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Rechts- oder Linkspopulismus oder was? Der Fall Italien

Über ihn wird aktuell wieder heftig debattiert, doch was er bedeutet, ist nicht immer und nicht jedem klar: Populismus. Populismus ist ein Vorwurf im Kampf um politisches Kapital. Die adressierten politischen Unternehmer bemühen ihrerseits die Metapher des Volkes, das gegen die korrupte Elite kämpft, um den etablierten Parteien die Legitimation ihrer Machtausübung streitig zu machen. Diese seien nicht die legitimen Volksvertreter, sondern lediglich eine parasitäre Kaste, von der sich das unschuldige Volk zu befreien habe. Die einzigen legitimen Interpreten des Volkswillens seien indessen sie selber bzw. ihre selbsternannten Vertreter. So lautet das populistische Narrativ, die Kernideologie aller populistischen Bewegungen. Der Gegenvorwurf der etablierten Parteien lautet: Die populistischen Herausforderer würden sich nicht an die Regeln des politischen Systems halten, sie vereinfachten die Probleme und spitzten sie emotional zu. Dies delegitimiere Politik von Grund auf.

Will man wissen, welche gesellschaftliche Dynamik sich hinter der politischen Auseinandersetzung zwischen Populisten und Antipopulisten verbirgt, so muss man sich den Kämpfen um die Deutungshoheit über die soziale Zugehörigkeit zuwenden. Liberaldemokratische Gesellschaften gründen auf juristisch verankerten Definitionen unterschiedlicher Staatsbürgerrechte. Damit wird einerseits der Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen geregelt. Andererseits werden Ausschlusskriterien etabliert, wonach Nicht-Bürger entweder nur beschränkt oder keinen Zugang dazu bekommen. Die populistische Mobilisierung beansprucht für sich, den Begriff des Volkes neu zu definieren und sie versucht die legitimierten, juristisch verankerten gesellschaftlichen Zugehörigkeitskriterien infrage zu stellen. Dabei wissen die Populisten, dass sie materielle und symbolische Notlagen ansprechen können, die in der Gesellschaft entweder vorhanden sind, imaginiert oder auf die Zukunft projiziert werden. Diesen Umstand versuchen sie für sich zu nutzen.

Reale und vermeintliche Konkurrenzverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, beim Zugang zu sozialstaatlichen Maßnahmen oder zum sozialen Wohnungsbau, Ausgrenzungsempfindungen und ein Mangel an Anerkennung, Entfremdungsgefühle gegenüber Ausländern, Andersdenkenden und anderen Religionen bilden den Nährboden des Populismus. Hinzukommen die nicht zu übersehenden Folgen der sogenannten »Postdemokratie«. Die politische Klasse scheint stark selbstreferenziell zu sein. Sie vertritt einen Diskurs, der oft nur Eingeweihten verständlich ist. Entscheidungen werden zunehmend durch nicht gewählte Instanzen gefällt, die vom Alltag der Bürgerinnen und Bürger weit entfernt sind. Die Politik verfällt in eine Logik der Zweidrittelgesellschaft, sie nimmt die Lage der prekarisierten Unterschichten nicht ernst. All dies nutzen die Populisten aus, um ihre Parolen zu propagieren.

Die Praxis des Populismus kann jedoch zwei unterschiedliche Richtungen verfolgen. Entweder werden Staatsbürgerrechte nach restriktiven Kriterien umgedeutet, sodass mehr Mitbürger von ihrem Genuss ausgeschlossen werden sollen. So will Marine Le Pen Franzosen muslimischen Glaubens aus der Volksgemeinschaft ausschließen, die Lega Nord Süditaliener aus den reichen Regionen des Landes herausdrängen oder die AfD Kriegsflüchtlingen und EU-Ausländern den Zugang zu Sozialsicherungssystemen verwehren. Mit dieser Stoßrichtung ihrer Politik verbinden Rechtspopulisten ideologische Vorstellungen, die das traditionelle Gedankengut reaktionärer und faschistischer Bewegungen in leicht abgemilderter Form zu aktualisieren versuchen. Mit der Umdeutung ihrer Referenzideologie und der Übernahme bürgerlicher Werte versuchen Rechtspopulisten an Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft zu gewinnen, die sich angesichts des gesellschaftlichen Wandels zunehmend vor dem Verlust ihres Lebensstandards fürchtet. Wie erfolgreich diese Strategie sein kann, zeigen z. B. die Wahlergebnisse der AfD und des Front National.

Erfolg durch symbolische Anerkennungsleistung

Der Linkspopulismus ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass er sozialem Unbehagen und Anerkennungsmangel mit Aussagen begegnet, die den Zugang zu Staatsbürgerrechten und Sozialversicherungssystemen universalistisch und solidarisch eröffnen wollen. Sozialistisches Gedankengut wird somit auf eine historische Perspektive heruntergebrochen, die zwar keine Revolution einleitet, aber eine bedeutende Lockerung der eingeengten Lebenslagen für die Zeit nach der Wahl in Aussicht stellt. Indem Linkspopulisten diese Vision propagieren, tun sie es ohne jede Rücksicht auf deren Umsetzbarkeit. Dass sie sich dessen bewusst sind und diese Strategie oft reine Wahltaktik ist, zeigt sich an ihrem Verhalten, wenn sie an die Regierung gekommen sind. Die politische Entwicklung von Syriza in Griechenland ist in dieser Hinsicht paradigmatisch. Die Anerkennung der Notlage der Menschen hatte der Partei so viel Vertrauen beschert, dass dies auch durch einen politischen Kurswechsel um 180 Grad über die darauffolgende Parlamentswahl hinaus nicht zerstört werden konnte. Dass linkspopulistische Parteien nach der Machtübernahme von ihren Wahlversprechen stark abweichen können, ohne allzu große Verluste zu erleiden, zeigt, dass ihr Erfolg eher von der symbolischen Anerkennungsleistung abhängt, die sie erbracht haben, als von der Umsetzung ihrer Programme.

Unabhängig davon, ob es sich um Links- oder Rechtspopulismus handelt, die bedeutendste Gefahr für die Demokratie geht vor allem von der Ausbreitung dieses Phänomens aus. Dies könnte zu einer vollständigen Zerstörung der legitimierten politischen Kultur führen. Etablierte Parteien übernehmen die populistischen Parolen, um damit in der Wählergunst zu punkten. Das Paradebeispiel gibt diesbezüglich Italien ab. Nach einer Dekade der populistischen Regierung unter Silvio Berlusconi und der Lega Nord triumphiert heute in den Umfragen die Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento 5 Stelle) des Fernsehkomikers Beppe Grillo, die sich zwischen Links- und Rechtspopulismus durchlaviert. Ihre Hauptparolen lauten: Alle Politiker sollen nach Hause geschickt werden und Italien aus dem Euro austreten! Ihr gegenüber steht eine Demokratische Partei, die unter der Führung von Matteo Renzi Erfolge feierte. Auch dieser hatte sich den Weg zur Parteispitze mit der Parole von einer »Verschrottung« der politischen Klasse gebahnt. Die Maßnahme galt jedoch eher seinen politischen Gegnern als seinen Verbündeten, die noch heute fest im Sattel sitzen. Nach den wilden Nullerjahren des historischen Revisionismus, in denen Benito Mussolini zum besten Staatsmann des 20. Jahrhunderts ausgerufen wurde und die in der Verfassung verankerten republikanischen Werte vollständig delegitimiert wurden, ist Italien somit zum Spielfeld dreier Populismen geworden. Dem Links- und Rechtspopulismus hat sich ein Populismus der Mitte hinzugesellt. Die Tendenz zur Verbreitung populistischer Ansichten feiert jedoch auch anderswo in Europa ihre Erfolge. François Fillons Wahlprogramm in Frankreich, die Haltung der Tories zum Brexit in England sowie Horst Seehofers Rhetorik bezüglich einer Obergrenze für die Aufnahmefähigkeit von Flüchtlingen sind in dieser Hinsicht bezeichnend.

Der populistische Diskurs gerät schnell außer Kontrolle und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. In der extremen Konsequenz kann er die legitimierte politische Kultur sowie die gesellschaftlichen Zugehörigkeitskriterien vollständig aushebeln. So stellt sich die Frage des politischen Umgangs mit dem Populismus aller Couleurs. Dieser zeichnet sich meist durch zwei gravierende Missverständnisse aus. Die erste Reaktion der etablierten Parteien auf die populistische Mobilisierung weist den Appell nach Anerkennung allzu stark zurück, der durch die populistische Propaganda ja in manipulativer Form zum Ausdruck gebracht wird. Später dann werden in den etablierten Parteien Stimmen lauter, die Verständnis für die populistische Mobilisierung zeigen und die deren Argumente und Parolen aus taktischen Gründen zu übernehmen versuchen. Reale bzw. imaginierte Notlagen abgehängter Gesellschaftsgruppen werden durch die populistische Rhetorik manipulativ ausgebeutet. Damit wird aber der Verbreitung populistischer Mobilisierung in zweifacher Hinsicht auf die Sprünge geholfen. Zum einen, weil die Empörung der prekarisierten sozialen Gruppen wegen der mangelnden Anerkennung ihrer Lage steigt, zum anderen dadurch, dass die populistischen Parolen verharmlost und für die gesellschaftliche Mitte salonfähig gemacht werden.

Vor diesen Missständen kann sich der politische Umgang mit dem Populismus einerseits dadurch hüten, dass er den materiellen Notständen, vor allem aber dem symbolischen Anerkennungsappell abgehängter Gesellschaftsgruppen mehr Aufmerksamkeit schenkt. Andererseits ist die politische Kultur gut beraten, den populistischen Parolen entschlossen entgegenzutreten. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antiislamismus und Antisemitismus haben kein Staatsbürgerrecht in der Demokratie. Unter Rückgriff auf eine maßgebende Weisheit aus der Geschichte der Arbeiterbewegung lässt sich insbesondere die verborgene Absicht des rechtspopulistischen Narrativs entlarven. Das Ausspielen unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen gegeneinander dient lediglich der Durchsetzung schlechterer Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle, egal ob Ausländer oder Inländer, Christen, Muslime oder Atheisten. Nur der Zusammenschluss aller benachteiligten Gesellschaftsgruppen in einer gemeinsamen Interessenvertretung jenseits aller ethnischen, kulturellen oder sonstigen Merkmale kann einen gerechten Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen für alle sichern.

 

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