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»Rettet uns der technische Fortschritt?«

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suggerieren, dass Klimaschutz einfach wäre. So schreibt der Solaringenieur Volker Quaschning: »Die nötigen Technologien und Konzepte sind schon lange entwickelt. Leisten können wir uns den nötigen Wandel auch. Es gibt also keine unüberwindlichen technischen und ökonomischen Hürden.« Der Ökostrom wird aber nicht ausreichen, um »grünes Wachstum« zu befeuern.

Diese Aussage mag zunächst überraschen, schließlich schickt die Sonne 5.000 Mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigten, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer genießen könnten. Aber bekanntlich muss die Sonnenenergie erst einmal eingefangen werden. Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint beziehungsweise der Wind weht. Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – entweder in Batterien oder aber als grüner Wasserstoff. Dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird.

Implizit geben die meisten Klimastudien zu, dass Ökoenergie Mangelware sein wird, denn alle Szenarien kreisen um die Frage, wie sich die Effizienz steigern lässt. Die Grundidee dabei: Wenn Strom begrenzt ist, müssen wir ihn besser nutzen. Dieses Vorhaben ist richtig, wird aber erneut von illusorischen Hoffnungen begleitet.

Zwar lässt sich in manchen Branchen tatsächlich mühelos Energie sparen. So hat Ökostrom den Vorteil, dass Windräder und Solaranlagen die gewonnene Energie direkt ins Netz einspeisen. Konventionelle Kohle- oder Gaskraftwerke hingegen müssen erst Turbinen antreiben, die dann den Strom erzeugen. Diese aufwendigen Zwischenschritte entfallen bei der Ökoenergie, sodass die Reduktion bei der Primärenergie etwa 23 Prozent betragen würde. Auch beim Konsum ließe sich manchmal bequem Energie sparen, sobald auf Strom umgestellt würde. Wenn alle Gebäude Wärmepumpen nutzen würden, könnten die privaten Haushalte auf ein Drittel oder gar die Hälfte ihres Energieverbrauchs verzichten.

Doch länger ist die Liste der einfachen Lösungen nicht. E-Autos werden zwar gern als Effizienzwunder gepriesen, benötigen aber sehr viel Energie, sobald auch ihre Produktion berücksichtigt wird. Bei Flugzeugen wiederum gibt es bisher überhaupt kein Konzept, wie sie komplett klimaneutral sein könnten. Öko-Kerosin ist nicht nur extrem energieaufwändig, sondern hinterlässt ebenfalls Kondensstreifen, die die Erde aufheizen. Also muss die Menschheit am Boden bleiben, wenn sie den Klimaschutz ernst meint.

Auch die Industrie kann sich nur mit größter Mühe von Öl, Gas und Kohle trennen. Diese sind nämlich nicht nur billige Brennstoffe, sondern zugleich nötig, um die chemischen Prozesse überhaupt in Gang zu bringen. Die Chemieindustrie hat bereits kalkuliert, wie hoch ihr gesamter Energiebedarf wäre, wenn sie grün produzieren soll – und kam auf sagenhafte 685 Terawattstunden pro Jahr. Das ist mehr Strom, als heute ganz Deutschland verbraucht.

Nicht wenige Optimisten hoffen, dass man den nötigen Strom einfach aus der Wüste importieren könnte. Doch auch dieser Plan scheitert an der Realität: Es wäre nämlich extrem ineffizient, den Solarstrom über Tausende Kilometer in die Bundesrepublik zu transportieren. Da ist es billiger, den Ökostrom in Deutschland zu produzieren und zu speichern – obwohl auch das teuer ist.

Aber könnte nicht ein Wunder geschehen? Die Menschen im 18. Jahrhundert hätten sich doch auch nicht träumen lassen, dass wir heute Smartphones benutzen. Das stimmt. Aber leider werden hierbei die Zeitebenen verwechselt. Es geht nicht mehr um die Zukunft, sondern um die Gegenwart: Wir müssen sofort handeln, wenn wir einen Klimakollaps verhindern wollen.

Schrumpfen statt Wachsen

Zudem dauert es meist sehr lange, bis sich Technologien auf breiter Front durchsetzen. Der Fortschritt ist eine Schnecke: Die ersten Computer wurden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erfunden – aber erst 55 Jahre später setzte eine durchgängige »Digitalisierung« der Wirtschaft ein. Selbst heute ist die Vernetzung noch nicht überall Standard, wie sich in der Coronapandemie erleben ließ, als viele Gesundheitsämter ihre Daten per Fax verschicken mussten. Die Klimakrise muss also mit der Technik bewältigt werden, die jetzt vorhanden ist. Doch mit den heutigen Möglichkeiten lässt sich nicht genug billige Ökoenergie gewinnen, um grünes Wachstum zu befeuern. Es bleibt nur grünes Schrumpfen.

Diese rein quantitative Analyse betrachtet nur Produktmengen, was häufig die Frage aufwirft, ob es nicht auch »qualitatives Wachstum« geben könnte. Schließlich ist bei vielen Gütern zu beobachten, dass sie weniger Material verbrauchen, aber gleichzeitig leistungsfähiger werden. Vor allem die Digitalisierung weckt große Hoffnungen, dass sich in den virtuellen Welten der Computer neue Expansionsmöglichkeiten auftun könnten, die keine Umweltfolgen nach sich ziehen.

So schwärmt der Harvard-Psychologe Steven Pinker über das Smartphone: »Man denke nur an all das Plastik, Metall und Papier, das nicht mehr für die rund 40 Konsumprodukte benötigt wird, die ein einziges Smartphone ersetzt, als da wären Telefon, Anrufbeantworter, Telefonbuch, Kamera, Videokamera, Tonbandgerät, Radio, Wecker, Taschenrechner, Wörterbuch, Adressbuch, Kalender, Stadtplan, Taschenlampe, Faxgerät, Kompass – und sogar Taktmesser, Thermometer und Wasserwaage.«

Doch so eingängig dieses Beispiel sein mag – es taugt nichts. Handys ersetzen zwar Telefonbücher oder Stadtpläne, sind aber zu mobilen Kinos geworden, was enorme Strommengen verschlingt. Auch Videokonferenzen und Cloud Computing, Google-Anfragen und Social Media sind nicht harmlos: Schon 2025 dürften die Digitaltechnologien mehr CO2 ausstoßen als der gesamte globale Autoverkehr.

Die ersten Mobiltelefone kamen 1983 auf den Markt, wogen knapp 800 Gramm und waren so teuer, dass sie nur bei Polizisten und Millionären verbreitet waren. Heute kann sich fast jeder ein Smartphone leisten, denn inzwischen sind sie rund 50 Mal billiger. Der technische Fortschritt hat es möglich gemacht, dass weit weniger Energie und Rohstoffe nötig sind, um ein Handy zu produzieren. Aber am Ende wurden keine Materialien eingespart, sondern stattdessen Milliarden Handys hergestellt. Dieses Phänomen nennt sich Rebound Effect: Werden Maschinen oder Waren effizienter produziert, werden nicht etwa weniger Rohstoffe verbraucht – sondern mehr Güter erzeugt. Es entsteht neues Wachstum, das sonst unmöglich gewesen wäre.

Der Rebound-Effekt ist überall zu beobachten. Fernsehgeräte wurden immer billiger, aber dafür sind jetzt viele Bildschirme so riesig wie eine Leinwand. Kühlschränke verbrauchen weniger Energie, werden jedoch größer und durch Zweitgeräte wie Weinkühler, Froster und Eismaschinen ergänzt. Die benötigte Heizenergie pro Quadratmeter Wohnfläche ist von 2000 bis 2015 zwar um 15 Prozent gesunken, aber gleichzeitig ist die Wohnfläche pro Kopf um 14 Prozent gewachsen.

Auch im Verkehr zeigt sich der Rebound-Effekt: Automotoren werden immer effizienter, aber der Diesel- oder Benzinbedarf ist nicht gesunken, stattdessen ist die PS-Leistung neuer Pkw in den vergangenen 15 Jahren um 29 Prozent gestiegen. Flugzeuge benötigen stets weniger Kerosin pro Passagier – aber leider wird immer mehr geflogen. Bis 2050, so wird geschätzt, dürfte sich der weltweite Flugverkehr verdreifachen.

Es ist illusorisch, allein auf technische Effizienz zu setzen, um das Klimaproblem zu lösen. Ein Rückblick auf das 20. Jahrhundert macht es möglich, den Rebound-Effekt genau zu quantifizieren: Von 1900 bis 2005 hat sich die globale Wirtschaftsleistung um das 23-fache erhöht. Zugleich stieg der Rohstoffverbrauch um das Achtfache. Er müsste aber sinken, nicht steigen. Es gibt keine Wundertechnik, die den Kapitalismus plötzlich »dematerialisieren« würde. Also bleibt das Problem, dass die Ökoenergie nicht reichen wird, um die ganze Wirtschaft zu befeuern. Es wird Zeit, über »grünes Schrumpfen« nachzudenken. Es wäre das Ende des Kapitalismus, denn er benötigt Wachstum, um stabil zu sein.

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