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»Scheitert der Generationenvertrag?«

Viele Jahrzehnte lang wurde davor gewarnt, den demographischen Wandel, der Deutschland bald einholen würde, nicht zu unterschätzen. Inzwischen ist er keine Projektion mehr, sondern ist zur Prognose geworden: Der Anteil älterer Menschen in der deutschen Gesamtbevölkerung steigt, der Anteil jüngerer Menschen sinkt. Das kann drastische Folgen haben, stellt aber vor allem eine enorme Herausforderung für umlagefinanzierte Sozialsysteme dar. Allen voran trifft dies unser umlagefinanziertes Rentensystems.

Die Kluft zwischen in die Rentenkasse einzahlenden Arbeiternehmerinnen auf der einen und empfangenden Rentnerinnen auf der anderen Seite wird jedes Jahr größer. Kamen bei der Einführung unseres Rentensystems noch fünf Einzahlerinnen auf eine Rentnerin, befinden wir uns inzwischen in einer Situation, in der einer Rentnerin nur noch zwei Einzahlerinnen gegenüberstehen. Schon lange müssen die Steuerzahlerinnen deshalb zusätzlich aushelfen, um die gesetzliche Rente zu sichern: Im Jahr 2020 überschritt der Bundeszuschuss für die gesetzliche Rente erstmals die 100-Milliarden-Euro-Marke und steigt seitdem weiter. Unser Rentensystem kann nicht bleiben, wie es ist.

Da die reine Umlagefinanzierung dem demographischen Wandel nicht standhalten kann, müssen wir uns anderer Elemente bedienen, die das Ungleichgewicht zwischen weniger arbeitenden Menschen und mehr Rentenempfängerinnen ausgleichen. Drei Elemente stehen dafür zur Auswahl:

Erstens ein steigender Anteil des Bundeszuschusses aus dem Bundeshaushalt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es zu einem so stark steigenden Anteil kommen würde, dass dadurch massive Einsparungen in anderen Bereichen des Bundeshaushalts notwendig wären.

Zweitens eine Anhebung des Renteneintritts­alters. Diese trifft aber natürlich auf weniger Verständnis in einer Bevölkerung, die jedes Jahr aus mehr Rentnerinnen besteht, denen jahrzehntelang von führenden Politikerinnen versprochen wurde, dass die gesetzliche Rente sicher sei.

Eine drastische Erhöhung der Rentenbeiträge wäre höchst ungerecht.

Die dritte Möglichkeit besteht in der Steigerung der Rentenbeiträge. So sah das Rentenpaket der letzten Bundesregierung vor, die durch den demographischen Wandel entstehenden neuen Belastungen vor allem durch die höchste Beitragssteigerung aller Zeiten zu finanzieren.

Eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey ergab: Die Pläne der Bundesregierung wurden nur von einer einzigen Altersgruppe für überwiegend richtig gehalten: Von der Altersgruppe 65+. In allen anderen Altersgruppen überwog eindeutig die negative Einschätzung dieser Pläne – in der Altersgruppe der 40–49-Jährigen sogar zu über 70 Prozent. Offensichtlicher können sich divergierende Interessen unterschiedlicher Generationen nicht darstellen.

Ein dysfunktionales Rentensystem ist ein Wettbewerbsnachteil im Wettbewerb um die besten Köpfe.

Bekannterweise wurde dieses Rentenpaket nicht zur Realität. Aber welches Signal sendet schon die Vorstellung eines Pakets, das in Zeiten steigender Beiträge für die Pflege-, Kranken und Arbeitslosenversicherung hauptsächlich auf dem Vorschlag basiert, die Rentenbeiträge anzuheben, an die junge Generation? Das eindeutige Signal, dass sie mit den Herausforderungen des demographischen Wandels allein gelassen wird.

Dieses Signal ist fatal – nicht nur für das Vertrauen junger Menschen in die Demokratie, sondern auch für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Eine repräsentative Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY unter Studentinnen ergab kürzlich, dass 41 Prozent von ihnen erwägen, auszuwandern. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Insa unter 18–25-Jährigen kam zu einem ähnlichen Befund. Hier gaben sogar 54 Prozent der 18–25-Jährigen Befragten an, sich vorzustellen zu können, ihre berufliche Zukunft nicht in Deutschland, sondern im Ausland aufzubauen. Interessanterweise erklärten in der gleichen Umfrage 55 Prozent der Befragten, dass der deutsche Generationenvertrag zu ihren Lasten ausfällt.

Es ist sicherlich nicht weit hergeholt, hier eine Verbindung anzunehmen. Das Abwälzen der Kosten des demographischen Wandels auf die junge Generation führt dazu, dass die junge Generation sich die Frage gestellt, ob dieses Land überhaupt zukunftsfähig ist. Das ist alarmierend, weil wir darauf angewiesen sind, dass die Leistungsträgerinnen von heute und morgen in unserem Land bleiben.

Die Bereitschaft unseres politischen Systems zu notwendigen Reformen ist die Grundlage seiner eigenen Zukunft.

Während wir in Deutschland darüber diskutieren, ob unser Rentensystem generationen­ungerecht ist, wird in anderen Ländern wie etwa Schweden schon lange mit Lösungen gearbeitet, welche die Auswirkungen des demographischen Wandels auf das Rentensystem abzuschwächen. Dort hat man sich für eine teilweise Kapitaldeckung der Rente entschieden und profitiert von dieser Entscheidung nun bereits seit Jahrzehnten. Kürzlich nahm ich an einem Zukunftssymposium teil, in dem Florence Gaub als Zukunftsforscherin der NATO einen Ausblick wagte.

In Zukunft, so Gaub, werde es für Arbeitnehmerinnen weniger entscheidend sein, Abilities, also bestimmte geschulte Fähigkeiten zu besitzen. Vielmehr werde in Zukunft ihre Agility, also ihre Fähigkeit zur Anpassung, entscheidend dafür sein, ob sie bestehen und vorankommen.

Ich bin der festen Überzeugung: Gerade in Zeiten globaler Unsicherheiten, in Zeiten von Krieg in Europa, von weniger zuverlässigen Verbündeten und von extern herbeigeführten Preis­steigerungen wird auch die Zukunft unseres politischen Systems davon abhängen, ob das System selbst die Fähigkeit zur Anpassung an neue Ausgangslagen besitzt.

Es ist keine Schande, wenn ein System ungerecht wird, weil die Realität sich ändert. Aber es wäre eine Schande, Ungerechtigkeiten zu ignorieren, statt sie beherzt anzugehen.

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