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picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/

Die komplexen Machtspiele im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl Parteienwelt in Bewegung

Knapp ein Jahr vor der nächsten Bundestagwahl wird es langsam unübersichtlich – einerseits. Nach den Farben (schwarz-gelb, rot-grün, rot-rot, schwarz-grün etc.), den Flaggen (Jamaika, Kenia, Deutschland), einem Adjektiv (groß) und den Zahlen (Zweier-, Dreier-, Vierer-) ist nun das Obst dran, um in einer veränderten, weiter aufgesplitterten Parteienlandschaft neuen, zuweilen für unmöglich gehaltenen Regierungskonstellationen einen Namen zu geben. Den Anfang macht die Brombeere. Eingeweihten des Eingemachten gilt die aus der Familie der Rosengewächse stammende Frucht als heimisches Superfood, reich an Mineralien und Vitaminen.

Die Brombeer-Koalition ist jenes Bündnis aus CDU (schwarz), BSW (violett) und SPD (rot), das den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen als realistische Machtoption entsprang und zu dem einem vieles einfällt – nur nicht, wie seine drei Partner miteinander regieren wollen. In ihr wüchse zusammen, was nicht zusammengehört: Westbindung und Putin-Nähe, Marktwirtschaft und Staatsdirigismus, Gestaltungswille und Sektierertum, Merzianer und Wagenknechtler. Die Brombeer-Koalition, sollte sie je Wirklichkeit werden, dürfte sich aufgrund interner Zerwürfnisse, die in ihrer offenkundigen Widersinnigkeit wurzeln, bereits nach kurzer Zeit als politisches Superfood für Politikverdrossenheit erweisen, reich an Spaltpotenzial und Identitätsverlust – vor allem für die CDU.

Als Sieger dieser Vereinigung des eigentlich Unvereinbaren ginge wohl wieder mal die AfD hervor. Und bei den nächsten Wahlen – zumindest bei den nächsten Landtagswahlen im Osten – könnte eine Frucht-Koalition kaum mehr ausreichen, um sie von der Macht fernzuhalten – man bräuchte dann schon ein Fruchtsalat-Bündnis. Das Problem ist nur: Wenn man alles, was da ist, miteinander vermischt, verliert sich jeder spezifische Geschmack. Und ein Uralt-Klischee über die (etablierten) Parteien erhielte neue Nahrung – »Die sind doch alle gleich.«

Politische Sortierungen

Andererseits ist es übersichtlicher geworden in den vergangenen Wochen. Nachdem die Union nun ihren Kandidaten gefunden hat, scheint klar, wer im Herbst kommenden Jahres im Rennen ums Kanzleramt gegeneinander antreten wird: Friedrich Merz gegen Olaf Scholz. Zwar werden auch die Grünen und die AfD eigene Kandidaten starten lassen, doch hat der eine – Robert Habeck – aufgrund einer verbreiteten Anti-Grünenstimmung im Land allenfalls geringe Außenseiterchancen und die andere – Alice Weidel – aufgrund fehlender Partner noch nicht einmal die.

»Wahrscheinlicher als ein Kandidatenwechsel erscheint eine vorgezogene Neuwahl im Frühjahr.«

Die im politischen Berlin herumgeisternden Gerüchte über einen Kandidatenwechsel bei der SPD kommen bisher nicht über das übliche Medien-Geraune hinaus. Wahrscheinlicher als ein Kandidatenwechsel erscheint jedoch eine vorgezogene Neuwahl im Frühjahr. Im November stehen im Bundestag eine Reihe von Entscheidungen an, die für die SPD von zentraler Bedeutung sind: Rentenpaket II, Tariftreuegesetz, Regelungen für bezahlbare Mieten – und womöglich auch Finanzhilfen zur Rettung von Industriearbeitsplätzen bei VW, Thyssenkrupp und anderen. Partei und Fraktion erwarten von Scholz, dass er spätestens dann seine Rolle als Ampel-Moderator hinter sich lässt, als sozialdemokratischer Kanzler erkennbar wird und führungsstark durchsetzt, was zum Identitätskern seiner Partei gehört. Doch die FDP verweigert sich all dem bisher. Mehr SPD trifft auf FDP pur. Sollte das so bleiben, könnte doch noch eintreten, was schon öfter folgenlos prophezeit wurde: Die Ampel knipst ihre Lichter aus. Scholz und Merz müssten dann früher ran im Rennen ums Kanzleramt.

Die Hauptkampflinie in diesem Duell scheint ohnehin bereits klar: Chaos bei der Migration, wirtschaftlicher Abschwung, permanenter Koalitionsstreit, Führungsschwäche – »Herr Scholz, Sie können es nicht. Die Schuhe, in denen sie als Bundeskanzler stehen, sind ihnen mindestens zwei Nummern zu groß«. Was Merz dem Kanzler im November 2023 im Bundestag zurief, wird den Sound des Unionswahlkampfes prägen. Botschaft: Der Kanzler hat das Land in die Grütze geritten. Einmal Klempner der Macht (Merz über Scholz), immer Klempner der Macht.

Klare Kampflinien

Scholz seinerseits wird Merz vorwerfen, das Land schlecht zu reden, zu spalten und es in eine Vergangenheit zurückführen zu wollen, von der nur jene glauben können, sie sei besser gewesen, die nicht dabei waren. Und er wird auf die mangelnde Impulskontrolle seines Kontrahenten setzen, die Merz – durch seinen Job bei einem globalen Vermögensverwalter selbst sehr vermögend geworden – immer wieder in Erklärungsnöte bringt. Botschaft: Mit dem Kandidaten des Gestern, der sich nicht im Griff hat und zu abgehoben lebt, um die Nöte der Durchschnittsverdiener zu kennen, lässt sich die Zukunft des Landes nicht gestalten. Ihm, Merz, fehlt, was ich, Scholz, habe: Klarheit, Festigkeit, Charakter.

Übersichtlich bei den Personen, unübersichtlich bei den Koalitionsoptionen? Schaut man genauer hin, trifft Letzteres für die Bundestagswahl 2025 nicht weniger, aber anders zu als der Blick auf die Landtagswahlen 2024 vermuten lässt.

»Problematisch wird es, wenn Parteien der politischen Mitte aus den Parlamenten verschwinden.«

Zwar ist auch im Bund die Parteienlandschaft in Bewegung – aber das ist per se zunächst einmal nichts Negatives. Gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche haben immer schon Auswirkungen auf die Parteienlandschaft gehabt. So entstanden etwa die Grünen als Folge der Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegung der 70er Jahre. In einem Viel-Parteien-Parlament, wie wir es heute immer öfter vorfinden, spiegelt sich eine immer stärker ausdifferenzierte, individualisierte Gesellschaft wider. Dies kann zu einer Stärkung der Demokratie führen, da ein breites Meinungsspektrum abgebildet wird und sich die Bevölkerung in ihrer Vielfalt besser repräsentiert sieht. Problematisch wird es allerdings dann, wenn infolge dieser Veränderungen und Umbrüche Parteien der politischen Mitte aus den Parlamenten verschwinden und entweder durch populistische Kräfte ersetzt oder diese immer stärker werden. Bei den drei Ost-Wahlen in diesem Jahr ist genau dies geschehen.

Die FDP ist in den Landtagen von Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht mehr vertreten, die Grünen sind in Thüringen und Brandenburg gescheitert. Ersetzt hat sie das BSW, massiv gestärkt ist die AfD. Während also nun zwei Stabilisatoren des demokratischen Systems dort ganz (FDP) oder weitgehend (Grüne) ausfallen, ist nun eine Kraft parlamentarisch gestärkt, die dieses System überwinden möchte (AfD) und eine andere auf der Parlamentsbühne erschienen, von der man nicht so recht weiß, was sie will – außer weniger Ausländer in Deutschland (BSW). In dieser Entwicklung wurzelt die Brombeer-Koalition. Jenes Bündnis also, das der Demokratie eher schadet als nutzt.

Auf der Bundesebene scheint die Entwicklung zunächst nicht ganz so dramatisch: AfD und BSW sind nicht so stark wie in den Ostländern, die CDU hat sich oberhalb der 30 Prozent stabilisiert, die SPD konnte in den jüngsten Umfragen, wenn auch nur wenig, zulegen, die Grünen halten zumindest ihre treue Stammwählerschaft – und selbst die über ihr Ampelschicksal dauerjammernde FDP hat noch Chancen, auch im nächsten Bundestag vertreten zu sein. Wenn auch nicht die größten. Eine Brombeer-Koalition, die Vereinigung des Unvereinbaren, scheint weit weg. Wenn da nicht Teile der CDU und die gesamte CSU auf die absurd anmutende Idee gekommen wären, ein Bündnis mit den Grünen im Bund auszuschließen.

In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein regieren CDU-Ministerpräsidenten mit grünen Juniorpartnern, in Baden-Württemberg ist es umgekehrt. Ob nun schwarz-grün oder grün-schwarz: Die Zweierbündnisse sind nicht nur effektiv, sie funktionieren auch noch so geräuschlos, dass alle Beteiligten stets die hohen Töne anschlagen, wenn sie übereinander reden.

Die Lage ist abstrus

Im sächsischen Landtagswahlkampf hat das den christdemokratischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer keineswegs davon angehalten, jene Grünen zu seinem Hauptgegner zu erklären, mit denen er bis dato in einer Kenia-Koalition (schwarz-rot-grün) zusammengearbeitet hatte. Doch seine Töne auf AfD-Frequenz beim Thema Migration wollten so wenig zu einem Partner passen, der dafür nicht empfänglich ist, dass er jetzt nach Berlin pilgern darf, um sich von der Namensgeberin des Bündnisses Sahra Wagenknecht die Bedingungen einer Koalition – keine Waffenlieferung mehr an die Ukraine, keine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen – diktieren zu lassen. Dass diese allem widersprechen, was seine Partei im Bund vertritt – egal! Und dass die CDU einst wegen exakt dieser Sahra Wagenknecht einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken getroffen hat – noch egaler!  

Die Grünen eignen sich wunderbar als Sündenböcke.

Noch ein wenig abstruser ist die Lage in Bayern. Seitdem der einstige und heute reuige Bäumeumarmer Markus Söder sich den Freien Wählern jenes Hubert Aiwanger ausgeliefert hat, der sich oft so anhört, als hätte er in seiner Jugend nicht nur antisemitische Flugblätter verteilt, sondern sie auch selbst geschrieben, scheint er täglich unter dem Zwang zu stehen begründen zu müssen, warum die Grünen für ihn als Koalitionspartner nicht infrage kamen: Weil sie Ideologen sind, weil sie einer Verbotspartei angehören, weil sie keinen Leberkäs essen, weil die eigenen Parteimitglieder sie hassen, weil mit ihnen kein Freistaat zu machen ist. Was er nicht sagt, aber politisch ausnutzt: Weil sie sich wunderbar als Sündenböcke eignen.

Söder versucht nun vehement, diesen Ausschließeritis-Kurs dem designierten Kanzlerkandidaten Merz aufzuzwingen. Schwarz-Grün-Befürworter in der Union geraten unter Druck, Hartliner, die mit anti-grünen Emotionen auf Stimmenfang gehen wollen, sind auf dem Vormarsch. Motto: Wer die Wut auf andere befeuert, muss weniger eigene Konzepte vorlegen.

Söders Kurs macht zwar taktisch wenig Sinn, da er der Union eine mögliche Regierungsoption raubt und somit den Verhandlungsspielraum einengt. Dass er sich durchsetzt, ist trotzdem längst nicht auszuschließen. Aus heutiger Sicht bliebe nach der Bundestagswahl dann nur ein möglicher Partner für die Union: die SPD. Eine Große Koalition würde man das Bündnis aber wohl nicht mehr nennen.

Es könnte allerdings noch schlimmer kommen. Sollte die CDU einen No-Green-Kurs durchziehen und es für Union und SPD gemeinsam nicht reichen, könnte doch die Brombeere zum Zug kommen. Eine Koalition unter Einschluss von CDU und BSW im Bund würde aber, wie Bernd Ulrich in einem Artikel für ZEITonline aufgezeigt hat, die Identität der CDU schwer beschädigen, ihren Wesenskern aushöhlen. Und der Demokratie und dem Land schaden. Als Folge könnte, zunächst im Osten, die AfD immer schwerer von der Macht fernzuhalten sein. Da ihre Parteifarbe Blau ist, gibt es auch schon einen passenden Namen für das, was mittelfristig nicht nur Thüringen und Sachsen droht: eine Pflaumenregierung. Lustig ist das allerdings nicht.

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