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Rechtspopulismus und/oder Rechtsextremismus?

Die Hauptspielarten des politischen Extremismus sind der Rechts-, der Links- und der religiöse Extremismus. Es handelt sich bei diesen um Ideologien oder Gesinnungen, die in der Regel negativ definiert werden – als Absage an die grundlegenden Werte, Verfahren und Institutionen der freiheitlichen Demokratie. Ein absoluter, dogmatisch vertretener Wahrheits- und Exklusivitätsglaube kennzeichnet dagegen den Extremismus »positiv«. Konstitutiv für den rechten Extremismus ist die Ablehnung der fundamentalen Gleichheit aller Menschen. An deren Stelle tritt die Dominanz und der Reinheitsanspruch bestimmter »Rassen« oder Kulturen, der sich in der Vorstellung des ethnisch homogenen Nationalstaats verdichtet. Träger rechtsextremen Gedankenguts können Personen, Gruppierungen oder Regime sein. Gleichzeitig lassen sich intellektuelle, aktionistische oder terroristische Spielarten unterscheiden. Für die wissenschaftliche Analyse bietet sich wiederum eine Differenzierung zwischen Ideengebäude, Strategie und Organisation der als rechtsextrem eingestuften Phänomene an.

Wo die Trennlinie zwischen Extremismus und Nicht-Extremismus verläuft, lässt sich nicht immer exakt bestimmen. Zur Entkräftung des Extremismusverdachts ist der Verzicht auf Gewaltausübung nicht geeignet, da dieser auch Teil einer taktisch motivierten Verschleierungsabsicht sein kann. Schwieriger wird es, wenn sich die Wertenegation nicht auf den gesamten demokratischen Verfassungsstaat bezieht, sondern lediglich auf einzelne Elemente. Manche Autoren versuchen dies zu berücksichtigen, indem sie zwischen harten und weichen Extremismen unterscheiden beziehungsweise für die weiche Form andere Bezeichnungen wie Rechtsradikalismus oder Rechtspopulismus verwenden.

Zumindest mit Blick auf den Rechtspopulismus erweist sich eine solche Begriffsabgrenzung allerdings als unscharf. Im Zentrum des Populismus stehen die Kritik der herrschenden Eliten und der Rückgriff auf das »einfache Volk«. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Agitationsform oder ein politisches Stilmittel, wie gelegentlich behauptet wird, sondern auch um ein ideologisches Merkmal. Im Unterschied zum Rechtsextremismus versteht sich der Rechtspopulismus keineswegs als antidemokratisch; er beansprucht im Gegenteil die Vertretung der wahren Demokratieform, indem er den vermeintlichen Volkswillen gegen die Rechte von Einzelnen oder Minderheiten in Stellung bringt. Je antiliberaler und antipluralistischer er dabei auftritt, desto größer sind seine Schnittmengen zum Extremismus.

Dass Rechtsextremismus und Rechtspopulismus eine erfolgreiche Verbindung eingehen können, lässt sich historisch an den Beispielen des Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus belegen. Blickt man auf die heutigen Rechtsaußenparteien, die durch Neu- oder Umgründungen seit den 70er Jahren entstanden sind, gilt die Formel allerdings nur eingeschränkt. Standen Parteien wie der französische Front National oder der belgische Vlaams Blok lange Zeit für eine extremistische Spielart des Rechtspopulismus, war es bei den anderen Neugründungen – von der norwegischen Fortschrittspartei über Silvio Berlusconis Forza Italia bis hin zu Geert Wilders’ Freiheitspartei in den Niederlanden – unstreitig, dass sie nicht als rechtsextrem gelten konnten. Gleichzeitig gibt es Parteien wie die österreichische FPÖ oder die AfD hierzulande, die zwar nicht durchgängig rechtsextrem sind, aber teilweise rechtsextreme Züge tragen. Im Falle der AfD haben sich diese seit der Entstehung der Partei im Jahre 2013 nach und nach verstärkt.

Sowohl rechtspopulistische als auch rechtsextremistische Parteien hatten in der Bundesrepublik bis zum Auftreten der AfD nur sporadischen Erfolg. Nach dem raschen Abebben der ersten rechtsextremistischen Welle zu Beginn der 50er und der zweiten Ende der 60er Jahre setzte zu Beginn der 80er Jahre eine dritte Welle ein, die bis heute ungebrochen ist. Keinem der rechtspopulistischen und rechtsextremen Akteure gelang es jedoch, sich in dieser letzten Phase dauerhaft parteipolitisch zu etablieren. Unter den gescheiterten Rechtspopulisten sind die Hamburger Statt Partei, der Bund Freier Bürger und die ebenfalls von Hamburg aus gestartete Schill-Partei zu nennen; unter den auf regionaler Ebene gelegentlich erfolgreichen Rechtsextremisten neben der NPD, vor allem die (später in der NPD aufgegangene) DVU. Die als rechtskonservative Abspaltung von der CSU entstandenen Republikaner wurden unter dem Vorsitz von Franz Schönhuber rasch zu einer rechtspopulistischen Kraft transformiert, in deren Ideologie und Organisation rechtsextreme Elemente zunehmend einsickerten. Nach einigen spektakulären Wahlerfolgen auf Länderebene verschwand die Partei ab Mitte der 90er Jahre ebenso rasch wieder in der Bedeutungslosigkeit.

Eine vergleichbare Entstehungsgeschichte hat die AfD hinter sich. Auch sie ist als liberal-konservative Abspaltung im bürgerlichen Lager entstanden und hat sich dann bald dem Rechtspopulismus und Rechtsextremismus geöffnet. Aus der vergleichenden Forschung weiß man, dass es in der Regel einer bestimmten gesellschaftlichen Krisenkonstellation bedarf – der amerikanische Historiker Lawrence Goodwyn sprach von »populistischen Momenten« –, um neue Parteien und Bewegungen hervorzubringen. Im Falle der AfD war dies die Finanz- und Eurokrise. Sie eröffnete die Chance für die Bildung einer neuen EU-kritischen Partei, deren programmatische Kernforderungen – kontrollierte Auflösung der Währungsunion und Absage an eine weitere Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses – geeignet waren, um daran eine breitere rechtspopulistische Plattform anzudocken.

Rückblickend betrachtet stellt die Etablierung einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland eine Art (west-)europäische Normalisierung dar. Warum dieser Prozess so lange gedauert hat, bleibt in gewisser Weise ein Rätsel. Erklärungen wie die bis in die Nullerjahre funktionierende Integrationsfähigkeit der Unionsparteien nach rechts(außen) oder die fehlende streitige Auseinandersetzung über die Migrationspolitik können nur einen Teil der Antwort geben. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Schwäche des parteiförmigen Rechtspopulismus in den 90er Jahren mit einem Erstarken anderer Formen des Rechtsextremismus einherging. Diese Erscheinungsformen reichen von – unter dem Sammelbegriff der Neuen Rechten firmierenden – intellektuellen Strömungen über rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierte, zum Teil sogar terroristisch ausgeübte Gewalttaten bis hin zu den neuerdings (etwa von der Identitären Bewegung) praktizierten Aktionsformen der Spaß- und Kommunikationsguerilla, die genauso wie die Pegida-Demonstrationen eigentlich aus dem linken Lager stammen und kopiert wurden.

In einer internationalen Vergleichsuntersuchung, die inzwischen allerdings über 20 Jahre zurückliegt, hat der niederländische Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans gezeigt, dass in Ländern, in denen starke rechtspopulistische Parteien dem gesellschaftlichen Protest eine Stimme verliehen, wie zum Beispiel in Frankreich oder Österreich, das Niveau an rechtsextremer Gewalt geringer sei, als dort, wo es – wie in Deutschland – an einer solchen Stimme fehlte. Wenn es einen solchen Zusammenhang gab, so dürfte er sich spätestens mit dem Auftreten von AfD und Pegida erledigt oder sogar in sein Gegenteil verkehrt haben. Deren Stimmungsmache gegen Fremde und diejenigen, die das »Eindringen« der Fremden betreiben, erzeugte ein Klima, das zur Gewaltanwendung offenkundig weiter ermunterte, wie der starke Anstieg der von den Verfassungsschutzämtern gemeldeten rechtsextremen Straftaten seit 2014 belegt. Die neuen Bundesländer und hier wiederum vor allem Sachsen sind dabei überproportional vertreten. Gleichzeitig mehren sich die Hinweise, dass die Pegida-Bewegung in Ostdeutschland in dieses gewaltbereite Milieu »diffundiert« ist.

Das Fortbestehen beziehungsweise Wiedererstarken des Rechtsextremismus, das sich auch an der Kontinuität rechtsextremer Einstellungsmuster ablesen lässt, bleibt vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit einerseits erstaunlich. Andererseits hat das NS-Erbe dafür gesorgt, dass die rechtsextremen Erscheinungen in der Bundesrepublik in jeglicher Hinsicht – gesellschaftlich, politisch und rechtlich – stigmatisiert sind. Gerade hier liegt die Erklärung für die starke Sogwirkung, die Parteien wie die AfD im rechtsextremen Lager entfalten. Weil sich die Rechtspopulisten einen gemäßigteren Anstrich geben, bieten sie den rechtsextremen Akteuren Gelegenheit, ihre eigene Stigmatisierung zu überwinden. Dem Schicksal, von diesen Akteuren unterwandert und in Beschlag genommen zu werden, ist bisher keine rechtspopulistische Gruppierung in der Bundesrepublik entkommen – von den Republikanern über den Bund Freier Bürger bis zur Schill-Partei. Das lag auch daran, dass diese Parteien selbst häufig der Versuchung erlagen, sich das organisatorische und Wählerpotenzial dieser Akteure zunutze zu machen.

Auch die AfD hat ihre Brücken nach ganz rechts außen zunehmend ausgebaut und verstärkt. Das gilt nicht nur, aber besonders für Ostdeutschland, wo Teile der Partei offen rassistische und demokratiefeindliche Positionen vertreten. Wie schwierig es geworden ist, klare Trennlinien zum Rechtsextremismus zu ziehen, zeigt der Umgang mit dem Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke, dessen vom Bundesvorstand im Mai 2015 eingeleitetes Ausschlussverfahren nach der Abwahl Bernd Luckes vom Posten des Parteivorsitzenden eingestellt wurde. Höcke, der Kontakte zum NPD-Umfeld, der Neuen Rechten und zur Identitären Bewegung pflegt, ist mit seinen radikalen Ansichten nicht nur den gemäßigteren Teilen der Partei ein Dorn im Auge, sondern auch vielen nationalkonservativen Vertretern, die sich um die Reputation der AfD im bürgerlichen Lager sorgen. Bleiben deren künftige Wahlergebnisse hinter den Erwartungen zurück, dürfte die Auseinandersetzung zwischen den Gemäßigten und Radikalen an Schärfe zunehmen. Die Spaltung, welche die Partei 2015 zunächst deutlich zurückwarf, bevor sie durch das »Geschenk« der Flüchtlings»krise« zu ihrem Höhenflug bei Wahlen ansetzte, muss also keineswegs die letzte gewesen sein.

Rosiger sind die Aussichten der AfD, wenn man den Blick von der Akteurs- auf die Nachfrageseite lenkt. Vergegenwärtigt man sich die immensen Herausforderungen und den Veränderungsdruck, mit denen die deutsche Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten durch die Zuwanderer konfrontiert sein wird, wäre es verwunderlich, wenn eine »migrationskritische« Partei wie die AfD daraus keinen Nutzen ziehen könnte. Dass die Angst vor dem »Fremden« nicht dort am größten ist, wo die meisten »Fremden« leben, ist keine neue Erkenntnis, ebenso wenig die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen bis in die Mitte der Gesellschaft. Indem sie den Protest gegen die von allen übrigen Parteien (mit Ausnahme der CSU) im Grundsatz mitgetragene Flüchtlingspolitik anfacht, bringt die AfD diese latenten Überzeugungen an die politische Oberfläche. Gleichzeitig profitiert sie von nicht-extremistischen Überzeugungswählern aus dem bürgerlich-konservativen Bereich, die sich von der nach links gerückten CDU nicht mehr vertreten fühlen.

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