Menü

Rechtes Sprechen: Hasstirade und Opfermythos

Es hat sich in Deutschland herumgesprochen – das Problem des Rechtspopulismus ist kein rein politisches, sondern auch ein kulturelles oder noch präziser: ein sprachliches. Immer öfter ist daher in den Medien von Sprachkritik die Rede. Eine solche findet allerdings bislang kaum statt oder nur in sehr oberflächlicher Form. Zumeist verkennen Versuche in dieser Richtung die Funktionsweise des »rechten Sprechens« heute und die Strategien, die damit verbunden sind. Solche verkürzte oder gar blinde Sprachkritik stärkt somit die Erfolgsaussichten rechter Demagogen noch.

Gerade mit Hilfe der Sprache attackieren die Rechtspopulisten den liberalen Staat. Trotz der enormen Zuwächse bei Wahlen existiert aktuell keine politische Machtoption, da (noch) niemand bereit ist, mit der AfD zu koalieren. Daher pflegt die AfD eine Technik, die von rechten Intellektuellen im Umkreis von Götz Kubitscheks Antaios Verlag und dem daran angegliederten sogenannten »Institut für Staatspolitik«, zuletzt auch der Identitären Bewegung, seit Jahren praktiziert wird – den Angriff auf das kulturelle Monopol, die Hegemonie. Nach Antonio Gramsci (den die erwähnten Rechtsintellektuellen lebhaft rezipierten) ist damit jener Bereich der Herrschaftsformation gemeint, der Kultur, Lebensformen, Sozialverhalten und auch die Wirtschaft umfasst und den gesellschaftlichen Massen ein Orientierungsgefüge vermittelt. Gerade die »Intellektuellen« (Techniker, Ingenieure, Justiz- oder Staatsbeamte eingeschlossen) sind in Gramscis »Hegemonie-Konzept« von besonderer Bedeutung. Sie übernehmen für die herrschende Gruppe das organisatorische Tagesgeschäft. Drängt nun eine Gruppe neu zur Macht, kommt es darauf an, dass sie eigene (nach Gramsci »organische«) Intellektuelle ausprägt, die im bürgerlichen Staat zunächst eine kulturelle Gegenmacht zu etablieren suchen. Daher konzentrierte sich die Neue Rechte unter dem Einfluss ihres französischen Vordenkers Alain de Benoist in den Jahrzehnten weitgehender Wirkungslosigkeit, nämlich vor der sogenannten »Flüchtlingskrise« 2015, vorrangig auf den Bereich der »Metapolitik«. Damit ist das Terrain des Kulturellen gemeint, das dem Politischen vorgelagert ist, beispielsweise Fragen des Geschlechterverhältnisses, der Minderheitenrechte oder der nationalen Identität. Speziell in diesem Bereich ist die Neue Rechte mit Kampagnen gegen Gender-Mainstreaming, Homo-Ehe oder für deutsche Leitkultur sehr erfolgreich gewesen. Eine unbestrittene Katalysatorfunktion besaß dafür allerdings das Buch Deutschland schafft sich ab des vom Parteiausschluss bedrohten Sozialdemokraten Thilo Sarrazin, in dem im großen Stil mit herrschenden Denkbildern und Ethikvorstellungen gebrochen wurde. Das Buch rief Stürme der Entrüstung hervor, aber bei vielen Leserinnen und Lesern auch große Zustimmung und klammheimliche Freude über den Furor der Entrüsteten. Denn die neoliberale Gesellschaft mit ihrer hohen Moralisierung im Bereich individueller Lebensgestaltung (besonders der Rede darüber) zeichnet sich zugleich durch ein wenig solidarisches Sozialverhalten aus. Sie ist daher durch »politisch inkorrekte« Formulierungen äußerst angreifbar. Götz Kubitschek hat schon früh das Potenzial solcher rhetorischen Angriffe erkannt. In seinem Buch Provokation von 2007 entwickelte er in Anlehnung an Guy Debords Gesellschaft des Spektakels Vorstellungen öffentlicher Interventionen, die über gezielte Regelverstöße den Konsensdiskurs aufbrechen sollten. Aufgabe dessen sei »die Zuspitzung der Begriffe und die Kennzeichnung der Gegner«. Kubitscheks eigene Versuche, um 2008 mit einigen Getreuen eine »Konservativ-Subversive Aktion« zu initiieren, blieben weitgehend unbemerkt, erfolgreicher war dagegen die Identitäre Bewegung mit mehreren spektakulären Auftritten. Der Mitbegründer und Kopf der österreichischen Keimzelle dieser rechten Aktivisten, Martin Sellner, gibt in seinem Buch Identitär! Geschichte eines Aufbruchs verblüffend offen Auskunft über seine Absichten, diese lägen in einer »Eroberung der Machtmittel der kulturellen Hegemonie«, also der »Massenmedien, der Kunst, der Kultur und des öffentlichen Raumes«. Der Bezug auf Gramsci ist hier offenkundig. Über die sprachlichen Strategien, mittels derer er dieses Ziel erreichen will, äußert sich Sellner ebenso freimütig. Es gehe darum, »einen eigenen Begriff zu etablieren (Großer Austausch, Remigration etc.) oder einen gegnerischen Begriff anzugreifen (Fachkraft, Einzelfall, Integration, Bereicherung etc.)«. Die feindlichen Termini, Sellner nennt sie »Begriffsäulen«, sollen durch gezielte Propaganda und Aktionen bekämpft werden: »So schlagen wir der linken Hegemonie eine Säule nach der anderen weg, bis am Ende das ganze Konstrukt einstürzt.« Dagegen sollen »zu Unrecht verfemte Begriffe wie ›Heimat‹, ›Volk‹ und ›Tradition‹« aufgewertet, andere Begriffe wie »Remigration« neu eingeführt werden.

Damit sind bereits die beiden maßgeblichen Methoden rechten Sprechhandelns gekennzeichnet, die auch von Mitgliedern der AfD exzessiv angewandt werden. Besonders auffällig ist natürlich das Provokationskonzept. Immer wieder verstoßen führende AfD-Politiker wie Gauland, Weidel, von Storch oder Höcke bewusst gegen herrschende Diskursregeln, indem sie ethisch ausgesprochen fragwürdige Dinge propagieren, die zwingend einen Empörungschor in der liberalen Öffentlichkeit hervorrufen. Dann wird zurückgerudert, die Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen oder anders gemeint gewesen. Wenn das nicht hilft, stilisiert man sich zum Opfer, zum Beleg dessen, dass man in Deutschland nicht mehr sagen dürfe, was man wolle. Der liberale Staat, der Meinungsfreiheit demnach nur vorgaukele, sei daher in Wahrheit totalitär. Der Sinn dieser Vorstöße liegt nach Meinung der Soziologin Cornelia Koppetsch darin, »die Position der Herrschenden, d. h. ihre Macht, Spielregeln festzulegen, herauszufordern und infrage zu stellen«. Diese Technik geht nahezu immer auf, weil die demokratische Gesellschaft bisher unfähig ist, die darin liegende moralische Aporie produktiv aufzulösen. Besser wäre, es gäbe Grenzen des Sagbaren. Es ist gut, dass menschenfeindliches Denken und Sprechen durchaus einer Zensur unterliegt, ja sogar nach § 130 des StGB strafbar ist. Eine besondere Fertigkeit darin, sich stets knapp an der Volksverhetzung vorbei zu stehlen und dabei NS-Diktion aufzugreifen oder daran anzuschließen, hat Björn Höcke entwickelt. Egal ob er vom »Denkmal der Schande« spricht oder rassistisch-biologistische Mutmaßungen über das »Reproduktionsverhalten der Afrikaner« anstellt, die wie Ratten und Kakerlaken dem »Ausbreitungstyp« frönten. Auch zahlreiche andere AfDler nehmen in ihren öffentlichen Reden kein Blatt vor den Mund, feiern völkische Ideale, schüren Islam- und Ausländerhass – das Gutachten des Verfassungsschutzes weist Hunderte solcher Fälle aus. Die Flut dessen, was inzwischen an hetzerischer Sprache möglich geworden ist, ob von AfD-Politiker/innen oder Privatmenschen in sozialen Medien, ist unfassbar. Die deutschen Gerichte, die als Einzige solchen Reden Einhalt gebieten könnten, haben in der jüngsten Vergangenheit durch Urteile auf sich aufmerksam gemacht, die nur noch Kopfschütteln oder sogar ernste Zweifel am Funktionieren der Demokratie auslösen – man denke etwa an den skandalösen, erstinstanzlichen Richterspruch im von Renate Künast angestrengten Beleidigungsprozess. Die Folge ist eine durchgreifende sprachliche Verrohung, immer mehr Menschen haben immer weniger Scheu vor rabiaten und hasserfüllten Kommentaren, nicht nur in der digitalen Welt, sondern auch in der Öffentlichkeit. Wohl nicht von ungefähr gehen sinkende Empathie und höhere Gewaltbereitschaft damit einher. Das Muster ist bekannt, Victor Klemperer hat es in ein berühmtes Zitat gefasst: »Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.« Wie damals der Nazismus »in Fleisch und Blut der Menge« übergegangen sei, »durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen (…) in millionenfachen Wiederholungen« werden heute die Denkmuster und Kategorien der Neuen Rechten multipliziert.

Die heutigen Arsendosen bestehen aus toxischen Begriffen, die durch ständige, öffentlichkeitswirksame Wiederholung durch AfD-Politiker/innen ins Bewusstsein der Bevölkerung gebracht werden. Ganz offen bedienen sie sich am Begriffsrepertoire der Neuen Rechten, auch der Identitären Bewegung. Deren Wahnkonzept vom »großen Austausch«, dass die europäischen Regierungen einen Masterplan verfolgten, die einheimischen Bevölkerungen komplett durch Migranten zu ersetzen, wird ebenso von AfD-Politiker/innen aufgegriffen wie die »Reconquista«, die Vorstellung, man müsse wie im Mittelalter das eigene Land von der islamischen Okkupation befreien. Der NS-Begriff »Umvolkung« brachte unlängst den neugewählten Bundesvorsitzenden Chrupalla ins Schlingern, da er ihn nachweislich bei einer Wahlveranstaltung geäußert hat. Im NS-Regime stand das Wort für die Umsiedlung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus den im Krieg eroberten Ostgebieten, um ethnisch einheitliche Räume zu schaffen. Heute meinen Rechte mit »Umvolkung« allerdings etwas anderes, nämlich, ähnlich dem »großen Austausch«, die angebliche Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat durch die Zuwandernden. Auch dies ist ein übliches Sprachverfahren der Rechtsextremen: Man bedient sich eines nationalsozialistisch kompromittierten Terminus, deutet ihn aber in eigenem Sinne um. Das sorgt für Sympathiewerte bei etwaigen Anhängern von ganz Rechtsaußen und stützt gleichzeitig in prägnanter Weise die eigenen Inhalte. In eine ähnliche Richtung gehen Begriffe wie »Überfremdung«, »Volkstod«, »System-« oder »Altparteien«, die unmittelbar aus der NS-Sprache übernommen worden sind. Auch werden typische NS-Wortbildungsverfahren eingesetzt, hier ist ebenfalls besonders Björn Höcke kreativ, zuletzt mit seinem Wort »Feindzeugen« für »Verräter« aus den eigenen Reihen. Ein Neologismus wie »Messereinwanderung« verballhornt die ebenfalls schon nicht wertfreie »Masseneinwanderung« und unterstellt, dass durch den Zuzug speziell arabischer Flüchtlinge die Kriminalität mit der Waffe Messer ansteigen würde (was nachweislich nicht stimmt). Die Folge der häufigen Erwähnung dieser Fake News über sämtliche Organe des rechten Meinungsrandes führte nach einer Weile dazu, dass auch Mainstream-Medien wie Bild sich dieses Themas annahmen.

Es ist daher wichtig, diesen verbalen Strategien auf sprachanalytischer Ebene entgegenzutreten, sie etwa historisch zu kontextualisieren und inhaltlich exakt aufzuschlüsseln. Die Rechte benutzt solche Parolen häufig nur als Schlüsselreiz, allein auf die Hysterisierung der liberalen Öffentlichkeit gemünzt, die realen Implikationen dieser Begriffe und die politischen Konzepte und Konsequenzen, die sich damit verbinden, sind vermutlich nicht einmal ihren Anhänger/innen klar. Es muss also um politisch-sprachliche Aufklärung gehen, und darum, aus dem vorgegebenen Reiz-Reaktions-Schema auszubrechen; nicht über jedes Stöckchen, dass rechte Populisten der Mehrheit hinhalten, sollte sie springen. Eine rigorose Strafverfolgung volksverhetzender und diffamierender Sprechakte dagegen tut dringend not. Wenn die aktuelle Gesetzeslage dazu nicht ausreicht, sollte sie angepasst werden. Auch sollte die Gesellschaft sensibler für eine eventuelle politische Befangenheit bestimmter Richter werden, bekanntlich sind viele Juristen Mitglieder der AfD.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben