Bei den meisten Bundestagswahlen spielte die Außenpolitik nur eine untergeordnete Rolle. Die beiden großen Ausnahmen waren 1972, als leidenschaftlich um die Entspannungspolitik Willy Brandts gestritten wurde, und 2003, als Gerhard Schröder »Nein« zum völkerrechtswidrigen Irakkrieg sagte, während die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel in Washington vor George W. Bush buckelte und in der Washington Post verkündete: »Schröder spricht nicht für alle Deutschen«.
Die Ereignisse des Jahres 2016 mit dem Brexit, dem Putschversuch in der Türkei und der Wahl Donald Trumps, mit all ihren Folgen, stellen eine Zäsur, ja vielleicht das Ende der liberalen Weltordnung dar. Im Bundestagswahlkampf spielt die Außenpolitik deshalb seit Langem wieder eine hervorgehobene Rolle. Dies nutzt einmal mehr der amtierenden Kanzlerin, die als letzte Verteidigerin des »freien Westens« gefeiert wird. »Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.« Es ist schon erstaunlich wie diese windelweich verschwurbelte Bierzeltaussage Angela Merkels zum Proteststatement gegen Donald Trump hochgeschrieben wurde.
Der Kampf gegen die »postfaktischen« Populisten, Nationalisten und Rassisten innerhalb und außerhalb Europas ist wichtiger denn je, mögen sie nun Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan, Viktor Orbán oder Jarosław Kaczyński heißen. Die Krise der EU, die Fluchtbewegungen, der Ukraine-Konflikt, die innere Entwicklung der Türkei, der internationale Terrorismus, das Sterben in Syrien und die Implosion des Nahen Ostens – all dies kann nicht mit den Rezepten von vorgestern, mit nationalen Alleingängen, Abschottung und Protektionismus gelöst oder bekämpft werden.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir an den über Jahrzehnten geschaffenen Regeln und Normen der internationalen Politik festhalten, sie stärken und anpassen. Wir brauchen eine internationale Ordnung, die auf gemeinsamen Interessen, auf Einvernehmen, auf Kooperation, Mitgestaltung und friedlichen Wandel gründet. Diese Errungenschaften dürfen trotz aller Rückschläge nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Die Sozialdemokratie steht für Frieden, internationale Kooperation und für die Stärkung und den Ausbau der bewährten internationalen Organisationen (UN, OSZE, EU und NATO). Die globalen Zukunftsaufgaben sind nicht durch nationalistische Alleingänge, sondern nur gemeinsam zu bewältigen.
Obgleich es ohne Zweifel eine breite Übereinstimmung in der Außen- und Sicherheitspolitik zwischen den demokratischen Parteien gibt – die AfD und Teile der Partei DIE LINKE einmal ausgenommen – sollte doch auch auf die Unterschiede hingewiesen werden. Die SPD wendet sich ebenso gegen die Unterstützung des US-amerikanischen Aufrüstungswahns, wie es die Union fordert, wie gegen die billige Rhetorik bei Teilen der Linkspartei. An drei wichtigen Themen sollen deshalb hier exemplarisch die Parameter einer sozialdemokratischen Außen- und Friedenspolitik dargestellt werden.
Die SPD setzt sich entschlossen für die weltweite, vertragsgestützte Abrüstung von Atomwaffen, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen sowie konventioneller Rüstung ein. Eine Welt ohne Atom- und Massenvernichtungswaffen bleibt unser Ziel. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, dass im Rahmen eines gesamteuropäischen Abrüstungsvertrages die verbliebenen taktischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa abgezogen werden. Die Vernichtung syrischer Chemiewaffen unter internationaler Aufsicht sowie die erreichte Übereinkunft über das iranische Atomprogramm waren wichtige Erfolge für die weltweite Abrüstung. Neue Initiativen zur Belebung von Abrüstung sind jedoch dringend erforderlich.
Um diese Ansätze auch glaubhaft umsetzen zu können, ist die Eindämmung der Rüstungsexporte zwingend erforderlich. Die SPD hat deshalb in der Großen Koalition eine deutlich größere Transparenz bei der Rüstungsexportpolitik und im Kleinwaffenbereich durchgesetzt. Wir haben aber nicht genug erreicht. Deshalb muss unser Anliegen weiter und konsequenter, etwa in rechtlichen Verbindlichkeiten und stärkerer Kontrolle durch das Parlament, fortgesetzt werden. Dafür brauchen wir jedoch geeignete Bündnispartner. Bereits im Januar 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung »politische Grundsätze« für Waffenexporte beschlossen, die bis heute gültig sind und europaweit das restriktivste Waffenexport-Kontrollregime darstellen. Leider sind diese »politischen Grundsätze« bis vor wenigen Jahren in der Praxis ausgehöhlt worden. Es war daher richtig, hier neue Restriktionen einzuführen. Arbeitsplatzinteressen in der Rüstungsindustrie dürfen nicht gegen friedenspolitische und konfliktvermeidende Kriterien in der Genehmigungspraxis ausgespielt werden.
Wir dürfen nicht blind dem militärischen Aufrüstungswahn des US-Präsidenten folgen. Die Äußerung Trumps, Deutschland schulde der NATO große Summen, ist schlichter Unfug und die damit verbundene Gleichsetzung von NATO und USA sagt einiges aus. Kluge internationale Politik bemisst sich nicht nach Soll und Haben. Eine apodiktische Festlegung auf 2 % würde nahezu eine Verdoppelung unserer derzeitigen Militärausgaben bedeuten. Damit hätte Deutschland einen höheren Wehretat als die Atommächte Frankreich und Großbritannien. Davon abgesehen gilt: Über den deutschen Verteidigungsetat bestimmt nicht der US-amerikanische Präsident, sondern der Deutsche Bundestag. Schon jetzt geben die NATO-Mitglieder mit rund 900 Milliarden Dollar dreimal so viel für ihre Armeen aus wie Russland und China zusammen. Das Letzte, was die hochgerüstete Welt braucht, ist ein globaler Rüstungswettlauf, der Ressourcen absorbiert, die dringend für andere Ausgaben, etwa in Bildung, Forschung, Abrüstung, Gesundheit, Infrastruktur und Umweltschutz, benötigt werden. Der Satz von CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn, etwas »weniger die Sozialleistungen erhöhen in dem ein oder anderen Jahr – und mal etwas mehr auf Verteidigungsausgaben schauen« spricht deshalb für sich und bedarf keiner weiteren Kommentierung.
Dabei steht außer Frage, dass die Bundeswehr mehr Geld braucht, um die durch eine verfehlte Reformpolitik von CDU-Verteidigungsministern in der letzten Dekade verursachten Lücken bei der Ausstattung und den Fähigkeiten zu schließen. Die SPD wendet sich allerdings entschieden gegen völlig unnötige und unrealistische Steigerungsraten des Verteidigungshaushaltes, sondern wird sich für zusätzliche Mittel für Krisenprävention, humanitäre Hilfe und nachhaltige Entwicklung einsetzen. Auch die in regelmäßigen Abständen von der Union geforderten Grundgesetzänderungen zur Ausweitung des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren lehnt die SPD strikt ab. Eine Beteiligung der Bundeswehr an bewaffneten Auslandseinsätzen erfolgt nur im Rahmen der Vereinten Nationen, auf der Grundlage des Völkerrechts sowie im Rahmen gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes. Voraussetzung ist die Zustimmung des Deutschen Bundestags im Sinne des Parlamentsvorbehalts. Die Bundeswehr ist und bleibt eine Parlamentsarmee. Allen Versuchen von CDU/CSU, dieses demokratisch-parlamentarische Prinzip aufzuweichen, erteilen wir eine klare Absage!
Zivile Krisenprävention und humanitäre Hilfe
Für die SPD ist klar, dass zivile Krisenprävention und Krisenmanagement noch stärker Schwerpunkte deutscher und europäischer Außenpolitik werden müssen. Sie hat zusammen mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgehend vom »Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« aus dem Jahr 2004 die Instrumente ziviler Krisenpolitik maßgeblich geprägt. Mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) und dem Personalpool ziviler Fachkräfte wurden sehr erfolgreiche Instrumente auf den Weg gebracht. Wir wollen zivile Krisenprävention weiter stärken und substanzieller ausstatten.
Zivile Krisenprävention sollte nicht mit Pazifismus verwechselt werden. Gegen den internationalen Terrorismus und die Mörder des sogenannten »Islamischen Staates« (IS) müssen wir mit aller Entschlossenheit, einem politischen Konzept und nicht zuletzt auch mit militärischen Mitteln vorgehen. Klar ist aber auch: Militärische Mittel können niemals die erste und alleinige Antwort sein. Die effektivste Friedenspolitik ist diejenige, die präventiv wirkt und Konflikte eindämmt, bevor sie ausbrechen und sich zu militärischen Auseinandersetzungen entwickeln können. Es ist deshalb wichtig, dass das ZIF mit dem Entsendegesetz zu einer umfassenden Entsendeorganisation ausgebaut werden soll, und dass das Kabinett Ende Juni dieses Jahres die »neuen Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung« verabschiedet hat.
Auch die Vereinten Nationen befinden sich, wie alle multilateralen Organisationen, in der Krise. Das Versagen in Syrien und an anderen Konfliktherden ist jedoch nicht ihnen anzulasten, sondern den Nationalstaaten im weitgehend blockierten UN-Sicherheitsrat. Ohne starke und handlungsfähige Vereinte Nationen werden die globalen Herausforderungen nicht bewältigt werden können – sei es mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele, auf Krisenprävention oder Abrüstung. Es reicht dabei nicht, die Unverzichtbarkeit der Vereinten Nationen in Sonntagsreden zu beschwören, sondern wir müssen sie endlich politisch, finanziell, personell und strukturell für die Zukunftsaufgaben fit machen. 40 Jahre nach Einsetzung der Nord-Süd-Kommission unter Willy Brandt verbinden die nachhaltigen Entwicklungsziele im Rahmen der Agenda 2030 die Leitziele Frieden und Gerechtigkeit mit konkreten umwelt-, sozial- und friedenspolitischen Ansätzen. Die reichen Länder haben dabei eine besondere Verantwortung. Daher setzen wir uns für eine Verwirklichung der Agenda 2030 ein und halten an dem Ziel fest, 0,7 % des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen, wobei die zielgerichtete Hilfe Vorrang vor quantitativen Zielen hat.
Die Vereinten Nationen besitzen die Kernkompetenz für die Wahrung des internationalen Friedens und zur Lösung von globalen Herausforderungen. Mit neuen Initiativen wollen wir unseren Beitrag zur Erneuerung und Weiterentwicklung der Strukturen der Vereinten Nationen leisten. Dies schließt eine Reform und Erweiterung des UN-Sicherheitsrates ein. Zur Erfüllung ihrer friedenswahrenden Aufgaben benötigen die Vereinten Nationen eine angemessene Ausstattung für ihre Friedensmissionen und der politischen Missionen der Weltorganisation, damit multilaterale Friedenspolitik effektiv betrieben werden kann. Wenn die Regierung Trump offenbar plant, die Zahlungen an den Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) einzustellen, müssen andere Staaten einspringen. Hier könnte die EU ein wichtiges politisches Zeichen setzen. Auch das Konzept der Schutzverantwortung (responsibility to protect) bedarf der weiteren Ausgestaltung und einer völkerrechtlich legitimierten Implementierung. Im Sinne einer Friedensverantwortung (responsibility for peace) gilt es vor allem, die präventive Säule der Schutzverantwortung international zu stärken.
Auch die EU steht vor einer Vielzahl beispielloser Herausforderungen von außen (Trump, Putin, Erdoğan, die Implosion des Nahen Ostens, die Ukraine-Krise, der Wunsch mehrerer Balkanstaaten nach Aufnahme) wie von innen (Brexit, Orbán, Kaczyński, Marine Le Pen, Geert Wilders, Beppe Grillo). Die Antwort darauf kann nur lauten, mehr Europa zu wagen. Die von der CDU geschürte Mär vom »Zahlmeister Deutschland« verkennt, dass Deutschland wie kein anderes Land von der EU und dem Euro profitiert hat. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung die Sorgen und Nöte der Südeuropäer ernst nehmen muss, wenn sie es nicht dauerhaft mit Antieuropäern zu tun haben will. Deutschland muss allein aus eigenem Interesse bereit sein, sich mehr in und für Europa zu engagieren. Wir brauchen einen europäischen Jugendbeschäftigungsfonds, eine europäische Sozialunion und eine koordinierte Wirtschaftspolitik mit einem gemeinsamen Finanzbudget. Man kann nicht auf der einen Seite unter dem Druck der hohen Flüchtlingszahlen in Deutschland europäische Solidarität einfordern und auf der anderen Seite die Staaten, die an der vordersten Linie mit dieser Thematik konfrontiert sind, alleine lassen. Zugleich muss denjenigen, die in Warschau und Budapest ständig gegen europäisches Recht verstoßen, glaubwürdig die unweigerlichen Konsequenzen ihres Vorgehens gegen Demokratie und Rechtstaatlichkeit klar gemacht werden. Der Zustand Europas ist auch das Ergebnis der zwölfjährigen Regierungszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble. Europa braucht einen Neustart und einen Kanzler, der Europa wieder vereint, versöhnt und zu neuen Ufern führt – in unser aller Interesse.
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