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Bücher über Facebook und andere Plattformen Nützliche Nutzer

Hackerangriffe auf die Kunden der IT-Firma Kaseya und der Skandal um die Pegasus-Spionage-Software der NSO Group haben erneut die Risiken einer unkontrollierten Digitalisierung vor Augen geführt. US‑Präsident Joe Biden hat Ende Juli sogar erklärt, dass solche massiven Cyberattacken durchaus Auslöser eines Krieges (»a real shooting war – with a major power«) – werden könnten.

Welche Folgen ein solcher Krieg haben könnte, lässt sich gar nicht ermessen, aber schon die zivile Nutzung digitaler Techniken verändert die Welt strukturell in einem nie zuvor gekannten Ausmaß. Führende Tech-Giganten wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft haben mit Milliarden von Usern die Billionen-Euro-Grenze der Marktkapitalisierung überschritten. Und für alle gilt mehr oder minder, was Sheera Frenkel und Cecilia Kang in ihrem Buch Inside Facebook dessen »hässliche Wahrheit« nennen: »Facebook gründet auf einem fundamentalen und möglicherweise unauflöslichen Zwiespalt: einerseits die angebliche Mission, durch das Verbinden von Menschen die Gesellschaft insgesamt voranzubringen, andererseits zugleich von diesen Menschen zu profitieren.« Die »Nutzer« opferten »im Austausch gegen die Facebook-Dienste ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit und ihre persönlichen Daten«, zitieren die Autorinnen eine Klageschrift von US-Bundesstaaten gegen den Konzern. Und diese Daten, so ein Regierungsmitglied, würden behandelt »wie Finanzinstrumente, die in Termingeschäften mit Mais oder Schweinebäuchen eingesetzt werden«.

Noch drastischere Worte fand Lev Grossman von der Zeitschrift Time 2014, der, wie ihn Steven Levy in Facebook. Weltmacht am Abgrund zitiert, dem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nach dessen Indien-Reise falschen Altruismus vorwarf, hinter dem sich ein »Akt des eigennützigen Technik-Kolonialismus« verberge. Grossman habe zudem den Vergleich mit dem Science-Fiction-Film Soylent Green gezogen, dessen Clou es ist, dass es sich bei der darin für die hungernden Massen als Rettung angepriesenen und titelgebenden Industrienahrung »Soylent Green« um Menschenfleisch handelt: »Wie ›Soylent Green‹ ist auch Facebook aus Menschen gemacht, und es braucht immer mehr von ihnen.«

Frenkel und Kang wiederum verweisen auf die »Wissenschaftlerin und Aktivistin« Shoshana Zuboff, die Zuckerbergs führender Mitarbeiterin Sheryl Sandberg die »Rolle einer Virenschleuder« zuschreibt, die den »Überwachungskapitalismus von Google auf Facebook übertrug«. Solche harten Worte mögen zunächst überzogen scheinen, doch sie beschreiben eine raue Realität – verbirgt sich hinter dem Aufstieg der Digitalwirtschaft doch eine besonders effiziente Form dessen, was man mit Joseph Schumpeter als »schöpferische Zerstörung« bezeichnet. Dessen aktuelle Avantgarde analysieren Tatjana Derr, Stefan Georg und Chris Heiler in ihrem Band Die disruptive Innovation durch Streamingdienste: Eine strategische Analyse der Marktführer Netflix und Spotify. Dort heißt es: »Disruptive Technologien erschaffen gänzlich neue Märkte. Treiber von disruptiven Umbrüchen sind derzeit vor allem das Internet, die Digitalisierung und die Web-2.0-Technologie. Dabei greift jede Innovation unmittelbar etablierte und traditionelle Geschäftsmodelle von Unternehmen an.«

Wesen eigener Art

Wer bei Amazon kauft, braucht keine Ladengeschäfte mehr, und wer seine Filme bei Netflix streamt, braucht sie nicht bei Amazon zu bestellen. Was Amazon mit einem Börsenwert jenseits der Billionengrenze zwar nicht in die Knie zwingt, aber bei Netflix 2020 doch für einen Marktwert von rund 187 Milliarden Euro gut war. Disruptiv sind Digitalkonzerne jedoch nicht nur wegen ihrer kreativen Innovationskraft, sondern auch, weil ihr rasantes Wachstum es ihnen erlaubt, Konkurrenten vor die Alternative zu stellen, entweder geschluckt oder zerstört zu werden, wie die Bücher über Facebook zeigen.

»Mit seinen riesigen Ressourcen an Daten und Geld hat Facebook alles zermalmt oder verhindert, was es als potenzielle Bedrohung erkannte«, zitieren Frenkel und Kang die New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James bei der Eröffnung eines Verfahrens gegen den Konzern. Um dann anhand weiterer Anklagepunkte zu bündeln, was man bei Levy in extenso nachlesen kann: »Wenn man Facebook ins Gehege kam oder dem Verkaufsdruck widerstand, begab sich Zuckerberg in den ›Zerstörermodus‹ und setzte das betreffende Unternehmen dem ›Zorn des Marktes‹ aus (…).« Der Vorstandsvorsitzende habe derart große Angst davor, gegenüber seinen Rivalen den Kürzeren zu ziehen, dass er »jede Bedrohung im Wettbewerb zu vernichten oder zu behindern suchte, anstatt sie durch Leistung oder Innovation zu übertreffen«. Zudem habe Zuckerberg »Mitbewerber ausspioniert und Versprechen gegenüber den Gründern von Instagram und WhatsApp gebrochen, sobald er sich diese Start-ups einverleibte«.

Fein ist das nicht, aber auch nicht unbedingt justiziabel, und erst recht liefert es allein keine Erklärung für den Erfolg von Facebook. Der Medientheoretiker Michael Seemann verweist in seiner sehr anspruchsvollen und anregenden Dissertation über Die Macht der Plattformen, dass für die Großen der Digitalwirtschaft die gängigen Vorstellungen von Monopolen nicht mehr ausreichten: »Als Hybrid aus Unternehmen und Markt sind Plattformen weder das eine noch das andere.« Obwohl Plattformen wie Microsoft, Google und Facebook, die die grundlegenden Funktionen der Digitalisierung vom Betriebssystem über die Internetverbindungen bis zu den »sozialen Netzwerken« bestimmten, oft Unternehmen seien, seien »sie zugleich regierungs-, also staatsähnlich, andererseits auch marktähnlich – und eigentlich nichts davon«. Eine zentrale These seines Buches ist, »dass es sich bei Plattformen nicht einfach nur um eine neue Technologie oder ein neues Geschäftsmodell handelt, sondern um nicht weniger als ein eigenständiges Strukturparadigma sozialer Organisation, das neben Markt, Staat und Unternehmen eine eigene Kategorie beansprucht. Seemanns Verweis auf das Hybride der Plattformen lässt sich auch auf die Rolle ihrer Kunden übertragen, was deren Bezeichnung als »Nutzer« (User) schon andeutet. Wer nutzt hier eigentlich wen oder was – und wer nützt wem wie sehr?

Stalin hat Schriftsteller als »Ingenieure der menschlichen Seele« bezeichnet. Zuckerberg habe sich, so Levy, intensiv mit dem Begriff »Social Graph« beschäftigt, der für das stehe, was Facebook seinen Usern ermöglichen wollte: »Social Graph bezog sich auf das Geflecht von Verbindungen, die Menschen in der realen Welt unterhielten. Indem man die Verbindungen zu den Leuten beschleunigte, die auf dem jeweiligen Freundes- und Bekanntenradar waren, erschloss Facebook seinen Usern ein Netzwerk, das sie bereits real hatten, und sorgte dafür, dass man auch in dieser virtuellen Konstellation einerseits eng auf Tuchfühlung blieb und andererseits Grenzen zu jenen Menschen zog, die eine, zwei oder drei Stufen entfernter waren.« Hätte man vielleicht statt Slogans wie »Move fast and break things« eher »Facebook weiß besser, was Du willst« verbreiten sollen? Wenn dieser »Social Graph« so existierte wie Zuckerberg annahm, dann kannte Facebook nicht nur die wahren Bedürfnisse seiner Nutzer, sondern wusste auch, wie man sie verstärken konnte. Facebook habe, so zitiert Levy Sheryl Sandberg, »das Potential, Nachfrage zu erzeugen« – und das hieß über Jahre hinweg auch Nachfrage nach Facebook.

Geschlossene Weltbilder

Levys anhand der Biografie Zuckerbergs entwickelte Unternehmensgeschichte lässt einen immer wieder darüber staunen, dass Milliarden von Menschen »ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit und ihre persönlichen Daten« diesem indiskreten, in eigener Sache aber sehr verschwiegenen Unternehmen opfern. Die vielbeschworene »Schwarmintelligenz« scheint sich hier nicht einzustellen. Levy beschreibt Zuckerberg als einen ausgesprochen wettbewerbsorientierten Menschen, der von seiner Mission überzeugt ist, die Menschheit in einem nie zuvor dagewesenen Maß zu vernetzen. Und er scheint nicht begreifen zu wollen, dass seine Schöpfung Datenmissbrauch, Hassreden und politische Manipulation fördert.

Als Facebook in seiner Frühphase einen Newsfeed herausgebracht hatte, der eine Boulevardisierung privater Nutzerdaten betrieb, so berichtet Levy, seien Zuckerbergs Mitarbeiter von einer Protestwelle überrollt worden, hätten dann aber bei der Überprüfung der Logs etwas Erstaunliches entdeckt: »Auch wenn Hunderttausende User ihr Missfallen am Newsfeed ausdrückten, deutete ihr Online-Verhalten auf das Gegenteil. Die Nutzer verbrachten mehr Zeit bei Facebook als jemals zuvor.« »Die Menschen sind voyeuristischer, als ich gedacht habe«, war eine der Lehren, die Zuckerberg aus solchen Erfahrungen zog.

Nun besteht ein Prinzip digitaler »sozialer« Netzwerke darin, dass sie wie Facebook von bereits bestehenden Beziehungen ausgehen, um auf dieser Basis neue zu fördern. Die Freunde meiner Freunde sind danach auch meine potenziellen Freunde, während mir die »Anderen« gar nicht mehr auf den Schirm und für mich als Diskussionspartner also nicht infrage kommen. Dass es solche Anderen überhaupt gibt und sie andere Vorlieben und politische Überzeugungen teilen, verschwindet damit zunehmend aus der kommunikativen Erfahrung. In einer Welt, die aus digitalen Freundschaften geknüpft ist, wird politischer Dissens allein schon deshalb zum empörenden Skandal, weil es ihn eigentlich gar nicht geben darf. Dies gipfelt in der monomanischen Weltsicht eines Donald Trump, der die jüngste US-Wahl für einen Betrug hält, weil nicht er, sondern ein anderer dabei zum Präsidenten gewählt worden ist.

So wurden besonders die Ereignisse rund um die beiden letzten US-Wahlen zu Nagelproben für die Integrität von Facebook. Beide Facebook-Studien zeigen ausführlich, dass Zuckerbergs Schöpfung daran gescheitert, wenn auch noch nicht zerbrochen ist. So wurde das »Kapern von Daten durch politische Organisationen – allen voran Cambridge Analytica« (Levy) nicht verhindert und der Sturm aufs Capitol vom 6. Januar 2021 auch über Facebook-Nachrichten angeheizt, wie Frenkel und Kang zeigen.

Wie andere Demiurgen hat auch Mark Zuckerberg seine Schöpfung nach seinem eigenen Bilde gestaltet. Wie »Soylent Green« ist sie also von Menschen aus Menschen für Menschen gemacht. Mit Facebook hat Zuckerberg anschaulich gezeigt, dass digitale Konnektivität enorme Potenziale zu entfesseln und eine neue Stufe sozialer Interaktion zu erreichen vermag, dabei aber die menschlichen Schwächen ausnutzt und potenziert. Man sollte ihm dafür dankbar sein und Lehren daraus ziehen.

Tatjana Derr/Stefan Georg/Chris Heiler: Die disruptive Innovation durch Streamingdienste. Eine strategische Analyse der Marktführer Netflix und Spotify. Springer Gabler, Wiesbaden 2021, 58 S., 4,99 €. – Sheera Frenkel/Cecilia Kang: Inside Facebook. Die hässliche Wahrheit. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021, 384 S., 24 €. – Steven Levy: Facebook. Weltmacht am Abgrund. Der unzensierte Blick auf den Tech-Giganten. Droemer, München 2020, 688 S., 26 €. – Michael Seemann: Die Macht der Plattformen. Politik in Zeiten der Internetgiganten. Ch. Links, Berlin 2021, 448 S., 25 €.

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