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picture alliance / David Ebener | David Ebener

Das Herrschaftssystem des Donald Trump bedroht die Grundfesten der US-amerikanischen Demokratie »No Kings«

Immer dann, wenn vor unseren Augen Neues, Unglaubliches, ja Umwälzendes geschieht, erleben die Begriffsspezialisten in Wissenschaft und Medien ihre hohe Zeit. Dahinter steckt der Versuch, das vor unseren Augen Unglaubliche zu verstehen und erklärbar zu machen. Es ist – wie kann es in diesen Zeiten anders sein – die Rede von Donald Trump. Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika begann mit einer kleinen Gruppe von Getreuen, die mentalen, kulturellen und institutionellen Grundfesten der US-amerikanischen Demokratie einzureißen. Der Historiker Timothy Snyder nennt das Regime schlicht »faschistisch«, sein ehemaliger Yale-Kollege und Faschismus-Experte Jason Stanley spricht von einem »Abstieg in den Faschismus«. Der Economist klassifiziert die USA als »flawed democracy« (defekte Demokratie); der kosmopolitische Intellektuelle Ivan Krastev beschreibt das Trump-Regime als eine »revolutionäre Regierung in der Form eines imperialen Hofes«. Die Liste ließe sich fortführen: Tech-Oligarchie, Plutokratie, Toxischer Feudalismus, Einmannregierung oder die »Herrschaft der unqualifizierten Loyalisten« verdienen da eine Erwähnung.

Trumps Herrschaftsweise ist nicht sachlich rationalisiert, in ihr ist nur die Sphäre der freien Willkür und Gnade ins Extrem entwickelt.

Es spricht wenig dafür, Trumps USA mit demselben Begriff zu beschreiben wie Mussolinis faschistisches Regime oder die Vernichtungsherrschaft des deutschen Nationalsozialismus. Plutokratisch war das politische System der USA auch schon vor Trump. Zeigen sich nicht eher die bizarren Züge einer Herrschaft, die der Herrschaftssoziologe Max Weber schon vor 100 Jahren als patrimonial, genauer noch, als »sultanistisch« beschrieben hat?

Auch wenn Trumps Herrschaftsweise und der Inhalt seiner Politik teilweise plutokratische und mit Einschränkungen auch faschistische Züge trägt, erfassen die beiden Erklärungsversuche nicht die Eigenheit seines politischen Regimes. Es lässt sich zunehmend eine andere Herrschaftsform erkennen, die Max Weber in seiner Herrschaftslehre vor rund 100 Jahren »patrimoniale Herrschaft« nennt. »Patrimoniale Herrschaft«, so Max Weber, »soll jede primär traditional orientierte, aber kraft vollen Eigenrechts ausgeübte, sultanistische, eine in der Art ihrer Verwaltung sich primär in der Sphäre freier traditionsungebundener Willkür bewegende Patrimonialherrschaft heißen«. Max Weber fährt fort: »Die sultanistische Form des Patrimonialismus ist zuweilen, dem äußeren Anscheine nach – in Wahrheit: nie wirklich –, völlig traditionsungebunden. Sie ist aber nicht sachlich rationalisiert, sondern es ist in ihr nur die Sphäre der freien Willkür und Gnade ins Extrem entwickelt. Dadurch unterscheidet sie sich von jeder Form rationaler Herrschaft«.

Drohung und Belohnung

Das lässt auf dem Hintergrund der Ereignisse in Trumps zweiter Präsidentschaft aufhorchen. Folgt nicht auch Trumps Präsidentschaft dem Herrschafts­code von Drohung und Belohnung? Bewegt nicht auch Trumps Administration sich »primär in der Sphäre freier traditionsungebundener Willkür«? Unterscheidet sich diese nicht auch »von jeder Form rationaler Herrschaft«? Gilt nicht zudem, was der große Soziologe schrieb: Der Herrschende sei nicht »Vorgesetzter«, sondern »persönlicher Herr«, sein Verwaltungsstab bestehe primär nicht aus »Beamten«, sondern persönlichen »Dienern«?

»Der Herrscher regiert nach Ermessen, ungebunden von Ideologie und Werten; Verwaltungsnormen werden ausgehöhlt.«

Kann aber, was Weber schon vor 100 Jahren als eine antiquierte Form politischer Herrschaft beschrieb, nun für das 21. Jahrhundert gelten? Zudem dann, wenn es sich dabei nicht um die arabischen Golfstaaten oder afrikanische Stammesgesellschaften handelt, sondern um die älteste Demokratie, den mächtigsten Staat, die modernste Wirtschaft und das fortgeschrittenste Forschungssystem? Kann, was Weber für traditionelle autoritäre Herrschaften definierte, auch aus einer modernen demokratischen Gesellschaft heraus entstehen und bestehen? Für die Beantwortung dieser Frage lohnt es sich bei Juan Linz, einem der führenden Regimeforscher des ausgehenden 20. Jahrhunderts, nachzusehen. Linz betonte ganz im Einklang mit seinem indirekten Lehrmeister, es sei unwahrscheinlich, dass sultanistische Regime sich in wirtschaftlich entwickelten Gesellschaften herausformen können. Wäre Linz heute, gut 25 Jahre später, Zeitzeuge der Geschehnisse in den Vereinigten Staaten von Amerika, müsste er seine Aussage möglicherweise revidieren.

Sultanistische Regime sind personal, nicht legal-rational organisiert; Institutionen spielen keine handlungsleitende Rolle. Wichtige staatliche Positionen werden nicht nach meritokratischen Prinzipien besetzt, sondern nach Loyalitätskriterien handverlesen. Oft finden sich unter den Ausgelesenen Familie, Freunde und Geschäftspartner. Die Loyalität zum Herrscher wird nicht durch eine kohärente Ideologie, Religion oder ein Charisma hergestellt, sondern durch das Doppelprinzip von »Furcht und Belohnung«. Es ist der Herrscher persönlich, der über deren probate Mischung entscheidet. Er regiert nach Ermessen, ungebunden von Ideologie und Werten; Verwaltungsnormen werden ausgehöhlt, der Herrscher entscheidet.

Die Grenzen zwischen Staat und Privatem sind verwischt.

Die Unternehmen des Herrschers schließen Geschäftsverträge mit dem Staat. Patronage, Nepotismus und Korruption werden zu informellen Leitnormen. Sie ersetzen die formellen Institutionen. Zunächst im Herrschaftsapparat, danach auch in der Gesellschaft. Weber hat diesen patrimonialen Herrschaftstyp explizit traditionalen Gesellschaften zugeordnet; Linz nennt dazu konkret die Duvaliers auf Haiti, das Schah-Regime in Persien, Marcos auf den Philippinen oder Somoza in Nicaragua. Passt das auf Trump?

Viele Elemente dieses Idealtypus sultanistischer Regime beschreiben verblüffend präzise die Regierungsweise des 47. US-Präsidenten. Natürlich nicht Eins zu Eins. Das tun Idealtypen nie. Da bleibt zwischen Realität und idealtypischer Figur noch stets eine Differenz. Insbesondere dann, wenn ein solcher Typus vor 100 Jahren markiert und vor gut 25 Jahren weiter differenziert wurde. Als ein besonderer Höhepunkt der bisherigen Sultanisierung der amerikanischen Politik ist wohl die Selbstausrichtung einer Militärparade zu Ehren des eigenen Geburtstags zu sehen. Dazu gehört, dass dieses Ereignis mit staatlichen Mitteln finanziert wurde. Das eigentlich Erstaunliche ist, dass diese Art der traditionalen Herrschaftsweise sich in den trumpschen Formen des Regierens in der wirtschaftlich höchstentwickelten und historisch scheinbar stabilsten Demokratie in solch ungeheurer Geschwindigkeit durchsetzen konnte.

»Zu Bruch geht die Lehrmeinung, die präsidentiellen Demokratien verfügten über wirkungsvollere ›checks and balances‹

Zu Bruch geht dabei ganz en passant auch die tradierte Lehrmeinung, die präsidentiellen Demokratien seien vielleicht nicht so inklusiv wie parlamentarische Regierungssysteme, dafür verfügten sie aber über wirkungsvollere checks and balances. Dies stimmt dann nicht mehr, wenn der Präsident seine Partei mit »fear and reward« erfolgreich dirigiert, Abgeordnete und Senatoren in den Primaries nach der Loyalität zu Trump ausgewählt und von seinen Geschäftsfreunden finanziell unterstützt werden, der Präsident die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses hinter sich weiß, die Opposition rat- und hilflos agiert, die Mehrheit des Supreme Courts augenscheinlich eher nach Loyalitätsgesichtspunkten als nach unparteiischem Recht urteilt und die reichen Tech-Oligarchen den Präsidenten finanziell unterstützen.

Die Herrschaftskontrollen versagen, wenn in einer solchen Konstellation der Präsident nicht die Spur einer demokratischen Tugend und Selbstbeschränkung erkennen lässt. Die Dominanz einer Person über die machtbeschränkenden Institutionen in einer vormals liberalen Demokratie ist vielleicht die irritierendste Erkenntnis. Sie verdeutlicht die besondere Fragilität der Demokratien gerade im 21. Jahrhundert. Fragilität aber findet in der Noch-Demokratie Grenzen an der zweifellos vorhandenen demokratischen Resilienz. Natürlich werden die Vereinigten Staaten kein Sultanat wie Oman. Aber die Tendenz der Sultanisierung ist unverkennbar. Davon zeugt auch der jüngst gegen Trump gewendete Protestruf »No Kings«.

Sperren gegen Autoritarismus

Wieviel Schaden kann der sultanistisch regierende Präsident an der mentalen wie institutionellen Infrastruktur der amerikanischen Demokratie anrichten? Dies hängt vor allem davon ab, wie lange er in der gegenwärtigen Konstellation weiter regieren kann. Vier potenzielle Sperren könnten ihn in naher Zukunft daran hindern, die Demokratie noch weiter in den Autoritarismus zu treiben. Zunächst sind es die Wähler, die Trump in den midterm elections, zumindest im Senat, die Mehrheit entziehen könnten. Dies würde Trump vor die Wahl stellen, sich zu mäßigen oder noch mehr mit executive orders (Verordnungen) zu regieren. Ersteres bedarf einer Rückkehr zur Verfassungstreue, die man ihm aus heutiger Sicht nicht zutraut. Letzteres dürfte weiteres Siechtum der Demokratie bedeuten. Ein solch selbstherrlicher Regierungsstil könnte aber auch in den Augen der von ihm ernannten Richter, »seiner« Parteigenossen im Kongress und Teilen der republikanischen Basis die Grenzen der Loyalität tangieren.

Die zweite Sperre könnte aus dem föderativen System entstehen. Die Eingriffe Trumps in die föderativen Kompetenzen könnten zu einer Solidarisierung mancher Gouverneure führen. Die Auseinandersetzung Trumps mit dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom könnte, je nach Ausgang, eine machtbeschränkende Wirkung gegenüber dem Präsidenten in Washington entfalten.

Die dritte Barriere dürfte die Justiz darstellen. Viele Gerichte werden immer wieder gegen Trumps sultanistische Übergriffe urteilen. Nicht nur aus einer Gesetzestreue heraus. Es gibt auch einen Professionalisierungskodex, dessen Beachtung oder Missachtung über die Reputation von Richtern und Gerichten entscheidet und diese vor zu großer Parteinahme schützt.

»Der Wirtschaftsbürger könnte auch wieder zum aufmerksamen Citoyen werden.«

Die vierte Machtsperre kommt gar nicht aus dem demokratischen System der checks and balances selbst, sondern der Wirtschaft. Provoziert Trumps unberechenbare Wirtschaftspolitik Turbulenzen an der Börse, gefährdet er die Altersvorsorge von Millionen von Menschen. Treibt seine Handelspolitik die US-Wirtschaft in eine Wachstumsschwäche bei steigender Inflation, dann könnte der Wirtschaftsbürger auch wieder zum aufmerksamen Citoyen werden und Trump wie seinen Republikanern Unterstützung und Legitimation entziehen. Der wirtschaftliche Preis wäre hoch. Er träfe nicht nur die amerikanischen Bürger, sondern auch die Bürger vieler Länder, die Trump nie gewählt haben.

Kommentare (1)

  • sc
    sc
    20.10.2025 - 12:40 Uhr
    Gregory Chatonskys Begriff des Vektofaschismus https://chatonsky.net/vectofascisme-2/ kann Max Webers zutreffendes Modell um Machtinstrumente der Massenmedien im Internet ergänzen:

    Für spezifische Segmente maximierte Wahrhaftigkeitsgrade als algorithmische Optimierungsvariablen

    Angepaßte widersprüchliche Mikronarrative und algorithmische Modulation von Aufmerksamkeits- und Affektströmen

    Hochfrequenzpolitik jenseits traditioneller politischer Geographie im Koordinatenfeld von Vektoren, Richtungsintensitäten, Kraftlinien, Polarisationsgradienten

    Nicht direkt messbare Algorithmen manipulieren maßgeschneiderte Informationsumgebungen

    Der medial inszenierte Alleinherrscher als Funktion in einem Rückkopplungssystem

    Führerkult als Interface zu einer modulierten Projektionsfläche, Abstimmung mit seinen Anhängern als Resultat eines technischen Optimierungsprozesses

    Wechselnd fragmentierte Feindbilder bedienen personalisiert in taktisch flexiblen Aufmerksamkeitsfeldern psychoaffektive Reaktionen.

    Zu langsame Verifikationssysteme werden durch Fluten mit widersprüchlichen Halbwahrheiten und Desinformation außer Kraft gesetzt:
    Herstellung einer Lüge in wenigen Sekunden, Faktencheck erfordert stundenlange Recherche

    Industrialisierte kontrafaktische Produktion wird aufmerksamkeitsökonomisch auf emotionales Engagement optimiert und in alltägliche Informationsumgebungen eingefügt.

    Die Intransparenz der Machtstruktur wird durch proprietäre Algorithmen in mehrdimensionalen Vektorräumen gefestigt.

    Hintergrund bleibt der Zugang zu Rohstoffen und Energieressourcen.

    Ein protokollarischer Überblick über die vielen Facetten von Trumps antidemokratischem Staatsstreich: https://sensiblochamaeleon.blogspot.com/2025/03/trump-30753-falschaussagen-straftaten.html

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