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Tablets an jeder Schule

Deutschland ist beim Thema Digitalisierung tief gespalten. Stundenlanges Computerspielen, teure Tablets in der Schule, hochprofessionelle Smartphones in Kinderhand. Für viele Eltern ist die Beschäftigung ihres Kindes mit der digitalen Welt ein rotes Tuch und Ursache handfester Streits am Familientisch. Dabei wissen 50 % der Eltern gar nicht, was ihre Kinder da eigentlich machen. Jede zweite Mutter, jeder zweite Vater ist gegen digitale Medien, kennt aber nicht die Inhalte. Da werden WLAN-Router ohne Vorankündigung vom Stromnetz genommen, Zeitschaltuhren eingebaut und Suchtberater kontaktiert.

Elternabende ähneln in ihrer Vehemenz radikalen Stammtischrunden. Wer mit seinen Kindern Minecraft oder Pokémon Go spielt und keine stundenlangen Streifzüge in der Natur vorweisen kann, muss sich sogar verteidigen. Freizeitaktivitäten wie Cowboy und Indianer spielen, Stockbrot grillen und dabei frische Luft atmen haben immer noch ein höheres Ansehen als Wissensseiten googeln, Strategiespiele spielen oder eine App programmieren. In Mamablogs zerfleischen sich Mütter gegenseitig. Familienurlaube können an der Frage, ob der Urlaubsort vernetzt ist, scheitern. Kurz: Die digitale Welt ist eines der großen Streitthemen in heutigen Familien.

In den USA, in Ostasien, aber auch in vielen westeuropäischen Ländern, ist die Stimmung genau umgekehrt. Dort werden Computerspiele und digitale Lernsoftware als Chance gesehen, um Kinder und Jugendliche auf die Berufswelt von morgen vorzubereiten und ihnen spielerisch die Welt zu erklären. Der Koordinator für die PISA-Studie in Deutschland, der OECD-Experte Andreas Schleicher, wirft den Deutschen deshalb auch eine »gewisse Technikfeindlichkeit« vor.

Hinzu kommt, dass die großen digitalen Erfolge derzeit woanders stattfinden: Die sozialen Netzwerke werden von Google, Facebook, Apple und Twitter dominiert. Im E-Commerce überwiegt Amazon, die Pflegeroboter kommen aus Japan. Sind unsere Kinder vor diesem Hintergrund überhaupt zukunftsfähig? Bekommen sie die interessanten Jobs oder sind ihnen nicht Kids anderer Länder weit voraus? Und warum entlassen viele Eltern aus der Mittelschicht, scheinbar liberal und weltoffen, ihre Kinder mit angezogener Handbremse in die Welt? Warum benehmen sie sich wie ihre vermeintlich spießigen Eltern rückwärtsgewandt und intolerant? In meinem Buch Digitale Intelligenz – Warum die Generation Smartphone kein Problem, sondern unsere Rettung ist gehe ich diesem Trend auf den Grund.

Meine These: Unsere kulturellen Besonderheiten lassen uns die digitale Kindheit unserer Sprösslinge äußerst kritisch sehen. Das liegt zum einen an unserer Tradition der Technikskepsis. Ein scheinbares Paradoxon – schließlich sind wir Exportweltmeister und Maschinenbau-Experten. Trotzdem sind wir seit der Industrialisierung auch für unser Sicherheitsdenken und unsere Bedenkenträgerei bekannt.

Nur ein kleiner Ausflug in die Anfangsphasen von Eisenbahn und Telefon: Zu den Frühzeiten der Eisenbahn gab es in Deutschland dicke Bücher über die möglichen Krankheiten, die das Bahnfahren auslösen kann. Ähnlich der heutigen Flugangst gab es damals das Krankheitsbild der Eisenbahnangst. Zu dieser Zeit wurde der Technische Überwachungsverein (TÜV) gegründet. Der Vorteil: Im Gegensatz zu den USA passierten hierzulande viel weniger Unfälle im Eisenbahnverkehr. Eine ähnliche Entwicklung gab es bei der Erfindung des Telefons. Während sogar Werner von Siemens von den »Dingelchen« sprach und nicht daran glaubte, dass sich das Telefon durchsetzen sollte, nutzen die Amerikaner es schon seit 1920 auf breiter Front. In deutschen Haushalten gehörte das Telefon erst ab 1970 zur Grundausstattung.

Ein weiterer Punkt: Das Elternsein ist in Deutschland viel befrachteter als in vielen anderen Ländern. Ob aus dem Kind etwas wird oder nicht, dafür wird bei uns vor allem die Mutter verantwortlich gemacht. Den Begriff »Rabenmutter« gibt es so nur in Deutschland. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Ganztagsbetreuung hierzulande erst allmählich etabliert wird, in vielen anderen Ländern aber schon spätestens seit den 70er Jahren gängige Praxis ist. Die Väter übernehmen erst langsam mehr Verantwortung, auch hier sind andere Länder, zum Beispiel in Skandinavien, weit voraus. Dieses Gefühl, alles richtig zu machen, führt auch zu der kritischen Einstellung gegenüber der Digitalisierung, der Kinder und Jugendliche nicht nur zu Hause begegnen, sondern auch in der Schule.

Meist müssen sie ihr Smartphone zwischen 8 und 16 Uhr in der Schule ausschalten. Das WLAN funktioniert in den Schulräumen oft nicht. Für das technische Gerät ist meist ein Lehrer nebenbei zuständig. Die Computerräume sind ähnlich sexy wie die Sprachlabore der 80er Jahre – nämlich gar nicht. Meist sind dort auch die wichtigen Seiten durch Filter gestört und somit müssen Referate und Präsentationen doch wieder daheim mithilfe von Mama und Papa ausgearbeitet werden.

Und die Lehrkräfte? Dazu gibt es erschreckende Studienergebnisse des Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Berlin. Laut Christoph Igel, dem Leiter des Forschungsbereichs »Educational Technology Lab«, haben angehende Lehrer als Studierende noch viel Lust auf den Einsatz digitaler Medien im Unterricht. Im Referendariat sind die angehenden Pädagogen schon arg desillusioniert, nach zwei Jahren als Junglehrer geht ihre Neigung, Apps zu programmieren oder mit dem Tablet Projekte anzugehen, radikal zurück. Ein Lichtblick dagegen sind die vielen Heldinnen und Helden des Alltags – Lehrer, die Fortbildungen an ihrer Schule organisieren. Svenia Busson von Edtech in Paris hat 19 Länder bereist und stellt fest: Digitalisierung funktioniert nur dort, wo sich einzelne Personen kümmern. In Deutschland ist das meist nicht der 25-jährige Deutschlehrer, sondern der 55-jährige Informatiklehrer, der in seiner Freizeit Kabel entwirrt und mit der Schulbehörde konferiert.

Diese Leuchtturmprojekte gibt es weltweit, v. a. in Finnland, Estland, Neuseeland und Australien. Dort sind die Vorbehalte gegenüber digitalen Medien am geringsten. Gemein ist diesen Projekten, dass sich die Rolle der Lehrkräfte und des Schulgebäudes immer weiter verändert. Der Pädagoge ist nicht mehr die Verkörperung von Wissen, sondern eher der Vermittler. Und die Schulgebäude sind flexibel gestaltet. Mit dem Tablet können die Schüler auch an anderen Orten unterrichtet werden.

Aber auch in Deutschland kommt das Thema digitale Bildung langsam in Bewegung. Im März stimmte der Bundesrat der Einigung auf den Digitalpakt zu. Über fünf Milliarden Euro will der Bund für die digitale Aufrüstung der Schulen ausgeben – das Geld steht schon seit einem Jahr bereit. 720 Millionen Euro sind für dieses Jahr freigegeben. Es wird auch höchste Zeit: Deutschland hat nur wenige Informatikabsolventen – darunter kaum Frauen. Die Folge: KI-Professoren beklagen, dass die Algorithmen, die sie entwickeln, immer nur den männlichen Blick haben. Die weibliche Perspektive fehlt.

Zu denken, die Digitalisierung werde sich von selbst erledigen, wird nicht funktionieren. Stattdessen dürfte sie sich weiter intensivieren, etwa durch den verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). In den USA hat schon jedes zweite Kind einen Sprachassistenten wie Alexa. Medienerziehung bedeutet dort auch, dem Kind verständlich zu machen, dass Alexa nicht immer mehr weiß als Mama und Papa und dass sie eine Maschine ist, die nach gewissen Prinzipien funktioniert.

Stefania Druga ist eine junge Lehrerin aus den USA, die zu dieser Thematik auch in Deutschland Workshops veranstaltet ( www.cognimates.me ). Für Erzieherinnen und Lehrkräfte bedeutet das: Sie sollten sich dafür interessieren, was die Kinder fasziniert. Sie sollten sich danebensetzen, wenn die Kinder Spiele am Computer spielen und sollten das auch selbst mal ausprobieren. Sie sollten Lern-Apps kennenlernen, die für kleinere Kinder gedacht sind. Sie sollten in Grundzügen wissen, was ein Algorithmus ist und was KI bedeutet, zum Beispiel für die digitale Medizin.

Digitale Bildung ist wie Zähneputzen. Es dauert eine gewisse Zeit, bis die Kinder gelernt haben, damit umzugehen. Natürlich wird man einen Dreijährigen nicht fünf Stunden am Tag ans iPad lassen. Aber was spricht gegen ein kurzes Spiel täglich oder alle zwei Tage oder, wenn das nicht in das Familienleben passt, am Wochenende etwas länger? Und Eltern sollten natürlich wissen, was ihre Kinder da machen und einschätzen können, welche Spiele für ihr Kind mit individuellem Temperament geeignet ist.

Das ist kein Freibrief für unbegrenzte Daddelei, sondern eine jahrelange Aufgabe. Denn nur medienkompetente Kindergartenkinder werden Grundschulkinder, die mit ihrer Zeit am Computer gut umgehen können. Und nur die Kinder und Jugendlichen, die digitale Techniken beherrschen, werden heutzutage auch ein anspruchsvolles Studium oder eine Ausbildung bewältigen: In keinem Bereich werden sie mehr ohne digitale Fertigkeiten auskommen, nicht als Tischler, Mechatronikerin, Chemikerin oder Arzt. Insofern kann eine Schule heute digitale Medien nicht außen vor lassen.

Das Geld aus dem Digitalpakt sollte natürlich zuerst überhaupt für ein gutes WLAN genutzt werden, damit die Schulen im wahrsten Sinne des Wortes den Anschluss nicht verlieren. Aber auch Tablets gehören in die Klassenzimmer. Dort, wo das Geld fehlt, können auch die Geräte der Kinder genutzt werden – mittlerweile hat fast jedes ein Smartphone. Deshalb ist ein grundsätzliches Verbot an den Schulen kontraproduktiv. Besser ist es, für jede Schule eigene Regeln zu entwickeln. Es spricht nichts dagegen, die Smartphones nur dann zuzulassen, wenn sie für den Unterricht benötigt werden. Auch die Rolle der Erzieherin oder der Lehrkraft wird sich verändern. Lehrkräfte werden mehr und mehr zu Assistenten der Kinder, die sie im selbstständigen Lernen unterstützen. Das wird sich sicherlich verstärken, wenn wir in einigen Jahren KI-basierte Assistenzsysteme in den Klassenräumen haben, die individuelle Hausaufgaben oder Lernaufgaben entwickeln.

Verderben wir unseren Kindern also nicht aus Angst die Zukunftschancen. Wie wir genau in zehn oder 20 Jahren arbeiten werden, weiß heute niemand. Eines ist allerdings gewiss: Ohne digitale Hilfsmittel wird es nicht gehen. Mit denen kritisch und gekonnt umzugehen und fundierte Medienkompetenz zu vermitteln, damit kann man nicht früh genug anfangen. Denn auch das vernetzte Arbeiten und Denken wird eine der Kernkompetenzen der Zukunft sein.

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