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Burg Hohenzollern, Hechingen, Baden-Württemberg © picture alliance / Westend61 | HuberStarke

Stephan Malinowskis Buch über die Hohenzollern und die Nazis Republikfeinde, Kollaborateure, Profiteure

Gemeinhin heißt es, die gesellschaftliche Bedeutung des Adels sei nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland »untergegangen« oder zumindest »abgeschafft« worden. Doch diese Formulierungen führen in die Irre. Das zeigt aktuell der Versuch eines Hohenzollern-Nachkommen, sich für die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone umfangreiche Restitutionen an Immobilien, Kunstschätzen und Vermögen zu erstreiten.

Der Historiker Stephan Malinowski hat sich hierzu als Gutachter eindeutig geäußert und deutlich gemacht, dass die Hohenzollern politisch schwer belastet sind und deshalb auch keinen Anspruch auf weitere Entschädigungen haben sollten. Mit seinem Buch Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration weist er auf über 700 Seiten nach, welch fatale Rolle die Hohenzollern während der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus gespielt haben.

Mit Sprachsetzungen fing es an: Der Kaiser sei »ins Exil« gegangen, hieß es. Tatsächlich aber sind Wilhelm II. und Kronprinz Wilhelm von Preußen als militärische Befehlshaber desertiert. Schloss Doorn in den Niederlanden entwickelte sich fortan zu einer Schaltstelle des antirepublikanischen Milieus.

Als die Ermordung Matthias Erzbergers, des badischen Politikers aus der Zentrumspartei, der im November 1918 das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne unterzeichnet hatte, bekannt wurde, knallten auf Schloss Doorn die Sektkorken. Auch die Ermordung Walter Rathenaus, sowie das Attentat auf Maximilian Harden, den Herausgeber der durchaus kaiserkritischen Wochenzeitschrift Die Zukunft, versetzten die dortigen Bewohner in Feierlaune.

Im niederländischen Wieringen bastelten unterdessen der Kronprinz und sein PR-Stab an seinem Image als moderne, sportliche Führungsfigur. Der einzige Kampf, den diese Familie aber siegreich beendet habe, sei der Kampf um die Fürstenabfindung gewesen, schreibt Malinowski. Die Familie erhielt 1926 neben dutzenden Eisenbahnwaggons voller Mobiliar, Kunstschätzen und Schmuck, welche sie sich noch vor ihrer Flucht gesichert hatte, auch die gigantische Summe von 125 Milionen Goldmark zugesprochen.

1927 formulierte Wilhelm II. in einem Brief: »Die Presse, Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muß. I believe the best would be gas?« Anlässlich des zweiten Wahlgangs der Reichspräsidentenwahl am 3. April 1932 ließ sich der Sohn Wilhelms II., Wilhelm von Preußen, der einstige Kronprinz, zu dem Aufruf hinreißen: »Da ich eine geschlossene nationale Front für unbedingt notwendig halte, werde ich im zweiten Wahlgang Adolf Hitler wählen.« Das Verbot von SA und SS hielt der vormalige Thronfolgeanwärter für einen schweren Fehler: »Es ist mir auch unverständlich, wie Sie gerade als Reichswehrminister das wunderbare Menschenmaterial, das in der SA und SS vereinigt ist und das dort eine wertvolle Erziehung genießt, zerschlagen helfen.«

Solche und andere Äußerungen hielt selbst der Historiker Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen, ältester Sohn von Louis Ferdinand von Preußen, für mehr als gefährlich: »Der Kronprinz hat sicher dazu beigetragen, die NSDAP in Rechtskreisen hoffähig zu machen«, befand er in seiner Dissertation von 1981.

Stephan Malinowski periodisiert die Kollaboration der Kaiserfamilie in sechs Phasen, denen er jeweils ein umfangreiches Kapitel widmet: die Hohenzollern im Exil als Außenstellen der Gegenrevolution; die Hohenzollern gegen die Republik in den 20er Jahren; die Rolle der Hohenzollern im weichenstellenden Jahr 1932, als eine Allianz aus Konservativen, Reaktionären und Nationalsozialisten die sozialdemokratische Regierung Preußens stürzte; 1933 als das Jahr der »Machtübergabe« an die Nationalsozialisten; sodann die zwölf Jahre des »Dritten Reiches«; schließlich, als »Tragödie und Farce«, die Hohenzollern und die Republik seit 1945. Der Autor findet erdrückende Beweise dafür, wie sich die Hohenzollern in einer Mischung aus Unterwürfigkeit und Opportunismus den Nationalsozialisten kollaborierend andienten.

Malinowski beschreibt allerdings nicht nur, was die Hohenzollern aktiv zur Unterstützung des NS-Regimes beitrugen, sondern auch, was sie unterließen. Auch wenn sie nach 1918 keine reale politische Macht mehr besaßen, so verfügten sie doch über ein erhebliches symbolisches Kapital. Nur der aus einer Nebenlinie stammende Prinz Joachim Albrecht zog sich überzeugend ins Privatleben zurück. Alle anderen jedoch, so Malinowski, agierten bewusst in der Öffentlichkeit, und niemand gebärdete sich auch nur annähernd als republikfreundlich.

Die Weltpresse verzeichnete akribisch jede Regung und Nichtregung. Wenn sich der »Kronprinz« am Tag von Potsdam neben Staatspräsident Hindenburg stellte, so symbolisierte eben dies den Einklang von ehemaligem Herrscherhaus und höchster Staatsgewalt mit den neuen NS-Machthabern. Malinowski schreibt: »Die Schwäche der deutschen Konservativen und ihre porösen Grenzen zur NS-Bewegung hatten eine Vielzahl von Gründen. Die Hohenzollern aber trugen zu dieser Schwäche bei, weil die Familie die vielleicht einzige politische Leistung, die der Hochadel nach 1918 noch erzielen konnte, an keiner Stelle erbracht hatte: die Symbolisierung und Darstellung eines konservativen Gegenpols zum Nationalsozialismus.«

Der harte Kern aus überzeugten oder gar »fanatischen« Nationalsozialisten war aber nur dann durchsetzungsfähig, wenn er von kollaborierenden Gruppen unterstützt und getragen wurde. In diesem Sinn waren die Kollaborateure keine Nebenfiguren, sondern gehörten zur Grundlage der nationalsozialistischen Diktatur.

Besonders perfide wirkten dann die Bemühungen der Familie, sich in der Nachkriegszeit in die Nähe des militärischen Widerstands vom 20. Juli zu rücken. Der »Kronprinz« war zwar mit Generaloberst Ludwig Beck, einem führenden Teilnehmer am fehlgeschlagenen Staatsstreich, befreundet, doch entstand diese Freundschaft in den 20er Jahren über Fragen der Wiederaufrüstung und Kriegsplanung, zuletzt aus der gemeinsamen Begeisterung für die neue Hitlerregierung 1933.

Die Hohenzollern gehörten zu keinem Zeitpunkt zu den Opfern. Trotz gelegentlicher antiadeliger Pöbeleien von Seiten der Nazis gehörte die Familie ohne Zweifel zu den Profiteuren der NS-Diktatur. Steuerunterlagen von 1942 wiesen ein Rohvermögen von über 84 Millionen Reichsmark aus, die Hälfte davon in Aktien. Sie und auch andere adelige Familien bemühten sich um den Erwerb billiger Landgüter in den Beutegebieten sowie um »arisierte« Unternehmen und Immobilien.

Als der Ankläger im Nürnberger Prozess den Ex-Kronprinzen fragte, was ihn während der zurückliegenden zwölf Jahre am meisten erschüttert hätte, lautete dessen Antwort: »Die Bilder meines Vaters wurden in den Offizierskorps beseitigt. Das tat mir weh.«

Das glänzend formulierte Buch von Stephan Malinowski ist eine wegweisende Lektüre für alle Geschichtsinteressierten und unentbehrlich, um die gegenwärtige Entschädigungsdebatte verstehen und einzuordnen zu können.

Stephan Malinowski: Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration. Propyläen, Berlin 2021, 752 S., 35 €.

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