Menü

Rassismus nach Trump

»Black Lives Matter« wurde in diesem Jahr in den USA zu einer der größten Bewegungen aller Zeiten. Neben einigen Ausschreitungen demonstrierten Millionen von Menschen friedlich für ein Ende von Rassismus und Gewalt gegen Schwarze. Zahlreiche Firmen bekundeten ihre Solidarität. Statuen von Sklavenhändlern und Kolonialherren wurden niedergerissen. Doch der strukturelle Rassismus im Land ist damit noch lange nicht abgeschafft. Zwar war das Thema bei den Demokraten fester Bestandteil des Wahlkampfes. Aber wird die Regierung unter Joe Biden das Problem konsequent angehen?

Nach Monaten einer durch COVID-19 veränderten Welt passierte im Frühsommer 2020 noch etwas, das niemand geahnt hätte. Die Black-Lives-Matter-Bewegung, die sich schon seit Jahren für den Schutz schwarzer Menschen einsetzt, fand plötzlich massenhafte Unterstützung auch in der weißen Bevölkerung. Wachgerüttelt durch die unerträglichen Bilder von der Ermordung George Floyds durch die Polizei gingen in New York, Los Angeles, Paris, Berlin und vielen anderen Städten jeweils Zehntausende Menschen auf die Straße. Zahlreiche Organisationen (darunter die Sportligen NBA und NFL) und Unternehmen wie Microsoft oder Airbnb zeigten sich solidarisch. Im McCarren Park in Brooklyn versammeln sich Aktivisten, Anwohner und Gastredner seit Monaten jeden Abend, um ihrer Forderung Ausdruck zu verleihen, dass es so nicht weitergehen kann.

Der Rassismus – den es in jeweils eigener Ausprägung in vielen Ländern gibt, auch in Deutschland – hat in den USA ein beispielloses Ausmaß. 155 Jahre nach dem zumindest offiziellen Ende der Sklaverei und 55 Jahre nach dem Ende der gesetzlichen Rassentrennung sitzt der Rassismus noch immer tief in der Gesellschaft und den Institutionen. Die Benachteiligung von schwarzen Amerikanern zeigt sich unter anderem in der Arbeitslosenstatistik, bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, im Bildungssystem, beim Besitz von Eigentumswohnungen und Häusern, im Gesundheitssystem und, besonders tragisch, bei der Konfrontation mit Polizeigewalt und in den Belegungen der Gefängnisse. Laut einem Bericht des Magazins Business Insider verdienten schwarze Arbeitnehmer im Jahr 2018 durchschnittlich nur 62 % dessen, was weiße bekamen. Schulen in mehrheitlich nicht-weißen Bezirken bekamen rund 23 Milliarden Dollar weniger Mittel als die anderen, bei einer ungefähr gleichen Anzahl an Schülern. Schwarze Menschen machen in den USA etwa 13 % der Bevölkerung aus, weiße 73 % – und trotzdem sitzen mit knapp einer Million Menschen mehr Schwarze in den Gefängnissen als Weiße. Ein großer Teil von ihnen wegen Drogenbesitzes oder, weil sie geringe Geldstrafen nicht zahlen können. Viele sehen in dieser Masseninhaftierung eine neue Form der Sklaverei. Außerdem werden im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil Schwarze mehr als doppelt so oft von der Polizei getötet als Weiße. Oft, obwohl sie unbewaffnet sind. Oft völlig grundlos. Schwarze Eltern leben deshalb mit der ständigen Angst, dass ihre Kinder dieser Wirklichkeit zum Opfer fallen könnten. Hinzu kommen andere Seiten des Rassismus, die nicht in den Statistiken auftauchen, zum Beispiel eine schlechtere Behandlung bei Arztbesuchen, von der viele berichten.

Die heutige strukturelle Benachteiligung schwarzer Amerikaner ist die Fortsetzung einer seit jeher rassistischen Geschichte. Den befreiten Sklaven wurde zunächst Land versprochen, dann aber doch nicht gegeben. Später kam die Rassentrennung, die unter dem Motto »getrennt aber gleich« lief, Weiße aber in jeder Hinsicht bevorzugte. Ab den 30er Jahrten wurde eine Praxis namens redlining angewandt: Bestimmte Wohnviertel wurden auf Stadtplänen rot eingerahmt und dann systematisch benachteiligt, etwa, indem Hypotheken in diesen Vierteln nicht staatlich abgesichert wurden. Dann kam Präsident Richard Nixons »War on Drugs«, der durch die Ahndung von Drogenkonsum in kurzer Zeit zwei Millionen Menschen, zwei Drittel davon People of Color, ins Gefängnis brachte. Solche systematisch rassistischen Praktiken wirken sich bis heute auf die betroffenen Familien und Nachbarschaften aus.

Die Amtszeit Donald Trumps hat den Rassismus im Land sichtbarer gemacht. Die rassistischen Äußerungen und Entscheidungen des Präsidenten sind weithin bekannt. Dieses Jahr rühmte er sich immer wieder damit, dass die Arbeitslosenzahlen unter Schwarzen vor der Pandemie so niedrig waren wie noch nie. Diese Entwicklung ist aber eher seinem Vorgänger Barack Obama zuzuschreiben. Während dessen Regierungszeit sank die Quote von 16,8 auf 7,5 %, unter Trump dann auf 5,1 %. Von einer aktuellen Initiative namens »Opportunity Zones«, die über Steuervorteile Investitionen in ärmeren Nachbarschaften fördert, profitieren laut New York Times vor allem die Investoren selbst. Trumps Äußerungen und Politik haben das Land weiter gespalten und zu mehr Gewaltbereitschaft geführt. Joe Biden hingegen sagt, er wolle vereinen und Werte wie Anstand zurück ins Weiße Haus bringen.

In Biden beziehungsweise den Demokraten die guten Antirassisten zu sehen, wäre aber vermessen. Rassismus ist nicht immer eine bewusste Gesinnung. Viel öfter sind Äußerungen und Handlungen rassistisch, ohne dass es bewusst oder gewollt ist. Der weiße Musiker David Byrne formulierte es so: »Ich möchte vielleicht nicht rassistisch sein, aber wenn ich in einem Land lebe, wo es strukturellen Rassismus gibt, dann ist er in mir drin, ob ich will oder nicht. Es ist eine meiner Lebensaufgaben, ihn loszuwerden. Er ist wie ein Gift, das wir alle intus haben.« Auch Joe Biden hat sich immer wieder rassistisch geäußert. Zum Beispiel bezeichnete er Obama 2007 als den »ersten redegewandten, schlauen und sauberen Mainstream-Afroamerikaner«. Der Satz war als Kompliment gemeint, ist aber natürlich rassistisch. Im Jahr 1994 wirkte Biden maßgeblich an einem Kriminalitätsgesetz mit, das er später als Fehler bezeichnete. Es führte zu einer erneuten vermehrten Inhaftierung von Minderheiten – und steuerte somit zum strukturellen Rassismus bei. Gewollt? Wohl kaum, aber man nahm diese Konsequenz in Kauf. Selbst wenn Biden keine Ahnung von dieser Konsequenz gehabt hätte, wäre das Gesetz in seiner Wirkung trotzdem rassistisch. Mit anderen Worten, ob Rassismus vorsätzlich ist oder nicht, ändert für die Menschen, die darunter leiden, wenig.

Bidens Rassismusverständnis scheint vor diesem Hintergrund recht naiv. Im Juli dieses Jahres bezeichnete er Trump als den »ersten« rassistischen US-Präsidenten – ungeachtet dessen, dass mindestens zwölf Präsidenten Sklaven hielten, oder dass von Ronald Reagan und Richard Nixon Tonaufnahmen mit unverhohlen rassistischen Bemerkungen existieren. In der Radiosendung The Breakfast Club sagte Biden, »Wenn du Probleme dabei hast, zu entscheiden, ob du für mich oder Trump bist, dann bist du nicht schwarz.« So ein Satz ist bezeichnend dafür, wie wenig viele Liberale verstehen, dass auch sie – bewusst oder unbewusst – rassistisch handeln, zum Beispiel indem sie von der Benachteiligung anderer profitieren und nichts daran ändern. Selbst jemand, der direkt an der Seite eines schwarzen Präsidenten arbeitete, ist also längst nicht automatisch ausreichend für das Thema Rassismus sensibilisiert. Es ist ein langer Lernprozess für jeden, der nicht selbst darunter leidet. Die Angehörigen ethnischer Minderheiten hingegen sind durch ihre tagtäglichen Erfahrungen zwangsweise sensibilisiert. Entsprechend bedeutend ist deshalb, dass Biden mit Kamala Harris eine nicht-weiße Vizepräsidentin haben wird, die das Trauma und die Lebenswirklichkeit der Betroffenen kennt.

Wie will Biden den strukturellen Rassismus nun konkret angehen? Sein 26 Seiten umfassender Plan zur Förderung von racial equity (Rassengleichheit) sieht vor, Kleinunternehmer in Gemeinden von Minderheiten zu unterstützen und Gründern of Color besseren Zugang zu Ressourcen zu verschaffen. Das bereits genannte »Opportunity Zones«-Investitionsprogramm für ärmere Nachbarschaften soll reformiert werden. Daneben sollen günstiges Wohnen und der Weg zum Hausbesitz gefördert werden – durch den Bau von Sozialwohnungen und Steuervorteile für alle, die erstmals ein Haus kaufen. Regelungen, die im Wohnungswesen für Diskriminierung sorgen, sollen abgeschafft werden. Für Familien mit einem Einkommen unter 125.000 US-Dollar sollen Studiengebühren entfallen, bei der Rückzahlung von Studienkrediten soll geholfen werden. Schätzungen zufolge begünstigen diese Maßnahmen etwa 90 % aller Schwarzen, Latino- und Native American-Haushalte. Biden appellierte zudem an die US-Notenbank, den Unterschieden durch eine Senkung des Zinssatzes entgegenzuwirken und Kredite damit günstiger zu machen. Das soll mehr Menschen ermöglichen, ein Haus oder Auto zu kaufen oder ein Unternehmen zu gründen.

Wie sieht es mit der Reform des Strafjustizsystems aus? Trump hat 2018 den überparteilich im Kongress unterstützten »First Step Act« unterzeichnet. Dadurch wurden die Haftstrafen einiger Häftlinge verkürzt. Eines der größten Probleme am amerikanischen Justizsystem ist aber die Tatsache, dass aus der Inhaftierung von Menschen Profit geschlagen wird. So haben die meisten privaten Gefängnisse Verträge mit dem jeweiligen Bundesstaat, die ihnen Mindestauslastungen garantieren. Wer wegen geringer Verstöße auf einen Gerichtstermin wartet, muss die Wartezeit im örtlichen Gefängnis absitzen oder eine Kaution zahlen. Viele können sich die Kaution nicht leisten und müssen stattdessen eine Bürgschaft von privaten Anbietern kaufen. Daneben wird mit überteuerten Gebühren für Telefongespräche aus dem Gefängnis Profit gemacht. Biden hat vor, all das abzuschaffen.

Das Problem der Polizeigewalt wie etwa beim Mord an George Floyd will Joe Biden zunächst mit einem landesweiten Verbot von Würgegriffen angehen. Daneben will er eine nationale Polizeiaufsichtskommission schaffen und landesweit geltende Regeln zur Gewaltanwendung der Polizei einführen. Die örtlichen Polizeibehörden sollen mehr Daten sammeln und sein Justizministerium soll mehr Möglichkeiten bekommen, in den Behörden zu ermitteln. Zugleich will er verstärkt in einen existierenden Fördertopf für Polizeipersonal, Training und Ressourcen investieren, der voraussetzt, dass die geförderte Behörde die ethnische Vielfalt der Gemeinde widerspiegelt.

Diese Maßnahmen gehen den Aktivisten innerhalb der Black-Lives-Matter-Bewegung längst nicht weit genug. Sie sind für eine konsequente Umverteilung der Gelder, weg von den Polizeibehörden hin zu schwarzen Gemeinden, bezahlbarem Wohnraum, Bildung und Jugendförderung. Diese Forderungen spiegeln sich in etwa auch in den Vorschlägen wider, welche die Biden-Sanders »Unity Task Force« erarbeitet hat. Sie wurde im Sommer gebildet, weil Biden die Unterstützung der progressiven Wähler brauchte. Der Einfluss progressiver Demokraten wie Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez oder Marianne Williamson wird beim Abbau des strukturellen Rassismus wichtig sein. Williamson war die einzige Präsidentschaftskandidatin, die sich konkret für Reparationszahlungen an die schwarze Bevölkerung aussprach. Auch Kamala Harris ist progressiver eingestellt als Biden und könnte deshalb ein wichtiges Bindeglied sein. Für viele ist sie der eigentliche Hoffnungsträger. Sie setzt sich beispielsweise dafür ein, dass bei der Erhebung von Daten durch die Regierung die ethnische Zugehörigkeit miterfasst wird. So können Benachteiligungen deutlicher herausgestellt werden. In Sachen Strafrechtsreform wird auch viel davon abhängen, wie die Gerichtsprozesse in den Fällen George Floyd und Breonna Taylor, die von Polizisten im Schlaf erschossen wurde, ausgehen werden.

Selbst wenn Biden seinen Plan umsetzt – den Rassismus aus den Strukturen herauszubekommen wird noch lange dauern und konsequente Anstrengungen erfordern. Biden hat angesichts der Pandemie und der Spaltung des Landes ohnehin alle Hände voll zu tun. Die Größe der Black-Lives-Matter-Bewegung gibt aber Hoffnung, dass das Thema Rassismus auf der politischen Agenda bleibt. Entscheidend ist, dass mehr People of Color wichtige Positionen einnehmen und progressive Demokraten an Einfluss gewinnen. Hier kann Biden durch die Besetzung von Posten, etwa in den Ministerien einen wichtigen Beitrag leisten. Daneben wird es auf die Lobbyarbeit und Ausdauer von Bürgerrechtsaktivisten ankommen. Je größer dabei die Beteiligung der weißen Bevölkerung ist, desto besser stehen die Chancen auf Veränderung.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben