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Die Schirn Kunsthalle spürt den Verlockungen und Verfehlungen eines vermeintlichen Wunderstoffs nach Plastik, Pop et cetera

Das schönste Objekt der Ausstellung zeugt vom Lockstoff eines Materials, das einst als Heilsbringer vergöttert wurde und heute als eines der größten Umweltübel gilt: Plastik. Die Künstlerin Berta Fischer hat aus handelsüblichen Plexi­glasplatten in unterschiedlichen Farbtönen ein betörendes Raumschiff namens »Nironimox« gebaut, das unter der Decke hängt wie ein Versprechen. Bunt, schillernd, gleichzeitig fragil und unverwüstlich. Es gehört zu den meistfotografierten Stücken in der von Martina Weinhart kuratierten Themenausstellung »Plastic World« in der Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. Sie erfasst die Zeitspanne von den 60er Jahren bis heute und zeigt anhand der Verwendung des Zauberstoffs Plastik, wie sich gesellschaftliche Konventionen ändern können.

Die Schau kommt zur rechten Zeit, ein Kippmoment, an dem die einstige Verehrung in Ekel umschlägt. Noch in den 60er Jahren wurde Plastik für seine Belastbarkeit und seinen günstigen Preis gefeiert, man veranstaltete Tupperpartys und schämte sich nicht, Snacks auf buntem Plastik zu servieren. Die 70er Jahre sind mode- und designmäßig gar nicht ohne Plastik denkbar. Als Symbol und niedliches Zeichen der Verehrung klebten in vielen westdeutschen Küchen Prilblumen an den Kacheln, die mit dem gleichnamigen Spülmittel in Plastikflaschen vertrieben wurden.

Vom Zauberstoff zum Teufelszeug

Heute gilt Plastik als Teufelszeug, nach Expertenmeinung schwimmen mehr als 100 Millionen Tonnen davon in den Meeren der Welt, und laut der Umweltorganisation Greenpeace besteht schon jetzt die Hälfte allen Mülls in unseren Meeren aus Plastik. Ein Ende ist nicht absehbar, bis 2060 soll sich der weltweite Plastikmüll noch verdreifachen. Ernüchternd für all diejenigen, die Mehrwegbecher durch die Gegend tragen und Joghurt nur im Glas kaufen.

Die Ausstellung in der Schirn ist nicht die erste, die sich dem Thema widmet, das Vitra Design Museum in Weil am Rhein versprach im vergangenen Jahr »Plastik. Die Welt neu denken«, und gerade zeigt die Ulmer Hochschule für Gestaltung »Kunststoff − Zauberstoff: Freiheit und Grenzen der Gestaltung«.

In der Schirn geht es freilich in erster Linie um Kunstwerke, die man dort in sieben Themenbereichen findet. Rund 100 Werke von mehr als 50 Künstlerinnen und Künstlern. Besagtes Wunderwerk von Berta Fischer hängt neben Arbeiten des sogenannten Finish Fetish-Künstlers Craig Kauffman, der schon in den 60er Jahren superglatte Plastikoberflächen als Leinwand nutzte, die er mit Acryllack bemalte. Eines seiner titellosen Werke sieht aus wie ein ins Plastikzeitalter übersetztes Gemälde von Mark Rothko. Ein anderes spielt mit der Form des Reliefs. Als Betrachterin kann man sich wie bei so vielen Werken der Schau kaum im Zaum halten, so sehr möchte man die Objekte anfassen, ihre Glätte und Sagenhaftigkeit spüren.

Schon früh gab es auch Kritik

Doch auch wenn in den 60er Jahren noch das hohe Lied der Künstlichkeit gesungen wurde, gab es schon damals kritische Stimmen. Der Objektkünstler Arman etwa führt in seinen Werken die unschönen Seiten des Wohlstandsmülls vor Augen. Dazu packt er etwa lauter ausrangierte Rasierapparate in einen »Mülleimer« genannten Acrylglasbehälter.

Das scheint heute angesichts der riesigen Container voll mit Elektroschrott auf den Mülldeponien unserer Städte fast rührend. Erschreckender wirkt Francis Alÿs` kurzer Film Barrenderos aus dem Jahr 2004, der Menschen zeigt, die nachts Straßen in Mexiko-City kehren. Dazu schieben sie Berge von Plastik, meist Flaschen, zusammen. Die Straßen sehen aus, als habe ein Volksfest stattgefunden, aber von einem solchen ist keine Rede. Eine Sisyphosarbeit.

Unter dem Label »Plastic Trash« finden sich neben Arman und Alÿs auch die Arbeiten des französischen Bildhauers César, der unter anderem mit seinen zusammengequetschten Autokarosserien für Furore sorgte. In Frankfurt ist er gleich mit etlichen Arbeiten vertreten. Darunter die faszinierend ekelerregende Expansion à la boite d’oufs, eine knallorangefarbene Eierbox, aus der eine zähflüssige braune Masse quillt, hergestellt aus Kunststoff und Polyurethanschaum.

Mit Christo, dem vor drei Jahren gestorbenen legendären Verpackungskünstler, ist ein weiterer alter Bekannter neu zu entdecken. Er verstand es, die längste Zeit gemeinsam mit seiner Frau Jeanne-Claude, Dinge so zu verpacken, dass einerseits die Verpackung im Vordergrund stand, und anderseits das Objekt erst richtig zur Geltung kam.

»Das Spiel mit der Verpackung zielt auf unser an Oberflächenreizen orientiertes kapitalistische System.«

Für seine frühe Arbeit Look nahm er 1965 einen Stapel des gleichnamigen Magazins und umhüllte ihn mit einem Synthetikmaterial. Auf diese Weise entsteht ein Objekt, das sehr viel interessanter wirkt als bloß ein Stapel Magazine. Das Spiel mit der Verpackung zielt natürlich auf unser an Oberflächenreizen orientiertes kapitalistische System. Die richtige Verpackung macht den Star. Look erweist sich dabei als geradezu hellseherisch, sind diese Magazine nicht nur das Altpapier von heute, sondern auch Denkmal einer Zeit, als Druckerschwärze der Informationsgesellschaft noch geholfen hat. Vorbei.

Das gleiche gilt für die Fortschrittsgläubigkeit der 60er Jahre, damals, als die ersten Menschen auf dem Mond rumtappten und damit eine regelrechte Zukunftseuphorie entfachten. Davon zeugt auch Hans Holleins aufblasbares Mobiles Büro. Der österreichische Architekt, der später das Frankfurter Museum für Moderne Kunst entwerfen wird, experimentiert damals mit neuen Wegen der Wahrnehmung und Kommunikation. Eine bewegliche Raumhülle ermöglicht ihm das Arbeiten überall, ob auf der grünen Wiese oder dem Marktplatz. Damals konnte ja kein Menschen ahnen, dass das mal unser Alltag sein würde. Mehr noch als der Arbeit diente Holleins Idee der hübschen Selbstinszenierung.

»Schön altert Plastik nicht, es entwickelt keine Patina, besitzt meist keine Aura.«

Gino Marotta, ein Künstler aus dem Umfeld der italienischen Arte Povera, bastelt indes einen Garten Eden aus giftig grün blitzendem Acrylglas. Sein Eden Artificiale besteht aus einem Baum und zwei Büschen, wobei an einem etwas Rotes hängt, ein angeknabberter Apfel? Dazu gesellen sich ein Flamingo und eine zischelnde Schlange. Alles in dieser Paradieshölle wirkt keimfrei, gottlos und ein wenig angeschmuddelt. Denn aller Verheißungen zum Trotz, schön altert Plastik nicht, es entwickelt keine Patina, besitzt auch meist keine Aura.

Es sei denn es entsteht daraus große Kunst, wie im Falle der Künstlerin Eva Hesse. Ihre bahnbrechende Arbeit Sans II wirkt organisch, besteht aber bloß aus Glasfaser und Polyesterharz. Ein rechteckiges Behältnis, dessen Inneres kleinere Rechtecke birgt. Eine Art Baukasten, der an Bienenwaben oder ähnliches denken lässt. Doch egal, ob natürlich oder künstlich, es geht ein Reiz von dieser Arbeit aus, der nicht darauf aus ist, sie berühren zu wollen. Man möchte einfach nur reglos schauen und staunen.

Ganz ähnlich ergeht es einem mit der Fotoserie der polnischen Künstlerin Alina Szapocznikow, die aus zerkauten Kaugummis kleine Skulpturen fertigt. Wer es nicht weiß, hält die Objekte für Pflanzen, kleine Blätter oder abgefallene Blüten. Wer weiß, was es ist, erkennt Zahnabdrücke, ekelt sich ein bisschen, und sinnt dem verflogenen Zauber der Dinge hinterher. Fantastisch indes muss Andy Warhols Arbeit Silver Clouds aus dem Jahr 1966 gewirkt haben, indem der Popmeister silberfarbene kissenartige Objekte durch den Raum fliegen lässt. Der Tänzer Merce Cunningham hat sie in eine seiner Choreografien eingebunden, von der in der Schirn ein eindrückliches Video zeugt. Körper im Raum.

»Plastik Körper« ist ein eigenes Kapitel der Schau überschrieben. Immer wieder waren und sind es vornehmlich Frauen, deren Körper aus Plastik nachgebildet werden: Puppen, Barbies, Sexobjekte. Die zur Zeit auch in ihrer Heimat gerade wiederentdeckte österreichische Künstlerin Kiki Kogelnik denkt nicht daran, sich da einzureihen. Für ihre Cut-outs genannten Objekte, für die sie Körperkonturen von Menschen ausschneidet, nimmt sie gern männliche Künstlerkollegen als Modell, die hernach als schlaffe Plastikhülle überm Bügel hängen. Von da ist es nicht mehr weit bis zu den üppigen, mittlerweile leider total verkitschten Nanas der Niki de Saint Phalle.

Künstlichkeit mit maximaler Lebendigkeit begegnen

Dass gerade Plastik und andere Kunststoffe dazu einladen, aus ihnen Blumen und Florales zu fabrizieren, zieht sich als roter Faden durch die Ausstellung. Es ist, als wolle man der Künstlichkeit mit maximaler Lebendigkeit begegnen. Im Freien kündet davon der Baum L’arbre à palabres des aus Kamerun stammenden Künstlers Pascale Marthine Tayou. Man kann natürlich auch an die eingangs erwähnten Prilblumen denken oder an Berta Fischers Arbeit »Nironimox«, die wie ein Korallenriff anmutet.

Ein eigener Raum ist der Arbeit Anemones: An Air Aquarium des deutschen Künstlers Otto Piene vorbehalten. Sie ist 1976 entstanden und wurde jetzt neu aufgelegt. Eine reizlose Angelegenheit auf 160 Quadratmetern, die das Thema der Schau bebildert. Bis zu acht Meter hohe aufblasbare Seeanemonen und andere Seewesen, die als »begehbares Environment« nichtig wirken.

Einleuchtender das Werk des dänischen Künstlers Tue Greenfort, der in seiner jüngsten Arbeit Funghi Decomposition einen Pilz in den Blick nimmt, der in der Lage ist, Plastik zu verstoffwechseln und in organisches Material umzuwandeln. Er allein wird das Plastikproblem allerdings nicht lösen. Und wer denkt, das mit dem Plastik sei bald vorbei, den muss Jacqueline Goebel, Autorin des Buches Die Plastiksucht enttäuschen: »Das Plastikzeitalter hat eben erst begonnen«, sagt sie. Das wiederum könnte man in der Schirn glatt vergessen.

(Die Ausstellung »Plastic World« ist noch bis zum 1. Oktober 2023 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt/Main zu sehen. www.schirn.de)

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