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picture alliance / SZ Photo | Mike Schmidt

Wie junge Menschen in Deutschland in die Zukunft und auf Europa schauen Pessimistisch und heterogen

Lebenswelten, Identitäten, politische Einstellungen

Aber: Eine objektive Situation spiegelt sich nicht automatisch im subjektiven Empfinden der Betroffenen wider. Um einen Blick auf die Einstellungs- und Gefühlswelt junger Menschen werfen zu können, brauchen wir Umfragen – noch dazu spezielle Umfragen, denn in herkömmlichen bevölkerungsrepräsentativen Befragungen ist die Zahl junger Menschen in der Regel zu gering, um sie explizit und differenziert in den Blick nehmen zu können. Dazu werden explizite Jugendstudien benötigt wie etwa »Junges Europa« – seit 2017 wird sie von der TUI Stiftung jährlich durchgeführt. Ihr Ziel ist es, die Lebenswelten, Identitäten und politischen Einstellungen junger Menschen in Europa sichtbar zu machen. Für den vorliegenden Beitrag stehen dabei junge Menschen in Deutschland zwischen 16 und 26 Jahren im Fokus (Für ausgewählte Ergebnisse auch für andere europäische Länder siehe Thorsten Faas: »Von Zukunftsaussichten bis Demokratiezufriedenheit: Schleichende Erosionsprozesse bei Europas Jugend 2023« in der aktuellen TUI Studie.)

Subjektiv sind die Zukunftsaussichten junger Menschen in Deutschland keineswegs so rosig, wie sie vielleicht objektiv sein mögen. Vielmehr ist der Pessimismus langsam, aber stetig auf dem Vormarsch. »Wenn Sie an die Zukunft denken, sind Sie dann generell eher optimistisch oder eher pessimistisch in Bezug auf Ihre persönliche Situation?« – diese Frage haben 2019 noch 69 Prozent der (damals) 16- bis 26-jährigen Deutschen mit »optimistisch« beantwortet, 2023 waren es nur noch 56 Prozent. Umgekehrt steigt der Anteil der Pessimist_innen von 27 auf 39 Prozent. Es ist kein sprunghafter Anstieg zu sehen, der sich auf ein einzelnes Ereignis wie die Coronapandemie oder den Krieg Russlands gegen die Ukraine zurückführen ließe. Vielmehr trübt sich der Ausblick stetig ein – weshalb auch eine plötzliche Trendumkehr nicht unbedingt zu erwarten ist.

Deutliche Zeichen weit verbreiteter Verunsicherung.

Noch deutlicher wird der steigende Pessimismus, wenn man die jungen Menschen nach ihrer Wahrnehmung des intergenerationalen Vergleichs fragt. »Wenn Sie an die Generation Ihrer Eltern denken: Glauben Sie, dass es Ihre eigene Generation hinsichtlich Einkommen und Lebensstandard besser oder schlechter haben wird?« Euphorisch war der Blick in die Zukunft an dieser Stelle noch nie. Aber 2017 hielten sich die Anteile von »besser« und »schlechter« im Vergleich zur Elterngeneration noch ungefähr die Waage. 2023 dagegen überwiegt deutlich der Anteil der Pessimis_tinnen: Nur noch 27 Prozent glauben, dass es ihnen besser gehen wird als ihren Eltern, 44 Prozent erwarten eine Verschlechterung. Bemerkenswert ist dabei auch, dass immerhin 29 Prozent der Befragten keine Angabe machen wollen oder können – auch das wohl ein deutliches Zeichen um sich greifender Verunsicherung.

Im öffentlichen Diskurs gibt es die weit verbreitete Tendenz, »die Jugend« als homogene Gruppe zu verstehen – und das hat der vorliegende Beitrag bislang auch getan, indem er »die Jugend 2017« mit »der Jugend 2023« verglichen hat. Aber genauso wenig, wie es eine homogene Gruppe »der Frauen« oder »der Ostdeutschen« gibt, gibt es »die Jugend«. Das bedeutet keineswegs, dass sich Einstellungen zwischen »Jung« und »Alt« (oder »Ost« und »West«) nicht unterscheiden können. Die Haltung einer Gruppe insgesamt kann sich ändern. Aber das alleine greift zu kurz. Eine gruppenbezogene Betrachtung sollte immer auch um eine binnendifferenzierte Perspektive ergänzt werden.

Machen wir es konkret: Junge Menschen aus wohl situierten Elternhäusern schauten im Jahr 2023 deutlich optimistischer in die Zukunft als solche aus weniger wohlsituierten. Das Verhältnis von Optimismus zu Pessimismus bezogen auf die eigenen Zukunftsaussichten liegt in der ersten Gruppe bei 67 zu 29 Prozent, in der zweiten dagegen nur bei 50 zu 46 Prozent.

Dieser Aspekt der nötigen Binnendifferenzierung ist gerade auch mit Blick auf die eingangs zitierten vermeintlich so rosigen Zukunftsaussichten »der Jugend« von Bedeutung. Diese Narrative erzählen die Geschichte junger Menschen aus der Warte wohl situierter junger Menschen heraus, spiegeln aber offenkundig das Empfinden weniger gut gestellter Menschen nicht in gleichem Maße wider. Und das hat Konsequenzen, denn diese weniger gut gestellten Menschen finden sich in der öffentlichen Wahrnehmung in der Folge nicht wieder, was sie noch zusätzlich an den Rand und aus dem Blick drängt.

»Ein massiver Vormarsch des Nationalen zulasten der europäischen Idee lässt sich aber nicht feststellen.«

Krisen und damit einhergehende Verunsicherungen würden zur Suche nach einfachen Antworten führen, so lautet ein weiteres Narrativ, zu einer Rückbesinnung auf das Nationale. Für das abstrakte Projekt »Europa« wäre das keine gute Nachricht. Aber auch dieses Narrativ stimmt in dieser Einfachheit nicht. »Wie würden Sie sich selbst am ehesten beschreiben?« wurden junge Deutsche seit 2017 wiederholt gefragt. Demnach ist Europa keineswegs in den Köpfen junger Menschen in Deutschland auf dem Rückzug. Vielmehr ist im Zeitverlauf der Anteil junger Menschen mit einer exklusiv »nationalen« Identität rückläufig: 2017 und 2018 gab jeweils ein gutes Drittel diese Antwort; 2023 waren es dagegen nur 28 Prozent. Zwar sehen wir auch umgekehrt keine exklusiv »europäischen« Bürger_innen, sondern mehrheitlich hybride Identitäten, also Mischungen aus nationalen und europäischen Bezugspunkten der eigenen Identität. Ein massiver Vormarsch des Nationalen zulasten der europäischen Idee lässt sich aber nicht feststellen.

Bemerkenswert: Das gilt an dieser Stelle auch in einer binnendifferenzierten Betrachtung. Optimistische oder pessimistische Zukunftsaussichten, aber gerade auch der Lebensstandard des eigenen Elternhauses spielen diesbezüglich kaum eine Rolle. Europäische Bezugspunkte in der eigenen Identität sind überall in der Gruppe junger Menschen weit verbreitet.

Das ist nun im Jahr der Europawahl grundsätzlich eine gute Nachricht – nimmt aber politische Akteure nicht aus der Pflicht. Nimmt man anstelle eigener Identitäten nämlich die Wahrnehmung von Demokratie und ihren Institutionen in den Blick, so zeigen sich sehr wohl erhebliche Unterschiede in einer binnendifferenzierten Betrachtung. Gerade Menschen aus weniger gut situierten Kontexten fühlen sich weniger gut repräsentiert, vertrauen den Institutionen – auch den europäischen! – in geringerem Maße und sind insgesamt mit der Demokratie weniger zufrieden. Es bleibt viel zu tun.

Halten wir also fest: Junge Menschen in Deutschland schauen weniger optimistisch in die Zukunft, als manche öffentliche Erzählung das vermuten ließe. Vor allem zeigt der Trend dabei nach unten. Und gerade wer aus schlechter situiertem Elternhaus kommt, empfindet das so. Trotzdem ist und bleibt »Europa« für junge Menschen – über Zeit und Gruppen hinweg – ein stabiler Bezugspunkt. Nur wird deswegen nicht alles gut. Politik auf allen Ebenen, von Europa über nationale bis hinunter zur lokalen Politik, muss Menschen das Gefühl geben, dass sie Teil des Prozesses sind, dass sie dazugehören, dass sie repräsentiert werden – gerade auch, wenn sie mit weniger elterlichem Startkapital ins Leben gestartet sind als andere. Das gelingt aber derzeit nur bedingt. Aber auch dafür ist ja letztlich ein Wahlkampf vor einer Wahl da: Menschen klar zu machen, worum es insgesamt, aber gerade auch für sie geht. Und in einem Wahlkampf, in dem 16- und 17-Jährige erstmals wählen dürfen, gilt das umso mehr. Es gilt, gerade sie bestmöglich anzusprechen und nicht zu enttäuschen – damit am Ende nicht doch die einfachen Antworten mehr überzeugen.

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