Das Qualifikationsspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 2018 am 1. September 2017 in Prag blieb weniger aufgrund des späten Siegtreffers von Mats Hummels, sondern vielmehr aufgrund der rassistischen Gesänge aus dem deutschen Fanblock in Erinnerung. Doch nicht nur auf Nationalmannschaftsebene sorgen diskriminierende Vorfälle auf den Tribünen regelmäßig für Empörung. Die Beispiele sind mannigfaltig und reichen vom Profifußball bis in den Amateurbereich. In den vergangenen Jahren machte etwa die gewaltbereite Fangruppierung »0231 Riot« von Borussia Dortmund, die sich inzwischen aufgelöst hat, nicht nur durch Verbindungen ins rechtsextreme Freefight-Milieu, sondern auch durch die Einschüchterung politisch anders denkender Fans auf sich aufmerksam. Als der Regionalligist FSV Frankfurt im September 2017 in Offenbach zu Gast war, schallte den Frankfurter Anhängern ein lautes »Judenschweine« entgegen. Fans des Fußballklubs Roter Stern Leipzig der Landesklasse Nord wurden im Oktober 2017 beim Auswärtsspiel gegen den TSV Schildau als »Zeckenpack« und »Judensterne« beschimpft, bevor sie nach dem Spiel attackiert und bei der Abfahrt mit Pflastersteinen sowie Flaschen beworfen wurden.
Diskriminierende Elemente wie Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Ausländerfeindlichkeit und übersteigerter Nationalismus sind in deutschen Stadien seit Jahrzehnten präsent. Wissenschaftler haben diese Phänomene unter dem Begriff Rechtsextremismus zusammengefasst und im Kontext des Fußballs bereits unzählige Male analysiert sowie Gegenstrategien entwickelt. Dennoch wurde bislang lediglich ein Bruchteil dieser Konzepte umgesetzt. Wie wichtig ein zwischen allen Beteiligten abgestimmtes Vorgehen wäre, haben offenbar noch immer nicht alle Entscheidungsträger erkannt. Stattdessen dominiert in Deutschland individueller Aktionismus Einzelner, der in den seltensten Fällen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußt. Ein Gesamtkonzept, um die verschiedenen Ausprägungen des Rechtsextremismus im Fußballstadion auf den unterschiedlichen Ebenen zielführend zu bekämpfen, ist weiterhin nicht in Sicht.
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Sowohl die Fanszenen selbst als auch die Akteure im Bereich der Fanarbeit sind extrem vielfältig. Vereine, Verbände, Fanprojekte, Fanbeauftragte, Fanorganisationen, Polizei und Politik: Sie alle spielen wichtige Rollen im Kampf gegen Diskriminierung im Fußballstadion. Diese Vielgestaltigkeit per e ist jedoch nicht das Problem. Vielmehr liegen darin immense Chancen, verschiedene Facetten des Rechtsextremismus mit unterschiedlichen Akteuren effektiv zu bekämpfen. Fanprojekte leisten beispielsweise präventive Arbeit, welche die Polizei mangels Akzeptanz in den Fanszenen niemals so betreiben könnte. Auf der anderen Seite ist es essenziell, dass Fans die Fanbeauftragten der Vereine nicht als verlängerten Arm der Polizei betrachten, um ihre Akzeptanz innerhalb der Szenen nicht zu gefährden. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, dass repressive Ansätze von der Polizei umgesetzt werden. Kurz: Eine maßgeschneiderte Zuweisung von Aufgaben im Rahmen einer wissenschaftlich fundierten Gesamtstrategie ist im Prinzip möglich.
Doch leider verfolgen die unterschiedlichen Akteure seit Jahren eigene Wege, Rechtsextremismus im Stadion zu bekämpfen. Ein Austausch findet nur teilweise statt. So entstand ein Wildwuchs an Strategien, Maßnahmen, Ansätzen und Projekten gegen Diskriminierung im Fußballstadion, den niemand mehr vollständig überblickt. Es fehlt eine Instanz, die Ordnung in dieses Chaos bringt, indem sie die existierenden Bemühungen sammelt, analysiert, wissenschaftlich aufarbeitet und die Erkenntnisse allen Akteuren zur Verfügung stellt. Eine Antidiskriminierungsstelle könnte genau diese Aufgabe erfüllen.
Bereits 2015 hat die FIFA ihre Mitgliedsverbände dazu angehalten, eine Antidiskriminierungsstelle aufzubauen. Seitdem ist in Deutschland jedoch nichts passiert. Obwohl etliche Akteure aus Wissenschaft und Praxis die Notwendigkeit der Einführung einer Antidiskriminierungsstelle auf Verbandsebene regelmäßig betonen, sehen sich die Verbände noch immer außerstande, eine solche einzurichten. Auch auf gesellschaftspolitischer Ebene gab es bereits Bemühungen, die Institution mithilfe von vergleichsweise bescheidenen Fördermitteln aufzubauen. Schon die Anstellung von zwei bis drei Fachleuten würde dafür genügen. Doch Ende 2017 wurde ein Förderantrag im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« abgelehnt.
Das ist erstaunlich. Denn es steht außer Frage, wie wichtig eine Antidiskriminierungsstelle auf Verbandsebene im Fußball bereits jetzt schon sein würde und welch enormes Entwicklungspotenzial darin steckt. Mit dem Zusammentragen, Aufarbeiten, Bündeln und Multiplizieren bereits existierender, allerdings völlig fragmentierter fachlicher Expertise würde sie erstens das Rückgrat der Antidiskriminierungsarbeit im Kontext des Fußballs bilden. Zweitens würde damit endlich ein zentraler Ansprechpartner für alle an der Arbeit gegen Diskriminierung im Fußballstadion beteiligten Akteure geschaffen werden. Drittens hätte die Institutionalisierung der Antidiskriminierungsarbeit im Fußball deren Verstetigung zur Folge, womit auch eine öffentlich wahrnehmbare Aufwertung einherginge. Die Stelle könnte darüber hinaus koordinierende Funktionen übernehmen und als langfristiges Ziel, die Entwicklung eines zwischen allen Akteuren abgestimmten Gesamtkonzepts gegen Diskriminierung im Fußballstadion vorantreiben. Perspektivisch wären auch Innovationen wie beispielsweise die Entwicklung einer App denkbar, mit deren Hilfe Fans diskriminierendes Verhalten im Stadion direkt melden könnten. Eine Evaluierung der Vorfälle sowie maßgeschneiderte Lösungsangebote für die betroffenen Fußballklubs könnten von der Antidiskriminierungsstelle erarbeitet und angeboten werden.
Feigenblatt ohne nachhaltige Wirkung
Die Einrichtung einer solchen Institution kann gleichwohl nur gelingen, wenn man die beteiligten Akteure von Anfang an einbezieht. Viele Fanbeauftragte der Vereine sind nämlich heute schon von den Maßnahmen der Verbände gegen Diskriminierung genervt, die häufig nicht mehr als ein Feigenblatt sind und keinerlei nachhaltige Wirkung entfalten. Ein Beispiel dafür ist die von Fachleuten zu Recht kritisierte DFB-Aktion »Zeig Rassismus die Rote Karte«, bei der Fans vor dem Spiel eine Rote Karte gegen Rassismus hochhalten sollen – weitgehend ohne fachliche Einbettung und Folgemaßnahmen wie etwa Workshops zum Thema Rassismus. Transparenz sowie intensive Kommunikation mit den Zielgruppen sollten also oberste Priorität bei der Realisierung haben. Vor allem Fanbeauftragte müssen verstehen, dass keine kontrollierende oder gar sanktionierende Instanz geschaffen wird. Vielmehr bietet die Antidiskriminierungsstelle unterstützende Leistungen an, die bei Bedarf freiwillig abgerufen werden können.
Die Bündelung bestehender Expertise bei einer zentralen Antidiskriminierungsstelle erlaubt es jedem Verein auf einen Maßnahmenkatalog bewährter, wissenschaftlich geprüfter Ansätze zurückzugreifen und diese (mithilfe der Antidiskriminierungsstelle) unter Berücksichtigung der lokalen Besonderheiten maßgeschneidert vor Ort umzusetzen. Die mühsame Entwicklung eigener Konzepte wird überflüssig. Das verringert den unnötigen Verlust finanzieller wie personeller Ressourcen, steigert die Effektivität und macht darüber hinaus die Evaluierung des Erfolgs einzelner Maßnahmen einfacher.
Schulungen, Fortbildungen, Workshops, Informationsblätter und Handreichungen können auf Basis der zusammengefassten empirischen Daten ebenfalls zentral erarbeitet und bei entsprechendem Bedarf regional spezifiziert angeboten werden. Zielgruppe sind dabei im ersten Schritt zunächst Fanbeauftragte, da sie von den Vereinen mit der Arbeit gegen Diskriminierung betraut sind. Bei ihnen muss die Antidiskriminierungsstelle zunächst für begriffliche Sicherheit im Umgang mit den verschiedenen Elementen von Diskriminierung sorgen, um eine stabile Grundlage für die kompetente Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Problemfeld zu gewährleisten.
Medien- und Marketingabteilungen der Vereine können von der Arbeit einer Antidiskriminierungsstelle ebenfalls profitieren. Häufig herrscht gerade dort noch erhebliche Unsicherheit im Umgang mit der Thematik. Diese Ängste können gezielte Informationsangebote abbauen. Denn nicht zuletzt eine glaubhafte Positionierung des Vereins unterstützt die Arbeit gegen Diskriminierung. Gut gemeinte PR-Floskeln sind kontraproduktiv, wenn der Verein in der Praxis wegschaut und engagierte Akteure im Kampf gegen Rechtsextremismus alleine lässt. Überdies können auch Sicherheitsbeauftragte sowie Ordnungsdienste von Schulungen profitieren, die einige Vereine bereits entwickelt haben und deren Konzepte eine Antidiskriminierungsstelle problemlos multiplizieren kann.
Eine enorme Chance wäre die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle vor allem für kleinere Vereine mit geringen finanziellen wie personellen Mitteln – gerade aus dem Amateurbereich. Sie profitieren von dem skizzierten Wissenstransfer besonders, da ihnen häufig die Ressourcen fehlen, um eigene Konzepte zu entwickeln. Viele davon sind jedoch schon längst erprobt und lassen sich ohne größere Mühen kopieren. Es mangelt derzeit allerdings an einem funktionierenden Austausch. Nicht nur innerhalb der Profiligen, sondern vor allem auch zwischen Bundesligisten und dem Amateurbereich. Daher sollte die Antidiskriminierungsstelle nicht nur den 36 Bundesligaklubs zugänglich sein, sondern auch Vereinen unterhalb der beiden Profiligen. Die Antidiskriminierungsstelle ist also idealerweise an der Schnittstelle zwischen der für den Profibereich zuständigen Deutschen Fußball Liga und dem für den Breitensport zuständigen Deutschen Fußball-Bund anzusiedeln. So können alle relevanten Akteure von dem angehäuften Wissen profitieren und Diskriminierung in Fußballstadien endlich effektiv bekämpfen.
(Der Autor erarbeitete 2016 im Auftrag der Deutschen Fußball Liga die Studie »Analyse der Notwendigkeit der Einführung einer Antidiskriminierungsstelle auf Verbandsebene«. Sie ist abrufbar unter: www.fh-potsdam.de.)
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