozenten in der NSDAP.

Zur Geschichte einzelner Universitäten in der NS-Zeit, auch zu einzelnen Wissenschaftlern und Disziplinen gibt es mittlerweile viele Darstellungen. Merkwürdigerweise hat eine Gesamtdarstellung aber bislang gefehlt. Der Berliner Historiker Michael Grüttner hat nach zahlreichen Einzelstudien zum Thema Wissenschaft in der NS-Zeit jetzt mit dem überfälligen Gesamtüberblick Talar und Hakenkreuz gewissermaßen sein Opus magnum geliefert – eine detaillierte, oft geradezu brillante Analyse mit einer Überfülle an Quellen und Dokumenten. Der Leser erlebt gleichermaßen den rasanten Strukturwandel der Universitäten, lernt die wichtigsten Akteure in Partei und Staat kennen, ferner die Hochschulpolitik des Regimes, schließlich Veränderungen in den wichtigsten Geistes- und Naturwissenschaften. Ein Ausblick auf die Nachkriegszeit zeigt die Restaurierung der Hochschulen in Struktur und Personal.

Wissenschaftlicher Aderlass

Grüttner unterscheidet drei Phasen: Von 1933 bis etwa 1937 kam es zu einer rigorosen Umwandlung der Universitäten durch Entlassung fast aller jüdischen und »nichtarischen« Wissenschaftler. Als man merkte, dass das ein zu großer Aderlass war, kam es zu finanziellen Verbesserungen und neuer Wertschätzung. Im Krieg dann, als deutlich wurde, wie sehr Deutschland inzwischen gegenüber den USA wissenschaftlich und technologisch zurückgefallen war, setzte das Regime alles daran, vor allem in den Natur- und Technikwissenschaften wieder aufzuschließen. Das ging so weit, dass zum Beispiel der schon zum Tode verurteilte Robert Havemann, als er bei »kriegswichtigen« Forschungen einsetzbar war, mit dem Leben davonkam.

Mit der Etablierung des Reichserziehungsministeriums 1934 wurde eine zen­trale Aufsicht über alle Universitäten geschaffen. Der neue Minister Bernhard Rust war eine ungewöhnlich schwache Figur; selbst Parteifreunde bespöttelten ihn intern als Hohlkopf (Goebbels: »Er ist faul und kann nichts«). Daneben mischten bald weitere Institutionen wie der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund, der Nationalsozialistische Lehrerbund, die Hochschulkommission der NSDAP und die einflussreiche Dienststelle Rosenberg in der Hochschulpolitik mit, was zu permanenten Reibereien führte.

Die Selbstverwaltung wird mehr und mehr beschnitten.

Den Universitäten wurde ihre Selbstverwaltung mehr und mehr beschnitten. Schon Heidegger hatte dem Führerprinzip das Wort geredet, das im Sommer 1933 auch eingeführt wurde und den jeweils vom Minister ernannten Rektor von Senat und Fakultäten weitgehend unabhängig machte. Ihm war allerdings ein parteinaher Kommissar beigegeben, was zu ständigen Querelen führte, zumal auch Dozenten- und Studentenbund als »Aufpasser« ständig in universitäre Belange hineinredeten.

Grüttner hat in seiner Darstellung die 23 Universitäten des »Altreichs« berücksichtigt, nicht Technische Hochschulen und Musik- und Bergbauakademien. 1938, nach dem »Anschluss« Österreichs, kamen Wien, Graz und Innsbruck hinzu, 1939 die Deutsche Universität Prag, im Krieg die »Reichsuniversitäten« Straßburg und Posen (in Polen wie in der CSR mussten alle einheimischen Hochschulen schließen!) Manche ehrgeizige Gauleiter waren bemüht, für ihren Herrschaftsbereich etwa in Trier, Saarbrücken oder Düsseldorf Universitäten zu bekommen, woraus aber nichts wurde; erst die Bundesrepublik hat hier Universitäten geschaffen.

Der Nationalsozialismus beurteilte alle Wissenschaft nach ihrem Wert für das Regime, lehnte also eine voraussetzungslose Forschung ab. Er hatte einen Kanon, den er besonders förderte: zum einen Vor- und Frühgeschichte, dann Volkskunde mit der Betonung der Alltagskultur; drittens Agrarwissenschaften unter dem Aspekt größtmöglicher Autarkie; viertens Auslands- und Kolonialwissenschaften, dann Wehrwissenschaften mit Schwerpunkten in Berlin und Heidelberg, die besonders im Krieg vorangetrieben wurden.

Eugenik – das düsterste Kapitel nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik.

Schließlich Eugenik, das düsterste Kapitel nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik. Schon Ende des 19. Jahrhundert war Eugenik international diskutiert worden. Hitler hatte ein Lehrbuch während seiner Haft studiert. Kaum an der Macht wurde Eugenik an allen medizi­nischen Fakultäten etabliert und in die Pflichtvorlesungen aufgenommen. In der Politik forcierte das Regime Eugenik und Rassenhygiene: 1934 trat das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« in Kraft, das bald medizinischen Verbrechen Tür und Tor öffnete. In der Radikalisierung von Eugenik und Rassedenken fielen mehr und mehr alle moralischen Schranken, wie die tödlichen Humanexperimente etwa in Auschwitz zeigten.

Späte »Einsicht«

Das Regime merkte ab 1942, welch ein Fehler die rücksichtslose Vertreibung hochqualifizierter Wissenschaftler war. Selbst Hermann Göring wetterte 1942 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Reichsforschungsrates, es sei »falsch« gewesen, bedeutende Forscher nur wegen ihrer jüdischen Herkunft oder einer jüdischen Ehefrau zu entlassen. Aber da war es zu spät, wenn auch manche Heißsporne – Grüttner nennt als akademische »Vordenker« neben Heidegger auch Carl Schmitt, den Soziologen Hans Freyer, den Pädagogen Ernst Krieck und den Philosophen und Psychologen Erich Rothacker (nach 1945 der Doktorvater von Jürgen Habermas!) – schon wieder ins Abseits gedrückt waren.

Grüttners Buch ist ein großer Wurf; es bleibt wohl lange eine Referenz für weitere Forschungen. Der Leser wird in allen Teilabschnitten in eine Fülle bisher wenig bekannter Sachverhalte mitgenommen, nicht zuletzt mit vielen Statistiken und Tabellen, die den Text zusätzlich veranschaulichen. Vorbildlich auch das Literaturverzeichnis mit über 1.000 (!) Titeln und ein selten gutes Namensregister.

Erst eine unbefangene Generation habe sich etwa ab 1980 den Universitäten in der NS-Zeit zuwenden können, schreibt Grüttner. Das gilt aber letztlich für die ganze Bundesrepublik. Mittlerweile liegen etwa zu mehreren Bundesministerien Analysen zu Vorgängerinnen in der NS-Zeit vor, ebenso zu zahlreichen Landesbehörden und Industriefirmen. Auch die Bundesbank hat inzwischen ihre Vorgängerin, die Reichsbank in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit sowie ihre personelle Kontinuität nach 1945, unter die Lupe genommen. Eine Historikergruppe am Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) und an der London School of Economics (LSE), hat mehrere Studien verfasst, die demnächst veröffentlicht werden. Gewissermaßen als Zusammenfassung hat die Bundesbank von den Autoren vorab eine Broschüre erbeten; sie wird kostenlos abgegeben.

Die Turbulenzen von Inflation im Jahr 1923, Wirtschafts- und Finanzkrise ab 1929 und die rigide Aufrüstung des NS-Regimes, später die Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung und der im Krieg besetzten Länder spiegeln sich auch in der Geschichte der Reichsbank. Ohne Männer wie Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, so Herausgeber Magnus Brechtken vom IfZ, wäre das Regime zwischen 1933 und 1939 »kaum erfolgreich« gewesen. Mit ihrem Sachverstand war sie, wie der LSE-Historiker Albrecht Ritschl schreibt, »zentrale Anlieferungsstelle für erbeutete Vermögenswerte« und deren Verkauf im Ausland.

Verständnis für das Beharren Athens nach Wiedergutmachung wird geweckt.

Der noch junge Reichsbankpräsident Karl Blessing organisierte nach dem »Anschluss« die Abwicklung der österreichischen Nationalbank und die Überführung von deren Vermögen in Reichsbankbesitz. Die Reichsbank formulierte wesentlich die drakonischen finanziellen Lasten für die besiegten Länder, was sich zumal in Griechenland, wie der Bielefelder Historiker Christopher Kopper zeigt, zu einer Katastrophe für Land und Leute auswuchs und beim Leser Verständnis für das Beharren Athens nach Wiedergutmachung weckt.

Personelle Kontinuität

Wie in allen Bonner Ministerien gab es auch bei der 1948 gegründeten Bank deutscher Länder (BdL) und der ihr 1957 folgenden Bundesbank eine fast bruchlose personelle Kontinuität. In der BdL hatten noch Mitte der 50er Jahre zwei Drittel des Personals in höheren Positionen eine NS-Vergangenheit. Der erste Bundesbankpräsident Wilhelm Vocke war schon von 1919 bis 1939 im Reichsbank-, dann ab 1948 im BdL-Direktorium. Am langjährigen Bundesbankpräsidenten Karl Blessing (von 1957 bis 1969) scheiden sich bis heute die Geister. Schon mit 37 Jahren kam er als Protegè Schachts ins Reichsbankdirektorium; 1937 trat er der NSDAP bei, wenig später dem »Freundeskreis Reichsführer SS«. Da er von den Widerständlern des 20. Juli 1944 als möglicher Wirtschaftsminister vorgesehen war, konnte er später alle Vorwürfe mit Verweis darauf abwehren, wobei ihm seine Popularität als »Mister-D-Mark« erheblich half. Der Autor Stefan Grüner zitiert mit Blick auf Blessing seinen Freiburger Kollegen Ulrich Herbert: »Vermutlich verband die Mehrheit der NS-Funktionseliten ›Fanatismus und Tatbereitschaft‹ mit ›Zweifeln und partiellem Dissens‹.«

Michael Grüttner: Talar und Hakenkreuz. Die Universitäten im Dritten Reich. C. H. Beck, München 2024, 704 S., 44 €.

Magnus Brechtken/Ingo Loose (Hg.): Von der Reichsbank zur Bundesbank. Personen, Generationen und Konzepte zwischen Tradition, Kontinuität und Neubeginn. Deutsche Bundesbank, Frankfurt/M. 2024, 104 S., kostenlos erhältlich bei der Pressestelle der Deutschen Bundesbank (info@bundesbank.de).

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