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Wie sich Parteien fit für junge Generationen machen können Operation Frischzellenkur

»Früher war die SPD die Partei der Lehrer. Heute ist die SPD die Partei der alten Lehrer«, scherzte Sigmar Gabriel einmal. Ganz zu Recht: Die Hälfte aller SPD-Mitglieder ist über 60 Jahre alt, weniger als 3 % sind jünger als 25 – nicht anders sieht es übrigens bei der CDU/CSU aus. Auch die neueste Beitrittswelle während des Hypes um Martin Schulz änderte nichts an dieser Altersstruktur insgesamt, obwohl von den rund 15.000 Neumitgliedern erstaunliche 40 % im Juso-Alter sind.

Parteien haben in unserer Gesellschaft keinen guten Leumund, werden sie doch allzu oft als korrupte Konglomerate dargestellt, die von anonymen Lobbyisten gesteuert und durch Kadergehorsam diszipliniert werden, die sich auf Kosten der Allgemeinheit selbst bereichern und sich vom Gemeinwohl nicht beeindrucken lassen. Junge Politiker genießen den zweifelhaften Ruf als Opportunisten, Karrieristen und Parteisoldaten. Den möchte kaum jemand freiwillig erwerben. Dazu wird gerade die Lebenswelt junger Menschen in den Parteien faktisch nicht repräsentiert. So wundert es kaum, dass 69 % der Jugendlichen laut der 17. Shell Jugendstudie (Jugend 2015) der Meinung sind, dass sich die Politiker nicht darum kümmerten, was sie denken.

Zwischen Struktur und Kultur der Parteien und der Lebensrealität der Jungen liegen Welten. Bei jeder Ortsvereinssitzung im Traditionswirtshaus anwesend sein, jeden zweiten Samstagmorgen am Infostand gelangweilten Passanten einen Flyer in die Hand drücken und nach jedem Ortswechsel wieder von vorn anfangen zu müssen – das passt nicht zu einer Generation, von der überall sonst erwartet wird, dass sie hochmobil und flexibel zu sein hat. Wenn dann im Ortsverein auch noch darüber diskutiert wird, dass man ja die Einladung schriftlich verschicken müsse, weil man von so vielen Mitgliedern die Mailadresse nicht kennt (so sind etwa zwei Drittel der CDU-Mitglieder nicht per Mail erreichbar!), dann braucht man sich nicht wundern, wenn junge Leute ihre Kraft und Energie an einer anderen Stelle einsetzen.

Selbst wer den beschwerlichen Marsch durch die Institutionen antritt, kommt nur dann nach oben, wenn die Mehrheit der Älteren es erlaubt. Das setzt voraus, dass sich junge Politiker anpassen – in ihrer Sprache, ihrem Auftreten, ihren Inhalten. »Der Einstieg bei der Jungen Union klappt super, aber sobald die CDUler ihre Besitzstände bedroht sehen, bekommen sie sofort Abwehrreflexe. Daher schaffen es nur wenige, von der JU in die CDU zu wechseln«, sagte der CDU-Nachwuchspolitiker Stefan Evers, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, vor einiger Zeit am Rande einer Veranstaltung in Berlin. Bei anderen Parteien ist es kaum anders.

Um die Vorherrschaft der zeitreichen Parteisoldaten zu brechen, muss das Engagement auch für diejenigen möglich werden, die nicht ihr gesamtes Sozialleben der Parteiarbeit widmen wollen. Das tut nicht nur den Jungen gut, sondern auch allen anderen, die berufs- oder familienbedingt nur wenig Zeit opfern können. Engagement darf nicht mehr nur in erster Linie im Ortsverein verankert sein, sondern sollte auch überregional projekt- und themenbezogen ermöglicht werden. Dazu müssen eine Verschlankung der Regelwerke und eine Stärkung von Mitbestimmungselementen wie Mitgliedervoten und Vorwahlen kommen.

Die »Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen« (SRzG) – der wichtigste Thinktank zu Generationengerechtigkeit in Deutschland – hat im April 2017 einen Plan vorgelegt. Eine überparteiliche Arbeitsgruppe unter Leitung des SPD-Jungpolitikers Yannick Haan hat darin Empfehlungen erarbeitet, um die Parteien für die junge Generation fit zu machen (mehr dazu unter www.generationengerechtigkeit.info):

Nur wenige Jüngere finden es attraktiv, sich viele Stunden in der Woche in einer Partei zu engagieren, ohne deren Politik am Ende tatsächlich mitgestalten zu können. Die Parteimitgliedschaft muss daher einen klaren Mehrwert bieten und über eine bloße Fördermitgliedschaft hinausgehen. Instrumente wie Mitgliederbegehren und Urabstimmungen über Kandidaten und Positionen sind deutlich auszubauen. Gerade für junge Menschen, die bisher kaum mit Parteien in Berührung gekommen sind, ist der Schritt hin zu einer Parteimitgliedschaft eine sehr große Hürde. Daher sind die Parteien gut beraten, eine Probemitgliedschaft einzuführen und aktiv zu bewerben. SPD, CSU und Linkspartei bieten bereits die Möglichkeit, für eine bestimmte Zeit Gastmitglied zu werden, verbunden mit einem Rede-, Antrags- und Personalvorschlagsrecht auf Mitgliederversammlungen.

Junge Menschen wechseln wegen des Studiums, Praktikums oder Jobs häufig den Wohnort und sind beispielsweise wegen Prüfungszeiten oder Berufseinstieg phasenweise zeitlich stark belastet. Sie möchten sich daher häufig zeitlich begrenzt einbringen. Zudem ist ihr Engagement verstärkt themenbezogen: Statt einer Vielfalt von Themen möchten sie ihre Energie vor allem einem bestimmten Thema widmen. Parteien sollten daher die Möglichkeit zu zeitlich befristetem und themenbezogenem Engagement deutlich ausbauen und ausdrücklich auch für Nichtmitglieder öffnen.

Für viele neue Mitglieder sind zudem die Unterschiede etwa zwischen Ortsverein, Kreis, Unterbezirk und Bezirk oder auch Fachausschuss, Arbeitsgemeinschaft und Forum nicht nachvollziehbar. Jedes Neumitglied steht vor einem Strukturdickicht, das selbst aus Insider-Perspektive nicht einfach durchschaubar ist. Es dauert lange, bis Mitglieder wirklich verstehen, wo und wie sie sich einbringen können – wenn sie bis dahin nicht entnervt aufgegeben haben. Die Strukturen der Parteien müssen daher deutlich vereinfacht und verstehbar erläutert werden.

Der Ortsverein als Grundpfeiler der Parteien hat sich daneben immer weiter entpolitisiert und ist zu einem Stammtisch geworden, bei dem allzu oft Banalitäten besprochen werden. Eine politische Positionierung findet auf dieser Ebene kaum noch statt. Für junge Menschen ist das wenig reizvoll. Die Parteien müssen daher ihre starren Strukturen aufbrechen und Raum bieten, neue politische Konzepte und Impulse zu entwickeln. Die Parteien müssen wieder Ideenlabore werden.

Das Prinzip der Ortsgebundenheit ist bei den Parteien immer noch zentral, aber veraltet. Mitglieder sollen dort aktiv sein, wo sie wohnen oder leben. Wer in eine Partei eintritt, ist automatisch Mitglied des Ortsvereins an seiner Wohnadresse und ein Wechsel in einen anderen Ortsverein ist nur mithilfe eines Antrags auf eine Ausnahmeregelung möglich. Dieser Wechsel sollte einfacher möglich sein.

Parteitage sind die alleinigen, höchsten und wichtigsten Entscheidungsgremien einer Partei. Sie finden allerdings eher selten und unter hohem zeitlichem Druck statt. Die Reden der Spitzenkandidaten/Parteivorsitzenden nehmen zulasten der inhaltlichen Arbeit einen großen Raum ein. Rede- und stimmberechtigt sind zudem meist nur die Delegierten. Für junge Neumitglieder mit ausgeprägtem Tatendrang sind diese Strukturen ermüdend. Die Parteien müssen sich daher neue und agilere Formate der Willensbildung überlegen. Urabstimmungen, Mitgliederbegehren oder Themenlabore könnten das starre und hierarchische Instrument des Parteitages ergänzen.

Zudem müssen die Parteien die Möglichkeiten der Onlinemitarbeit deutlich ausbauen. Parteiarbeit findet heute nahezu ausschließlich analog bei Präsenzterminen statt. Das einzige digitale Beteiligungsinstrument, das die Parteien derzeit zur Verfügung stellen, ist häufig das Online-Beitrittsformular. Das Konzept des virtuellen Ortsvereins, das einige Parteien eingeführt haben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es muss zukünftig auch möglich sein, über Kandidaten und Anträge per Mausklick online abzustimmen.

Ferner sollten auf den Landeslisten der Parteien zumindest 20 % der Kandidaten jünger als 35 Jahre sein. Eine solche Jugendquote gibt es bereits bei der SPD in Schleswig-Holstein; dort gilt sie allerdings nur bei Landtags- und Kommunalwahlen. Wissenschaftler wie der Jugendsoziologe Klaus Hurrelmann, aber auch Politiker wie Gregor Gysi und die Juso-Chefin Johanna Uekermann, haben sich inzwischen für eine solche Jugendquote ausgesprochen.

Damit im Zusammenhang steht die Forderung nach einer finanziellen Unterstützung von Kandidaten. Wenn man Kandidat bei einer Bundes-, Landtags- oder Kreistagswahl wird, muss man für den eigenen Wahlkampf privates Geld an die Parteien zahlen. Für die meisten jungen Menschen ist ein Wahlkampf deshalb schon aus finanziellen Gründen keine Option – sie hatten ja noch nicht die Möglichkeit, eigenes Eigentum zu bilden. Die Parteien müssen daher finanzschwache Kandidaten unterstützen und beispielsweise einen Fonds für deren Wahlkampf einrichten, auch unter Einbezug von Crowdfunding.

Und – last but not least – müssen Parteien auch in den eigenen Reihen eine Kultur etablieren, die Scheitern erlaubt. Wer nämlich aktuell in Parteien für eine Position antritt und nicht gewählt wird, dem hängt schnell ein Makel der Niederlage an. Das schreckt vor allem junge Menschen ab, für ein Amt zu kandidieren.

Parteien leiden unter dem Ruf, träge Kolosse zu sein. So hat z. B. Peter Glotz Anfang der 80er Jahre für die SPD das Bild eines Tankers gezeichnet. Aber die Parteien können durchaus auch agil sein, wenn sie wollen! Die SPD hat zum Auftakt des Bundestagswahlkampfes einen »Hackathon« veranstaltet: Ein Wochenende lang belagerten Softwareentwickler das Willy-Brandt-Haus und verpassten der Partei eine Frischzellenkur mit neuen digitalen Projektideen. Den Anstoß dazu gab Henning Tillmann, ein einzelnes Mitglied, das im SPD-nahen Digitalverein D64 aktiv ist. Ein einzelnes Mitglied konnte so eine ganze Partei bewegen. Genau diese Neugier, Agilität und Offenheit sind die Eigenschaften, die die SPD braucht, um fit für die junge Generation zu werden.

 

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