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Notwendige Gesetzesinitiativen für einen nachhaltigen Wettbewerb

Viele unserer Gesetze fördern den Raubbau an Produktions- und Lebensgrundlagen, statt ihn zu verhindern. Unsere Wirtschaftsordnung erlaubt es, die Gemeingüter, die unsere gemeinsamen Lebens- und Produktionsgrundlagen bilden, stärker zu nutzen, als diese das aushalten (Übernutzung). Das Privateigentum reicht in den Bereich des Gemeineigentums hinein, wenn es z. B. in der Verfügung über ein Grundstück oder eine Erdölquelle besteht oder zu Entscheidungen über fragwürdige Arbeitsbedingungen berechtigt. Bodenschätze, (Grund-)Wasser und Atemluft sind Beispiele für Gemeingüter.

Das Recht der Privateigentümer, über ihre Grundstücke, Produktionsanlagen, Fahrzeuge usw. nach Belieben zu verfügen, endet meist nicht konsequent dort, wo aus dem privaten Eigentum heraus ungezügelt auf die Gemeingüter zugegriffen wird, z. B. auf Atmosphäre, Atemluft, Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Wasserreinheit, Fischreichtum, Artenvielfalt, Bodenschätze. Als seien frische Luft, reines Wasser, fruchtbarer Boden, Artenreichtum oder reiche Fischgründe noch im Überfluss vorhanden, dürfen letztere oft grenzenlos ausgeplündert, die anderen über Gebühr belastet werden. Nach dem Prinzip »höchste Rendite in kürzester Zeit« werden zu ihren Lasten Kosten gespart und Gewinne gesteigert. Und dies teilweise mit dem Segen des gültigen Wettbewerbs- und Gesellschaftsrechts: Aufwendungen und Selbstbeschränkungen, die nötig wären, um eine Schädigung genutzter Gemeingüter zu vermeiden oder diese Güter nach der Nutzung wiederherzustellen, können unterlassen werden. Gemeingüter (des Human-, Natur- und Sozialkapitals) werden übernutzt, so wie in früheren Zeiten die Gemeindewiese (Allmende) übernutzt wurde, wenn zu viele Tiere zu lange auf ihr weideten, statt dass sie sich durch zeitlich eingeschränkte Nutzung regenerieren konnte.

Übernutzung geschieht, wenn Nutzungsbeschränkungen der Gemeingüter nicht beachtet, bzw. Aufwendungen zu ihrer Erhaltung oder ihrem Ersatz unterlassen werden können – anders ausgedrückt: weil man Kosten auf sie abwälzen (= externalisieren) darf. Die Abwälzung besteht in der Unterlassung von Aufwendungen, die nötig wären, um eine Schädigung eines Gemeinguts zu vermeiden oder im Nachhinein zu kompensieren (also das Gemeingut wieder auf den vorigen Stand zu bringen oder es durch ein anderes gleichwertiges zu ersetzen). Eine Schädigung eines Gemeinguts liegt vor, wenn dieses durch Produktion oder Konsum übermäßig abgenutzt wird, sodass es sich nicht mehr schadlos durch Regeneration selbst ausgleichen kann. Sie entsteht bei Bodenschätzen oder Fischbeständen aus der übermäßigen Verminderung (durch Extraktion), beim Klimasystem oder der menschlichen Gesundheit aus der unumkehrbaren Schwächung des Systems (z. B. durch Emission von Schadstoffen), bei Ökosystemen auch aus Übernutzung oder Umwidmung, bei Sozialsystemen wie der gesellschaftlichen Partizipation z. B. aus einer Vorenthaltung von Bildungs- oder Erwerbschancen.

Ein drittes Wort für Übernutzung und Externalisierung ist Raubbau, ein viertes Substanzverzehr. Heute sind alle Gemeingüter durch Substanzverzehr bedroht; viele sind dem irreversiblen Zeitpunkt nahe, an dem ihre Überlastung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (Kipppunkte). Doch noch immer schützt das Recht Wettbewerber auch dann, wenn sie sich durch Externalisierung von Kosten Vorteile gegenüber jenen verschaffen, die solche Kosten selbst tragen, um die natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen zu erhalten. Und noch immer verpflichtet das Gesellschaftsrecht den Vorstand einer Aktiengesellschaft allein auf das Vermögensinteresse der Aktionäre, aber nicht auch auf den Schutz des Natur- und Sozialkapitals oder weiterer Nachhaltigkeitsziele.

Der Raubbau an den Commons schreitet unaufhaltsam voran, solange er nicht durch Gesetzesinitiativen verhindert wird, die mit der Duldung des externalisierenden Wettbewerbs Schluss machen. Anders wird es nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung kommen. Kosteneinsparung zu Lasten von Gemeingütern muss als unlauterer Wettbewerb gesetzlich sanktioniert werden, das steht in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft, die einen fairen Wettbewerb für alle sicherstellt. Das entspricht dem Verfassungsauftrag, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu verwirklichen. Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes fordert den Gesetzgeber dazu auf, den Gebrauch des Privateigentums so zu regeln, dass er zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dient. In Landesverfassungen, wie beispielsweise in Bayern wird Gemeinwohlverpflichtung der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeiten und die Zielsetzung der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle deutlich niedergelegt (Artikel 151). Die Charta der Grundrechte der EU, die derzeit primär Institutionen der EU adressiert, besagt in Artikel 17: »Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist« und ergänzt in Artikel 37, dass gemäß »dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung« ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität sichergestellt werden müssen. Diesen Geboten käme die Legislative am ehesten nach, wenn sie Regeln verabschiedete, deren Einhaltung von der Allgemeinheit selbst überwacht und gegebenenfalls eingeklagt werden kann, von Einzelnen, von Wettbewerbern und Institutionen der Zivilgesellschaft. Das Rechtsinstitut der Verbandsklage gib es schon. Ein Naturschutzverband kann z. B. klagen, ohne selbst in eigenen Rechten verletzt zu sein, und damit die Rolle eines Anwaltes der Natur übernehmen.

Konkrete Vorschläge:

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Die beliebige Verfügung über das Privateigentum nach § 903 BGB sollte ausdrücklich unter den Vorbehalt gestellt werden, dass der Eigentümer keine wesentlichen Kosten auf das Natur- und Sozialkapital abwälzt, also die Kriterien der Natur- und Sozialverträglichkeit beachtet.
  • Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG): Externalisierung sollte in die verbotenen Wettbewerbshandlungen entsprechend den §§ 3–4 aufgenommen werden. Ein neuer Absatz 12 in § 4 sollte bestimmen, dass auch derjenige unlauter im Sinne von § 3 handelt, der sich durch Abwälzung von Kosten auf Umwelt und Gesellschaft Vorteile gegenüber Mitbewerbern verschafft. Das UWG soll ja verhindern, dass Unternehmen Kundinnen und Kunden durch bloß vorgetäuschte eigene Leistungen für sich gewinnen. Ein durch Schädigung von Gemeingütern erreichter Vorsprung ist in diesem Sinn nicht weniger unlauter – und dem Allgemeinwohl sogar noch abträglicher – als z. B. Täuschung durch irreführende Werbung oder Ausnutzung von Unerfahrenheit. Wenn Externalisierung als unlauter gilt, können zuwiderhandelnde Unternehmen etwa mithilfe der Zentralstelle zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs von Mitbewerbern verklagt werden, die Kosten aufwenden, um die Schädigung der betroffenen Gemeingüter zu vermeiden. Raubbau an Gemeingütern darf keinesfalls weiter als Marktleistung gewertet werden; das würde die Marktwirtschaft diskreditieren. Deshalb müssen auch zivilgesellschaftliche Organisationen Unternehmen auf Unterlassung verklagen können.
  • Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB): Flankierend sollten Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die einander eine Internalisierung bestimmter von ihnen bisher abgewälzter Kosten zusichern, vom Kartellverbot ausgenommen werden. Das GWB soll Gewinnsteigerungen durch Ausschaltung von Preisunter- und Qualitätsüberbietung verhindern. Es nimmt aber Verabredungen zur Verbesserung der Produktion bzw. des Angebots vom Kartellverbot aus. Eine Ausnahme muss deshalb auch für Verabredungen gelten, externalisierte Kosten künftig selbst zu tragen.
  • Aktiengesetz (AktG): In § 76 (1) sowie Art. 4.1.1 des Deutschen Corporate Governance Kodex sollten die Unternehmensvorstände auf den Schutz der naturgegebenen und der gesellschaftlichen Gemeingüter verpflichtet werden, die unsere Lebens- und Produktionsgrundlagen bilden – des Natur- und Sozialkapitals. Dabei muss sichergestellt sein, dass die »Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters« (§ 93.1) nicht verletzt wird, wenn er Umweltschutzinvestitionen anordnet, die Arbeitsbedingungen verbessert, oder durch Arbeitszeitverkürzung Entlassungen vermeidet. So bekäme der Vorstand eine Rechtsgrundlage für entsprechende Aufwendungen, und die Zivilgesellschaft gewänne eine Chance, das Unternehmen daran zu erinnern, dass es auf nachhaltige Entwicklung verpflichtet ist.
  • Kreditwesengesetz (KWG) und Investmentgesetz (InvG): In beide muss die Verpflichtung zur zertifizierten Anlageberatung aufgenommen werden, die Kapitalanleger darüber informiert, inwieweit Anlageprodukte natur-sozialverträglich sind. Die Vorschläge sind laut zwei Rechtsgutachten mit WTO-Recht und EU-Bestimmungen vereinbar und entsprechen den Vorhaben der Europäischen Kommission für einen nachhaltigen Finanzmarkt zu sorgen.
  • Hinzukommen muss ein Lieferkettengesetz, das die Konsequenz obiger Punkte weltweit garantiert und Unternehmen dazu verpflichtet auch jenseits der eigenen Rechtsrahmen verantwortungsvoll zu handeln, so dass ein race-to-the-bottom verhindert wird.

Am Ende bleiben – vor allem – zwei offene Fragen:

Erstens: Wie verändern die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen Wirtschaft und Beschäftigung – und wie kann dieser Umbau sozialverträglich und wettbewerbssichernd vonstattengehen?

Zweitens: Welche aussagekräftigen Messinstrumente für den Nachweis der Nachhaltigkeit von Unternehmen gibt es schon, oder können entwickelt werden? Erste Ansätze dazu gibt es u. a. mit dem Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden (FHL), einer ausführlichen Kriteriologie.

Der FHL ist einer der wichtigsten, wissenschaftlich erarbeiteten und international anerkannten Untersuchungen, welche die meisten Nachhaltigkeitsratings weltweit beeinflusst hat. Der FHL wurde von einem interdisziplinären Team aus Wissenschaftlern und Praktikern unter Leitung der von Johannes Hoffmann und Gerhard Scherhorn 1993 gegründeten Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating (FGEÖR) entwickelt. Somit wurde hier bereits in den 90er Jahren Pionierarbeit geleistet und der Grundstein für ethisch-ökologische Ratings gelegt. Aus der dort begründeten Systematik der Nachhaltigkeitskriterien Kultur-, Natur- und Sozialverträglichkeit ist das Corporate Responsibility Rating (CRR) der Umwelt-Ratingagentur oekom research AG in München entwickelt worden, das heute von vielen institutionellen Investoren, Banken und Fondsgesellschaften weltweit angewandt wird. So hat sich das Prinzip der Environmental, Social and Corporate Governance (ESG) immer weiter verbreitet.

Am 15. März 2018 wurde die oekom research von der ISS, dem weltweit größten Anbieter von Lösungen für Corporate Governance und Responsible Investment, aufgekauft. Die Deutsche Börse AG wird nun im ersten Halbjahr 2021 eine Mehrheitsbeteiligung an ISS erwerben und unterstreicht damit ihr Bekenntnis zu ESG als einem der wichtigsten Megatrends der Branche, der das Investitionsverhalten in der Zukunft grundlegend verändern wird.

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