Menü

Sozialdemokratie in Zeiten des Umbruchs I Pragmatische Politik mit klarer Ansprache

Wer hätte Anfang 2021 gedacht, dass die SPD mit Olaf Scholz als stärkste Kraft in den Deutschen Bundestag einzieht? Die Partei war zwar nach Jahren in der Großen Koalition – die insbesondere seit 2017 von einem sozialdemokratischen Koalitionsvertrag geprägt war – bereit für Veränderung und in einer gewissen Aufbruchsstimmung, allerdings war ein derartiger Erfolg kaum absehbar. Klar war nur: Es wird keine weitere Große Koalition mehr geben. Auch das Land war bereit für eine neue politische Konstellation, die Frage war nur, wer diese anführen sollte.

Selbstverständlich haben auch externe Faktoren den Erfolg begünstigt, aber die Menschen haben sich auch ganz bewusst für einen regierungserfahrenen und vorausschauenden Kanzler entschieden, der in den wichtigen Momenten unter Druck die Ruhe bewahren kann. Das hatte er schon jahrelang in Hamburg und im Bund bewiesen. Es folgten Koalitionsverhandlungen und die Regierung stand Ende 2021. Der Koalitionsvertrag hat Mut gemacht und es schien sich ein sozialliberales, grünes Bündnis für die nächsten Jahre, ja vielleicht das nächste Jahrzehnt, gefunden zu haben – mit einer progressiven Gesellschaftspolitik als einendes Element, in finanzpolitischen Fragen allerdings mit offenkundig nur schwer überbrückbaren Differenzen.

Krisen waren die Zäsuren der Regierungsarbeit.

In der Betrachtung der letzten Jahre der Regierungsarbeit vergisst so mancher Beobachter, dass die Bundesregierung unter ausgesprochen widrigen Bedingungen seit ihrem Antritt arbeiten musste. Wer kann sich noch daran erinnern, dass wir 2021 noch mitten in einer handfesten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise durch die Coronapandemie steckten, mit Kurzarbeitergeld, Grundrechtseinschnitten und sozialen Spannungen? Die neu gewählte Bundesregierung musste zum einen die Wirtschaft ankurbeln und sich zum anderen mit einer gesellschaftlichen Stimmung auseinandersetzen, die die Bundesrepublik bis dato nur selten erlebt hatte. Es galt in dieser Zeit wieder Vertrauen zu schaffen, vor allem auch mit einer Wirtschaftspolitik, die die Erreichung der Klimaziele beherzt anpackt und damit das grüne Wachstumsversprechen und den Wohlstand der kommenden Jahre und Jahrzehnte sichern sollte.

Dann kam Putins Angriffskrieg auf die Ukraine.Es folgten Inflation, die Neustrukturierung der Energieversorgung und milliardenschwere Hilfspakete an die Ukraine, um das Land aber auch unsere europäische Friedensordnung zu sichern. Letztlich hatte man kaum Zeit, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Frieden nach leidvollen Coronajahren wieder zu stärken. Ein kurzer Rückblick auf die vergangenen zweieinhalb Jahre lohnt sich manchmal, um die Ausgangsposition dieser Bundesregierung zu verstehen und den sozialdemokratischen Kurs für die kommenden Jahre einzuordnen. Denn das Erstarken der politischen Ränder ist – neben unserer Verantwortung – auch das Resultat einer unruhigen Weltlage, in der vermeintlich einfache Antworten unverdientermaßen großes Gehör finden.

Was jetzt zu tun ist

Klar ist: Das Regierungshandwerk der Ampelkoalition ist verbesserungsfähig. Es ist offenkundig, dass die Kommunikation der Regierung nicht gut genug ist und es zahlreiche Fehler gegeben hat. Wir haben keine rosaroten Brillen auf. Wir sind dafür verantwortlich, dass am Ende nicht alles in die Grütze geht, und zwar nicht nur die Regierung, sondern auch die Demokratie. Die Sozialdemokratie muss als Kanzlerpartei und stärkste Kraft im Deutschen Bundestag mit klarer Kommunikation nach innen und außen vorangehen. Wir müssen die bisherigen Erfolge stärker betonen, insbesondere die, für die die SPD maßgeblich verantwortlich ist: das Bürgergeld, die Anhebung des Mindestlohns, gute Rentenreformen und ein modernes Einwanderungssystem. Kommunikative Alleingänge kann sich die Koalition nicht mehr leisten, das gilt für alle drei Parteien.

Wir haben eine Verantwortung für das Land und müssen uns schlichtweg um die Probleme kümmern, die die Menschen umtreiben – zum Beispiel um eine funktionierende und akzeptable Lösung in der Frage der Migration in unser Land. Wir müssen sicherstellen, dass diejenigen, die Schutz brauchen, diesen auch bei uns erhalten, aber eben auch, dass entsprechende Rückführungen bei fehlendem Bleiberecht geordnet funktionieren. Nur so lässt sich gesellschaftliche Akzeptanz für die humanitären Fälle erhalten. Zudem sollten wir uns weiter auf gute Arbeit, Renten, Mieten, Gesundheit, Pflege, Umwelt und Klimaschutz, innere und äußere Sicherheit sowie Frieden konzentrieren. Beim Bürgergeld könnte gespart werden, wenn man – statt bei den Schwächsten zu kürzen – prekäre Löhne verbesserte, damit die schlechte Bezahlung nicht mit Bürgergeld aufgestockt werden muss. Allerdings gilt auch: Die Menschen, die jeden Tag hart arbeiten und Steuern und Sozialabgaben zahlen, haben wenig Verständnis für die Minderheit derer, die als Bürgergeldempfänger nicht arbeiten wollen und keine Konsequenzen fürchten müssen.

Das sind die Themen, die unsere Wählerinnen und Wähler und den Großteil der Menschen in Deutschland beschäftigen. Wenn die SPD darauf praxistaugliche und gerechte Antworten gibt, kann sie auch wieder Wahlen gewinnen.

Die CDU in der Frontalopposition

Dabei liegt ja auf der Hand, dass die SPD wieder als Problemlöserin wahrgenommen werden muss, die pragmatische Politik mit klarer Ansprache verbindet. Sie muss diese Rolle wahrnehmen, weil es sonst keine andere Partei machen wird, die ernsthaft von sich behaupten kann, einen Großteil der Bevölkerung hinter sich versammeln zu können. Die CDU befindet sich mit ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz in der Frontalopposition, die auf angebliche Sozialtouristen schimpft, und kaum Antworten auf die wesentlichen Probleme in diesem Land liefert, ohne dass dabei Parteistrategen den eigenen Vorteil kurzfristig auszuschlachten versuchen. Das ist schade, weil wir gerade jetzt auf die demokratische Opposition im Deutschen Bundestag im Sinne der Verteidigung unserer Demokratie angewiesen wären, wozu auch eine inhaltliche und anständige Debattenkultur gehört.

Inhaltlich dürfen wir uns nichts vormachen: Die Union möchte eine Politik aus den 90er Jahren, in denen wahrlich nicht alles besser war. Konkret heißt das: Die vergangenen Streitigkeiten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gesellschaftlichen, sozialen und nachhaltigen Fortschritt in der derzeitigen Parteienlandschaft nur mit der Ampel geben kann. Eine bürgerliche Koalition mit Forderungen nach Sozialkürzungen, Steuersenkungen für Großverdiener, Aufrüstung und gleichzeitiger orthodoxer Anwendung der Schuldenbremse statt Investitionen in die Zukunft unseres Landes ist nicht die richtige Antwort auf den Klimawandel, den grassierenden Rechtsextremismus oder auf die soziale Ungleichheit. Das müssen wir dringend deutlicher klarmachen!

Rechtsextremismus bekämpfen

Es geht zudem darum, denen das Wasser zu entziehen, die davon leben, Ängste zu schüren. Wer heute gegen Menschen hetzt, der sorgt dafür, dass es morgen Gewalt gibt. Ich bin mir sicher, dass wir mit klarer Sprache, guter Politik und mit einem vernünftigen Umgang zwischen den demokratischen Parteien es auch hinbekommen, Menschen von uns zu überzeugen. Es wird immer einige Prozent geben, die man nicht erreicht – das ist politische Realität. Aber ein Großteil der AfD-Wähler können wir so von uns überzeugen. Für diese Menschen müssen wir kämpfen.

Man darf nicht vergessen, dass die AfD mitnichten eine Friedenspartei ist, sondern Verbündete des Diktators Putin; das müssen wir den Menschen klarmachen, die der Bundesregierung Kriegstreiberei vorwerfen. Angesichts der aktuellen Lage in der Welt wäre es schlicht Wahnsinn, wenn eine solche Partei in Verantwortung käme, die unser transatlantisches Verhältnis infrage stellt, aus der EU und NATO austreten möchte und sich Putin anbiedert. Das müssen wir verhindern. Als wehrhafte Demokratie ist es unsere Verantwortung, derartige Bestrebungen – wie beispielsweise gerade in Potsdam aufgedeckt – konsequent und mit allen rechtlichen Möglichkeiten zu bekämpfen. Rechtsextremismus ist der Weg zu Diktatur und Krieg, das lehrt uns die Geschichte.

Autokraten fordern auch international die Demokratien heraus.

Man hätte sich vor vier Jahren nicht vorstellen können, dass ein amerikanischer Präsident den Kongress stürmen lässt und dafür nicht ins Gefängnis kommt, sondern wieder kandidiert. Mit Blick auf andere europäische Staaten zeigte sich, dass in Ungarn die Pressefreiheit eingeschränkt wird, dass in Polen die Dreiteilung der Gewalten gefährdet war, dass es in Italien eine postfaschistische Regierung gibt und in Frankreich die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Rassemblement National die Wahlen gewinnen kann. Es wird deutlich, dass demokratisch gewählte Antidemokraten in der Lage sind, ganze Systeme nachhaltig zu schädigen und – wenn es zugelassen wird – auch abschaffen können.

Deutschland muss daher mit seinen Verbündeten ganzheitlich daran arbeiten, dass Demokratinnen und Demokraten – egal wo auf der Welt – unterstützt werden und wir unsere Demokratien und unsere Sicherheit vor den Autokraten verteidigen. Es gibt kein besseres und gerechteres System als die Demokratie, das im Übrigen deutlich schwieriger wiederherzustellen als zu verteidigen ist.

Nicht den Optimismus verlieren

Dennoch gibt es auch Grund für Optimismus: Wenn man mal als Vertreter der älteren Generation zurückblickt: Unsere Großeltern hätten sich wohl die Probleme gewünscht, die wir heute haben – und blicken wir in die Welt, dann würden sich die meisten Regionen wünschen, so leben zu können, wie wir es tun. Die zahlreichen Demonstrationen von Bürgerinnen und Bürgern in großen und kleinen Städten überall in Deutschland für Demokratie und gegen Hass und Gewalt sind ein großes Hoffnungszeichen gegen die Spaltung unserer Gesellschaft. Es gibt also keinen Grund zu jammern oder verzagt zu sein.

Wir stehen vor den größten Herausforderungen, die die Politik seit Jahrzehnten hatte. Es gibt kein Erkenntnisdefizit, sondern frei nach Erich Kästner: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!«.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben