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© Amy Humphries/Unsplash

Über Pekings Afrika-Dilemma Rollenkonflikte und geostrategische Machtkonkurrenz

Unter der fünften Führungsgeneration formuliert die Volksrepublik (VR) China sehr aktiv globale Mitsprache- und Mitgestaltungsansprüche. Dieser artikulierte Großmachtanspruch steht jedoch in einem eklatanten Spannungsverhältnis zu Chinas parallel weiterhin offiziell aufrechterhaltenen Akteursidentität als Entwicklungsland. Gerade in den Verhandlungen mit den afrikanischen Staaten betont Pekings Regierung Chinas Zugehörigkeit zum »Globalen Süden« und beschwört die gemeinsamen historischen Erfahrungen als Opfer des westlichen Kolonialismus. Doch stoßen diese Formeln der »Win-win-Kooperation des Globalen Südens« und der »Partnerschaft auf Augenhöhe« zunehmend auf Skepsis und Ablehnung. In einzelnen afrikanischen Staaten mehren sich die Aufstände afrikanischer Arbeiter gegen »chinesische« Arbeitsnormen (wie in den Kupferminen von Sambia); in den vergangenen Jahren hat die Zahl der Übergriffe und anti-chinesischen Proteste in Afrika zugenommen. Chinesische Unternehmen und ihre Mitarbeiter sind zudem ins Visier des transnationalen Terrorismus und des religiösen Fanatismus in Afrika gerückt. Da sich die chinesischen Infrastrukturprojekte und Kredite chinesischer Banken zudem aus Sicht von Rebellengruppen und Oppositionellen als maßgebliches Element der Stabilisierung und Machtabsicherung der herrschenden Eliten erwiesen haben, ist der »Ausverkauf« an China vielerorts auch zum Wahlkampfthema avanciert. So erklärt sich, dass die gegenwärtige Strategieplanung Pekings nicht nur Afrikas Kriegspotenziale analysiert, sondern auch nicht-traditionelle Sicherheitsprobleme einkalkuliert.

Chinas Interesse an Afrika beruht längst nicht mehr allein auf der Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen und Ressourcen. Auch mit jenen afrikanischen Staaten, die – wie beispielsweise Mali – nicht für größere Rohstoffvorkommen bekannt sind, hat Peking seine Kooperationsbeziehungen in den vergangenen Jahren intensiviert. Eine mögliche Erklärung hierfür könnten die geostrategischen Kalkulationen sein, die mit der Gestaltung der »Neuen Seidenstraße«, einem Netzwerk von Handelsrouten und -knotenpunkten mit Steuerungszentrum in China, einhergehen. Durch den Ausbau der Vernetztheit des afrikanischen Kontinents und die Erschließung neuer transkontinentaler Transportwege werden alle Staaten entlang der Seidenstraßen-Korridore zu zentralen Knotenpunkten aufgewertet. Insbesondere Hafenstädten kommt eine zentrale Funktion für die Realisierung der (maritimen) »Neuen Seidenstraße« zu. 2017 hat die VR China eine logistische Basis in Djibouti eröffnet; der Fischerort Bagamoyo (Tansania) soll, inspiriert von Chinas Sonderwirtschaftszone in Shenzhen, in den kommenden Jahren zu einem Wirtschaftsknotenpunkt mit Containerhafen umgebaut werden.

»Smart« Afrika

Neben dem Aufbau der Transportinfrastruktur umfassen Chinas Großprojekte in Afrika auch den Ausbau der Elektrizitäts- und Telekommunikationsnetze. Chinas nationales Wachstums- und Entwicklungskonzept zielt offiziell darauf ab, das Land bis 2030 als weltweites Führungszentrum für technologische Innovation zu etablieren. Chinesische Firmen sollen zu globalen Champions aufgebaut werden, die mit ihren innovativen Lösungen neue globale Standards setzen. Neben »grüner« Energietechnologie hat im Zuge des staatlich geförderten Aufbaus der »Neuen Seidenstraße« auch der Export chinesischer Telekommunikationstechnologie und Smart-City-Paketlösungen begonnen. Afrikas »Safe City«-Modelle operieren mit chinesischer (Überwachungs-)Technologie. Afrika ist damit nicht nur ein Absatzmarkt für günstige chinesische Konsumgüter, sondern potenziell auch ein wichtiger Stützpunkt für die Internationalisierung chinesischer IT-Lösungen und techn(olog)ischer Standards.

Unter dem Label der »Neuen Seidenstraße« exportiert Peking Überkapazitäten und sichert Arbeitsaufträge für chinesische (Staats-)Unternehmen. Finanziert werden diese Projekte durch günstige Kredite und Darlehen, bereitgestellt durch chinesische Banken. Da die Kreditvergabe an keinerlei Konditionen gebunden ist und keine Prüfung der Bonität der Empfängerländer erfolgt, laufen diejenigen afrikanischen Staaten, die sich bereits in akuten Wirtschaftsproblemen befinden, Gefahr, in eine Schuldenfalle mit unabsehbaren Langzeitfolgen zu geraten. Chinas freizügige Kreditvergabe ist daher seitens der internationalen Staatengemeinschaft wiederholt kritisiert worden. Allerdings zeichnet sich – entgegen der weitverbreiteten Horrormeldung, dass Peking über eine gezielte Überschuldung Afrikas auf eine Machtübernahme hinsteuert – ab, dass auf chinesischer Seite verstärkt die Risiken kalkuliert werden, die aus Wirtschafts- und Finanzkrisen der afrikanischen Staaten resultieren könnten. Meldungen über die versteckten Schuldenfallen der »Neuen Seidenstraße« haben in einzelnen Fällen zur Aufkündigung bereits in Planung befindlicher Infrastrukturprojekte durch die afrikanischen Vertragspartner geführt. Neben den wirtschaftlichen Einbußen droht China dabei auch ein irreparabler Reputationsverlust. Als Versuch der Gegensteuerung setzt Peking auf Smart Power und Imagepolitik und finanziert den Bau von Prestigeprojekten, wie dem Hauptsitz der Afrikanischen Union, Regierungsgebäuden, Stadien, Schulen und Krankenhäusern. Darüber hinaus hat Peking auf die partiell sichtbar werdende negative Chinawahrnehmung in (Teilen von) Afrika mit speziell für das afrikanische Publikum konzipierten Fernsehprogrammen (CGTN Afrika) und lokalen Ausgaben chinesischer Zeitungen (in englischer Sprache) reagiert, über die Chinas eigene Sicht auf die Süd-Süd-Kooperation vermittelt werden soll.

Die VR China beteiligt sich aktiv an den Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Für die Missionen in Mali und im Südsudan wurden erstmals auch chinesische Kampftruppen entsandt, was Rückschlüsse auf eine Modifikation der chinesischen Außen- und Sicherheitsstrategie zulässt. Generell aber setzt Peking auf Konfliktprävention sowie Konfliktschlichtung durch lokale afrikanische Akteure. In den beiden offiziellen chinesischen Afrika-Strategiepapieren – vorgelegt 2006 und 2015 – wird deutlich, dass regionalen Organisationen wie der Afrikanischen Union hierbei eine Schlüsselrolle zugeschrieben wird. Dem Konzept »Frieden durch Entwicklungschancen« folgend, präsentiert die VR China zudem ihre unter dem Mantel der »Neuen Seidenstraße« vorgelegten Finanz- und Investitionsofferten an die afrikanischen Staaten als Beitrag zur Erreichung der afrikanischen Entwicklungsziele sowie der langfristigen Stabilisierung und Friedenssicherung.

Offiziell hält China weiterhin an dem Grundsatz der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten anderer (souveräner) Staaten fest. Die fragile Staatlichkeit strategischer afrikanischer Kooperationspartner und die lokale Dominanz von Warlords und Guerillaverbänden hat informell jedoch zu einer pragmatischen Adaption der außenpolitischen Grundideen geführt. Am Ende obsiegen in der Regel nationale Interessen: Peking unterhält beispielsweise einerseits aktive Beziehungen mit Khartum (Sudan), andererseits hat es die Abspaltung und Unabhängigkeitserklärung des Südens akzeptiert (obwohl dies Pekings Grundsatz der Nulltoleranz gegenüber Separations- und Autonomiebewegungen diametral entgegensteht).

Chinas Aufstieg zu Afrikas wichtigstem Handelspartner hat nicht zuletzt eine Neubestimmung der US-amerikanischen Afrikastrategie nach sich gezogen. Im Dezember 2018 legte der nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten dar, dass die Intensivierung von Handel und Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika auf die Eindämmung des Terrorismus abziele – und darauf, den wachsenden Einfluss Chinas und Russlands in Afrika zurückzudrängen. Parallel hierzu haben auch andere asiatische Staaten ihre Afrikaprogramme weiter ausgebaut. Im November 2016 legten die Premierminister von Indien und Japan mit einer gemeinsamen Erklärung den Grundstein für den »Asia Africa Growth Corridor«. Über dieses Programm planen die beiden Staaten, ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika abzustimmen und Projekte gemeinsam durchzuführen. Japan hat zudem bereits im Jahr 1993 mit der »Tokyo International Conference on African Development« (TICAD) einen im dreijährigen Turnus stattfindenden Konsultationsmechanismus für die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika eingerichtet.

China hat im Jahr 2000 mit dem »Forum on China-Africa Cooperation« (FOCAC) ihre Kooperations- und Dialogformate mit Afrika institutionalisiert. Alle drei Jahre findet alternierend in China oder Afrika ein Gipfeltreffen statt, bei dem langfristige Programme und Ziele im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit fixiert werden. Beim Gipfel in Peking im September 2018 betonte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping die »Fünf Nein«-Grundlage der chinesischen Afrikapolitik – und damit insbesondere das Festhalten Pekings am Prinzip der nichtkonditionalen Kreditpolitik und der Nichteinmischung. Zudem kündigte er Kredite und Investitionen in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar an. Am Rande des G20-Gipfels, der im Juni 2019 in Osaka (Japan) stattfand, kam es zu einem weiteren Treffen zwischen Xi und einer Gruppe ausgewählter afrikanischer Staatsführer – an dem auch der UN-Generalsekretär teilnahm. Xi betonte die bereits 2018 vereinbarten Kooperationspunkte und bettete diese in ein globales Entwicklungs- und Wachstumsmodell ein.

Ende August 2019 fand das 7. TICAD-Forum in Yokohama statt. Dort stellte Japans Premierminister Shinzo Abe Investitionen in Afrika in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar in Aussicht. Er unterstrich, dass Japan bei seinen (Entwicklungs-)Projekten vor allem auf Qualität und Nachhaltigkeit setze – eventuell ein Versuch der indirekten Abgrenzung gegenüber China und der aktuell international mit einiger Skepsis verfolgten »Neuen Seidenstraße«.

Bislang schien der Faktor der diplomatischen Anerkennung und Symbolpolitik an Bedeutung für die chinesische Afrikapolitik verloren zu haben. Bis auf das Königreich Eswatini (vormals: Swasiland) haben alle afrikanischen Staaten ihre politisch-diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen. Aus Sicht chinesischer Analysten präsentieren sich Tokyos Kooperationsangebote an die afrikanischen Staaten jedoch als ein (indirektes) Werben um die Stimmen der afrikanischen Staaten für Japans Antrag auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – ein Anliegen, das von chinesischer Seite strikt zurückgewiesen wird. Peking hätte somit allen Grund, einer zu starken Einflussnahme Japans auf Afrika entgegenzuwirken.

Die Hintergrundanalysen chinesischer Thinktanks und universitärer Einrichtungen verdeutlichen, dass Peking bei der Ausgestaltung und Neuausrichtung seiner Afrikastrategie nicht davon ausgeht, dass die gegenwärtigen Machtkonfigurationen und Positionen externer Akteure (insbesondere der USA, Europas, Russlands, Indiens, Japans und Chinas) auf ewig fixiert sind. Statt mit einer starren, dogmatischen Einheitsstrategie zu operieren, setzt Peking auf pragmatische, flexible Kooperationsstrukturen. Bei der Ausgestaltung der Beziehungen zu den einzelnen afrikanischen Staaten werden interne Entwicklungen (Kriege/Krisen, aber auch Regierungswechsel qua Wahlen) ebenso reflektiert wie die Positionen und Offerten anderer externer Akteure, mit denen die VR China um ökonomische wie auch symbolische Einflusssphären konkurriert. Gerade mit Blick auf die Ausweitung der »Neuen Seidenstraße« auf Afrika zeichnet sich ab, dass Pekings Außen- und Sicherheitspolitik primär langfristige geostrategische Ziele verfolgt – und längst nicht mehr allein einer blinden ökonomischen Gewinnmaximierung verschrieben ist.

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