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Die Identitären – Pressure-Group der Neuen Rechten »Radikale Avantgarde«?

Keine Fahne mit ihrem Logo, kein Transparent mit ihren Parolen war zu sehen. In Chemnitz hatte sich die »Identitäre Bewegung« (IB) aber in den Schweigemarsch von AfD und Pegida eingereiht. Am 1. September standen sie wegen des tragischen Todes von Daniel H. neben vermeintlichen Wutbürgern, rechtsextremen Hooligans und militanten Rechtsextremen auf der Straße. Hier konnte mal unter einer offenen Jacke ein T-Shirt mit dem Schriftzug der IB-»Mission Defend Europe« gesehen werden, dort prangte mal ihr Emblem auf einem Pullover. Auch Martin Sellner, der Kopf der IB in Österreich und Deutschland war anwesend.

Seit 2012 ist die IB im deutschsprachigen Raum aktiv, erst auf Facebook und später auf den Straßen. Immer sichtbar: ihr Symbol, das schwarzes Lambda auf gelbem Grund. Schon auf den Rundschildern der 300 Spartaner, die sich 480 v. Chr. am Thermopylen-Pass einer tausendfach stärkeren Armee der Perser entgegenstellten, soll der Winkel geprangt haben. Diesen Mythos des heroischen Abwehrkampfs gegen fremde Mächte und feindliche Einflüsse wollen die Identitären heraufbeschwören. Dass der griechische Buchstabe an jenem Samstag nicht wie gewohnt massiv präsentiert wird, ist keine organisatorische Panne. Die Identitären haben sich nur an die Auflagen der Organisatoren gehalten. Bundesweit vereint die IB nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz rund 500 Anhänger. Die Macht der Bilder ist der »radikalen Avantgarde«, wie Sellner die IB bezeichnet, im vorpolitischen Raum mehr als bewusst. Zu ihrer Strategie gegen die angebliche Islamisierung und den vermeintlichen Austausch der autochthonen Bevölkerung in Deutschland und Europa gehört die Inszenierung. Die IB versteht sich mit Bezug auf den italienischen marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci (1891–1937) – laut internem Schulungsmaterial – selbst als »eine metapolitische Kraft«, die »einen Kampf um Begriffe, um das Sagbare, letztlich auch um das Denken« auf dem »ideellen Umfeld mit Bildern, Parolen, Idee und ›Erzählungen‹« führen will, um die »Wahrnehmung der Realität in den Köpfen« zu ändern. So könne letztlich die »Legitimität der herrschenden Macht« angegriffen werden.

Diesen rechten Kulturkampf empfahl Alain de Benoist vor mehr als 30 Jahren dem rechten Milieu. 1985 legte der Vordenker der »Nouvelle Droite« aus Frankreich in Deutschland den Band Kulturrevolution von rechts vor. Der Titel ist inzwischen zur Parole geworden. »Die alte Rechte ist tot. Sie hat es wohl verdient« sind die ersten zwei Sätze von Benoist und er mahnt: »Der Hauptfeind ist der bürgerliche Liberalismus« und erklärt gleich: »Es gibt nämlich zwei Arten, den Menschen und die Gesellschaft zu betrachten. Entweder wird der fundamentale Wert auf das Individuum gelegt (…). Oder der fundamentale Wert sind die Völker und die Kulturen«. Bis heute das Fundament für eine rechte Identitätskonstruktion.

Die IB greift allerdings bei Benoist stärker auf sein adaptiertes Revolutionskonzept zurück. In seinem Buch Kontrakultur führt Mario Müller 2017 mit Rückgriff auf Gramsci und Benoist aus, dass die Macht nicht in den »Händen der politischen Institutionen und ihrer Vertreter« läge, sondern in dem »unsichtbaren Gravitationszentrum« der »kulturellen Hegemonie«. Jeder politischen müsste eine kulturelle Wende vorausgehen. Die »Festung der Political Correctness« müsste zunächst fallen, »bevor eine Festung Europa erreicht werden kann«, Maßnahmen wie »Grenzschließung oder Remigration verwirklicht werden« könnten, müssten sie »in der öffentlichen Meinung auf breite Akzeptanz stoßen«. Fast nebenbei erwähnt er so zentrale Ziele der IB. Alle Bereiche des »menschlichen Handelns« seien folglich »politische Aktionsfelder«. Die konkreten Ziele wären jetzt: Schaffung von »alltägliche(n) Kultur-, Sozial- und Freizeitangebot(en) von rechts«, schreibt Müller, der in Halle maßgeblich das Hausprojekt der IB mitgestaltete.

Die Besetzung

Bei strahlendem Sonnenschein wehte am 27. August 2016 über dem Brandenburger Tor das gelbschwarze Zeichen der Identitären. Zudem hatten rund 15 IB-Vertreter ein große Transparent angebracht: »Sichere Grenzen – Sichere Zukunft«. Der Clou war geglückt, in Echtzeit berichteten ausgiebig Nachrichtensender und später Printmedien. Die Öffentlichkeitsarbeit gelang – die Aktionsgruppe hatte ein Bild geschaffen. Ihre Idee war indes nicht neu. Bereits Greenpeace nutzte den symbolischen Ort mit medialer Resonanzchance für Aktionen. Neu war, dass eine rechtsextreme Gruppierung mit neurechtem Habitus sehr erfolgreich eine politische Aktionsform der sozialen Bewegungen adaptierte. Bis zu diesem Tag erschien Vielen in Politik und Medien das neurechte Spektrum von der Wochenzeitung Junge Freiheit, der Bibliothek des Konservatismus über das Institut für Staatspolitik (IfS) und den Verlag Antaios bis hin zu den Zeitschriften Sezession und Blaue Narzisse als elitär esoterischer Debatierzirkel von überwiegend gediegenen Herren mit akademischen Abschlüssen.

Schon vor acht Jahren wies Helmut Kellershohn vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung auf eine »rechte Diskurspiraterie« hin. In dem von Martin Dietzsch, Regina Wamper und ihm herausgegebenen Sammelband mit ebenjenem Titel resümieren sie 2010, dass »ein verstärktes Bemühen auf Seiten der extremen Rechten zu beobachten« sei, »Themen, politische Strategien, Aktionsformen und ästhetische Ausdrucksmittel linker Bewegungen zu adaptieren und für ihren Kampf um die kulturelle Hegemonie zu nutzen«. Sellner verschweigt diese Adaptionen nicht. In Identitär! Geschichte eines Aufbruchs schreibt er 2017, im Rückgriff auf den linken Theoretiker Guy Debord aus Frankreich, dass in der »Gesellschaft des Spektakels« das real Erlebte immer mehr durch die mediale Spiegelung die wirkliche Wahrheit ersetzt. Kurz: ein Bild – eine Wirklichkeit, ein Spektakel – eine Reaktion. Götz Kubitschek, der das IfS maßgeblich mitgründete und vorantrieb, und auf den sich Sellner bezieht, schreibt in seinem Buch Provokation von 2007: »Denn daran muß sich der Provokateur messen lassen: Was nicht in den Medien war, ist aus der Welt, hat nicht stattgefunden, nicht verfangen. Für die stille Bildungsarbeit mögen andere Gesetze gelten«. So gab auch eine Provokation der Jugendorganisation des »Bloc Identitaire«, der »Géneration Identiär« (GI) in Frankreich den Kick-off für die Identitäre Bewegung in Österreich und Deutschland.

Die Bilder wirkten. Am 20. Oktober 2012 stellten sich etwa 60 Aktivisten der GI in Poitiers auf das Dach einer im Bau befindlichen Moschee. Am Dachfirst befestigten sie Transparente mit dem Symbol der Identitären und der Zahl 732. Im Jahr 732 stoppte eine Armee unter dem Kommando von Karl Martell zwischen Poitiers und Tours die aus Spanien vordringenden Mauren, angeführt von Abd ar-Rahman. Diese »heldenhafte Schlacht«, betonen die Identitären, habe ihr Land »vor der muselmanischen Invasion gerettet«. Der symbolische Slogan »Reconquista« der GI wurde zum realen Akt. Der Begriff selbst bezieht sich auf die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den muslimischen Eroberern im frühen Mittelalter. In Wien sah Sellner die Aufnahmen. Auf diesen »Startschuss« für eine »neue Bewegung« hätten sie gewartet, schreibt er in Identitär! Das Bild der Aktion sollte bald zu einer »Ikone des patriotischen Protests« werden, mit dem griechischen Buchstaben Lamdba wäre zudem sogleich »das Logo« gefunden gewesen, hebt er hervor.

Durch die Aktion fand ein bereits stark beachtetes Video der GI noch größere Resonanz: Die »Déclaration de guerre«, die politische Kriegserklärung an die herrschende Politik, die die GI am 9. Oktober 2012 ins Netz stellte. In 2:33 Minuten werden dort die politischen Ansichten komprimiert dargestellt. Direkt in die Kamera schauend, erklären verschiedene Jugendliche, männliche und weibliche: »Wir sind die Bewegung, deren Generation doppelt bestraft ist: Verurteilt, in ein Sozialsystem einzuzahlen, das durch Zuwanderung so instabil wird, dass für uns und unsere Kinder nichts mehr übrig bleib. / Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Traditionen, Werten, Familie und Erziehung. Aber sie befreiten sich nur von ihrer Verantwortung / Wir glauben nicht mehr daran, dass ›Mehmet‹ jemals unser Bruder wird; wir haben aufgehört, an ein ›globales Dorf‹ zu glauben und daran, dass die ›Menschheit‹ eine Familie ist. / Unser einziges Erbe ist unser Land, unser Blut, unsere Identität. Wir sind die Erben unseres Schicksals.« Binnen einer Woche erreichte das schwarz-weiße Video über 60.000 Klicks. Schnell war die visualisierte Botschaft in zwölf Sprachen übersetzt.

Auf Deutsch konnte die »Kriegserklärung« zusätzlich online gelesen werden: »Wir sind die Bewegung, die auf unsere Identität, unser Erbe, unser Volk und unsere Heimat schaut und erhobenen Hauptes dem Sonnenaufgang entgegengeht. Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kampfansage an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid das Gestern, wir sind das Morgen!«

Der Identitären Bewegung haftet europaweit das Image an, ein ideologisch moderat-modernes Profil zu haben. Aber Blut und Boden bilden den Bodensatz dieser Bewegung. In Deutschland unterstützt von Anbeginn Kubitschek die Identitären. Dieser sei zeitweise »der einzige« gewesen, »der innerhalb Deutschlands Kontakte erneuern und neben dem rein Virtuellen eine handfeste Kartei mit Telefonnummern, Klarnamen und Werdegängen stellen konnte«, so Sellner. Und: Nur mit einen »Kompaß wie Kubitschek« gelänge der Aufbau der IB.

Der historische Ideologiekanon der Neuen Rechten ist die Konservative Revolution. Die antiliberalen und antiegalitären Positionen von Ernst Jünger, Arthur Moeller van der Bruck, Oswald Spengler oder Carl Schmitt aus und vor der Weimarer Zeit geistern durch ihre Publizistik und Seminare. Sellner und Müller greifen gerne auf deren antimodernen Sound und heroischen Ton zurück. In Kubitscheks Verlag Antaios findet sich ein entsprechendes Angebot. Kubitschek hatte zuvor Standardwerke der Identitären aus Frankreich in deutscher Übersetzung verlegt wie die Werke von Renaud Camus Revolte gegen den großem Austausch und Jean Raspail Das Heerlager der Heiligen. Mit »dieser Verquickung ökonomischer und politischer Interessen wurde Kubitschek zum Bewegungsunternehmer der Identitären«, meint Volker Weiß 2017 in seinem Buch Die autoritäre Revolte. Aktuell ergänzen drei weitere weit rechte Publizisten aus Frankreich den historischen Literaturrahmen, die das ideologische Fundament der Identitären mit legten, wobei die Verteidigung der eigenen, also der jeweils nationalen europäischen Identität im Mittelpunkt des Denkens steht, wie Weiß herausarbeitet. So adressierte Guillaume Faye sein 2006 erschienenes Werk Wofür wir kämpfen. Manifest des europäischen Widerstandes direkt an die »identitäre Bewegung Europas«.

Faye hob zugleich die Ethnizität hervor. Der Ethnozentrismus sei der Garant, dass die eigene ethnische Identität bewahrt werden könnte. 2000 macht er in La Colonisation de L’Europe einen neuen Feind aus: den Islam. Durch die anhaltende Landgewinnung durch Einwanderer sei eine Integration oder Assimilation kaum noch gegeben. Allein die »Reconquista«, die Rückeroberung der eigenen Heimat von sogenannten kulturfremden Einwanderern, und deren Remigration, die Rückführung in ihre eigene Heimat, sei die Lösung. 2011 wetterte er in Sexe et Dévoiement gegen Homosexualität und Gendermainstreaming.

Dominique Venner schlug schließlich vor, die Identität nicht bloß regional und national, sondern auch europäisch zu denken. Er wurde damit zu einer Art Vorbild der heutigen Identitären. Am 21. Mai 2013 erschoss er sich vor dem Altar in der Kathedrale Notre-Dame de Paris. Damit wollte der 78-Jährige nicht nur ein Fanal gegen die Ehe für alle setzen, denn dieses Gesetz war für ihn eine weitere Zerstörung der europäischen Kultur. Der Historiker und Essayist wollte auch die »Jugend wachrütteln, um eine europäische Renaissance zu beschleunigen«, wie es bei Müller heißt. Im Jungeuropa Verlag von Philip Stein – ein enger Mitstreiter von Kubitscheck und Sellner – erschien 2017 in deutscher Übersetzung Venners Für eine positive Kritik. In dem Text von 2013 heißt es: »Basierend auf einer heroischen Lebensauffassung ist der Nationalismus eine Rückkehr zu den Wurzeln der Volksgemeinschaft«. Die Relevanz der Identität bei den Identitären offenbart schon ihre Selbstbezeichnung, ihre Literatur verdichtet ihr Verständnis von Identität. Der Input aus Frankreich ist groß.

Schon 2003 gründete Fabrice Robert den »Bloc Indentitaire«. In der Jungen Freiheit grenzte er am 1. März 2013 das Identitätsverständnis der Gruppierung klar ein: »Wir verteidigen (…) eine ethno-kulturelle Vision einer Identität, die in vollständigem Gegensatz zur sogenannten ›republikanischen‹ Konzeption der französischen Identität steht«. Ein Maghrebiner, der in Frankreich lebt, die französische Sprache spricht und die Gesetze im Land respektieren würde, könne niemals zum Franzosen werden, sagt Robert in dem Interview, »da diesem Maghrebiner immer noch zwei von drei Bausteinen unserer Identität fehlen, nämlich die körperlich-generative und die zivilisatorische: Er wird niemals Elsässer oder Bretone oder Korse usw., geschweige denn Europäer«. Der frühere Stadtrat des Front National grenzt sich bewusst vom Standpunkt seiner einstigen Partei ab, diese würde die »Identität mit der Akzeptanz der ›republikanischen Werte‹« verbinden. Er wird dennoch nicht müde, wie Sellner und Müller, zu erklären, dass ihr Motto »100 % Identität, 0 % Rassismus« keine rassistischen Ressentiments beinhalte.

»Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass wir ohne ›Feuerschutz‹ aus Frankreich, diesen bildlichen und aktivistischen Impuls, den Sprung vorwärts nicht geschafft hätten«, schreibt Sellner in Identitär! In Deutschland und Österreich sind die Identitären eng mit dem Netzwerk um Kubitschek verwoben. Am 26. Juli scheiterte vor dem Landgericht Graz die Anklage gegen Sellner und 15 Mitangeklagte sowie einer Angeklagten wegen Verhetzung sowie Bildung einer kriminellen Vereinigung. Nach einer Razzia starteten die »Ein Prozent für unser Land«-Solidaritätsaktivitäten. Den Verein um Stein, der rund 44.000 Unterstützer haben will, hatte Kubitschek mit initiiert. Die Identitären besuchen die Sommer- und Winterakademien des IfS in Schnellroda. Sie selbst sind die Pressure-Group der Neuen Rechten auf der Straße.

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