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»Scheitert der Generationenvertrag?«

Die jeweils erwerbstätige Generation »versorgt« die ältere Generation, die nicht mehr erwerbstätig sein kann. Sie erwirbt damit das Recht, im Alter von der zukünftigen erwerbstätigen Generation ebenfalls versorgt zu werden. Ökonomisch gesehen gibt es zu dieser Vorgehensweise keine Alternative, denn auch Zinsen und Dividenden müssen – genau wie Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) – von den jeweils Erwerbstätigen erwirtschaftet werden. Neue Studien belegen, dass die jungen Generationen den Vertrag auch nicht grundsätzlich in Frage stellen.

Das Risiko verstärkter Kapitaldeckung

Nicht nur die GRV setzt mit ihrem Umlageverfahren auf den imaginären »Vertrag zwischen den Generationen«. In der GRV ist dieser Zusammenhang nur besonders plastisch, da die Beiträge unmittelbar zur Finanzierung der Renten verwendet werden. Historisch gesehen fußte die GRV in einigen Phasen des 19. und 20. Jahrhunderts viel stärker als heute auf Kapitaldeckung. Das damalige Vorsorgekapital ist allerdings – bedingt durch Inflation und Währungsreformen – weitgehend verloren gegangen.

Dieser Blick in die Vergangenheit verdeutlicht nicht nur ein Risiko verstärkter Kapitaldeckung, es kann gleichzeitig als Begründung für die besondere Verantwortung des Staates für ein funktionsfähiges Umlageverfahren in der Rentenversicherung dienen: Es waren weitgehend staatliche Entscheidungen, wie die Anlagevorschriften für das Rentenkapital in Form von Kriegsanleihen und die darauffolgenden währungspolitischen Eingriffe, die zum Kapitalverlust führten und den Umstieg zum Umlageverfahren für die Rentenversicherung notwendig machten. Als notwendig erwies sich dieser Wechsel im Jahr 1957 auch, um den Einstieg in die dynamische Rente zu ermöglichen und die bis dahin weit verbreitete Altersarmut zu bekämpfen.

Das Umlageverfahren in der Rentenversicherung hat sich dabei als besonders anpassungsfähig erwiesen. Es ermöglichte nicht nur eine schnelle, wohlstandsbeteiligende Alterssicherung für die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen, die in vielen Fällen einen großen Teil ihres Besitzes verloren hatten. Es stellte nach 1990 auch die sofortige Integration der Rentner:innen und Beitragszahler:innen aus den neuen Bundesländern in die Rentenversicherung im Zuge der deutschen Vereinigung sicher. Eine kapitalgedeckte Rentenversicherung hätte ein vergleichbares Leistungsniveau für die Rentner:innen erst nach einer langen Kapitalbildungsphase bieten können. Bis dahin hätte der Staat die Rentenzahlungen sicherstellen müssen.

Das Umlageverfahren hat sich als anpassungsfähig erwiesen.

Der Generationenvertrag – in welcher Ausprägung auch immer – muss sich den jeweiligen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Eine umlagefinanzierte Rentenversicherung ist dabei im besonderen Maß an den Anteil und den Umfang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gebunden und somit beispielsweise von niedrigen Erwerbsquoten oder von hoher Arbeitslosigkeit finanziell stärker betroffen. Kapitalgedeckte Rentenversicherungen wiederum müssen sich den Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt stellen. Was wäre zum Beispiel aus vielen Formen der kapitalgedeckten Altersvorsorge geworden, wenn der Staat in der Finanzkrise 2007/2008 nicht mit erheblichen finanziellen Mitteln Finanzinstitute gerettet hätte?

Eine Herausforderung, die sowohl die umlagefinanzierte wie auch die kapitalgedeckte Rentenversicherung betrifft, besteht in der demografischen Entwicklung. Eine steigende Lebenserwartung, die zu längeren Rentenlaufzeiten führt, muss in beiden Systemen finanziert werden. Im Fall einer umlagefinanzierten Rentenversicherung führt sie – unter sonst gleichen Bedingungen – zu steigenden Beitragssätzen. In einem kapitalgedeckten System zu rückläufigen Rentenfaktoren und damit niedrigeren Leistungen. Niedrige Geburtenraten, die – mit Zeitverzögerung – zu weniger Beitragszahler:innen führen, sind ebenfalls eine Herausforderung. Im Umlageverfahren führen sie wiederum zu steigenden Beitragssätzen. In kapitalgedeckten Systemen können sie – aufgrund sinkender Nachfrage nach Vorsorgekapital – sinkende Renditen hervorrufen.

Die Herausforderungen müssen so gemeistert werden, dass ein ausgewogenes Verhältnis in der Belastung der Generationen erfolgt.

Der Generationenvertrag ist kein starres Gebilde. Er kann vielmehr – dynamisch – den jeweiligen Herausforderungen angepasst werden. Die Anpassungsmöglichkeiten sind vielfältig. So können die Beitragseinnahmen beispielsweise durch die Erhöhung der Erwerbstätigenquote gesteigert werden, indem die Rahmenbedingungen für Kindererziehung und Pflege verbessert werden. Eine zielgerichtete Migration in den Arbeitsmarkt kann ebenfalls dazu beitragen, die demografischen Herausforderungen zu bewältigen.

Auf der anderen Seite sind Anpassungen an den Rahmenbedingungen für die ausgabenwirksamen Leistungen wie zum Beispiel Beginn und Dynamik der Leistungen möglich, aber oft sehr umstritten. Das System bietet insgesamt vielfältige Handlungsmöglichkeiten für die Anpassung des Generationenvertrags. Die Handlungs­alternativen auf der Beitrags- oder Leistungsseite können dabei die einzelnen Geburtsjahrgänge jedoch in unterschiedlicher Weise betreffen. Letztlich muss es darum gehen, die aktuellen Herausforderungen, darunter die des demografischen Wandels, so zu meistern, dass ein ausgewogenes Verhältnis in der Belastung verschiedener Geburtsjahrgänge erfolgt. Die Ausgewogenheit erfordert eine breite politische Diskussion und sollte von einem möglichst weitgehenden gesellschaftlichen Konsens getragen werden, auch um das Vertrauen in den Generationenvertrag zu stärken.

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