Menü

»Sanktionen gegen Israel?«

Ja, wenn sich Israels Politik jetzt nicht grundlegend ändert, denn rote Linien sind mehrfach überschritten und gerade die ersten Schritte zu einem Gaza-Frieden zeigen, wie wichtig internationaler Druck ist.

Gilt das Völkerrecht auch für Israel? Gelten die Menschenrechte auch für die Palästinenser? Diese Fragen stellten sich seit Monaten viele in Deutschland und weltweit angesichts der verheerenden Zerstörungen und Vertreibungen im Gazastreifen. Die Organisation »Breaking the Silence« veröffentlichte einen Bericht, der Zeugenaussagen von Soldatinnen und Soldaten dokumentiert. Sie berichteten, dass sie den Befehl erhielten, jegliche Gebäude und Infrastruktur dem Erdboden gleichzumachen. Niemand bestreitet das Recht Israels, für das abscheuliche Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 Vergeltung zu üben. Die Bilder und Berichte aus Gaza lassen jedoch die Vermutung zu, dass es nicht mehr nur um die Bestrafung der Täter, sondern um ganz andere Ziele ging.

Radikale Kräfte in der Regierung Netanjahu wollten immer schon die dauerhafte Herrschaft über den Gazastreifen und wenn möglich die Aussiedlung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Die komplette Zerstörung der Infrastruktur, die Verweigerung der Mittel zur Befriedigung existenzieller Bedürfnisse wie Nahrung, Bildung und gesundheitliche Versorgung für die rund zwei Millionen Menschen führten zur Zermürbung und Verzweiflung und sollten den Boden für den gewünschten Wegzug bereiten, wohin auch immer.

Bevor er dann doch einen Friedensplan vorlegte, hatten Donald Trumps obszöne Pläne für die Umwandlung von Gaza in eine »Riviera des Nahen Ostens« bei den radikalen Kräften in Israel die Fantasie für die Zeit nach dem Krieg beflügelt. Ohne weitere Zerstörungen und Deportationen im großen Stil wäre dieses Ziel nicht zu erreichen gewesen, bis jetzt endlich - von außen erzwungen - ine Trendwende möglich wurde.

Das Wort vom »Genozid« erreichte inzwischen viele Debatten und zog in Forderungen nach Sanktionen gegen die Verursacher dieser Strategien ein. Völkerrecht und Menschenrechte wurden auch nicht nur im Gazastreifen auf das Übelste verletzt. Im Windschatten dieses Krieges haben die Übergriffe auf die Bewohner des Westjordanlandes durch radikale Siedler einen neuen Höhepunkt erreicht. Und Israels Regierung treibt den Siedlungsbau mit Wucht voran. Erst kürzlich hat Finanzminister Bezalel Smotrich den Bau neuer Siedlungen im Gebiet E1 bei Ostjerusalem angekündigt, das eine neue Trennung des palästinensischen Gebietes auf der Westbank bedeuten würde. Der Siedlungsbau in den besetzten Gebieten ist völkerrrechtswidrig.

»Gewalt statt Recht: Diese Blaupause aus dem Nahost-Konflikt hat sich wie ein süßes Gift ausgebreitet.«

Viele UN-Resolutionen haben diese Praxis der israelischen Regierungen über Jahrzehnte verurteilt, ohne dass sich die Regierung daran gehalten hätte. Im Gegenteil, Siedler bekommen finanzielle Vergünstigungen und jede Siedlung steht unter dem Schutz der Armee. Diese Missachtung der UN-Charta, der Bruch von internationalem und humanitärem Recht seit fast 60 Jahren, haben viel zum Verlust der Glaubwürdigkeit einer regelbasierten Ordnung in der Welt beigetragen. Gewalt statt Recht: Diese Blaupause aus dem Nahost-Konflikt hat sich wie ein süßes Gift ausgebreitet. Der rechtswidrige Siedlungsbau wurde über die Jahrzehnte nur halbherzig kritisiert. Die jüngsten Aussagen und Entwicklungen lassen jedoch bei vielen Staaten die Alarmglocken läuten.

Es geht nicht mehr nur um einzelne Siedlungen, sondern um die Zukunft der gesamtem Westbank. Im Juli 2025 befürwortete eine Mehrheit der Knesset die Annexion des Westjordanlandes durch Israel. Wiederum Finanzminister Bezalel Smotrich hat kürzlich einen Plan vorgestellt, 82 Prozent des Westjordanlandes zu annektieren und die palästinensische Bevölkerung auf 18 Prozent zu »konzentrieren«. Eine beschönigende Formel für die Annexion der Westbank lautet »Ausübung der israelischen Souveränität auf Judäa und Samaria«. Diese Übernahme der biblisch-messianischen Formel ist die frontale Absage an einen palästinensischen Staat.

In Oslo wurde 1993 und 1995 von den Konfliktparteien eine Zwei-Staaten-Lösung vereinbart und von der internationalen Gemeinschaft unterstützt. Sie gerät aber weit über den Gazakoflikt hinaus immer mehr durch einseitige israelische Beschlüsse und Maßnahmen in Gefahr. Dies erklärt die Dringlichkeit und Eile, mit der weitere Staaten jetzt offiziell einen Palästinenserstaat anerkennen – 147 sind diesen Schritt schon gegangen, mehr als drei Viertel der UN-Generalversammlung.

Mit Frankreich und Großbritannien sind zwei Mitglieder des UN-Sicherheitsrates dazugekommen. Diese beiden Länder tragen eine besondere Verantwortung für das Schicksal im Nahen Osten, da sie diese Region beherrschen und nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen für die neu gebildeten Staaten gezogen haben. Mit der Balfour-Erklärung von 1917 unterstützte die britische Regierung das Ziel der zionistischen Bewegung »in Palästina eine Heimstätte für das jüdische Volk« zu errichten. Mehr als 100 Jahre später ist die Zeit gekommen, eine zweite »Balfour-Erklärung« für eine Heimstätte des palästinensischen Volkes abzugeben. Die Weltgemeinschaft muss sich erneut deutlich und klar zur Zwei-Staaten-Lösung bekennen, so wie es die Vollversammlung der Vereinten Nationen schon 1947 gefordert hatte.

Neuer Kurs in Washington

Die US-Regierung war zuletzt trotz aller Friedensbekenntnisse immer noch auf dem Weg, die jahrzehntelange Haltung zu revidieren, wonach Besetzung und Besiedlung des Westjordanlandes völkerrechtswidrig sind. Der Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson sagte: »Judäa und Samaria sind die Frontlinien des israelischen Staates und müssen ein integraler Teil von ihm bleiben«. Der US-Botschafter in Jerusalem äußerte, wenn die Palästinenser einen Staat haben wollten, sollten sie sich an »irgendeinen muslimischen Staat wenden«, der sie auf seinem Territorium aufnehmen könne. Das ist eine Formel, die mit den Vorstellungen für eine »Riviera« im Gazastreifen und die Vertreibung der dortigen Bevölkerung zu einem Gesamtbild ergänzt wird.

»Nur massiver internationaler Druck kann der israelischen Regierung Grenzen setzen.«

Viele Länder der westlichen Welt sind vor dem Hintergrund dieser sich häu­fenden Äußerungen und Szenarien aufgewacht und forderten Israel entschiedener als zuvor auf, den Krieg im Gaza dauerhaft auf dem Verhandlungsweg zu beenden und die Siedlungspolitik im Westjordanland einzustellen. Kanada, Australien, Norwegen und inzwischen eine Mehrheit der 27 EU-Länder drohten Israel mit Sanktionen oder haben solche schon ergriffen. Zum Beispiel Einreiseverbote für gewalttätige Siedler und Politiker der extremistischen Parteien, die nur auf Zerstörung und Vertreibung aus sind. Oder auch ein Embargo für Produkte aus den rechtswidrig besetzten Gebieten. Die EU bereitet die teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommes mit Israel vor wie auch die Einstellung bilateraler Hilfen.

Wie weit der »Trump-Plan« und die nachfolgenden ersten Schritte zumindest für Gaza Frieden bringen, hängt von der weiteren Entwicklung ab. Die Ziele der israelischen Rechten jedenfalls verändern sich dadurch nicht. Und solange diese maßgeblich die Politik ihres Landes mitbestimmen, kann nur massiver internationaler Druck der israelischen Regierung Grenzen setzen. Und Israel braucht spätestens jetzt einen Regierungswechsel.

Bei vielen Vorschlägen für Sanktionen stand die Bundesregierung zu lange auf der Bremse. Die besondere Verantwortung Deutschlands für die Existenz und Sicherheit Israels steht außer Frage. Doch dann waren die roten Linien mehrfach überschritten und eine bedingungslose Gefolgschaft für alles, was die Netanjahu-Regierung macht, nicht mehr angebracht. Deutschland sollte künftig nicht auf Extratouren oder einseitige Maßnahmen setzen. Gemeinsam mit den Freunden in der EU muss es jedoch möglich sein, den Druck auf Israel weiter zu erhöhen, um Völkerrecht und Menschenrechte zu reetablieren – über Gaza hinaus ebenso für die anderen Palästinensergebiete. Eine so ausgerichtete deutsche Politik würde nicht zuletzt die vielen Menschen und Organisationen in Israel unterstützen, die den Kurs der Netanjahu-Regierung ablehnen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben