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Rechte Dominanz oder Hegemonie?

Droht angesichts der Erfolge rechtspopulistischer Parteien eine rechte Vorherrschaft in Europa? Die zunehmende Bereitschaft, die Verwandlung pluralistischer Demokratien in illiberale Staaten mit rechter Dominanz zuzulassen, wie in Ungarn, der Türkei oder Polen geschehen, sind gefährliche Zeichen. In manchen Milieus und Kontexten dominieren rechte Narrative die politische Alltagssprache. Doch stimmt deshalb auch die Warnung vor einer rechten Hegemonie? Steht ein »Kulturkampf von rechts« bevor, eine Anti-68er-Bewegung von rechts, welche die Gesellschaft umpflügt?

Es stimmt zunächst, dass es den Rechtspopulist/innen derzeit gelingt, die Agenda zu bestimmen – oft unter massiver Mithilfe konservativer Parteien wie der CSU, die nicht verstehen, dass ein »Schwenk nach rechts« nur die Gesellschaft insgesamt nach rechts verschiebt, weil die Wähler/innen meist weiterhin das Original wählen. Doch man muss genauer hinschauen: Welche Motive ziehen die Leute zu den rechtspopulistischen Parteien hin – und von den anderen Parteien weg?

Zum einen bekommen Rechtspopulist/innen – wenig überraschend – Zuspruch von Leuten mit rechten Einstellungen: extreme und radikale Rechte, mit völkischen, rassistischen und nationalistischen Positionen; aber auch von (Rechts-)Konservativen, die schon immer den Werteverfall und die »spätrömische Dekadenz« in Deutschland beklagten und für die sich die CDU mittlerweile zu sehr liberalisiert hat. Solche Einstellungen finden sich in allen sozialen Schichten sowie Bildungs- und Einkommensgruppen.

Ein zweites Motiv scheint ein konservativer Impuls struktur- und wertekonservativer Wähler/innen zu sein. Es besteht ein Unbehagen über aktuelle Veränderungen, und das, jedenfalls aus Sicht derer, die selten vom Wandel profitieren, auch zu Recht. Viele empfinden eine Erschütterung der Ordnung und Sicherheit. Man scheint in den letzten Jahren die Kontrolle verloren zu haben, und zwar nicht erst seit der Öffnung der Grenzen für Flüchtende im Sommer 2015. Banken- und Finanzkrise ab 2007, »Selbstbedienung« der Manager, islamistische Terroranschläge oder neoliberale Reformen – so lauten die Stichworte in diesem Zusammenhang. Zudem hat in Ostdeutschland faktisch jede/r Ältere einen massiven Umbruch der eigenen Biografie hinter sich.

Damit ist wiederum eine dritte Motivlage verbunden: die Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten. Zum einen mobilisiert diese untere Einkommens- und Bildungsschichten für die Rechtspopulist/innen. Die aktuelle Studie »Rückkehr zu den politisch Verlassenen« des Progressiven Zentrums hat herausgefunden, dass wenn negative Aspekte der eigenen Lebenswelt nicht zum Besseren geändert würden, »Forderungen nach einem neuen Politikstil und einem Politikwechsel« folgten, was »im Hinblick auf die Bevorzugung der Probleme ›Anderer‹ in einer ›Deutschland zuerst‹-Linie mündet«. Zum anderen mobilisiert dies Arbeitende und Angestellte. Laut der Untersuchungen von Joan C. Williams für die USA fühlt sich diese »Arbeiterklasse« nicht als »arm« sondern als (ökonomisch verunsicherte und bedrohte) Mittelschicht. Und dieses Gefühl ist auch im Osten der Bundesrepublik besonders stark ausgeprägt. Man selbst arbeitet nach eigener Einschätzung hart, zahlt sein Leben lang in die Renten- und Arbeitslosenversicherung ein, und landet dann doch in der Grundsicherung oder bei Hartz IV, genau wie jene, die wenig oder nie eingezahlt haben, wie Langzeitarbeitslose oder Geflüchtete.

Hier knüpft eine vierte Motivlage an: die Repräsentationskrise der Milieus mit niedrigen Bildungsabschlüssen. Die genannte Studie des Progressiven Zentrums zeigt auf, dass die Kritik an der Aufnahme von Migrant/innen »auf einer vergleichenden Abwertungslogik« beruht: »Menschen fühlen sich abgewertet, weil ihnen in ihrer Wahrnehmung Unterstützung vom Staat verweigert wird, Geflüchteten aber sehr wohl angeboten wird, weshalb sie als Reaktion darauf die Zugewanderten abwerten.« Donald Trump beispielsweise versucht, das für sich zu nutzen: »I love the poorly educated«.

Die Motive fünf und sechs ähneln sich: Zum einen wollten viele die Wahl nutzen, um den anderen Parteien »Dampf zu machen«. Zum anderen hatten sich aber Hass und Wut auf das System aufgebaut, teilweise verbunden mit Verschwörungstheorien. Dies wirkt noch stärker im Osten angesichts der nicht aufgearbeiteten und bis heute wirkenden Kränkungen und Ungerechtigkeiten der Nachwendezeit.

Gesellschaftliche Konfliktlinien

Die Dimension dieser sechs Motivlagen ergibt zusammen die Gefahr einer Hegemonie von rechts. Um dies zu verstehen, muss man auf die gesellschaftlichen Konfliktlinien blicken: Da ist jene zwischen wohlfahrtsstaatlicher Umverteilung auf der einen und einer marktwirtschaftlichen Orientierung auf der anderen Seite. Dann ist da noch die kulturelle Konfliktlinie mit dem Wertekonflikt zwischen autoritären oder kommunitaristischen und libertären oder kosmopolitischen Einstellungen.

Es ist zentral zu erkennen, dass sich die kulturelle Konfliktlinie als komplizierter darstellt, als lediglich die Frage zu beantworten, ob man für oder gegen Geflüchtete ist. Angehörige links-libertärer Milieus verfolgen meist eine »Politik für sich und die anderen«, wie der britische Journalist David Goodhart formulierte. Man setzt sich auch als »biodeutscher«, (potenziell) gut verdienender Hetero für Geflüchtete, Homosexuelle und Hartz-IV-Empfänger ein. Man will auch mal die »Welt retten«. »Gleichheit« ist hier ein wichtiger Wert. Man ist kosmopolitischer und internationalistischer. Angehörige autoritärer Milieus fordern hingegen eine »Politik für sich und die seinen oder die ihren«, als die eigene Gruppe, die man kennt, und zwar vor Ort: »Kümmert euch um unseren Stadtteil, bevor ihr euch um Plastikmüll im Pazifik kümmert« (was nicht bedeutet, dass ihnen dieser egal ist). Leistungsgerechtigkeit ist für sie zentral. Heimat, Nation und Religion sind ihnen wichtiger und es dominiert häufig der Wunsch nach politischer Führung und Kümmerern.

Noch vor 15 Jahren war die Lage sehr klar: Die Milieus auf der linken Seite der sozialen Konfliktlinie wählten SPD (und im Osten die PDS), auf der rechten Seite wählte man vor allem CDU, und zwar sowohl mit den Einstellungen in autoritären als auch in (links-)libertären Milieus. Doch nun werden diese Milieus gespalten. Denn das strategische Erfolgsrezept des Rechtspopulismus besteht darin, radikal und ohne Skrupel die kulturelle Konfliktlinie zu bedienen: Die autoritären Milieus werden zum »Volk« erklärt, all jenen, die im Sinne der Rechtspopulist/innen nicht zum »Volk« gehören, wird die Legitimation abgesprochen, für das Volk im Sinne einer »Gesinnungsgemeinschaft« zu sprechen, etwa den Libertären (»Volksverräter«). Oder im Sinne einer kulturell definierten »Volksgemeinschaft«, dass manche nicht Teil des Volkes seien (z. B. Muslime). Das Bündnis entlang der kulturellen Spaltung ist eigentlich brüchig, weil sich konservative Handwerker mit prekären Arbeitern bei Themen wie Mieten, Steuern oder Renten nicht einig sind. Die AfD kann sie aber einen, indem sie sagt, »wir nehmen den genannten ›Feinden‹ einfach alles weg«. »Geflüchtete« werden bei den genannten Motivlagen zu Projektionsflächen.

Doch nicht nur Rechtspopulist/innen sorgen dafür, dass nur über kulturelle Konflikte gesprochen wird. Es sind auch die (Links-)Libertären, welche oftmals nur über libertäre Themen sprechen (und dadurch die Konfliktlinie zu den autoritären Milieus vertiefen); und die gleichzeitig vor einem Dilemma bei ihrer Gegenwehr gegen Rechtspopulismus stehen: Sie wollen (zu Recht!) eine klare Haltung gegen rechte Hetze zeigen, doch in der Folge reden alle nur noch über die Rechtspopulist/innen und – noch schlimmer – über deren Themen. Ferner bedienen die Medien die kulturelle Konfliktlinie, wodurch die Auflage und Klickzahlen steigen.

Prallt bei Abstimmungen eine rechtspopulistische Kampagne auf eine libertäre Gegenkampagne in einer Entweder-oder-Entscheidung, dann ergibt sich wie beim Brexit 2016, bei der Schweizer »Kampagne gegen Zuwanderung« von 2014, bei den Präsidentschaftswahlen in Österreich 2016, in Frankreich 2017 oder in Tschechien 2018 eine neue Spaltung des Parteiensystems. Denn als Gegenpart zu rechtspopulistischen Parteien wirken oft nicht sozialdemokratische Parteien, sondern libertäre Parteien, seien es DIE GRÜNEN oder eine Merkel-CDU (also eine Union ohne die CSU). Die sozialdemokratische Wählerklientel wird hingegen genauso gespalten wie die Partei DIE LINKE. Diese Entwicklung wertet die Rechtspopulist/innen massiv auf, wie man in Frankreich oder Polen sieht: Scheitert die libertäre Bewegung von Emmanuel Macron, droht der endgültige Aufstieg des Front National. In Polen stehen Rechtspopulist/innen gegen Liberale. Eine sozialdemokratische Kraft, um die autoritären Milieus zu gewinnen, gibt es nicht mehr.

Aufgaben für Mitte-links

Doch diese Entwicklung ist gleichzeitig nicht schicksalhaft. Denn es ist natürlich falsch zu glauben, dass die sozioökonomische Konfliktlinie keine Rolle spiele – angesichts einer drohenden massiven Altersarmut, Unterschieden zwischen Arm und Reich und des Auseinanderdriftens der Arbeitsgesellschaft.

Doch dazu muss das Mitte-links-Lager mindestens vier Dinge tun: Das erste – und wichtigste – ist, mutig und vernünftig-radikal die soziale Konfliktlinie in den Mittelpunkt zu stellen und ein Hoffnungsnarrativ zu entwickeln, welches sowohl die liberal-urbanen als auch die autoritären und kommunitaristischen Milieus erreicht. Dies muss sowohl eine Neujustierung der Leistungsgerechtigkeit als auch die Rückkehr des Staates in vielen Bereichen enthalten. Das sind die zentralen Themen für die untere Mittelschicht und die Arbeiterschicht – es geht eben nicht um Armut (oder ein bedingungsloses Grundeinkommen), sondern um Respekt, Anerkennung und einen gerechten Anteil am guten Leben in der Gesellschaft.

Zweitens wäre es ein zentraler Fehler, die kulturellen Konflikte zwischen diesen beiden Milieus gegeneinander auszuspielen. Feminismus und Rechte von Homosexuellen müssen für Mitte-links genauso wichtig sein wie die Hoffnungen und Rechte von Postzusteller/innen oder Verkäufer/innen. Aber: Die zuerst aufgeführten Themen kann man nicht ins Zentrum stellen. Das können nur DIE GRÜNEN.

Drittens müssen Themen wie Kriminalität und Integration benannt werden, und zwar auch in einer Sprache, die sich nicht den typischen Stereotypen bedient. In Brennpunkten dürfen die Leute nicht das Gefühl haben, die Probleme werden bei ihnen abgeladen. Es wird oft bei der linken Begeisterung für Jeremy Corbyn vergessen, dass dieser eben deshalb so erfolgreich ist, weil er den Brexit nicht einfach verteufelt. Die Zivilgesellschaft sollte sich daher überlegen, triviale Wahrheiten wie »Wir können nicht alle aufnehmen« von Andrea Nahles mit Shitstorms zu überziehen. Haltet es aus, solange die Politik nicht völlig in eine andere Richtung geht! Das Kürprogramm wäre es, eine gemeinsame Erzählung für beide Milieugruppen zu entwickeln: »Alle müssen sich an die Regeln halten« wäre ein solches. Oder ein gemeinsamer #aufschrei gegen die Diskriminierung von Menschen mit geringen Bildungsabschlüssen. Eine rechte Hegemonie droht nur, wenn wir dies zulassen.

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