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Susanna und die Alten, National Gallery London © picture alliance / Heritage Images | Fine Art Images

Wie eine Ausstellung in Köln weibliche Positionen stärkt Oh! Susanna

»Über Jahrzehnte war die Sexismus-Debatte ein konjunkturelles Phänomen (…) #MeToo hält sich zäher« schreibt die Herausgeberin dieser Zeitschrift Bascha Mika im Jahr 2018 in einem Beitrag über Beharrungskräfte und den Kampf der Frauen. Sie sollte Recht behalten, denn längst ist aus dem Hashtag der digitalen Kampagne ein feststehender Begriff geworden. Nun hat es MeToo in den Titel der epochenübergreifenden Ausstellung einer der bedeutendsten Gemäldegalerien Deutschlands geschafft: Bis zum 26. Februar 2023 zeigt das Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln mit SUSANNA – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo wie Erniedrigung und sexuelle Nötigung schon seit Jahrhunderten in Malerei und Grafik verhandelt werden.

Dabei brechen die Kurator/innen Roland Krischel und Anja Sevcik die dominierende männliche Erzählperspektive klug auf, indem sie dem Korpus von Malergrößen wie Jacopo Tintoretto, Anthonis van Dyck, Rembrandt, Eugène Delacroix, Édouard Manet und Lovis Corinth ausgewählte Werke von zeitgenössischen Künstlerinnen wie Kathleen Gilje, Heike Gallmeier und Zoe Leonard entgegensetzen.

Die politische Dimension dieser bemerkenswerten Schau ließ sich zur Eröffnung an der medialen Aufmerksamkeit messen, denn nicht nur die BILD-Zeitung, sondern auch das heute-journal berichteten darüber: »Werke im Einzelnen und die Ausstellung im Gesamten konfrontieren die Besuchenden mit ihrer eigenen Vorstellung von Moral«, so Lothar Becker, »und ihrem Umgang mit Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt, die längst nicht mehr auf die Besetzungscouch von Hollywood beschränkt, sondern allgegenwärtig ist.«

Die Geschichte der Susanna ist biblisch überliefert: Sie wird beim Baden von zwei alten Richtern zunächst beobachtet, dann bedrängt und schließlich des Ehebruchs verleumdet und angeklagt. Die Frau, die sich nicht auf eine Erpressung einlässt, wehrt sich schreiend und betend. Doch erst nach ihrer öffentlichen Bloßstellung – und Entblößung – vor Gericht kann der Prophet Daniel die beiden Täter durch eine getrennte Befragung überführen und Susanna vor dem Tod retten.

Beginnend mit drei Papyrus-Fragmenten eines griechischsprachigen Kodex (um 200 n. Chr.) aus dem Kölner Institut für Altertumskunde, die das älteste schriftliche Zeugnis der Susanna-Erzählung erhalten, werden in der Ausstellung zunächst die literarischen Ursprünge erforscht mit dem Ergebnis, dass hier ein Beleg für die jüdische Quelle der Susanna-Geschichte vorliegt. Dass es sich um ein »altes Verbrechen« handelt, zeigt auch das zweitälteste Exponat der Schau, der Lotharkristall aus der Regierungszeit Lothars II. datiert um 855–869, auf dem die Susanna-Geschichte eingraviert ist. Bei diesem geschnittenen Schmuckstein aus dem Londoner British Museum handelt es sich um das erste bekannte Kunstwerk seit der Spätantike, das diesem Sujet gewidmet ist.

Im Folgenden wird, ausgehend von einer Handschrift der mittelalterlichen Weltchronik des Jans Enikel (verfasst spätestens nach 1284, die kulturgeschichtliche Bedeutung und volkssprachliche Verbreitung der Susanna-Erzählung dargelegt. Besonders anschaulich ist in diesem Kontext der »Susanna-Schrank«, ein Kölner Überbauschrank mit vier Darstellungen der Susanna-Geschichte aus dem 17. Jahrhundert. Dieses Prunkmöbel aus einer Hannoveraner Privatsammlung zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie präsent die biblische Geschichte im bürgerlichen Umfeld war. Denn Susanna diente, so der Kurator Roland Krischel »als täglich (und wahrhaft ›plastisch‹) vor Augen stehendes Modell für tugendhafte Eheführung«, wobei fraglich sei, ob diese Mahnung auch für den männlichen Part galt, denn die allegorischen und dekorativen Schmuckfiguren sind fast durchweg weiblich.

Lehrstück und Objekt der Begierde

Dagegen war die vollrunde und teils freiplastisch geschnitzte Miniaturgruppe aus Buchsholz »Susanna und die beiden Alten« (Niederlande oder Picardie, um 1540–1550), welche die Sektion zur künstlerischen Reflexion über sexualisierte Gewalt und ihre Folgen eröffnet, vermutlich exklusiv für Männer bestimmt. Dieses im Katalog erstmals publizierte Kunstkammerobjekt aus einer Schweizer Privatsammlung zeigt die nur spärlich mit einem Tuch bekleidete Susanna, die, auf einer Bank sitzend, von zwei bärtigen Alten bedrängt und berührt wird.

Wie in anderen Darstellungen aus Malerei und Druckgrafik wird hier der über die bloße Anschauung hinausgehende physische Übergriff der Alten dargestellt, dem Susanna mit abwehrender Geste begegnet. Dabei ist erstaunlich, dass die wertvolle Holzminiatur offenbar selbst der Berührung diente, denn man sieht, wie »abgegriffen« das Holz ist. Der Auftraggeber wird es in die Hand genommen und auf ähnliche Weise betastet haben, wie die beiden Ältesten Susanna. Anhand dieser beiden Objekte aus dem Kunsthandwerk wird überzeugend dargelegt, wie die biblische Erzählung mal für die Frau als Lehrstück diente, mal für den Mann als Objekt der Begierde.

»Unsittlich, zu Tränen rührend ob der Grausamkeit und doch so kunstschön«, so fasst Anja Sevcic in ihrer Studie zur barocken Susanna die damaligen Stimmen zu den zahlreichen Darstellungen von formschönen »alabasterweißen« Frauen unter lüsternen Männern zusammen. In der Ausstellung gipfelt die barocke Wucht in einer Gegenüberstellung der großformatigen Gemälde der Italiener Guido Reni, Massimo Stanzione und des Flamen Anthonis van Dyck mit zwei Werken der einzigen Frau im historischen Kanon, der Italienerin und figlia d’arte Artemisia Gentileschi.

Aufgrund der gesellschaftlichen und religiösen Normen verwundert es nicht, dass die Malerin dem gängigen Darstellungsmodus ihrer männlichen Kollegen folgt. Auch, weil diese Susanna den beiden sie bedrängenden Alten erkennbare Gegenwehr entgegensetzt: mit distanziertem Blick, dem Umfassen ihres Umhangs und dem »Noli me tangere«-(Rühr mich nicht an-)Gestus.

Was tatsächlich in der Malerin vorging, wissen wir nicht. Doch die historisch überlieferte Vergewaltigung des künstlerischen »Wunderkindes« durch Agostino Tassi, einen Malerkollegen ihres Vaters, belegt, dass sie selbst einmal in höchster Bedrängnis war, sich vergeblich wehrte und zum Opfer wurde. Zwar wurde der Gewalttäter später verurteilt, doch erst durch ihre Heirat, den Wegzug nach Florenz und die Annahme eines Künstlernamens konnte sie genug Distanz zu diesem gesellschaftlich höchst katastrophalen Ereignis schaffen.

Eine mögliche Antwort auf das Innenleben Gentileschis liefert die als Restauratorin ausgebildete Künstlerin Kathleen Gilje mit ihrem Diptychon aus dem Jahr 1998, welches in direktem Dialog zu dem Barockensemble steht. Hier wird die Kopie eines Gentileschi-Gemäldes, mit der Röntgenaufnahme der von Gilje darunter ausgeführten Untermalung kombiniert: Als fiktive Erstfassung sehen wir eine aufschreiende Susanna, die von den Alten an den Haaren gezogen wird und mit ihrer Linken ein Messer zückt. Die im Barockoriginal, dem damaligen Kodex entsprechend nur angedeuteten Aktionen – Angriff und Gegenwehr – werden hier explizit.

Im Katalog wird die Rolle Gentileschis als Galionsfigur des in den 1970er Jahren in den USA gegründeten Kollektivs »Artemisia« auch vor dem Hintergrund feministischer Kunstgeschichtsschreibung differenziert diskutiert. Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob Artemisia Gentileschi unsere Zeitgenossin ist.

Dass die biblische Susanna unsere Zeitgenossin ist, zeigt eindrücklich das Titelbild der Zeitschrift The New Yorker vom März 2018, das im Vordergrund eine junge blonde Frau auf einem Sofa zeigt, die offensichtlich für ein Vorsprechen eingeladen wurde. Hinter einem Smartphone – die Kamerafunktion wurde gestoppt – dreht sie sich in ihrem kurzen roten Kleid wartend zum Fenster, wo eine am Bildrand angeschnittene Person (vermutlich der Produzent) die Jalousie herunterlässt. Diese als Golden Opportunity (goldene Gelegenheit) betitelte Blatt des Illustrators Chris Ware wurde in den deutschen Medien ausführlich besprochen, doch der Susanna-Kontext wird erstmals in Köln hergestellt. »Die instinktiv abwehrende Körpersprache der bedrohten Schauspielerin (verschränkte Arme und übereinandergeschlagene Beine) weist sie als eine zeitgenössische Inkarnation Susannas aus« so Roland Krischel, der das Magazincover mit einem Gemälde von Peter Paul Rubens vergleicht.

Als Klammer für die vielschichtig untersuchte Susanna-Thematik dient in der Kölner Schau eine von der Kunststiftung NRW geförderte Auftragsarbeit für das Foyer des Wallraf-Richartz-Museums & Foundation Corboud. Hier begegnen die Besuchenden beim Betreten und Verlassen der Ausstellungsräume der ortsspezifischen Installation der Berliner Malerin und Bildhauerin Heike Gallmeier Blick/Bild von 2022. Formal und inhaltlich bezog sie sich auf das in der Ausstellung erstmals präsentierte, neu zugeschriebene Gemälde des venezianischen Malers Jacopo Tintoretto Susanna und die Alten (1546/47).

Über mehrere Monate analysierte Gallmeier das Renaissancegemälde, das sie in der Restaurierungswerkstatt in Berlin in Augenschein nehmen konnte. Schließlich gestaltete sie in Anlehnung ein großformatiges Bild-Objekt, wobei sie sich sukzessive von der Vorlage löste und Tintorettos Bilderzählung installativ und fotografisch – mit Malerei und Materialien wie Keilrahmen, Klemmen, Mobiliar, Leinwandbahnen, Tarnnetz, Collage und Glasplatten – in eine abstraktere Bildwelt transponierte.

Der Gegenwartsbezug wird verstärkt, indem die Figur der Susanna mit der Person der Künstlerin verschmilzt, denn Gallmeier ist Susanna selbst. Nackt und doch von Malerei verhüllt sehen wir sie am linken Bildrand, wo sie auf einem Hocker die verdrehte Pose nachahmt, mit der Tintoretto den weiblichen Körper zur Schau stellt. Dies tut sie mit sichtbarer Anspannung, denn einige stabilisierende Elemente, auf die sich Tintorettos Susanna stützt, fehlen und so entsteht ein visuell erfahrbares Kippmoment.

Dieser Effekt wird verstärkt durch die intermediale Bearbeitung der Figur. Indem die Künstlerin ihren bemalten Unterkörper dem Blick der Betrachter bewusst aussetzt, entsteht eine weitere, strukturelle, Dynamik im Bild. Gallmeiers Susanna, deren Blick sich in der Bildmitte mit dem des lauernden Alten trifft, kippt, weil sie dem »feindlichen Akt« nicht mehr unbemerkt ausgesetzt ist: Der Alte wird vom Voyeur zum Akteur.

Die Macht des Blicks

Für einen Bezug von Gallmeiers Auftragswerk zur eingangs erwähnten MeToo-Debatte spricht ihre Fokussierung auf das, was in der feministischen Filmtheorie seit Laura Mulvey als »male gaze« bezeichnet wird, nämlich den männlichen Blick auf einzelne Körperteile der Frau. Im Kino werden Frauen, anders als Männer, vermehrt in Ausschnitten gezeigt, die auf Busen, Beine oder Po zoomen. Auch Gallmeier fokussiert auf einzelne Körperteile der Susanna, wenn sie die Figur mit getrenntem Ober- und Unterkörper anlegt und in verschiedenen Schichten und Techniken gestaltet.

Gallmeier dazu: »In diesem fragmentierten Setting habe ich selbst die Position der Susanna eingenommen, wurde zur Betrachteten, die sich selbst ins Bild setzt, und den eigenen Körper als entfremdet und den Blicken der anderen ausgesetzt, erlebt. Auf diese Weise habe ich den Topos der Macht des Blicks gewissermaßen am eigenen Leib erlebt.« Mit ihrer gegenwartsbezogenen Analyse der andauernden MeToo-Debatte schreibt sich Heike Gallmeier als Künstlerin in bislang männlich dominierte Räume der Kunstgeschichte ein.

Dass die Kölner Ausstellung mit dem Susanna-Thema, dem Verweis auf die MeToo-Debatte und der Stärkung aktueller weiblicher Positionen am Puls der Zeit ist, zeigt ein Blick in die Liste der von der Kuratorin Cecilia Alemani ausgewählten Beiträge für die Hauptausstellung der letzten Kunstbiennale in Venedig »The Milk of Dreams«: von rund 200 Künstler/innen waren nur zehn Prozent männlich.

(Der Ausstellungskatalog, von den Kurator/innen Anja Sevcik und Roland Krischel herausgegeben, ist im Michael Imhof Verlag erschienen; im Museumsshop für 29,95 €, im Buchhandel für 39,95 € erhältlich.)

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