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Majid Yarali

Gespräch mit der Hamburger Bildungssenatorin Ksenija Bekeris über Bildung und Bildungspolitik »Niemanden verlieren«

 

NG|FH:Frau Bekeris, ist die Bedeutung von Bildungspolitik nicht geringer geworden in letzter Zeit? Bildungsdebatten stehen doch weniger als früher im Zentrum der politischen Agenda.

KsenijaBekeris: Interessante Feststellung, die Sie treffen und die ich gerade jetzt ganz anders wahrnehme. In Hamburg legen wir schon lange großes Gewicht auf das Thema Bildungspolitik, sie ist seit 2011 ein Schwerpunkt der Politik. Wir sind hier angetreten und an die Regierung gekommen, indem wir sagten, wir wollen niemanden verlieren. So setzten wir im allgemeinbildenden Bereich, aber auch mit der Jugendberufsagentur im Übergang von der Schule in den Beruf Schwerpunkte. Zentral ist auch das Thema Schulbau. Der Zustand der Schulgebäude ist besser als andernorts, wir können sehen, dass sich die Gebäudezustandsklasse in den letzten zehn Jahren um, wenn wir bei Schulnoten bleiben, eine ganze Schulnote verbessert hat, und wir jetzt bei einer glatten Zwei sind.

Oft ist das ja nicht so, Bildung wird bei der Aufzählung unserer maroden Infrastruktur meistens mitgenannt.

Das ist tatsächlich genau das, weshalb wir sagten: Zu guter Bildung gehören auch gute Bildungsräume und in die guten Bildungsräume gehört auch eine gute Bildung. Da hat schon mein langjähriger Vorgänger Ties Rabe die Ressourcen sehr früh dorthin gesteuert, wo wir anhand des Sozialindex davon ausgehen, dass wir Hürden des Zuganges zu Bildung abbauen müssen. Dementsprechend investieren wir gezielt wesentlich mehr an Schulen, an denen es Schülerinnen und Schüler schwerer haben. Und ich habe auch deshalb momentan das Gefühl, dass gesamtgesellschaftlich auf Bildungspolitik wieder positiv geschaut wird, weil mit dem Startchancenpaket viel Geld in Bildung fließt. Ein Paket der gesellschaftlichen Anerkennung, mit dem politische Akteure zeigen, wir müssen viel Geld in die Hand nehmen, um Bildungsbarrieren abzubauen.

Zielt Schule heute nicht zu sehr auf Selektion und das Fitmachen für den Arbeitsmarkt? Wäre es nicht wichtiger, auf emanzipatorische Bildung zu setzen, Persönlichkeit zu entwickeln, statt nur den Karriere- und Verdienstmöglichkeiten nachzujagen?

Ich finde interessant, dass Sie daraus einen Gegensatz machen. Ich komme aus dem frühkindlichen Bereich, ich habe als Berufsschullehrerin sozialpädagogische Assistentinnen und Assistenten ausgebildet und selber in der Kita gearbeitet: Kinder zeigen uns jeden Tag, was sie erreichen wollen, dass sie etwas dazulernen wollen und dass es ihnen wichtig ist, auch zu zeigen, was sie schon können. So ist Leistungsbereitschaft ein Bedürfnis, das Menschen haben. Gleichzeitig ist Schule natürlich derjenige Ort, der einen ganz wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung zu leisten hat. Dazu muss man mitdenken, sich als einen wichtigen Teil der Gesellschaft wahrzunehmen, wofür ich Fähigkeiten brauche, die bei sprachlichen Kompetenzen anfangen. Ich kann mich am politischen Diskurs nur beteiligen, wenn ich Worte dafür habe, wenn ich mich zu Wort melden kann, wenn ich die Gedanken, die ich habe, ausdrücken kann. Also beides ist gleichermaßen wichtig: zum einen Schülerinnen und Schüler in ihrer Wissbegierde und beim Lernen zu unterstützen und zum anderen zu schauen, dass wir starke und stabile Persönlichkeiten brauchen.

Ist das mit den Kernkompetenzen Rechnen, Lesen, Schreiben in den Grundschulen aufgrund der kulturellen Vielfalt, aufgrund zunehmend bildungsferner Elternhäuser schwieriger geworden?

Hamburg geht dort einen anderen Weg als viele andere Bundesländer. Wir haben die Regel, dass alle Kinder, egal ob in einer Kindertageseinrichtung oder zu Hause betreut, mit viereinhalb Jahren in der Schule vorgestellt werden. So lernen sie Schule schon einmal kennen. Und dort wird besonders auf die sprachlichen Kompetenzen geschaut. Wer noch Förderung braucht, wird in Hamburg tatsächlich verpflichtend ein Jahr früher eingeschult, muss also in die Vorschule. Damit machen wir sehr gute Erfahrungen, was andere Bundesländer mittlerweile auch bemerken. Wir haben hier eine breite Stundentafel, in der wir gerade auf die Basiskompetenzen im Grundschulbereich schauen und dort vor allem besonders den sprachlichen Bereich mit dem Lesetraining stützen. Die datengestützte Evaluation zeigt, dass die Schülerinnen und Schüler, die an diesem Lesetraining teilnehmen, signifikant besser werden, was uns sehr darin bestärkt, diesen Weg weiter zu gehen.

Fachkräftemangel ist in Deutschland ein wichtiges Thema. Haben wir durch falsche »Akademisierung« die Berufsausbildung zu sehr entwertet? 

Ich nehme es auch so wahr, dass wir bei aller Fokussierung auf das Abitur immer wieder auch das Thema Berufsbildung in den Vordergrund stellen müssen. Das ist mir selbst sehr wichtig, ich bin ja Berufsschullehrerin, schaue besonders auf die sozialen und pflegerischen Berufe, die einen besonderen Stellenwert für den Zusammenhalt der Gesellschaft haben, und die deshalb in einem besonderen Maße im Fokus stehen sollten.

Mir ist sehr wichtig, dass wir die Schülerinnen und Schüler in der Berufsorientierung sehr individuell unterstützen. Was ist der Weg, den Du gehen willst? Dementsprechend haben wir die Berufsorientierung ab Klasse 8 fest etabliert, mit Praktika, aber auch in der Beratung, wo es hingehen soll: in die Berufsausbildung oder ins Studium. Bei der Beruflichen Hochschule Hamburg wird sogar beides miteinander verbunden. Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Jugendlichen gut ausgebildet in die Zukunft gehen, denn eine Berufsausbildung schützt mich vor Arbeitslosigkeit und Armut, stärkt mich auch in all dem, was in meinem weiteren Leben passiert. Und deshalb sind uns starke Berufsschulen und eine starke Berufsorientierung, die dem voransteht, ein großes Anliegen.

Hilft Bildung eigentlich gegen rechts? Hat Bildung nicht auch die Aufgabe, präventiv Formen jugendlicher Gewalt und autoritärer, fanatischer Charakterbildung entgegenzuwirken?

Auch in Hamburg haben wir durch Juniorwahlen Erkenntnisse darüber, wie tief verwurzelt rechtes Gedankengut ist, sich sehr einfache Antworten zu suchen, die mir einen Halt im Leben geben. Deshalb ist für mich das Thema politische Bildung auch stark mit der ganzen Thematik der Partizipation verbunden. Also sich schon im frühen Kindesalter wahrzunehmen als jemand, der oder die Einfluss nehmen kann: gehört zu werden, sich darüber selbstwirksam zu erleben, auch Verantwortung übertragen zu bekommen, mitentscheiden zu können. Es ist Aufgabe der Gesamtgesellschaft, wozu auch die Schule gehört, dass wir bei dem Thema Informationspolitik, dem Erkennen von Fake News, den Schüler­innen und Schülern Haltelinien geben und diese in ihrer Medienkompetenz bestärken. Zwischen Partizipation erleben zu können, resilient zu sein und gut informiert Entscheidungen treffen zu können besteht ein Zusammenhang. Also: Bildung und Bildungseinrichtungen haben die ganz wichtige Aufgabe, diejenigen zurückzudrängen, die uns mit ganz schlichten Antworten locken wollen.

Künstliche Intelligenz ist ein umstrittenes Thema. Wie ist sie gezielt im Unterricht einzusetzen, wie können wir es schaffen, dass Schülerinnen und Schüler gut mit ihr umgehen können? Es wird ja sogar über Handyverbote in der Schule diskutiert. 

Die KI ist etwas, was auf sehr unterschiedlichen Ebenen in der Gesellschaft eine große Unterstützung sein kann; etwa für Menschen, die der Sprache nicht so mächtig sind, kann sie eine ordentliche Entlastung sein. Das Gleiche gilt übrigens auch für Lehrkräfte bei der individualisierten Unterstützung der Schülerinnen und Schüler. Beim Thema Medienkompetenz ist es wichtig, diese im Schulalltag mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam zu erarbeiten. Was wird mir dort eigentlich gezeigt?

Deshalb bin ich keine Verfechterin davon, Medien aus der Schule fernzuhalten. Doch als Lehrkraft weiß ich, wie sehr diese einen Ablenkungsfaktor bedeuten und stehe diesbezüglich für sehr klare Regeln im Unterricht. Aber ein generelles Verbot halte ich nicht für der Weisheit letzter Schluss. Natürlich muss eine Schule für sich entscheiden. Da ist jede Schule sehr unterschiedlich, hat vielleicht auch gerade eine Dynamik entwickelt, wo an dieser Stelle einmal gesagt werden muss, hier brauchen wir harte Regeln.

 

 

Auch eine medienfreie Zone ist sinnvoll, um Diskussionen miteinander zu lernen. Deshalb gibt es da kein schwarz-weiß, allerdings gilt auch hier: Schule kann nicht alles richten. Wir sind immer darauf angewiesen, wie gesellschaftlich über die Thematik diskutiert wird und unterstützen natürlich die Sorgeberechtigten auch beim Thema Medienkonsum und Informationsbeschaffung.

Also Schule kann nicht alles leisten, versucht aber gerade in Hamburg neue Wege zu gehen: dass Schülerinnen und Schüler in Firmen Start-ups Erfahrungen sammeln können, Schüler/innenfirmen gründen können, Projekttage auch zu anderen Themen durchführen.

Schulen in Hamburg haben eben viele Freiheiten, wozu auch gehört, mit den Schülerinnen und Schülern in Firmen auf ganz praktische Themen einzugehen. Gerade habe ich mit dem Finanzsenator zusammen unseren Lehrer des Jahres getroffen, der in seiner Schule beim Thema Finanzbildung einen großen Schwerpunkt gesetzt hat und viel praktisches Interesse dafür weckt. Das ist etwas, woran wir weiterarbeiten sollten, auch etwa beim Thema Recht: also Schülerinnen und Schüler mit der Praxis des Straf- und Arbeitsrechts in Verbindung zu bringen und auch da Expertinnen und Experten an die Schule zu holen. Wenn die Schülerinnen und Schüler gute Einfälle haben, deren Verwirklichung möglich ist, dann sind das dann natürlich Lernmomente aus einer eigenen Idee heraus, die unterstützt durch Lehrkräfte sehr nachhaltig sind.

Also sehen wir, dass Bildungspolitik doch mehr ist, als nur immer mehr Geld ins System zu pumpen, sie lebt vor allem durch neue Ideen! 

Wenn man die Bundesländer miteinander vergleicht, kann man sehr wohl sehen, wer wie viel Geld pro Schülerin und pro Schüler ausgibt und welche Erfolge damit jeweils erzielt werden. Hamburg gibt viel Geld aus pro Schülerin und Schüler, aber es zahlt sich auch aus. Zum einen sind die Eltern zufrieden. Sie haben ein gutes Gefühl, ihre Kinder nicht nur betreut zu sehen, sondern wissen sie auch in einem guten Lernsetting. Zum anderen ist die Wirtschaft zufrieden, dass wir Verzahnung herstellen, dass es in Hamburg viele Bemühungen und auch Erfolge gibt, Schülerinnen und Schüler gut darauf vorzubereiten, was in der Arbeitswelt passiert. Zum Dritten zeigen uns Leistungskontrollen, dass Hamburg im Verhältnis zu den Schülerinnen und Schüler anderer Bundesländer besser wird. Also können wir sagen, offensichtlich investieren wir das Geld an den richtigen Stellen. Und gleichzeitig muss man natürlich immer reflektieren, welche dringenden Punkte es noch gibt, an denen wir besonders ansetzen müssen

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