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Solidarisches Grundeinkommen – eine gute Alternative zu Hartz IV Recht auf Arbeit

Im November 2017 hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, in seiner Funktion als Bundesratspräsident ein »Solidarisches Grundeinkommen« (Soli-G) ins Spiel gebracht. Seitdem wurde das Konzept weiterentwickelt und konkretisiert. Müllers Vorschlag hat die Debatte um Alternativen zu Hartz IV deutlich beflügelt – und das ist auch sehr gut so.

Die Grundidee und die Ziele des Vorschlags sind ausgesprochen begrüßenswert. Anders als der Begriff »Solidarisches Grundeinkommen« zunächst vermuten lässt, handelt es sich dabei um ein ambitioniertes Programm öffentlich geförderter Beschäftigung. Nach dem Motto »Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren« sollen insbesondere bei Kommunen und kommunalen Tochterunternehmen Arbeitsplätze für Menschen geschaffen werden, die ein Jahr und länger arbeitslos sind. Soli-G bezeichnet das Arbeitsentgelt der neu geschaffenen Arbeitsplätze – oder genauer gesagt: die Lohnkostenzuschüsse an öffentliche Arbeitgeber. Das Soli-G ist als »Globalalternative« zu Hartz IV gedacht: Nur durch eine neue soziale Agenda werde es gelingen, »auf die Herausforderung der Digitalisierung der Arbeitswelt zu reagieren. Herzstück müsste dabei die Ergänzung, im besten Fall die Abschaffung, von Hartz IV zugunsten eines neuen Systems sein, um Langzeitarbeitslosen wieder eine Chance zu geben. Wir brauchen jetzt ein neues Recht auf Arbeit«, so Müller.

Die öffentlich geförderte Beschäftigung soll in Form regulärer, voll sozialversicherungspflichtiger und unbefristeter Arbeitsverhältnisse erfolgen und die Teilnahme freiwillig sein. Allerdings ist vorgesehen, die Arbeitsplätze nur mit dem Mindestlohn zu vergüten, was kritisch zu diskutieren ist (siehe unten). Mit dem Soli-G sollen vor Ort in den Kommunen für die Bürgerinnen und Bürger erlebbare Gebrauchswerte geschaffen werden. Nach einer Weiterentwicklung des Konzepts stehen mittlerweile Langzeitarbeitslose im Fokus, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG I) ausläuft und denen ein Absturz ins Hartz-IV-System droht. ALG I wird in der Regel für maximal ein Jahr gezahlt, für Arbeitslose ab 50 Jahren altersabhängig gestaffelt bis zu zwei Jahre. Nicht ausschließlich, aber insbesondere diese Personen, deren Arbeitslosengeldanspruch ausläuft, sollen ein Recht auf Arbeit erhalten. Ihnen soll ein öffentlich geförderter Arbeitsplatz angeboten werden und damit ein Abstieg auf Sozialhilfeniveau vermieden werden.

Ein engagiertes Aktionsprogramm zur präventiven Vermeidung und zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit ist dringend notwendig. Denn die quantitativ betrachtet günstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit weiterhin ein ungelöstes Problem darstellt. Zwar sinkt die Zahl sowohl der Arbeitslosen insgesamt als auch die der Langzeitarbeitslosen. Letzteres hat aber ausschließlich den Grund, dass weniger Arbeitslose so lange arbeitslos bleiben, dass die Zwölf-Monats-Grenze überschritten wird und sie zu neuen Langzeitarbeitslosen werden. Zusammen mit »natürlichen«, arbeitsmarktunabhängigen Abgängen aus der Langzeitarbeitslosigkeit, wie etwa Wechsel in die Altersrente, sinkt der Bestand an Langzeitarbeitslosen deshalb. Für diejenigen, die jedoch bereits langzeitarbeitslos sind, haben sich die Chancen auf einen Arbeitsplatz keineswegs verbessert. Im Zeitraum November 2017 bis Oktober 2018 konnten nur noch 149.021 Langzeitarbeitslose eine Arbeit aufnehmen. Das sind 14.585 oder 8,9 % weniger als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.

Michael Müllers Konzept eines Soli-G ist auch den Plänen der Bundesregierung für einen sozialen Arbeitsmarkt überlegen, mit dem Arbeitsplätze für bis zu 150.000 Langzeitarbeitslose mittels Lohnkostenzuschüssen an Arbeitgeber geschaffen werden sollen. Denn nach dem vorliegenden Teilhabechancengesetz ist die Teilnahme nicht freiwillig, sondern es gelten die völlig überzogenen, existenzbedrohenden Sanktionen des Hartz-IV-Systems. Während im sozialen Arbeitsmarkt alle Arbeitgeber einschließlich der privaten, gewinnorientierten Unternehmen Zuschüsse erhalten sollen, konzentriert sich das Soli-G richtigerweise auf kommunale und gemeinwohlorientierte Tätigkeiten: Wenn mit erheblichen Steuermitteln Arbeitsplätze geschaffen werden, dann sollten die Ergebnisse auch der Allgemeinheit zugutekommen und nicht als privater Mehrwert angeeignet werden können.

Eher Debatte als fertiges Konzept

Erklärtermaßen sollte und soll mit dem Soli-G kein fertiges Konzept präsentiert, sondern eine Debatte ausgelöst werden. Die Berliner Senatsverwaltung sucht auch aktiv den Dialog mit gesellschaftlichen Akteur/innen, insbesondere mit den Gewerkschaften. Aus gewerkschaftlicher Sicht hat die bisher angedachte Umsetzung des Soli-G noch vier – teils erhebliche – Schwachstellen, die in der weiteren Diskussion überwunden werden sollten:

Recht auf Arbeit und Weiterbildung! Politische Forderungen müssen prägnant und zugespitzt vorgetragen werden, wenn sie Gehör finden wollen. Insofern ist die Zuspitzung auf ein »Recht auf Arbeit« verständlich, sie greift aber inhaltlich zu kurz. Bleiben wir bei der Hauptzielgruppe des Soli-G, den Arbeitslosen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld bald ausläuft: Ihnen sollte ein sozialstaatliches Auffangversprechen gegeben werden, nicht ins Hartz-IV-System wechseln zu müssen. Für einen Teil der Arbeitslosen wird ein Soli-G-Arbeitsplatz das passende Angebot sein, für andere wird aber eine Qualifizierungsmaßnahme viel sinnvoller sein. Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes sollte berufliche Weiterbildung, insbesondere solche Maßnahmen, mit denen ein Berufsabschluss nachgeholt werden kann, bei Interesse der Arbeitslosen immer Vorrang vor öffentlich geförderter Beschäftigung haben.

Tariflohn statt Mindestlohn! Öffentlich geförderte Arbeitsplätze sollten tariflich entlohnt und nicht nur nach Mindestlohn bezahlt werden. Denn die Orientierung am Mindestlohn bringt Nachteile. Aus der Begleitforschung zu bestehenden Sonderprogrammen des Bundes und der Länder wissen wir, dass geförderte Beschäftigte ihre Arbeit insbesondere dann als positiv erleben, wenn sie etwas Sinnvolles tun, es sich um einen vollwertigen Arbeitsplatz handelt und wenn mit dem Verdienst der Hartz-IV-Bezug überwunden werden kann. Nur dann wird das Versprechen, eine Alternative zu Hartz IV zu sein, tatsächlich eingelöst. Zwar führt eine Vollzeitarbeit mit Mindestlohn bei Alleinstehenden zu einem verfügbaren Einkommen, das deutlich über den Hartz-IV-Leistungen liegt, die Arbeitslose erhalten. Da erwerbstätigen Hartz-IV-Beziehern jedoch ein Freibetrag in Höhe von bis zu 330 Euro zusteht und Erwerbseinkommen somit nur teilweise angerechnet wird, besteht in 19 der 20 größten deutschen Städte bei Mindestlohnbeschäftigung trotzdem noch ein Anspruch auf aufstockende Hartz-IV-Leistungen. Mittlerweile teilt die Senatsverwaltung Berlin den gewerkschaftlichen Standpunkt, die Entlohnung so hoch anzusetzen, dass kein ergänzender Hartz-IV-Anspruch mehr besteht. Beim angestrebten Modellversuch in Berlin lässt sich das Problem lösen, indem der Berliner Mindestlohn (den Arbeitgeber bei der Erledigung öffentlicher Aufträge entsprechend Vergaberecht zahlen müssen), angewendet wird. Dieser liegt zurzeit bei 9,01 Euro pro Stunde. Diskutiert wird eine Anhebung auf 10,20 Euro (Forderung der Wirtschaftssenatorin) und bis 12,63 Euro (Vorschlag der Arbeitsverwaltung). Bei Einführung eines Soli-G auf Bundesebene bliebe das Problem, dass der Mindestlohn vielfach nicht ausreicht, um unabhängig von Hartz IV leben zu können.

Hinzu kommt, dass Kommunen und kommunale Tochterunternehmen, die beim Soli-G als Einsatzstellen gewonnen werden sollen, in der Regel tarifgebunden sind und Tariflohn zahlen müssen. Der Widerspruch zwischen gegebener Tarifbindung und Mindestlohnbezahlung beim Soli-G lässt sich theoretisch in zweifacher Weise »auflösen«. Die kommunalen Arbeitgeber erhalten einen Lohnkostenzuschuss in Höhe des Mindestlohns und müssen die Lohnlücke aus Eigenmitteln bestreiten. Diese Variante wird aber viele potenzielle Einsatzstellen abschrecken, insbesondere in Tätigkeitsbereichen, in denen sich keine oder kaum Erlöse erwirtschaften lassen. Oder aber: Die Soli-G-Arbeitsplätze werden, so wie dies früher auch bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen praktiziert wurde, von den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ausgenommen. Dies ist aber aus gewerkschaftlicher Sicht abzulehnen, weil es die Belegschaften spaltet und Arbeitsplätze erster, zweiter und dritter Klasse schafft. Notwendig ist demnach eine Lösung innerhalb des Tarifsystems. Erfreulicherweise wird es dazu Gespräche zwischen der Senatsverwaltung und den Berliner Gewerkschaften geben, sodass die Tür für eine tarifliche Lösung offen ist.

Substitutions- und Verdrängungseffekte vermeiden. Erklärtes Ziel des Soli-G ist es, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und bestehende Arbeitsverhältnisse nicht zu gefährden. Diese richtigen Ziele müssen noch mit konkreten Schutzmechanismen unterlegt werden. Es bietet sich eine doppelte Sicherungslinie an: Fördervoraussetzung für die Einrichtung von Soli-G-Arbeitsplätzen sollte sein, dass die Einsatzstellen neue Dienstleistungen anbieten oder bestehende Angebote ausweiten. Wenn beispielsweise die Stadtreinigung die Taktung der Reinigungseinsätze verdichtet oder wenn ein kommunaler Verkehrsbetrieb erstmals ÖPNV-Begleiter/innen für die mobilitätseingeschränkte Kundschaft anbietet, dann ist sichergestellt, dass das Arbeitsvolumen ausgeweitet wird und neue Beschäftigung entsteht.

Zudem ist darauf zu achten, dass Soli-G-Beschäftigung nicht zum »billigen Ersatz« für einen ohnehin notwendigen Zuwachs qualifizierter Beschäftigung im regulären öffentlichen Dienst wird. Dies kann durch Mitsprache- und Beteiligungsrechte der Tarifpartner vor Ort sichergestellt werden, indem diese im Konsens die Unbedenklichkeit eines Einsatzfeldes bescheinigen.

Versprechen einlösen, Ziele und Wirkungen in Einklang bringen. Da das Soli-G als Alternative zu Hartz IV mit dem Markenkern eines Rechts auf Arbeit präsentiert wird, kann daraus geschlossen werden, dass das Angebot für alle Arbeitslosen gelten soll, die am Erwerbsleben teilhaben wollen. Dann ist aber eine ambitionierte und beachtliche Zahl von geförderten Arbeitsplätzen notwendig. Es irritierte daher, als bei der vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchgeführten Kostenschätzung zum Soli-G »nur« von 150.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen ausgegangen wurde. Im Laufe eines Jahres läuft bei rund 370.000 Arbeitslosen der Anspruch auf Arbeitslosengeld aus – bevor ein neuer Arbeitsplatz gefunden werden konnte. Angenommen ein Drittel davon möchte lieber eine Weiterbildungsmaßnahme machen, ein Drittel steht kurz vor der Rente und für das letzte Drittel ist das Soli-G ein passendes Angebot, dann müssten deutlich über 100.000 Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden – und zwar Jahr für Jahr und nicht als Gesamtbestandszahl. Hinzukommen müssten noch Arbeitsangebote für Arbeitslose, die bereits im Hartz-IV-Bezug sind.

Nun ist es nicht kritikwürdig, große Ziele wie die Überwindung von Hartz IV oder die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit schrittweise anzugehen und das Soli-G zunächst nur einem Teil der Interessierten anbieten zu können. Nur muss dies klar kommuniziert werden, um nicht Erwartungen zu wecken, die enttäuscht werden müssen. Daher sollte beim Soli-G mehr Konsistenz zwischen den Zielsetzungen und dem Umfang der geförderten Arbeitsplätze hergestellt werden.

Wird das Soli-G entsprechend der hier skizzierten Vorschläge weiterentwickelt, dann kann es tatsächlich einen zentralen Beitrag leisten, um Perspektiven jenseits des Hartz-IV-Bezugs zu eröffnen. Ob der Name »Solidarisches Grundeinkommen« ein passender Begriff für ein Beschäftigungsprogramm ist, ist dabei völlig nebensächlich.

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