Von den vielen guten Ratschlägen, die Konfuzius hinterlassen hat, war ihm dies der wichtigste: Um die rechte Ordnung im Gemeinwesen zu sichern, müsse zuerst die Ordnung der Begriffe geklärt werden. Heute erscheint es angesichts der oft verwirrenden Debatten über das globale Gespenst des Populismus geboten, die dabei ins Spiel gebrachten Begriffe zu unterscheiden. Die Besorgnis wächst, dass die als »populistisch« identifizierten Bewegungen und Parteien auf der Rechten und der Linken im Begriff sind, Rechtsstaat und Demokratie allmählich den Garaus zu machen. Diese Furcht scheint nicht unbegründet, denn die in vielen Teilen der Welt anbrandende Protestwelle zeigt auf der Rechten überall autoritäre Züge und auf der Linken Empörung über die Realität der Demokratie. Diese Welle droht freilich mit den eigentlichen Übeln der unbeherrschten Globalisierung und der allzu rasanten Modernisierung, gegen die sie sich richtet, in einer paradoxen Volte auch diejenigen demokratischen Errungenschaften hinwegzuspülen, die letztlich allein die Überwindung der angeprangerten Ungleichheit, Unsicherheit und Arbeitslosigkeit sowie die Bändigung der über alle Grenzen hinweg rücksichtslos agierenden Wirtschaftsmagnaten und Finanzjongleure bewirken können.
Die in Publizistik und Parteienstreit kursierenden Begriffe des Populismus sind häufig zu breit gefasst, um die Grenzen zwischen zulässigem Protest und Demokratiefeindschaft zuverlässig zu markieren. Zu den ausgrenzenden Varianten im Gebrauch des Begriffs Populismus kommen solche hinzu, die ihm eine für die Erneuerungsfähigkeit der Demokratie konstruktive Bedeutung beimessen. Klarheit tut also Not, damit einerseits nicht die bloß missliebige Kritik ins Abseits gerät und andererseits die echte Brandstiftung nicht ungewollt verharmlost wird.
Der Begriff »Populismus«, eigentlich ein Veteran der Politikforschung, ist nicht zufällig zu einem der erfolgreichsten Selbstläufer der letzten Jahrzehnte geworden. Seine Bandbreite ist noch immer viel zu groß, um zuverlässig orientieren zu können. Hierzulande begegnete man allein in den letzten Monaten nicht weniger als sieben Varianten. Er trifft (1) jene Pegida-Aktivisten, die für Kanzlerin und Vizekanzler einen Galgen auf öffentlichen Plätzen drohend herumtrugen; er markiert (2) die »eigentlichen Populisten«, die auch mitlaufen, aber im Interview nur mehr Mitbestimmung in der Demokratie verlangten; (3) Martin Schulz wurde »Populist« genannt, als er die sozialdemokratische Gerechtigkeitspolitik herzhaft anschärfte; (4) der Begriff wird in abwertender Absicht gern linken Positionen (innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratie) angeheftet, sobald ihre Kapitalismuskritik etwas grundsätzlicher wird, selbst wenn Demokratie dabei keineswegs zur Disposition gestellt wird; (5) Intellektelle und Journalisten äußern gelegentlich, nur ein »linker« oder »Mitte-«Populismus könne den rechten zähmen; (6) wir lesen dann auch noch die beruhigende Feststellung, ein gewisses Maß an populistischer Unruhe sei angesichts von Modernisierung und Globalisierung und ihrer Widersprüche ganz »normal«. Kaum überraschend, dass manche Autoren daraufhin (7) zu dem Schluss gelangen, »Populismus« sei im Grunde nicht mehr als ein Vorwurf gegen die Konkurrenten im Kampf um das knappe politische Kapital. Lässt Babylon hier grüßen oder kann da nur ein Pudding, seiner Natur entsprechend, einfach nicht an die Wand genagelt werden?
Umgehen lässt sich der Begriff freilich auch nicht, denn das würde eine empfindliche Lücke in unser Verständnis der Gegenwart reißen. Hier ein Vorschlag zur sachdienlichen Unterscheidung, damit Gruppen wie der harte Kern von Pegida nicht viel zu glimpflich davonkommen, und andere, darunter vermutlich der größere Teil ihrer Mitläufer, nicht ganz ins Abseits gestellt werden, wenn das diffuse Gefühl sie auf die Straße treibt, sie kämen mit ihren Anliegen in dieser Demokratie als Bürger zu kurz. Letzteres ist fast immer der Impuls des linken Populismus, aber auch die rechte Variante hat Anspruch auf Teilhabe an der demokratischen Willensbildung, solange ihre Kritik an der praktizierten Flüchtlings- und Integrationspolitik nicht in Fremdenfeindlichkeit und ethnische Selbstüberhöhung mündet, denn dann überschreitet sie die Grenze zum Extremismus.
Oft wird der Begriff »populistisch« verwendet, wenn eigentlich »populär« gemeint ist, also politische Inhalte und Kommunikationsformen, die nach der breitest möglichen Zustimmung im Volk, zumal seiner unteren Hälfte im Hinblick auf Vermögen und Status streben und dabei die komplexe Welt in sehr einfache Worte fassen. Dazu gehören meist auch Appelle, die sich an Eindeutigkeit und Entschiedenheit nicht übertreffen lassen wollen, und ihre Sache mit einer unüblich gewordenen Leidenschaft, oft im Modus der Erregung oder Empörung, verfechten. Hier handelt es sich um das, was in den oben genannten Fällen (3) und (4) Ziel der gegnerischen Attacke ist, dabei sollte populäre Politik in diesem Sinne in der Demokratie eher erwünscht sein, solange Realismus und Verantwortlichkeit sie zähmen. Den Begriff »Populismus« dafür einzusetzen ist ein gutes Beispiel für seine unter (7) genannte, gehässig abwertende Verwendung. Die vorläufige Bilanz: Wenn bis hierhin eine gewisse Übereinkunft zu erzielen wäre, ließe sich das »P-Wort« insoweit aus dem Verkehr ziehen und damit wäre der kommunikativen Klarheit und Redlichkeit ein erster Dienst erwiesen.
Ähnliches gilt – aus entgegengesetzten Gründen – für den Fall (1), denn bei ihm handelt es sich ja um etwas, wofür es politikwissenschaftlich und verfassungsrechtlich einen sehr klaren Begriff gibt: politischer Extremismus. Sein Inhalt lässt sich präzise fassen: Es ist die Gegnerschaft gegen die Grundlagen der freiheitlichen Demokratie mit ihren Prinzipien der gleichen Grundrechte für alle Bürger, der auf sie gestützten Rechtsstaatlichkeit und einer pluralistischen Demokratie, in der politische Richtungsalternativen gleichberechtigt um jeweils zeitlich befristete Regierungsmacht ringen. Die rechten Gruppierungen, die in Dresden den Galgen für ihre politischen Gegner hochhalten, sind keine Populisten, auch wenn ihre Botschaften klar und simpel sind – sie sind schlicht und einfach Feinde der Grundrechte und des demokratischen Pluralismus. Sie hegen mit sturer Willkür die hundertfach widerlegte Illusion eines ethnisch-religiös homogenen Volkes mit einem einheitlichen politischen Willen, der einzig und allein von ihnen selbst, der aufbegehrenden »Vorhut des Volkes«, legitim zum Ausdruck gebracht werden könne. Die aus freien Wahlen zwischen politischen Alternativen hervorgegangen Repräsentanten des Volkes in den Parlamenten und Regierungen werden von ihnen folglich als »Verräter des Volkes« gebrandmarkt, soweit sie sich ihrem Willen nicht beugen. Sie erklären sie daher für vogelfrei, was durchaus ernst gemeint ist. Der Fall ist eindeutig: Sie wollen die autoritäre Herrschaft der »Reinrassigen«. Das ist gefährlicher Rechtsextremismus, für den der Begriff »Populismus« eine glatte Irreführung ist.
Das »Eigentliche« des Populismus
Was bleibt nach diesen beiden Unterscheidungen für den »eigentlichen« Populismus? Die Geschichte des historischen Populismus in den USA an der Wende zum 20. Jahrhundert, der der Sache ihren Namen gab, bleibt ein guter Wegweiser. Er erklärt auch die Ziffer (2) aus der obigen Aufzählung näher, die sich auf eine nicht geringe Zahl der in Dresden (und vielerorts in Europa, den USA und anderen Teilen der Welt) die Straße suchenden Protestbürger (beiderseits der Scheidelinie von links und rechts) bezieht, die keine entschlossenen Demokratiefeinde sind und auch keine fanatischen Anhänger der völkischen Idee von der Vorherrschaft der eigenen »Rasse«. Es sind überwiegend Enttäuschte, Verunsicherte oder Verängstigte, die vom Empfinden geplagt sind, etwas für sie Entscheidendes gehe gerade verloren und kein Ansprechpartner in der etablierten Politik interessiere sich für ihre existenziellen Sorgen. Viele von ihnen mögen übertreiben oder verfehlten Deutungen der Wirklichkeit folgen – darüber muss mit ihnen gestritten werden. Ihre Verlustgefühle (ob real begründet oder nicht) – es müssen nicht dramatische Ängste sein – können sich auf ihre kulturelle Identität, ihren sozialen Status, ihre Lebenssicherheit beziehen oder auf die subjektive Erfahrung der Enteignung einer als »Heimat« empfundenen Lebenswelt, die sie überschauen und in der sie sich halbwegs gesichert orientieren können – mitunter kommt all das zusammen. Ihr Protest richtet sich gegen die mangelnde Empfänglichkeit der Etablierten in Politik und Medien für ihre Sorgen, aber gerade nicht gegen die Institutionen der Demokratie selbst. Nicht wenige von ihnen erhoffen sich Abhilfe durch autoritäre Politiker, die vermeintlich den etablierten Eliten auf die Sprünge helfen würden, wie etwa die Wähler von Donald Trump oder Viktor Orbán, die ja beide anscheinend »nur« eine begrenzte Einschränkung des Rechtsstaates zugunsten der Demokratie erstreben, aber nicht ihre Abschaffung zugunsten einer totalitären Führerdiktator.
Diesen Typ verkörpern die eigentlichen rechten Populisten. Sie teilen einige ihrer Themen mit den linken Populisten, wie den Vorwurf, dass die Demokratie nicht mehr wirklich repräsentativ sei, sondern von Eliten beherrscht und das »eigentliche« Volk mit seinen Sorgen und Interessen in ihren Institutionen kein Gehör findet. Sie wollen Einfluss auf Gesetzgebung und Regierung, aber nicht die Abschaffung der Demokratie. Sie teilen andere Themen mit den rechten Extremisten, vor allem die Kritik an der bestehenden Flüchtlings- und Integrationspolitik, aber anders als diese verlangen die meisten von ihnen nicht das Ende, sondern die Kontrolle und Begrenzung bei der Einwanderung. Da, wo die Lebenswelten, deren Überschaubarkeit und Vertrautheit sie als »Heimat« verteidigen wollen, nicht nur als zivilkulturell verbunden, sondern als ethnisch und kulturell homogen vorgestellt werden, beginnt mit der Leugnung von Grundrechten das Feld des Rechtsextremismus.
Dieser ganze politische Raum ist durch heikle Abgrenzungen und fließende Übergänge geprägt. Soweit die Bezeichnung »Populismus« trägt, zielt sie immer auf eine Mentalität, in der die gesellschaftliche Realität in verzerrender Vereinfachung gesehen wird und daher aus einem einzigen Ansatzpunkt heraus kuriert werden soll. Und sie meint immer einen Willen zur Konfrontation von oben und unten, von Volk und Elite. Beim Linkspopulismus sind die unteren sozialen Klassen das ausgeschlossene »Volk«, beim Rechtspopulismus ist es ein breiteres gesellschaftliches Spektrum mit einer gemeinschaftlichen Kultur, deren Verkürzung auf ethnisch-identitäre Muster wiederum den Übergang zum Rechtsextremismus markiert – aber auch ihre häufige Überschreitung hebt die Grenzen nicht auf, sie markiert weiterhin die Fronten.
Die Populisten wollen den Rahmen der parlamentarischen Demokratie wahren, artikulieren Wut und Protest gegen die Eliten, aber vor allem außerhalb ihrer Institutionen und drängen auf mehr Teilhabe der »Basis«, vornehmlich durch »Volksgesetzgebung«. Die Extremisten hingegen bekämpfen die Grundfesten des parlamentarischen »Systems«. Die Grenzlinie zwischen beiden muss so klar wie möglich gezogen, aber beiden entschieden begegnet werden, freilich auf unterschiedliche Weise. Im Streit mit den Populisten geht es um das Einfordern von Realismus, Verantwortung und Inklusion, aber ebenso um die Fähigkeit zur Selbstkritik und zur Korrektur von Fehlentwicklungen – also um Argumente und um Reformen. Im Streit mit den Extremisten geht es hingegen um einen kompromisslosen Kampf gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Gewaltherrschaft.
In den USA führten die Proteste des »klassischen« Populismus gegen Kreditwucher, ungerechte Einkommensteuer und Entkoppelung der Politiker vom Volk schließlich zur Bildung der Populist Party. Sie konnte bald einige ihrer wichtigen Forderungen realisieren und damit das amerikanische politische System demokratischer machen. Ob populistischer Protest, nicht immer durch das, was er fordert, sondern oft durch die Selbstprüfung des Gemeinwesens, die er auslöst, am Ende die Demokratie eher festigt, kann sich immer nur in der ernsthaften Auseinandersetzung mit seinen jeweiligen Deutungen und Forderungen erweisen. Demokraten sind immer gut beraten, sich darauf ernsthaft einzulassen.
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