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»Sanktionen gegen Israel?«

Nein, denn wir müssen die Beziehungen zur israelischen Zivilgesellschaft intensivieren, anstatt über einen Abbruch nachzudenken - erst recht, wenn erstmals seit langem reale Schritte zur Entspannung möglich scheinen.

In keinem anderen demokratischen Staat gibt es mehr Bürgerinnen und Bürger, die sich nachdrücklicher für Freiheit und den Erhalt der Demokratie einsetzen. Zunächst gingen regelmäßig hunderttausende Menschen auf die Straße, um den Justizcoup Netanjahus zu verhindern. Seit dem 7. Oktober 2023 und besonders seit einem Jahr, seit die Kriegsführung in Gaza von immer weniger Menschen akzeptiert wird, gibt es immer wütendere Massenproteste gegen die Jerusalemer Rechtsregierung, die nichts für die Freilassung der Geiseln und ein Ende des Krieges tut. All diese Menschen verdienen unsere Solidarität: Bürgerinnen und Bürger, der Großteil der Intellektuellen, der Kulturszene und der Wissenschaft, bedeutende Zusammenschlüsse von Reserveoffizieren sowie Teile der Wirtschaft wie die Start-up-Szene rund um Tel Aviv.

Benjamin Netanjahu verfolgt jedoch andere Ziele: Er ist auf dem besten Weg, Israel zu einem – wie er es nennt – »Super Sparta« zu machen und sein Land in die Isolation zu führen. Er möchte den Staat wirtschaftlich und militärisch unabhängig machen. Die Auswirkungen auf die Menschen sind ihm dabei egal, wichtig ist ihm allein die Stabilisierung seiner von Rechtsextremisten abhängigen Regierung.

Internationale Kontakte zivilgesellschaftlicher Organisationen in Israel möchte die Rechtsregierung am liebsten sofort unterbinden. Ein Gesetz, das NGOs à la Putin als »ausländische Agenten« brandmarkt und aus dem Ausland kommende Fördermittel und Spenden mit einer 50-prozentigen Steuer belegt, liegt auf dem Tisch. Dass es noch nicht umgesetzt wurde, liegt am erheblichen ausländischen Druck. Betroffen wären Menschenrechtsorganisationen, Stiftungen wie die FES und Friedensprojekte wie das Willy-Brandt-Zentrum Jerusalem.

»Die meisten der jetzt diskutierten Sanktionen würden nur Netanjahu in die Hände spielen.«

Die meisten der jetzt diskutierten Sanktionen würden aber nur eines bewirken: Sie spielen Netanjahu in die Hände. Und sie gehen zu Lasten der Zivilgesellschaft. Klar, dass dies von einigen Sanktionsbefürwortern durchaus gewollt ist. Entweder, weil sie von der irrigen Annahme ausgehen, dass die Zivilgesellschaft zu den Stützen der Regierungspolitik zählt. Oder weil antisemitische Einstellungen eine Rolle spielen, was leider viel zu häufig vorkommt. Die Vorstellung, die Juden – immerhin 80 Prozent der israelischen Bevölkerung – seien an ihrem Schicksal selbst schuld, ist ein schreckliches Narrativ, dem bedauerlicherweise oft geglaubt wird. Wer in diesem Zusammenhang bei uns einen Boykott israelischer Waren fordert, befindet sich in beängstigender Nähe zur »Kauft nicht bei Juden!«-Propaganda des Jahres 1933.

Israelische Opposition stärken

Ich halte Sanktionen nur dann für akzeptabel, wenn sie nicht in erster Linie die israelische Zivilbevölkerung, sondern beispielsweise gewalttätige Siedlerorganisationen treffen. Oder wenn rechtsextreme Minister mit einem Einreiseverbot belegt werden. Das ist nämlich auch der Wunsch vieler Menschen in Israel: dass wir uns auf die Seite der Opposition stellen, sie stärken und nicht schwächen. Deswegen möchte ich, dass Europa am »Assoziierungsabkommen EU-Israel« im Kern festhält, obwohl ich weiß, dass sich Teile der Regierung in Jerusalem längst von dessen Artikel 2 verabschiedet haben. Dieser verspricht die »Achtung der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze«. Die Aufkündigung des Abkommens würde die Falschen treffen, davor warnen auch politische Partner in Israel.

Es muss weiterhin Gespräche und Kontakte geben, um etwas für die dort lebenden Menschen zu erreichen. Der Austausch von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft bleibt wichtig, auch der deutsch-israelische Jugendaustausch, gerade angesichts der Fülle an Absagen gegenüber israelischen Künstlerinnen und Künstlern in Europa. Durch die ersten positiven Schritte nach dem Gaza-Friedenspan der USA ist es noch wichtiger geworden, die Bindungen zu Israels Zuivilgesellschaft zu stärken statt sich abzuwenden.

Wir müssen deshalb diejenigen in der israelischen Zivilbevölkerung stärken und unterstützen, die ein Ende des Krieges und die Freilassung der Geiseln fordern, die auch zwei Jahre nach dem Massaker vom 7. Oktober immer noch unter unmenschlichen Bedingungen von der Hamas festgehalten werden. Diese Terrororganisation missbraucht die eigene Bevölkerung als Schutzschild, unterdrückt Proteste mit barbarischer Gewalt und zielt weiterhin darauf ab, den Staat Israel auszulöschen. Wir müssen an der Seite all jener stehen, die sich in der palästinensischen und israelischen Zivilbevölkerung für eine Verständigung einsetzen, und alle Initiativen unterstützen, die ein Aufeinanderzugehen befördern. Dafür ist eine intensivere Kooperation zwischen Deutschland und den Menschen in Israel und Palästina notwendig. Gleichzeitig muss der Druck auf diejenigen zunehmen, die gegen eine Zwei-Staaten-Lösung arbeiten, die Annexion des Westjordanlandes befürworten und die aggressiven Siedlerübergriffe unterstützen.

Aufgabe für die Sozialdemokratie

Und nicht zuletzt: Die SPD steht in einer langen politischen Tradition. In ihrer Geschichte, die von zahlreichen jüdischen Mitgliedern mitgeprägt wurde, stand die SPD nach dem »Zivilisationsbruch« (Hannah Arendt) der Schoah und in den Anfängen des Staates Israel immer klar gegen Antisemitismus. Sie engagierte sich von Anfang an für das Existenzrecht Israels und für die Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen – und das früher als die Konservativen. Die SPD pflegt intensive Beziehungen zur Arbeitspartei und zu Meretz, die sich inzwischen zu den »Demokraten« zusammengeschlossen haben, und zu politischen Partnern auf der Seite der israelischen Friedensbewegung. Sie setzt sich für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Diese kann nur erreicht werden, wenn man Kontakte hält, statt sie abzubrechen.

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