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Rechts und Links – der politische Konflikt der Moderne

Er hatte recht: Wer die Ordnung im Staat wahren will, muss zuerst die Begriffe richten. Mit dieser Weisheit hatte Konfuzius, wohl der wichtigste Stammvater der politischen Kulturforschung überhaupt, zu Lebzeiten zwar keinen, danach aber einen viele Jahrhunderte währenden Erfolg bei der Überwindung der verheerenden »Bürgerkriege« im Reich der Mitte. Zur politischen Konfusion in unserem Land und vielerorts in Europa trägt heute eine hartnäckige Begriffsverwirrung bei, mit der Tendenz einer Destabilisierung der politischen Verhältnisse. Sie ereignete sich speziell im verminten semantischen Gelände jenseits der politischen »Mitte«, die sich allerdings ihrerseits als ein irritierend bewegliches Ziel präsentiert. »Was ist heute rechts?« Alles was »rechts der Mitte« liegt, könnte die spontane Antwort lauten (was eine symmetrische Antwort auf die entsprechende Frage nach »links« einschließt). Nun sind allerdings im semantischen Raum der modernen Politik die meisten Grundbegriffe, einschließlich aller, die politische Richtungen oder »Ideologien« markieren, durch eine Mischung aus Werbung (bzw. Propaganda), Polemik und politischem Wettbewerb mehrfach besetzt und manche sogar kontaminiert.

Das erweist sich aktuell als eine empfindliche Verzerrung des politischen Gesprächs mit der Tendenz zu massiven Auswirkungen auf die politische Ordnung. Hauptverursacher der neuen Wirrnis ist der Begriff »rechts«. Er steht seit der Weimarer Republik, in der »bürgerliche« Akteure der demokratiefeindlichen »Rechten« die Rolle des Steigbügelhalters für den Nationalsozialismus spielten, in Deutschland unter dem Verdacht, stets eine akute Gefahr für Menschenrechte und Demokratie zu signalisieren. Das trifft zwar oft zu, lässt aber die für die politische Kultur der Demokratie wesentliche Frage offen, wo genau die Grenze zwischen der demokratischen Rechten, also dem Feld rechts der beweglichen Mittellinie, und deren undemokratischem Rand verläuft. Der (eigentlich zufälligen) parlamentarischen Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung entstammt die räumliche Zuordnung rechts-links. Diese wurde im 19. Jahrhundert durch die Programmbegriffe der großen politischen »Ideologien« überlagert: Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus. Aus ihnen entwickelte sich in dem Maße, wie demokratische Verhältnisse einkehrten, eine eigentümliche Wechselbeziehung, die Elemente des Konflikts mit solchen des Dialogs verband. Konflikt, weil ihnen von Anfang an immer auch massive ökonomische Interessen zugrunde lagen. Dialog, weil diese Interessen eingebettet waren in Begründungen, die sich auf das Gemeinwohl bezogen und an Mehrheiten wandten.

Der politische Liberalismus machte den Anfang und begründete seinen Kampf gegen den politischen Absolutismus und gesellschaftliche Erbprivilegien, gegen letztere seit Mitte des 18. Jahrhunderts mit den Schlachtrufen der Aufklärung: Freiheit und Gleichheit, wobei erstere massiv auf Eigentum bezogen blieb und letztere nur auf die Geltung der erlassenen Gesetze (sogar ausdrücklich bei Immanuel Kant). Auf die Demokratie haben sich die Liberalen erst eingelassen, als andere sie erkämpft hatten, von da an aber ihr halbiertes Verständnis von Freiheit und Gleichheit als Eigentumsschutz und Rechtsgeltung dem demokratischen Rahmen angepasst. Der politische Konservatismus hat – als Reaktion auf die »Entartung« der französischen Gleichheitsrevolution im Terror – am längsten mit der Demokratie gehadert. Kein Wunder, bestand seine generative Idee doch in der prinzipiellen Verteidigung der bestehenden Ordnung gegen »künstliche« Veränderung. Denn er verstand sie als lebendigen Organismus mit einem natürlichem Oben und Unten, zusammengehalten durch eine geheiligte Tradition, der keine Vernunft das Wasser reichen könne. Der Sozialismus protestierte im Namen der Eigentumslosen des frühen Kapitalismus gegen den Konservatismus, weil dieser die Ungleichheit und den Status quo heiligte und er kritisierte den Liberalismus, als dieser sich weigerte, mit seinen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit ernst zu machen, sobald es um die Begrenzung des großen Privateigentums und die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft ging.

Daraus ergab sich ein sinnvolles Konfliktmuster, dessen spätere demokratische Einhegung im 20. Jahrhundert von den Hauptakteuren des Liberalismus rasch und vollständig, von denen des Konservatismus zögerlich und mit manchen Vorbehalten angenommen wurde. Nach den Katastrophen des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs wichen die Vorbehalte und der alte Streit um die bessere Ordnung wurde bedeutend gemäßigter, aber bis heute in seinen historischen Grundimpulsen erkennbar fortgesetzt, die unter dem Einfluss der demokratischen Wahlen und ihrem Sog zur Mitte allerdings zunehmend verblassten. Die Wähler können die Hauptdifferenzen zwischen den »ideologischen« Strömungen immer noch ganz gut erkennen, auch wenn diese sich in den Parteien inzwischen oft mischen. Vom klassischen Sozialismus ist das Prinzip links geblieben: Gleichheit, Marktskepsis, (Sozial-)Staatsvertrauen; der Konservatismus verkörpert die politische Rechte: staats- und autoritätsgläubig, Verteidigung von Tradition, Religion und Ungleichheit (in der Gesellschaft und zwischen den Geschlechtern). Der Liberalismus, seit Weimarer Zeiten gespalten, verstand sich in seiner wirtschaftsnahen Variante als rechte Mitte, in seiner Grundrechtsvariante als linke Mitte. Unübersichtlich wird es, wenn die CDU (zu Recht) ihre Wurzeln in allen drei »ideologischen« Hauptströmungen sieht und die anderen politischen Parteien im Grunde alle »ideologische« Hybride sind, freilich jede von ihnen mit einem kräftigen Hauptakzent. Das gilt sogar für DIE GRÜNEN, die mit der Ökologie in den 80er Jahren der Parteienkonkurrenz eine ganz neue Konfliktlinie hinzugefügt haben.

Die politische Kultur der Moderne beruht auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Die sinnvolle Logik moderner Politik ist die Ausfüllung der weiten Gestaltungsspielräume, die diese eröffnet, jederzeit von Mehrheiten entscheiden zu lassen, die sich ihre Meinung im Lichte des öffentlichen Konflikts zwischen den Interessen und Grundwerten der politischen Strömungen bilden. In ihr spielen die Rechte, die Mitte und die Linke produktive Rollen – solange sie nicht, sei es auf einem Grundsatz basierend, sei es im Eifer des Gefechts, die Regeln des Streits verletzen. Dann, aber erst dann landen sie im Abseits der rechtsstaatlichen Demokratie. Die Politikwissenschaft und das Verfassungsgericht nennen das »Extremismus« und haben mehrfach geklärt, dass es diesen in einer rechten und einer linken Variante gibt. Bei der Rechten, um die es hier geht, gehören alle dazu, die das homogene Volk wollen oder die »illiberale« Demokratie (Viktor Orbán), weil das die Verletzung zentraler Grundrechte bedeutet. Eine Rechte hingegen, die die Grundrechte und die Demokratie respektiert, ist für liberale und soziale Demokraten ein Ärgernis, jedoch ein solches, das mit demokratischen Mitteln bekämpft, aber nicht durch die pauschale Gleichsetzung mit dem Extremismus vernichtet wird, für den im Zweifelsfalle, wenn er nach der Macht greift, die Justiz zuständig ist. Wer hingegen alles was rechts ist, unterschiedslos dem Rechtsextremismus zuschlägt, spielt diesem wider Willen in die Hände.

Kommentare (2)

  • ba
    ba
    am 30.05.2022
    ba
  • ba
    ba
    am 30.05.2022
    ba

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