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© picture alliance / ZB | Z6944 Sascha Steinach

Neue Bücher über Geld, Inflation, Globalisierung Ökonomische Zeitenwende

Durch Arbeit entstehen Werte. Mit dem Geld, das wir durch unsere Arbeit verdienen, bezahlen wir unseren Lebensunterhalt: Miete, Lebensmittel, Kleidung und so weiter. Falls noch etwas Geld am Ende des Monats übrig ist, bleibt es auf dem Bankkonto. Die Bank kann dieses Geld gegen Zinsen an Konsumenten verleihen, die es ausgeben, oder an Unternehmen, die es investieren. Wenn es gut läuft, entstehen dadurch Arbeitsplätze und neue Waren, die den Wohlstand (vor allem der Unternehmen) mehren. So ungefähr funktioniert die Wirtschaft. Zumindest haben wir das mal so gelernt. Nach dieser Lesart ist Geld ein Werkzeug, um die Früchte unserer Arbeit durch Tausch gegen Waren oder Dienstleistungen zu genießen.

Der Soziologe Aaron Saar, der sich am Hamburger Institut für Sozialforschung mit Geldtheorien beschäftigt, hält dieses Konzept, so plausibel es auf den ersten Blick erscheinen mag, jedoch für falsch beziehungsweise für überholt. In seinem Buch Die monetäre Maschine plädiert er dafür, Geld nicht als Werkzeug zu begreifen, das monetäre System aber als eine gigantische Maschine. Ähnlich dem elektrischen Strom, der nur dank eines ausgetüftelten Versorgungssystems aus Kraftwerken, Hochspannungsleitungen und Umspannwerken in unsere Haushalte fließt.

Wenn wir ein Arbeitsverhältnis eingehen, entstehen Gehaltsforderungen an den Arbeitgeber. Unser Bankguthaben bedeutet für die Bank eine Verbindlichkeit uns gegenüber. Wenn wir unsere Einkäufe mit der Kreditkarte bezahlen, tilgen wir eine Verbindlichkeit gegenüber dem Supermarkt, indem wir diese Forderung an unsere Bank weiterreichen. Dies bedeutet für Aaron Saar »in Bilanzen denken«. Wirtschaft, schreibt er, »ist der ständig ablaufende Organisationsprozess von Bilanzen zur Generierung stabiler und funktionierender Ver- und Entschuldung«.

Diese Definition unterscheidet sich fundamental von unserem herkömmlichen Verständnis von Geld als Tauschmittel und vom Verhältnis von Schuldenmachen und Schuldenhaben. Einerseits ist die Geldmenge in den letzten Jahren und Jahrzehnten gigantisch angestiegen. Allein zwischen 2015 und 2018 hat die Europäische Zentralbank die unfassbare Summe von 2.600 Milliarden Euro für Staatsanleihen ausgegeben, ohne dass dadurch eine spürbare Inflation entstanden wäre.

Trotzdem hat der Staat angeblich nicht genügend Geld, um Verkehrswege, das Bahnsystem und Kommunikationsnetze zu modernisieren, um Brücken und Schulgebäude zu sanieren und um ausreichend Lehrkräfte und Pflegepersonal zu bezahlen. Der Staat muss angeblich »sparen«, um nicht zu viele Schulden aufzuhäufen, die dann künftige Generationen mühsam wieder abtragen müssen. Deshalb das Konzept der »schwarzen Null«.

Doch wie wäre es, wenn man solche Ausgaben als ein Geflecht von untereinander abhängigen Verbindlichkeiten und Forderungen betrachtete? Dann klingt das negative Schuldennarrativ nicht mehr plausibel. Denn was ist besser? Den Nachkommen eine marode Infrastruktur zu hinterlassen oder eine intakte, fragt Saar, zumal staatliche Schuldenpapiere in der Regel nur Laufzeiten von zehn Jahren haben, die nachfolgende Generation also gar nicht so sehr belasten.

Private Geschäftsbanken »erschaffen« Geld, Buchgeld, indem sie zum Beispiel einer Schuldnerin Kredit für einen Hauskauf gewähren. Diesen Kredit nimmt die Bank als Forderung in ihre Bilanz als eigenes Vermögen auf. Wird der Kredit zurückgezahlt, erlischt diese Forderung wieder. Kredite müssen deswegen nicht vorfinanziert werden, sondern finanzieren sich selbst: »Sie erschaffen Vermögen und Verbindlichkeit gleichzeitig«, schreibt Saar, »die Bilanz bleibt ausgeglichen. Kredite sind somit keine Darlehen«.

Was folgt daraus? Gerade die dramatisch gestiegenen Immobilienpreise in den Großstädten belegen für Saar, dass die Geldschöpfung der Privatbanken nur die Banken und die Immobilienbesitzer reicher gemacht hat. Parallel dazu sind Mieten gestiegen, ohne dass zusätzlich viele Häuser gebaut worden wären. Unsere »monetäre Maschine« produziere also anstatt Wohlstand für alle nur Reichtum für wenige. Deshalb fordert er, Kredite politisch zu kontrollieren. Wie das dann praktisch funktionieren kann, führt er nicht aus. Mögliche Einwände entkräftet er mit dem Hinweis, dass ja auch die Wasser-, Strom- oder Gasversorgung durch staatliche Agenturen kontrolliert werden.

Über weite Strecken liest sich Aaron Saars Buch wie ein leidenschaftliches Plädoyer für die Modern Monetary Theory (MMT), also den Ansatz, Vollbeschäftigung und (grüne) Staatsausgaben durch Gelddrucken zu finanzieren, allerdings mit dem Risiko wachsender Inflation. Die gegenwärtige Inflation führt Saar auf die durch den Ukrainekrieg gestiegenen Energiepreise und die angespannten Lieferketten zurück.

Globalisierung als Lernchance

Die Inflation und die Globalisierung untersucht der britische Wirtschaftshistoriker Harold James in seinem Buch Schockmomente. James, der an der Universität Princeton (USA) Geschichte und Politik lehrt, beschreibt in acht umfangreichen Kapiteln die größten internationalen Wirtschaftskrisen seit den Hungersnöten von 1840: insbesondere die Zeit der beiden Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise, die »große Inflation« der 70er Jahre, die Rezession von 2008 infolge der Lehman-Brothers-Pleite sowie die Wirtschaftskrise im Zuge der Coronalockdowns. Anhand dieser Beispiele dekliniert James seine These durch, wonach gerade durch solche Globalisierungskrisen am Ende die Globalisierung umfassender ist.

Zwar könnten Deglobalisierungsphasen die Einkommenssituation von Arbeitnehmern durch neue Beschränkungen der internationalen Mobilität verbessern. Aber letztlich fördere die Globalisierung die Widerstandskraft der Wirtschaft. In der Krise gewinnen vor allem die Reichen: Im ersten Jahr der Coronakrise stieg das Gesamtvermögen der Milliardäre weltweit von acht auf 13 Billionen. Und es gab fast 700 neue Milliardäre, bei insgesamt 2.700 Milliardären weltweit.

Die Modern Monetary Theory, die schon bei Saar aufscheint, hat laut Harold James einen historischen Vorläufer: Ende des 19. Jahrhunderts verfasste Georg Wilhelm Knapp, Professor für Politische Ökonomie in Straßburg, ein einflussreiches Werk über die Staatliche Theorie des Geldes. In verschrobenem Vokabular entwickelte er darin die Lehrmeinung, es sei Aufgabe des Staates Geld zu erzeugen. An diese Überlegungen knüpfen führende Vertreter der MMT an, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Stephanie Kelton, die dafür plädiert, Staatsschulden nicht als Verbindlichkeiten des Staates, sondern als Vermögenswerte seiner Bürger zu betrachten.

Diese Auffassung scheint in letzter Zeit Anhänger zu gewinnen. Olivier Blanchard, der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds IWF, hat bei seiner Antrittsrede der American Economic Association 2019 formuliert, öffentliche Schulden könnten keine fiskalischen Kosten verursachen. Die von konservativen Seiten vielfach gescholtenen Sozialausgaben seien in Wirklichkeit hocheffiziente Investitionen, die verhinderten, dass zum Beispiel Arbeitslose ihre Fähigkeiten oder die Bereitschaft zu arbeiten einbüßen.

Der Wirtschaftshistoriker James scheint diese Position zu teilen, wenn er hinsichtlich der republikanischen Kritik an Barack Obamas Steuer- und Ausgabenpolitik urteilt: »Diese Kritik war deplatziert. Es bestand zu jener Zeit keine Inflationsgefahr in den Vereinigten Staaten – ebenso wenig wie in Europa, wo die Kritiker insbesondere in Deutschland auf die Anleihenkäufe der EZB ähnlich reagierten.« James’ Fazit aus zwei Jahrhunderten und sieben schweren Wirtschaftskrisen fällt optimistisch aus: Globalisierungskrisen waren in der Praxis immer große Lernchancen.

Das Ende der Gewissheit

Transfornomics – zur ökonomischen Zeitenwende heißt ein umfangreicher Sammelband mit über 80 Beiträgen von mehr als 90 Autorinnen und Autoren, den das Wirtschaftsforum der SPD herausgegeben hat. Der Begriff »Zeitenwende« bezieht sich explizit auf die Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz nach der russischen Invasion in der Ukraine, auch wenn einige Beiträge früher entstanden sind, teilweise bereits 2021. Der Band trägt Vorschläge und Skizzen zusammen, um mit vermeintlichen Gewissheiten aufzuräumen, etwa mit dem Glauben, dass es mit Wohlstand und Sicherheit immer so weitergehen könne: »Wir alle werden durch den Krieg ärmer.«

Auch die angestrebte Unabhängigkeit in Energiefragen sei nicht realistisch. Selbst wenn sich die russischen Energiequellen mittelfristig komplett ersetzen ließen, würden sich daraus, so Sigmar Gabriel, andere Formen von Abhängigkeit ergeben. Die Wohlstandsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft und der Globalisierung werden zwar nicht generell suspendiert, aber aktuell außer Kraft gesetzt (Frank Wilhelmy).

Mehrere Autoren stimmen darin überein, dass die bisherige Form der unternehmens- und kapitalgetriebenen Globalisierung eingehegt werden müsse, und zwar bereits aus Gründen des Klimaschutzes. Wenn die CO2-Preise weltweit steigen und klimaschädliche Subventionen abgebaut werden, steigen auch die Kosten des Gütertransports und machen die Kostenvorteile der internationalen Arbeitsteilung wieder zunichte.

Das Stichwort hierzu lautet: »Reshoring«. Protektionistische Tendenzen würden auch durch die Abstiegsängste der Mittelschichten angetrieben. In einem solchen Umfeld könne es keine Exportweltmeister mehr geben. Deutschland muss nach Auffassung von Marc Saxer sein exportorientiertes Wirtschaftsmodell infragestellen.

Der Begriff »Resilienz«, der eigentlich aus der Psychologie stammt, erfreut sich zunehmender Beliebtheit und taucht in mehreren Beiträgen auf. Wer über europäische Souveränität rede, müsse eine Resilienzstrategie entwickeln und ein entsprechendes Transformationsprogramm auf den Weg bringen, schreibt Matthias Machnig. Künftig könne es nicht mehr nur um »Recycling« gehen, was in Wahrheit häufig genug nur ein »Downcycling« bedeute.

Das Leitprinzip müsse vielmehr eine echte Kreislaufwirtschaft werden: »Schluss zu machen mit der Ex-und-Hopp-Mentalität. Stattdessen heißt es: Güter lange und mehrfach verwenden, mehr reparieren. Abfall vermeiden und unvermeidbaren Abfall als wertvolle Ressource betrachten« (Markus Steilemann). Wenn wir Abfall, Biomasse, CO2 und Ökostrom kombinierten, ließen sich zum Beispiel Kunststoffe mit Netto-Null-Emissionen herstellen.

Sollte der Krieg in der Ukraine irgendwann beendet sein, dann wird Russland früher oder später in den Kreis der europäischen Mächte zurückkehren. Dann käme es darauf an, keinen Marshall-Plan für Gazprom aufzulegen, sondern vielmehr, darauf, dass ein neues Russland sich öffnet für Zusammenarbeit, Technologietransfer und Wissenschaft (Jens Südekum).

So disparat die einzelnen Statements auch sein mögen – der Sammelband macht deutlich, dass wir uns in nächster Zeit warm anziehen müssen: im buchstäblichen und im übertragenen Sinn.

Aaron Saar: Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft. C.H.Beck, München 2022, 447 S., 28 €. – Harold James: Schockmomente. Eine Weltgeschichte von Inflation und Globalisierung 1850 bis heute. Herder, Freiburg i. Br. 2022, 544 S., 35 €. – Wirtschaftsforum der SPD (Hg.): Transfornomics. Zur ökonomischen Zeitenwende. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2022, 464 S., 29,90 €.

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