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Rechtspopulismus und Gewerkschaften

Den Politikern sei der »Veggieday wichtiger als mein guter Arbeitsplatz in der Braunkohle«. Stimmungsbild Ost, eingefangen in der die Affinität von Arbeitern zur AfD auslotenden Studie Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Die Zahlen sind bekannt: 20 % der Arbeiter haben bei der letzten Bundestagswahl für die Gauland-Truppe gestimmt. In den ostdeutschen Bundesländern hat diese Schicht die AfD auf Platz zwei des Parteienspektrums gehievt. Gewerkschaftsmitglieder sind gar überproportional für den rechten Stimmenfang anfällig.

Gehen Gewerkschaften offensiv gegen die Agitatoren vor und stellen sich beispielsweise an die Seite der Flüchtlinge (»Wer hetzt, fliegt«), fliegen schon mal 200 Mitgliedsbücher einer lokalen Gliederung. Lässt man die Hetze unkommentiert, verprellt man die wirklich Engagierten unter den Betriebsräten. Ein Dilemma, das mit der erfolgreich absolvierten Betriebsratswahl und der Niederlage rechter Listen nicht verschwunden ist. Ein unbedarfter deutscher, zumal ostdeutscher Industriearbeiter hat in seinem Weltbild locker für beide Präferenzen Platz: für die Gewerkschaft, die für mehr Geld, und die AfD, die für weniger Ausländer sorgen soll.

Die Neue Rechte bringt erfolgreich ein ethnisch aufgeladenes »Wir« gegen die »Anderen« in Stellung. Sie macht sich dabei, so die Studie, einen von den heutigen Arbeitsbedingungen gespeisten Treibsatz an Wut zunutze. Die Wut schlägt angesichts des von Outsourcing und Automatisierung bedrohten Arbeitsplatzes in Existenzangst um. Wütend macht das Dauergefühl der Überforderung durch eine Personalpolitik der permanenten Bewährung, die dem Befristeten den festen Vertrag als Karotte vorhält. Zur Wut reizt die geforderte Agilität, aktuelles Modewort, womit man dem Angestellten Beine macht. Auch Hartz-IV-Aussichten machen aggressiv, aller Gegenrede von Fachkräftemangel und baldiger Vollbeschäftigung zum Trotz. Hartz IV ist zum Mythos des deutschen Alltags geworden, doppeldeutig wie jeder Mythos. Die Chiffre bündelt alle Ängste dieser Gesellschaft, wie das Bild des Mittelalters von der Höllenfahrt. Zugleich steht sie für all den sagenhaften, den »Dahergelaufenen in den Hintern geschobenen« Reichtum.

Warum gelingt es den Rechten, die frei flottierende Wut gegen Muslime oder Flüchtlinge zu richten? Die Antwort auf Basis der befragte haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschafter fällt ziemlich eindeutig aus: Weil ihre Organisation den Gegensatz vom »Oben und Unten« nicht mehr thematisiert, wird »Drinnen gegen Draußen« zum verkappten Klassenkampf.

Rechte Demagogie hat es natürlich einfacher als linke Aufklärung. Wer sitzt oben und zieht die Fäden? Die Herren von Siemens, Daimler und VW? Das Kapitalverhältnis bleibt scheinbar ewig bestehen; eine abstrakte gesellschaftliche Macht, die wie das griechische Schicksal ins Leben des Einzelnen eingreift und das längst mögliche gute Leben vereitelt. Aber es ist keine personifizierte Macht, wie die Kapitalismuskritik von rechts suggeriert, wenn sie Frau Merkel, die »kosmopolitischen Eliten«, die »Gewerkschaftsbonzen« und »Co-Manager« attackiert.

Die Autoren/innen der Studie legen den Gewerkschaften nahe, die rechte Kapitalismuskritik durch eine wiederentdeckte linke zu unterlaufen. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn diese Kritik nicht wieder den sprichwörtlichen groben Keil auf den groben Klotz und die Phraseologie von der »ständigen Umverteilung von unten nach oben« bemüht. Damit wird man keinen Pegida-Mitläufer überzeugen und die gut Qualifizierten, die man gewinnen will, auf ewig vergraulen.

Den Vorwurf an die Betriebsräte und Gewerkschafter zum »Establishment« zu gehören, entkräftet man nicht durch Verzicht auf Kooperation. Beides ist gefordert: sich einmischen in die Investitionspolitik der Unternehmen und sich abgrenzen gegen deren permanenten Heißhunger auf Mehrarbeit. Dancing and Boxing – so hat das einstige Dream-Team der deutschen Industriesoziologie, Horst Kern und Michael Schumann, das einmal genannt. Verbalradikalismus muss Sache der anderen bleiben. Bei der Mehrheit der Beschäftigten werden sie damit keinen Erfolg haben. Einer differenzierten Gewerkschafts- und Betriebspolitik steht diese Mehrheit aufgeschlossen gegenüber. Sie weiß die Kombination aus Konflikt- und Kooperationsfähigkeit zu schätzen.

An der Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern führt schon deshalb kein Weg vorbei, weil man nur so die AfD aussichtsreich aus dem politischen Spiel nehmen kann. Dass ihr die Manager der Großkonzerne dieser Welt nicht hold sind, ist ihre Achillesferse. Die Mannschaftsführer des Exportweltmeisters Deutschland können ein dumpf-nationales Image des Landes nicht gebrauchen. Ein drohender Protektionismus gekrönt von einem solchen Überbau, ein Albtraum für sie! Ihnen gilt es klar zu machen: Will man der Neuen Rechten das Wasser wirklich abgraben, kann man das Fabrikregime aus Leistungsdruck, Leiharbeit und Existenzangst nicht einfach fortführen.

Die Studie Rechtspopulismus und Gewerkschaften legt mehr Gewicht auf die Waagschale »Konflikt« als auf die der »Kooperation«. Sie ist nicht repräsentativ, sondern basiert auf qualitativen Interviews und Gruppengesprächen (insgesamt 115 Teilnehmer/innen). Aber dies schmälert keineswegs ihren Wert. Der liegt vor allem in wiedergegebenen Kantinen- und Pausengesprächen, von denen die interviewten Betriebsräte, Vertrauensleute und Gewerkschaftsvertreter berichten. Man bekommt ein eindrückliches, bedrückendes Bild von den von AfD und Pegida geprägten Bewusstseinsformen.

Der Strom an unbewussten Kräften, den die Rechte zu entfesseln vermag, wird von der Studie nicht vermessen. Die Autoren/innen sehen darin selbst ein Manko. Ein von ihnen zitierter Rechtsextremismus-Forscher bringt es auf den Punkt: Die Pegida-Demonstranten berauschen sich an ihrem eigenen massenhaften Auftritt, gar nicht an der Dröhnung, die aus den Lautsprechern quillt. Eine sozialpsychologische Folgestudie, von den Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes und ihren Stiftungen finanziert, wäre hilfreich. Sie müsste ähnlich angelegt sein, wie die von Erich Fromm über Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reichs. Keinem Vergleich mit Weimarer Verhältnissen sei das Wort geredet, aber einer klugen Gewerkschaftspolitik, die sich des ganzen Sets kritischer Sozialwissenschaft, also auch der Sozialpsychologie, bedient, wenn es gilt, sich den Rechten in den Weg zu stellen.

Dieter Sauer/Ursula Stöger/Joachim Bischoff/Richard Detje/Bernhard Müller: Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche. VSA, Hamburg 2018, 216 S., 14,80 €.

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