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Das Nachleben der Weimarer Republik wird neu erkundet Ortlose Erinnerung?

Die Weimarer Republik ist nicht erst durch die TV-Serie Babylon Berlin, mit 40 Millionen Euro die teuerste Produktion der deutschen Fernsehgeschichte, in den Fokus der Populärkultur gerückt. Schon im Kaiserreich war der Mythos Berlins als das neue Sündenbabel virulent, in der Zwischenkriegsphase sollte er dann einen weltweit ausstrahlenden Höhepunkt erleben. Fritz Langs Film Metropolis von 1927 war es, der in seiner Melange aus Fortschrittsglauben und Zukunftsangst die Stadt als massendemokratischen Moloch zu aufschreckender Bildpräsenz bringen sollte. Bis dann die Nationalsozialisten ein solches Apokalypse-Spektakel mit Terror und Krieg realgeschichtlich überboten. Auch später grassierte der Mythos vom Babylon Berlin noch breitenwirksam, musste die enthemmte Vergnügungskultur der Metropole als Feindbild des Nazi-Barbarentums herhalten. Die historische Überlieferung des Bildes von der Weimarer Republik hat sich immer wieder zwiespältig dargestellt – als Inbegriff libertärer Konsum- und Lebenskultur auf der einen Seite, als modernitätsbedrohte Politik- und Zivilisationskrise auf der anderen.

Die Autoren des Buches Weimars Wirkung gehen von der Hypothese aus, dass uns die Kultur- und Kunstinnovationen der Weimarer Republik heute ungleich vertrauter sind als ihre krisenhaften Lebensbedingungen, einschließlich ihrer realen politischen Leistungen und verhinderten Erfolge. Nach wie vor richte sich das historische Interesse viel weniger auf die Selbstbehauptungskämpfe der ersten deutschen Demokratie als auf ihre Verfallsgeschichte, auf ihre sogenannte Vorläuferrolle für die Nazi-Diktatur. So sei kaum etwas bekannt über ihre zukunftsweisenden Errungenschaften, etwa die Weimarer Verfassung mit ihrer Kodifizierung von Grundrechten, das Frauenwahlrecht, die Verbesserung der Arbeitslosenversicherung, den Acht-Stunden-Tag und die Gewerkschaftsrechte, nicht zuletzt die deutsch-französische Verständigung und die Öffnung nach Europa sowie eine betont antimonarchistische, demokratische Gedenkkultur. Die Erinnerung an die Weimarer Republik sei im Nachkriegsdeutschland seltsam ortlos geblieben, weder das Weimarer Nationaltheater, in dem die Reichsverfassung entstand, noch der Berliner Friedhof der Märzgefallenen besitze heute memorable Bedeutung, auch nicht die Ausrufung der Republik am 9. November 1918 oder die Verkündung der Reichsverfassung am 11. August 1919.

Was sind die Gründe? Martin Sabrow sucht sie bereits im umstrittenen Anfang der Republik, in der »verschämten Revolution«, die letztlich ohne Anhänger blieb, weil man sie gar nicht gewollt habe und niemand Verantwortung für sie übernahm. Vor allem die Sozialdemokraten hätten angesichts der virulenten »Dolchstoßlegende« jede Verantwortung für das umstürzlerische Ereignis, das auch als »Verrat« verstanden werden konnte, von sich gewiesen. Die Revolution erschien da wie eine überflüssige Herausforderung der längst auf den Parlamentarismus gerichteten Politik. Entstanden sei ein potenziell zukunftsträchtiges Republik-Gemeinwesen, das sich jedoch als unfähig zu einer überzeugenden Selbstdarstellung erwiesen habe. Symbolarm und nüchtern sei die Staatsinszenierung der Weimarer Republik gewesen, sie habe keinen parteiübergreifenden Gründungsmythos geschaffen, nicht einmal eine Nationalhymne aus demokratischem Geist durchsetzen können. Ihre politischen Verächter konnten sie im Zeichen von »Erfüllungspolitik« und Parteienhader, von Massenelend und Inflation, als schwächliches liberales Provisorium abwerten. So habe Weimar auch keine ermutigende politische Erbschaft hinterlassen können.

Weimar und die Bundesrepublik

Was hat die Wahrnehmung der Weimarer Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945 bestimmt? Sebastian Ullrich spricht von einem spannungsreichen Verhältnis zwischen »Stabilitätsanker und Hysterisierungsagentur«, das die Beurteilung der ersten Demokratie auf deutschem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt habe. Seit der Frühphase der Bundesrepublik sei der Vergleich mit der Weimarer Zeit zwiespältig gewesen, er habe meist Gefährdungen der Demokratie gegolten und auf unterschiedliche Weise Vertrauen oder Misstrauen in die eigene politische Ordnung gesät. So wurde in den 60er Jahren angesichts der Erfolge der rechtsradikalen NPD das Weimar-Syndrom als Ursprung der NS-Herrschaft beschworen. Auf der anderen Seite beruhigte sich das bundesdeutsche Establishment immer häufiger mit der Formel »Bonn ist nicht Weimar«. Erst allmählich sollte die Bundesrepublik lernen, durch den Vergleich mit Weimar ihren Zuwachs an politischer Legitimität zu bekräftigen und die eigenen Leistungen selbstbewusst ins Licht zu setzen.

Und heute? Zwar sei das Weimarer Politik-Chaos auch im neuen Jahrhundert noch immer ein warnendes Stereotyp, aber es diene nicht mehr der Absicht, die bestehende Ordnung zu schädigen. »Wer von Weimarer Verhältnissen spricht, will die Krise herbeireden«, schreibt der Historiker Jörn Leonhard.

Der Blick auf die Weimarer Irrungen und Wirrungen ist heute einer weitgehend entspannten historischen Wahrnehmung gewichen, und es ist interessant zu sehen, welche offenkundigen oder auch verdeckten inneren Bezüge zwischen den beiden deutschen Demokratien ausgemacht werden. Wohlbekannt sind die eingangs erwähnten normativen Leistungen der Weimarer Reichsverfassung, viel weniger dürfte aber bewusst sein, dass der Typus der »Volkspartei« in seinen Strukturen ausgerechnet nach dem Vorbild der NSDAP geschaffen worden ist. Oder wie sehr etwa die AfD auf ideologische Altbestände der sogenannten »Volksgemeinschaft« zurückgreift, um ihre völkisch und exklusiv motivierte Systemkritik unter die Leute zu bringen. Als Fazit dieses instruktiven Sammelbandes zitieren die Autoren ein Wort von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: »Der 9. November 1918 ist ein Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte: Er steht für die Geburt der Republik in Deutschland. Er steht für den Durchbruch der parlamentarischen Demokratie. Und deshalb verdient er einen herausragenden Platz in der Erinnerungskultur unseres Landes.« Freilich, die Weimarer Demokratie hat ihre Freiheit verspielt und bleibt deshalb ein ständig mahnendes politisches Menetekel.

Hanno Hochmuth/Martin Sabrow/Tilmann Siebeneichner: Weimars Wirkung. Das Nachleben der ersten deutschen Republik. Wallstein, Göttingen 2020, 232 S., 24 €.

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