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Rechte Normalität in großen Teilen Ostdeutschlands

Die »Alternative für Deutschland« ist tief in die ländlichen Räume des südlichen Ostdeutschlands vorgedrungen. Was sich schon länger ankündigte, kann nun mit Daten und Fakten belegt werden. Bei der Bundestagswahl 2021 hat die AfD generell in Ostdeutschland kaum hinzugewonnen, aber sie hat sich lokal verankert.

In Sachsen und Thüringen hat die AfD 14 Wahlkreise direkt gewonnen und ist dort jetzt stärkste Partei. Ihr könnte, wenn Gegenkonzepte nicht greifen, das gelingen, was der Journalist Toralf Staudt 2005 als die Strategie der Rechtsextremen in Ostdeutschland bezeichnet hat: die Faschisierung der Provinz. Die AfD ist zumindest als eine »rechte Normalität« in einigen Regionen längst zu einer permanenten Begleiterscheinung geworden. Gegenstrategien erfordern ausgefeiltere Konzepte als eine neue Diskussion um den (Lokal-)Patriotismus oder eine reine Strukturförderung. Es geht um politische Bildung in ländlichen Räumen ebenso wie um eine Stärkung der in Not geratenen öffentlichen Ordnung.

Anders als die NPD

Vor rund eineinhalb Jahrzehnten entzündete sich die Debatte, als die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) zunächst 2004 in den sächsischen Landtag, 2006 dann auch in den von Mecklenburg-Vorpommern einzog. Die Partei agitierte aggressiv-kämpferisch, propagierte martialisch etwa den »Kampf um die Straße«, im offenen Schulterschluss mit den Kameradschaften. Anders als heute die AfD war die NPD damals aber regional wenig verankert, von einigen Ausnahmen abgesehen.

In der Sächsischen Schweiz hatte die Partei eine Hochburg. Das lag wohl vor allem an einzelnen Personen, etwa dem Fahrschullehrer Uwe Leichsenring, der 2006 tödlich verunglückte. Leichsenring war damals mit seinen sächsischen Wurzeln eine Ausnahme, da die Partei ansonsten sehr stark von »Westimporten« geprägt war. Aus eher strategischen Gründen suchte man sich den Osten aus, auch mit der Verlagerung des Verlagssitzes samt Parteizeitung sowie der Jugendorganisation nach Riesa, um hier auf die vorhandenen schwachen zivilgesellschaftlichen Strukturen aufzubauen und einen gesellschaftlichen Nährboden zu finden.

Dass die Partei ausgerechnet in einer vor der Pandemie boomenden Tourismusregion, der Sächsischen Schweiz, punkten konnte, widerlegte die Modernisierungsverliererthese, die häufig zur Erklärung des Erfolgs von rechtsradikalen Parteien herangezogen wird. Das lässt sich durchaus als Parallele zu heute, in der Diskussion um die AfD sehen. Bei der Bundestagswahl 2021 konnte Steffen Janich ein Direktmandat erzielen. Der Polizeibeamte wurde Ende 2020 vom Dienst suspendiert, da er eine Demonstration von »Coronaleugnern« organisierte.

Anders als einst die NPD ist die AfD heute regional etabliert. Sie bildet ganz offenbar ein in sich abgeschottetes Milieu ab, ist daher weit mehr als eine Protestpartei. Nur ein Beispiel: Ein ehemaliger Verwaltungsangestellter, der an einem Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Technischen Universität (TU) Chemnitz arbeitete, jahrelang Texte über alle Phänomenbereiche des politischen Extremismus las und akribisch redigierte, sitzt jetzt für die AfD im Stadtrat von Flöha. Er ist freundlich, arbeitet gewissenhaft und wird allseits geschätzt. Wer sein Verhalten in den sozialen Medien deutet, sieht ein ganz anderes Bild: die Anhängerschaft von Björn Höcke und das Lamentieren über Ungerechtigkeiten, die »Lügenpresse« sowie eine angebliche Gängelung durch die etablierten Parteien.

Die Partei dringt zudem weiter in die Mitte der Gesellschaft vor. Was für die NPD noch ein aussichtsloses Unterfangen war, ist für die AfD erfolgreiche Realität. Die bundesweiten Wahlnachbefragungen zeigen, dass sich die AfD trotz ihrer Radikalisierung zunehmend »Stammwähler/innen« sichert: Die Mehrheit der AfD-Wähler/innen im Bund wählt die Partei aus Überzeugung (48 Prozent), und nicht aus Enttäuschung (45 Prozent). Das bedeutet, die AfD wird nicht trotz, sondern wegen ihrer Inhalte gewählt.

Vor allem setzt sich fort, was die Partei vor Jahren einleitete, nämlich sich als Partei der ostdeutschen Belange zu gerieren. Das zeigt sich etwa in der Raubkopie der Parole »Wir sind das Volk«, die einst während der friedlichen Revolution von 1989 verwendet wurde. Dabei geht es nicht um eine ohnehin fiktive Ostidentität, sondern ganz offenbar um regionale »Teilidentitäten«. Sie gibt sich als »Kümmererpartei« und tritt damit in direkte Konkurrenz zur Linkspartei. Diese erreicht ihre Stammwählerschaft nicht mehr und musste noch mehr Stimmen an die AfD abgeben, als es bereits bei der Bundestagswahl 2017 der Fall war. Die Linke gilt offenbar als »abgehoben«, während die AfD simpelplumpe Botschaften plakatiert: »Nie wieder Lockdown!«, »Deutsch statt Gendern«, »Heimat bewahren«.

Gestern Pegida, heute Querdenker

Immer wieder versucht die Partei, sich mit den Protestbewegungen auf der Straße gemein zu machen. Zwischen AfD und Pegida-Bewegung bestand das Verhältnis aus »Konvergenz, Konkurrenz und Kooperation« (Maik Herold/Steven Schäller); ähnliches lässt sich nun über das Verhältnis zur »Querdenkerbewegung« konstatieren. Widersprüche sind dabei ausdrücklich eingeschlossen.

Der sächsische Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann etwa wurde aufgrund einer Coronaerkrankung im November 2021 ins Krankenhaus eingeliefert. Er hatte sich nach eigenen Angaben trotz einer Lungenerkrankung nicht impfen lassen – und stellt, rational kaum mehr nachvollziehbar, weiterhin den Nutzen infrage. Die Impfskepsis wurde »vor Ort« erfolgreich geschürt, wie der Fall Stefan Janich in der Sächsischen Schweiz zeigt. Wie eine Befragung zur Bundestagswahl ergab, wählte die Hälfte der Ungeimpften laut Forsa-Studie die AfD.

Die Taktik ist also offensichtlich das konjunkturelle Aufspringen auf Angstthemen, gestern die nach wie vor evidente Angst vor »Migranten«, heute die Gegnerschaft zur Impfung, beides kombiniert mit einer gehörigen Portion an Verschwörungstheorien. Dazu ändert sich ganz offensichtlich die Kommunikation: Der Verfassungsschutz stufte den nur offiziell aufgelösten »Flügel« um Björn Höcke als extremistisch ein. Der Bericht geht so weit, von einer »vollumfänglichen Ablehnung Björn Höckes gegenüber der gegenwärtigen politischen Ordnung« zu sprechen.

Ganz wesentlich für Radikalismus wird die durchaus öffentliche Online-Kommunikation. Nun zeigt sich, dass Telegram zur wesentlichen Kommunikationsplattform der Coronaleugner/innen geworden ist. Die offensichtliche Militanz lässt die Option, die AfD werde sich noch zu einer rechtskonservativen Kraft entwickeln, noch illusorischer erscheinen als sie ohnehin schon war. Zumal, nachdem sie sich mit den Querdenkern gemein gemacht hat.

Immer wieder kommt es zu Angriffen auf Polizeibeamt/innen, etwa im thüringischen Greiz, ein ruhiges, idyllisches Städtchen mit 20.000 Einwohnern. Im Dezember 2021 hatten dort radikale Querdenker Polizisten tätlich angegriffen und dabei 14 Beamte verletzt. In der Folge wandten sich knapp 20 Bürgermeister aus ganz Thüringen – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit – mit einem emotionalen Aufruf an die Bevölkerung. Gemeinsam appellierten sie »an das Verantwortungsbewusstsein« der Menschen in Thüringen und forderten sie auf, »sich nicht an rechtswidrigen Kundgebungen zu beteiligen«, so Focus Online vom 14.12.2021.

Das zeigt aber auch ein Scheitern etwa der in Sachsen durchweg regierenden CDU, den sächsischen Weg zu propagieren und, auch wissenschaftlich begleitet, die Patriotismuskarte zu ziehen. Gegen die Massivität der Radikalisierung scheinen solche Versuche, den »rechten Rand« zu integrieren, nicht mehr zu helfen und wirken beinahe anachronistisch. Die Gewalt scheint aus den Fugen zu geraten, obwohl der militante Rechtsextremismus der Region keine überraschende Neuerscheinung ist. Sachsen war auch das »Hauptquartier« des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), dessen Mitglieder, von gewaltbereiten Neonationalsozialisten unterstützt, unbehelligt in Chemnitz und Zwickau lebten.

Von Erklärungsversuchen zu Gegenstrategien

Historische Erklärungsversuche greifen weiter in die Vergangenheit zurück, diskutieren den Rechtsextremismus in der nur formal antifaschistischen DDR. Generell steht die These im Raum, dass wenig Berührung mit Ausländern im sogenannten Realsozialismus zu einer Abneigung gegenüber Migranten sowie einer Offenheit für rechtsradikale Propaganda führt – als Posttransformationssyndrom sozusagen. Hier lässt sich etwa auf Estland verweisen, wo seit drei Jahren eine rechtsradikale Partei auf- und durchmarschiert, den öffentlichen Diskurs vergiftet – und im Mainstream angekommen ist. Das liegt auch an dem schlechten Ruf anderer Parteien, die lediglich Eliten- und Karrierevehikel sind, genauso wie an der Tatsache, dass über Politik generell kaum debattiert wird. Das Vakuum konnte nun gefüllt werden.

Eine weitere These ist die der »Diktatur-Sozialisierung«, die vielleicht von der Elterngeneration auf Teile der jüngeren abfärbe, wie sie Marco Wanderwitz, CDU-Politiker und bis kurz vor dem Regierungswechsel Ostbeauftragter der Bundesregierung, vertrat. Wanderwitz selbst erntete Kritik – und verlor prompt sein Direktmandat im Wahlkreis Chemnitzer-Umland-Erzgebirgskreis II gegenüber einem unbekannten Kandidaten der AfD.

Was also tun? Es gilt weiterhin, die ländlichen Räume in der Daseinsvorsorge, etwa bei der Verkehrsinfrastruktur nicht abzuhängen. Das sorgte nämlich für den Erfolg der AfD nicht nur im südlichen Teil Ostdeutschlands, sondern auch im Bayerischen Wald – ebenfalls eine Grenzregion. Digitalisierungsstrategien müssen hier gerade die ländlichen Räume ins Visier nehmen. Es braucht sicherlich auch engagierte Politiker/innen wie etwa die sächsische SPD-Landtagsabgeordnete Hanka Kliese. Ihr Beruf wird aber gleichwohl zunehmend unattraktiv, da sie und andere mehrfach zur Zielscheibe von massivem Hass wurde.

Allein darauf zu hoffen, dass die Querdenkerbewegung »verschwindet« (wovon der Verfassungsschutz intern längst nicht mehr ausgeht) und das radikal-esoterische Abdriften der AfD in ein ohnehin schwierig zu erreichendes Verbot mündet, ist gleichwohl der falsche Ratschlag. Bleibt nur, die politische Bildung noch stärker in den ländlichen Raum zu bringen – die ihre bisherigen Konzepte dann aber auch selbst hinterfragen und weiterentwickeln muss – und in die öffentliche Ordnung zu investieren.

Wenn letztere weiter wegbricht und sich von innen radikalisiert – siehe etwa den Fall Chemnitz vom August 2018, als ein Polizeibeamter den Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen, einen Geflüchteten, »durchstach« und selbst mittlerweile bei der AfD ist –, wird die Medienschelte, etwa über das »braune Sachsen«, nicht aufhören und für noch trotzig-gefährlichere Gegenreaktionen sorgen. Die innere, nicht auf Kurzfristigkeit angelegte Verabschiedung vom politischen System ist bei vielen Menschen in einigen Regionen ja längst eine Tatsache.

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