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Für die künftige innenpolitische Machtverteilung im Land ist alles offen Schaut auf Berlin

22 Jahre sind in der Politik nicht gerade eine kurze Zeit. Im Land Berlin ist das die Spanne, in der das Rote Rathaus wieder von der SPD geführt wird. Nie derart unangefochten wie in der Nachkriegszeit, aber das immer diverser werdende Berlin doch zusammenführend. In einer Stadt, in der zur Führungsrolle inzwischen schon Ergebnisse um die 20 Prozent reichen.

Nach dem Wiederholungswahl-Beben vom 12. Februar gibt es insofern teils eine wirklich neue Lage, realpolitisch betrachtet aber doch vor allem eine neue Mischung. Eine, in der sich die verbreitete schlechte Laune beim Gedanken ans Stadtpolitische spiegelt. Mit einer CDU zwar ganz vorne, von der gleichzeitig niemand viel erwartet. Aber auch eine Neumischung, die das ewige Werden in dieser Stadt spiegelt: Schon wieder ist es, herbeigeführt diesmal nach fast schon ortsüblichem Verwaltungsversagen, eine Gewichtsverschiebung, die zu ausführlicher Selbstbeschäftigung einlädt.

Wenn in Berlin etwas seit Langem fehlt, dann ist es eine Kultur des konsequenten Handelns. Die hat keine Chance, solange Landes- und Bezirksebene sich immer wieder gegenseitig blockieren, solange die zur klaren Aufgabenteilung nötigen Verfassungsänderungen nicht zustandekommen. Und die daraus entstehenden Interessenkonflikte letztlich doch wieder nur übers Geld geregelt werden. Methode Neuverschuldung, damit alle zufrieden sind. So gesehen: jetzt also der nächste Anlauf mit den neu gemischten Karten.

Aber letztlich spiegelt sich in dem Berliner Wiederholungsschauspiel eben doch viel mehr als die ewige Wiederkehr von lokalem Bemühen. In der Parteienlandschaft stellen sich gut ein Jahr nach dem Start der Ampelkoalition viele alte Fragen neu, denn die künftige Machtverteilung in der Republik ist offener als sonst in der ersten Hälfte einer Legislaturperiode im Bund.

Viele aus der Klientel der FDP werden das Ampelbündnis, so sieht es aus, innerlich nie akzeptieren. Den Grünen andererseits geht es wie schon so oft: Sie bleiben die Umfragekönige, aber bei näherem Hinsehen, kurz vor Wahlen, verliert sich der Zauber. Die Union ist immer wieder diejenige Partei, die auf Eigenprofil am ehesten verzichten kann. Sie lebt von der Unzufriedenheit mit anderen und vom Wegtauchen vor den eigenen strategischen Zwickmühlen. Zukunftspolitik? Schwer zu entdecken.

In Berlin war zuletzt immer die SPD als gesamtstädtisch-gemeinsamer Nenner knapp vorne gewesen. Das ist eine Rolle, die umso schwieriger wird, je tiefer die gesellschaftlichen Spaltungen sich in unversöhnlichen Tagesdebatten fortsetzen. Da ist stadtpolitisch die von den Grünen sehr offensiv betriebene Anti-Auto-Politik, entlang derer sich die Lager spalten, nicht zuletzt zwischen den urbanen und den eher vorstädtischen Milieus. Da ist bundespolitisch die Kriegsdebatte, in der sich unterschiedliche Generationenerfahrungen und Ost-West-Gefühle reiben – auch hier wieder mit stark moralisierenden Grünen als permanente Zuspitzer.

Die wichtigste neue alte Frage ist, nach Corona und mitten im Ukraine-Krieg: Wie kann in solchen Verhältnissen emotionale Stabilität entstehen, wie belastbares Vertrauen über die einzelnen Milieus hinaus? Wie lässt es sich vermeiden, zumal in Zeiten vieler Dreierkoalitionen, dass ständig alle auf alle losgehen, sogar innerhalb der Regierungsmehrheit? Eine viel zu einfache Antwort wird stets schnell gegeben: Die Kommunikation müsse besser werden, sei es die im Roten Rathaus oder auch die im Kanzleramt. Die Politik müsse sich besser erklären. Was daran zu billig ist: Es handelt sich um eine Tautologie, bekannt auch als weißer Schimmel.

Es kommt auf die Handelnden an

Es sind nicht zuletzt die journalistischen Beobachterinnen und Beobachter, die es sich da zu leicht machen. Ihre Aufgabe ist es, Hintergründe und Zusammenhänge erklärend herauszuarbeiten und nicht nur die an der Oberfläche sichtbaren Defizite. Kommunikationsverzicht auf politischer Ebene kann ja sogar die Konsequenz einer realen Problemlage sein, von der lokalen bis hinauf zur internationalen Ebene. Wer in komplexen Bündnissen die internen Überlegungen zu früh öffentlich ins Schaufenster stellt, handelt – von der Sache und vom angestrebten Ergebnis her betrachtet – leichtfertig. Nun macht diese Erkenntnis politische Sichtbarkeit nicht eben leichter. Denn wenn die Wahlanalysen nicht völlig täuschen, ist die Zahl der Menschen, die klare Führung vermissen, meistens größer als die derjenigen, die zufrieden sind mit unnervösem, gelassenem Regieren.

In der Hauptstadt ist dieser Unzufriedenheitsfaktor chronisch. An keinem anderen Ort hat die aktuell im Amt befindliche Regierung seit Jahrzehnten so schwache Zustimmungswerte wie in Berlin. Es liegt also immer auch, aber nicht nur an den aktuell gerade Handelnden. Die eine Erklärung dafür: Der Senat wird traditionell für alles verantwortlich gemacht, was schiefläuft. Die zwölf Berliner Bezirke, in denen weit mehr parlamentarische Rollen zu vergeben sind als auf Landesebene, haben an dieser Wahrnehmungstradition ein ureigenes Interesse. Dies also ist eine sehr stadtspezifische Ursache, im Unterschied zur zweiten Erklärung.

Die lässt sich ablesen, wo immer das Parteiensystem so weit aufgesplittert ist. Dann stehen längst nicht alle Parteianhänger aller Koalitionsparteien hinter der gerade amtierenden Regierung. Also reihen sich viele von ihnen bei Befragungen nur zu gerne unter die Kritiker ein. Im Ergebnis gibt eine große Mehrheit an, unzufrieden zu sein. Obwohl eine etwas andere Mehrheit im Parlament einigermaßen stabil die Regierungsgeschäfte trägt.

Eine Lehre daraus kann sein, dass es am Ende eben doch immer sehr auf Führungsrolle und Führungsfiguren ankommt, mit denen das Land Berlin nicht gerade gesegnet ist. Aber auch das ist, für sich alleine betrachtet, eine zu billige Erkenntnis. Vor der Chance zur Führung steht die Analyse der unterschiedlichen Interessen – und der Umgang damit.

Kann die SPD ihre Führungsrolle im Bund stabilisieren, zumal angesichts ständiger Gegenkommunikation aus der FDP? Schafft die Union über Landtagswahlen (demnächst in Bremen, danach in Bayern und Hessen) eine stabile Basis für den Griff nach der Macht im Bund – und wie weit helfen ihr die Grünen dabei, mit welchem bundespolitischen Profil auch immer? Was gewiss ist: In diesem Sortierungsprozess oberhalb der Länderebene werden die ganz großen Themen durchschlagen. Die Vertrauensfrage hinsichtlich des Umgangs mit dem Krieg vor allem, Glaubwürdigkeit und zugleich Realismus sowohl in der Klimapolitik als auch bei den so zähen, international blockierten Migrationsfragen.

In einer Disziplin bleibt die Hauptstadt aber sicher Vorreiter: beim Regieren im Streit untereinander. Zuletzt war die Stimmung in der rot-grün-roten Stadtkoalition chronisch noch weit schlechter als bei der Ampel im Bund. Wer auf Berlin schaut, sieht besonders da einen problematischen Trend: kaum ein Versuch mehr, gemeinsame Projekte zu definieren. Zu häufig nur teile und streite und regiere. Im Bund, siehe nicht nur die ewigen Panzerdebatten, sind sie manchmal auch schon auf diesem Weg.

Es ist eine Frage an die gesamte politische Kultur, wie sich das wieder ändern lässt. Wer auf Berlin schaut, sollte gewarnt sein.

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