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Paul Levi – ein Protagonist unserer Demokratiegeschichte

In diesen Tagen lesen und hören wir viel über die Gründung der ersten deutschen Republik, deren Beginn 1918 zugleich nie von ihrem Ende zu trennen sein scheint. Die Hoffnung und die Zerstörung dieses demokratischen Aufbruchs sind zugleich eng mit dem Leben Paul Levis verknüpft, dem Thilo Scholle nun eine kleine, feine Biografie gewidmet hat. Würde man heute auf der Straße, oder selbst im Bundestag, nach diesem Namen fragen, man stieße vermutlich auf allgemeine Ratlosigkeit. Denn der Name Paul Levi ist heute nur noch jener tendenziell schrumpfenden Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bekannt, die sich für die Geschichte des Sozialismus und des Kommunismus, für die deutsche Arbeiterbewegung oder ganz speziell für Rosa Luxemburg interessieren, deren Anwalt und enger Freund er gewesen ist.

Auf wenigen Seiten gelingt Scholle zweierlei: durch viele zeitgenössische Zitate, vor allem von Levi selbst, diese dramatische, aufregende, aber immer wieder auch frustrierende Phase der deutschen Geschichte nah an uns herantreten zu lassen und dabei zugleich die großen Lebensthemen seines Protagonisten so herauszuarbeiten, dass Vieles auch für heutige Debatten anschlussfähig, ja erschreckend aktuell erscheint.

Radikale Überzeugungen, nüchterner Pragmatismus

Der junge Rechtsanwalt, der 1909 in die SPD eingetreten war, hatte Rosa Luxemburg kurz vor Kriegsausbruch das erste Mal verteidigt, war ihr dann in den Spartakusbund und in die KPD gefolgt, deren Vorsitzender er 1919 wurde, nach der Ermordung zahlreicher politischer Freunde und Kampfgefährten. Das vielleicht eindrücklichste Merkmal seiner Persönlichkeit war, dies machen die von Scholle immer wieder mit großer Treffsicherheit ausgewählten Zitate deutlich, die Mischung aus radikaler politischer Überzeugung bei gleichzeitig nüchternem Pragmatismus. So bemühte sich Paul Levi, wortgewaltiger Verteidiger des Rätesystems, die KPD gegen große Widerstände dazu zu bringen, sich 1919 an den »bürgerlichen« Wahlen zur Nationalversammlung zu beteiligen, war ihm doch klar, dass man von den revolutionären Verhältnissen in Berlin, im Ruhrgebiet und in Oberschlesien nicht einfach auf die Stimmung in ganz Deutschland schließen konnte. Dieser Pragmatismus war es auch, der ihn bald mit der KPD brechen ließ, deren Spaltungspolitik und Verräter-Paranoia er in klaren Worten verurteilte und deren »Putschismus« er politisch für eine Katastrophe hielt. Wie nicht wenige andere kam Levi so über die USPD 1922 zurück zur SPD, was für ihn, den in der Partei als »Radikalinski« bei Vielen Verhassten, sicher kein einfacher Schritt gewesen sein wird. Scholle erklärt ihn mit Levis mittlerweile instrumentellem Verhältnis zu den Organisationen der Arbeiterbewegung angesichts der unübersehbaren Tatsache, dass die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft wieder in weite Ferne gerückt war. Nun galt es zu retten, was noch zu retten war – nach Levis schon sehr früher Einsicht – die Republik und die Demokratie an sich: »Niemandes Träume und Hoffnungen von diesem Tag«, schrieb er 1922 zum 9. November, »haben sich erfüllt, aber als Tag der ersten großen Bewegung des deutschen Proletariats, seines ersten weithin sichtbaren Sieges, gedenken die deutschen Arbeiter seiner und stehen zu seiner Frucht, der deutschen Republik – trotz alledem.« Trotz alledem also kämpfte Paul Levi in den nächsten Jahren als linker Flügelmann der Sozialdemokratie weiterhin gegen die Feinde dieser Republik und für eine demokratische Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Gerade an diesem Punkt erkannte er den zentralen Fehler der eigenen Partei, die sich zu sehr auf die Aufrechterhaltung der Form anstatt auf die sozialistische Ausgestaltung des Inhalts konzentriert und so der »Republik ihre Freunde genommen« hätte, indem man ein ums andere Mal, »das Soziale geopfert (hat), um das Demokratische zu retten«. Dass das eine ohne das andere nicht zu denken war, davon war Levi zutiefst überzeugt – aber man kann sich vorstellen, dass er sich mit solchen Sätzen nicht immer Freunde gemacht hat. Levi galt zwar als großer Redner »von elementarer Kraft«, erschien aber kritischen Beobachtern wie Carl von Ossietzky oftmals eher als »Gast« in seiner eigenen Partei, aber auch als jemand, der sich nicht in innerparteilichen Machtkämpfen verschleißen wollte.

»Schauerlicher Zug von Toten«

Stattdessen engagierte sich Paul Levi innerhalb und außerhalb des Parlaments als Rechtspolitiker und -praktiker, kämpfte für die Reform des Strafrechts und die Abschaffung der Todesstrafe, gegen die politische Instrumentalisierung von Kriminalität und gegen die Machenschaften der »Schwarzen Reichswehr« (diese immerhin sind einem breiteren Publikum dank der Fernsehserie Babylon Berlin mittlerweile bekannt). Sein letztes großes Thema war die Aufklärung des Mordes an seinen Freunden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die zugleich zu einer großen Anklage gegen die politische Justiz der Weimarer Republik geriet. Der »schauerliche Zug von Toten«, so Paul Levi in seinem Schlussplädoyer, »die ganzen Jahre und Jahre, Gemordete und Gemordete«, all dies scheint ihm, dem so verschlossenen Einzelgänger, psychisch stark zugesetzt zu haben. Und so bleibt ungeklärt, ob er sich im Februar 1930, knapp 47 Jahre alt, bewusst oder im Fieberwahn oder aus Versehen aus dem Fenster seiner Wohnung am Lützowufer in Berlin stürzte. Angesichts der großen öffentlichen Anteilnahme bei seiner Beisetzung mit Hunderten von Kränzen mit roten und schwarz-rot-goldenen Schleifen beschlich manch einen der Trauergäste das Gefühl, dass mit Paul Levi zugleich »die Republik zu Grabe getragen« werde. Und dies war keineswegs abwegig: Wenige Wochen später zerbrach die letzte Große Koalition unter Beteiligung der SPD und die Phase der nicht mehr demokratischen Präsidialkabinette brach an – mit dem bekannten Ausgang.

Thilo Scholle ist es gelungen, uns die Lebensgeschichte eines persönlich eher verschlossenen, sein Privatleben für sich bewahrenden Menschen nahezubringen und durch dieses biografische Prisma zugleich wichtige Schlaglichter auf die Geschichte unserer Demokratie zu werfen. In der Gedenkstunde des Bundestags zum 9. November 2017 wünschte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dass wir »mehr Aufmerksamkeit, mehr Herzblut (…) den Orten und den Protagonisten unserer Demokratiegeschichte widmen«. Thilo Scholle ist diesem Wunsch zuvorgekommen – nun ist es an uns zu lesen, weiter zu forschen, zu gedenken, aber auch und vor allem: für die Zukunft die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Thilo Scholle: Paul Levi. Linkssozialist – Rechtsanwalt – Reichstagsmitglied. Hentrich & Hentrich, Leipzig 2017, 82 S., 8,90 €.

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