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Eine Erinnerung an den Jesuiten Alfred Delp Personaler Sozialismus

Am 2. Februar 1945 wurde der Jesuit Alfred Delp in Plötzensee hingerichtet. Roland Freislers Blutgericht hatte ihn des Hochverrats für schuldig erklärt. Alfred Delp gehörte seit 1942 dem Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke an. Er sollte die katholische Position in die Beratungen um die Neuordnung Deutschlands nach der NS-Herrschaft einbringen. In Kreisau traf Delp auf einige der mutigsten und klügsten Sozialdemokraten dieser Jahre: Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner, Julius Leber, Hermann Maas. Diese nahmen mit großem Erstaunen die Beiträge des Jesuiten zur Kenntnis. Seine Vorstellungen von einem »personalen Sozialismus« klangen für sie revolutionär aus dem Mund eines Ordensmannes. Tatsächlich setzte sich Delp damit zwischen alle Stühle: Es gab den Nationalsozialismus und den kommunistischen Staatssozialismus sowie das päpstliche Verbot von 1931, dass ein Katholik kein Sozialist – gleich welcher Richtung – sein dürfe. Mutig, frei und in großer Verantwortung wählte Alfred Delp dennoch die Überschrift »personaler Sozialismus« für seinen dritten Weg eines Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells jenseits von Marxismus und Kapitalismus.

Nicht-marxistische Vorstellungen von Sozialismus konnte man bereits bei den ethischen und religiösen Sozialisten sowie in Kreisen des Jungsozialismus antreffen, sodass es später in der frühen Bundesrepublik einige Kräfte gab, die diese Position bis zur Formulierung des Godesberger Programms vorantrieben. Von Alfred Delp war dann allerdings schon nicht mehr die Rede, weil es weder Katholiken noch Sozialdemokraten gab, die seine Ideen überliefern konnten. Zudem lagen Delps Schriften lange nicht publiziert vor und sein Manuskript, das er für den Kreisauer Kreis im Juli 1944 erstellt hatte, war verschollen. Es gilt heute jedoch als gesichert, dass die 1947 von Delps Freund Ernst Kessler unter dem Titel »Jenseits von Kapitalismus und Marxismus« veröffentlichten Ausführungen die Gedanken von Delp wiedergeben.

Es sind die Ideen des demokratischen Sozialismus, wie ihn die SPD vertritt, die Alfred Delp auf den Weg brachte: Jenseits von Individualismus und Kollektivismus muss eine geistige und soziale Ordnung geschaffen werden, die die Freiheit des Einzelnen und die soziale Sicherheit für alle wahrt. Freiheit und Verantwortung, Partnerschaft und Gemeinschaft auf der Basis von sozialer Gerechtigkeit sind das Ziel des »personalen Sozialismus«. Die politischen Wege dahin heißen: soziale Verantwortung des Eigentums, Möglichkeit der Überführung von Privatbesitz in Gemeinschaftseigentum, Förderung von Mitbestimmung und Mitbesitz in Arbeiterhand. Eine solidarische Wirtschaftsordnung darf nur eine Rahmenplanung von oben vorgeben, soll aber ansonsten die Selbstverwaltung von unten fördern. Die Verantwortung der Arbeiterschaft kann erhöht werden durch eine Entprivatisierung der Großindustrie mit Umwandlung der Großbetriebe in Mittel- und Kleinbetriebe, die die Arbeitsteilung und damit die Entfremdung und Vermassung überwinden. Der »personale Sozialismus« beschränkt sich nicht auf die Verfassung der Wirtschaft, sondern umfasst auch die Ordnung des Staates und des Rechts, die so geändert werden muss, dass Vergemeinschaftung und Demokratisierung möglich werden und sich dauerhaft entfalten können.

Für Alfred Delp bedarf diese neue Sozial- und Wirtschaftsordnung einer geistigen Neuorientierung. Der »personale Sozialismus« bedeutet auch eine Bildungsaufgabe, die den übersteigerten Individualismus, die subjektivistisch verengte Selbstverwirklichung, die Bindungs- und Orientierungslosigkeit und die fehlende Kraft zur »Unterscheidung der Geister« überwinden hilft. Er folgt mit seinem Ansatz den »Geistlichen Übungen« von Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens. Dieses Konzept nennt Alfred Delp »theonomer Humanismus«. Der »personale Sozialismus« wird also von einem äußerst gehaltvollen Menschenbild getragen, für das jedoch gilt: Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse müssen so gestaltet sein, dass die Menschen in Freiheit denken und beten und danach verantwortlich handeln können.

Sicherlich werden Sozialdemokraten fragen müssen, welche handelnden Subjekte in den vorgegebenen Strukturen und Machtverhältnissen verortet werden können und welche Wege diese einschlagen müssen, um diese politischen Ideen durchzusetzen. Und ebenso werden sie fragen, ob bestimmte anthropologische, moralische und religiöse Vorstellungen von allen geteilt und als notwendig erachtet werden müssen, die eine neue freie, gerechte und solidarische Ordnung anstreben. Es gibt Anzeichen dafür, dass Sozialdemokraten im Kreisauer Kreis genau diese Fragen mit Alfred Delp kontrovers diskutiert haben. Seitdem werden sie bis heute in der Programmdiskussion der Sozialdemokratie erörtert.

Katholiken reagier(t)en irritiert auf Alfred Delp. Sein Plädoyer für einen theonomen Humanismus auf der Basis des personalen Sozialismus bezieht nämlich die Vorstellungen der Kirche nicht mit ein. Delp beruft sich nicht auf eine vorgegebene, von Gott gewollte Ordnung, so wie es die traditionelle katholische Soziallehre tut. Er ignoriert das katholische Naturrecht. Nicht das moralische Wollen der Kirche liefert eine hinreichende Bedingung für gute Politik. Was zählt, so Alfred Delp, ist die Bildung von Persönlichkeiten, die gegen Not und Ungerechtigkeit angehen und für eine freie und solidarische Gesellschaft eintreten. Alfred Delp konnte seine Überlegungen nicht mehr in die Tat umsetzen. Er wurde nur 37 Jahre alt. Nach dem Krieg hätte er den Reformorientierten als Brückenbauer gut zur Seite stehen können.

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