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© Foto: picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Die FDP in der Sondierung der Partner Nicht-Regieren geht nicht

Die FDP hat noch eine zweite Chance bekommen. Nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen 2017 eröffnen sich für die Liberalen neue Perspektiven auf Regierungsteilhabe. Die Bundestagswahl 2021 stärkte die kleinen Parteien, weil die großen schwächelten. Dabei blieben die Grünen hinter ihren Erwartungen zurück, wenngleich sie ihr Ergebnis von vor vier Jahren verdoppelten. Die FDP fuhr erneut ein zweistelliges Ergebnis ein, was nicht selbstverständlich war, hingegen auch nicht unerwartet kam. Denn die schlechte Performance der Union und ihres Kanzlerkandidaten ließen einmal mehr Wähler aus der bürgerlichen Mitte Zuflucht bei der FDP suchen, wenn sie nicht dem Scholz-Sog zur SPD erlegen waren. Weil beide, Union wie SPD, aber nur jeweils ein Viertel der Stimmen auf sich vereinigen konnten, wuchs das relative Gewicht der kleinen Parteien an. Abseits einer Großen Koalition unter veränderten, rot-schwarzen Vorzeichen bedarf es nun einer Dreierkoalition. An FDP und Grünen liegt es, zu einer regierungsfähigen Mehrheit zu kommen.

Dabei trifft sich die FDP in neuer Partnerschaft mit den Grünen. Beide Parteien erkennen ihre Chance, dieses Mal das Koalitionsspiel umzukehren: Nicht die vermeintlich große Partei sucht sich ihre Partnerin für die Regierungsbildung, sondern es sind die kleinen Parteien, die sich ihren Kanzler suchen. Damit aber erhalten FDP und Grüne ein ganz anderes Verhandlungsgewicht, welches sie nur dann auf die Waage zu bringen verstehen, wenn sie zusammen auftreten. Das wurde von den Akteuren schnell verstanden, und in Könnerschaft medialer Selbstinszenierung präsentierten sie nach der ersten geheim gehaltenen Vorsondierungsrunde ein inzwischen ikonisch gewordenes Bild fröhlichen Einvernehmens. Fast scheint es, als seien aus alten Widersachern neue Freunde geworden. Die Sticheleien aus früheren Jahren haben sie vergessen lassen. Die Liberalen spielen die Karte der Eintracht. Und lassen keinen Zweifel, dieses Mal, anders als nach der letzten Bundestagswahl, wirklich und vor allem »richtig« regieren zu wollen. Der Coup ist gelungen – im Schulterschluss mit den Grünen.

An der FDP scheint also kein Weg vorbei zu führen. Wobei es für die Liberalen nicht von vornherein ausgemacht war, eine Koalition mit SPD und den Grünen einzugehen. Immerhin war eigentlich »Jamaika« das bevorzugte Modell. Aber der unglückliche Wahlkampf von Armin Laschet, die Störmanöver des Vorsitzenden der CSU und das schlechte Wahlergebnis der Union ließen eine solche Option nach und nach unwahrscheinlicher werden. Zumal es der Union nun an Regierungsfähigkeit erkennbar mangelt.

Doch hat sich mit dem Ausfall der Jamaika-Option die Verhandlungsposition der FDP zunächst einmal geschwächt, es fehlt ein bargaining chip. Die Drohkulisse, im Grunde die viel größeren Schnittmengen mit der Union in eine Koalition mit dieser umzumünzen, brach in sich zusammen. Der Wahlslogan »Nie gab es mehr zu tun« ließ sich ja durchaus mit einer von der Union geführten Koalition unter maßgeblicher Beteiligung der FDP realisieren. Immerhin besteht eine schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen, und das freundschaftliche Einvernehmen zwischen Christian Lindner und Armin Laschet hätte sich prinzipiell auch auf Bundesebene – und dann unter Einbezug der Grünen – materialisieren lassen.

Nun also der Versuch, eine Ampelkoalition zu bilden. Nicht Nordrhein-Westfalen, auch nicht Schleswig-Holstein, ist damit die Folie, sondern Rheinland-Pfalz wird zum Muster. Der Generalsekretär der Liberalen, Volker Wissing, hatte nicht nur für die Liberalen eine Ampelkoalition zustande gebracht, sondern ihr auch als Minister angehört. Fast möchte man Lindner strategische Weitsicht attestieren, dass er Wissing vom Rhein an die Spree lockte. Wissing also weiß, wie zu verhandeln ist, welche Themen für eine solche Koalition gesetzt werden können, und wie die einzelnen Partner in ihr glänzen können, auch wenn keineswegs Übereinstimmung in allen Fragen besteht.

Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit, die nur dann funktionieren, wenn sie neben einer gemeinsamen Aufgabe, derzeit gerne als »Projekt« mit begleitender »Erzählung« deklariert, den sie tragenden Parteien die Chance bieten, sich in ihnen zu erkennen, und gleichzeitig den Raum lassen, ihre Eigenständigkeit vorzuzeigen. Dass damit Koalitionen prekäre Gratwanderungen sind, in denen es um eine Äquilibristik zwischen dem Gemeinsamen und dem Eigenen der beteiligten Partner geht, macht Regierungsbildung nicht einfacher. Es rächt sich aber, wenn die Gleichgewichtsverhältnisse nicht zu Beginn verhandelt und austariert werden. Denn das Spiel dissentierender Akteure nach dem Motto der »Opposition in der Regierung« führt früher oder später zum bösen Ende. Die FDP hat hier reichlich Erfahrung.

Die FDP hat sich mehrfach in Bundeskoalitionen um ihr Profil gebracht. Das versuchte sie dann zu kompensieren, indem sie sich als Mehrheitsbeschafferin, mithin als Funktionspartei, zu verkaufen suchte. Das galt insbesondere für die letzte Phase der Kohl-Regierungen, als FDP gewählt werden sollte, um den Kanzler zu retten. Ganz anders nach 1980, wo die Eigenständigkeit der FDP in der SPD-geführten Regierung in der Abgrenzung zum Seniorpartner gesucht und damit Helmut Schmidt das Argument zur Trennung von den Liberalen geliefert wurde. Und schließlich kann auch versäumt werden, eine triumphale Rückkehr in den Bundestag in ein für die Liberalen erkenn- und vorzeigbares Regierungsprofil zu übersetzen. Die Quittung kommt dann schnell. 2013 flog die FDP aus dem Bundestag. Christian Lindner wird dieses Schicksal vermeiden wollen, Nicht-Regieren geht 2021 nicht, aber die FDP wird in einer Koalition deutlich sichtbar bleiben müssen.

Wie kompatibel sind grüne und gelbe Vorstellungen?

Die Ausgangsvoraussetzungen sind nicht schlecht. Das Wahlergebnis erlaubt FDP wie Grünen, sich als Vertreterinnen von Erst- und Jungwählern mit einem besonderen Auftrag der Veränderung und des Aufbruchs auszustatten. Das sollte beiden Schwung verleihen. Offen bleibt dabei aber, wie diese Veränderung konkret ausgestaltet sein soll und wie kompatibel die jeweiligen Vorstellungen jenseits der Legalisierung von Cannabis sind. Mögen sich die Liberalen und die Grünen über die Notwendigkeiten weitergehender Digitalisierung, womöglich auch der Entbürokratisierung von Planungsverfahren, einig sein, treffen sie beide – unterschiedlich akzentuierte – Lebensgefühle junger, überwiegend urbaner Schichten, so gibt es mit Blick auf die Ordnungspolitik, also die Wirtschafts-, Steuer-und Finanzpolitik, genauso große Unterschiede wie in der Frage, welche Rolle der Staat in der Bewältigung der Klimakrise spielen soll. Denn die FDP ist in ihrem Markenkern nicht nur eine Partei der Bürgerrechte – und insofern kompatibel mit soziokulturellen Lebenslagen grüner Wähler –, sondern auch eine Partei, die traditionell in der Marktwirtschaft ein Essential liberaler Programmatik behauptet und staatlichen Formen der Intervention und Regulierung prinzipiell skeptisch gegenübersteht. Das unterscheidet die FDP nicht nur von den Grünen, sondern – noch viel mehr – von der SPD.

Im Grunde waren es auch diese Politikfelder, die 1982 zur Auflösung der Koalition von SPD und FDP führten. Damit war eine seit 1969 bestehende Allianz an ihr Ende gekommen, auf deren Agenda zunächst die Neuorientierung in der Ost- und Deutschlandpolitik, sodann die großen Reformvorhaben bei Liberalisierung und Demokratisierung im Inneren standen, dann aber die Differenzen über die Wirtschafts-, Sozial und Steuerpolitik immer stärker hervortraten. Zudem hatte die SPD sich zunehmend von ihrem Kanzler Helmut Schmidt, nicht zuletzt in der Frage der Nachrüstung, zu distanzieren begonnen; entscheidend waren letztlich die in Positionspapieren niedergelegten Einsprüche, mit denen der damalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff die Bruchlinien in der Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik markierte.

Die sozialliberale Epoche, die immerhin 13 Jahre andauerte, kann in Erinnerung gerufen werden, um die derzeitigen Bemühungen um eine Ampelkoalition in einer historischen Analogie zu rahmen. »Es geht also!« – so könnte die Botschaft von 1969 lauten. Eine Sozialdemokratie, die zu jener Zeit vielen noch als »sozialismusverdächtig« galt, und eine liberale Partei, die sehr lange in »besitzbürgerlicher Erstarrung« (Karl-Hermann Flach) gefangen war, schließen ein Bündnis auf Zeit. Warum sollte es im Jahre 2021 nicht auch funktionieren?

Die Rhetorik vom Aufbruch, vom Wandel, gar vom Neuanfang angesichts grundlegender Herausforderungen – Demokratisierung und neue Ostpolitik damals, Klima, Digitalisierung und neue Weltordnung heute – legen Vergleiche nahe. Aber Analogien haben immer auch Grenzen: das politische Feld der Akteure war damals übersichtlich, eine große und eine kleine Partei bildeten die Bundesregierung; die Richtung und die Wege der Reformen standen weitgehend fest. Nicht nur die Sozialdemokraten wollten grundlegende Veränderungen, auch die Liberalen hatten sich nach 1966 als einzige parlamentarische Oppositionspartei der Reform in vielen politischen und gesellschaftlichen Bereichen verschrieben.

In den Freiburger Thesen von 1971, deren 50. Jahrestag im Oktober dieses Jahres zu verzeichnen ist, forderte die FDP die »Reform des Kapitalismus«: eine Neuregelung der Unternehmensmitbestimmung, eine Nachlassabgabe als Kompensation für eine abzuschaffende veraltete Erbschaftsteuer sowie eine grundlegende Reform des Bodeneigentums mit harter Besteuerung von Veräußerungsgewinnen von bebautem und unbebautem Grundbesitz. War dies alles schon für damalige Altliberale revolutionär genug, so entdeckte die FDP als allererste bundesdeutsche Partei die Umweltpolitik. So forderte sie in den Freiburger Thesen ein Grundrecht auf menschenwürdige Umwelt, die gesetzliche Anerkennung des Verursacherprinzips und der Gefährdungshaftung bei Umweltbelastungen sowie ein Verbot des Imports und Exports von Produkten, die den Umweltgesetzen in der Bundesrepublik Deutschland nicht entsprechen. Kurzum: »Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen«.

Die FDP verstand sich damit als treibende Kraft einer umfassenden politischen und gesellschaftlichen Reform. Nie schienen sich SPD und Liberale näher zu sein. Die Liberalen hatten sich mit ihrem neuen Programm aus der Klientel- und Interessenpolitik der 50er Jahre zu lösen versucht. Die Wende zur Sozialdemokratie aber kostete die Liberalen viele Wählerstimmen aus dem bürgerlichen Lager, weshalb sie in der Regierungspraxis wieder einen sehr pragmatischen Kurs einschlugen, zumal mit dem 1974 erfolgten Kanzlerwechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt auch der größere Koalitionspartner sich auf neue Realitäten – Ölkrise, Inflation, Konjunkturflaute – einstellen musste. In der Folge gerierte sich die FDP zunehmend als Opposition in der Regierung, als Wächterin über linke »sozialistische Experimente« und als marktwirtschaftliches Korrektiv sozialdemokratischer Regierungspolitik. Letztlich überwogen die Differenzen in Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik, die Gemeinsamkeiten der Koalitionäre waren aufgebraucht, die Streitigkeiten in der SPD über die Nachrüstung bewirkten ein Übriges. Im Herbst 1982 wurde das Ende der Regierung Schmidt/Genscher besiegelt.

Von der Euphorie des Anfangs über die Ernüchterung zum Ende mit Schrecken? Man muss Koalitionen nicht von ihrem Ende her denken, vor allem dann nicht, wenn es, wie gegenwärtig, um den Einstieg in Koalitionsverhandlungen geht. Indes wird deutlich, dass Koalitionsbündnisse auf Zeit geschlossen werden und an ihre Belastungsgrenzen stoßen können. Umso mehr kommt es darauf an, die Schnittmengen zu präparieren, die Unterschiede nicht zu verdecken und die Sollbruchstellen zu entschärfen. Dass jeder Anfang auch ein Ende hat, sollte nicht schrecken, aber vor Illusionen und falschen Erwartungen bewahren.

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