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Am 5. Oktober 1921 trafen sich im Londoner Restaurant Florence 41 Schriftsteller zu einem Dinner. Eingeladen hatte Catherine Amy Dawson Scott, Autorin von Romanen, Gedichten und Essays, Frauenrechtlerin der ersten Stunde und Anhängerin der Friedensbewegung. Unter denen, die ihrer Einladung folgten, waren auch George Bernhard Shaw und John Galsworthy. Man unterhielt sich über die Weltlage, zwischen den einzelnen Gängen wurden kurze dinner speeches gehalten und als man nach drei Stunden auseinanderging, hatte man sich darauf geeinigt, beim nächsten Treffen verwandte Geister aus Frankreich, Italien und Deutschland einzuladen, um dem gemeinsamen Anliegen der Völkerverständigung, des Kampfes für Menschenwürde und Demokratie mehr Nachdruck zu verleihen.
Dies war der Anfang von P.E.N. International, eines frühen Vorläufers aller heutigen NGO’s wie Amnesty international, Reporter ohne Grenzen oder Human Rights Watch. Der Name P.E.N. – das englische Wort für Feder – ist zugleich die Abkürzung von poets, essayists und novelists, also Dichter, Essayisten und Romanautoren, Die Organisation, die sich zunächst in der britischen Tradition als Club verstand, breitete sich schnell aus. In den 1920er Jahren wurden vor allem in Europa, aber auch in den USA, in Kanada, Lateinamerika und in Asien nationale Unterzentren gegründet. Man traf sich auf internationalen Konferenzen in wechselnden Ländern zu Lesungen und zum Austausch von Meinungen und Ideen und verabschiedete eine wesentlich vom ersten Präsidenten John Galsworthy inspirierte gemeinsame Charta, die in einer modernisierten Fassung bis heute von allen neu aufgenommenen Mitgliedern des P.E.N. unterzeichnet werden muss.
In der Charta des Internationalen P.E.N. heißt es: »Mitglieder des P.E.N. sollen jederzeit ihren ganzen Einfluss für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen. Sie verpflichten sich, mit äußerster Kraft für die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhass und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken (…) Der P.E.N. steht für den Grundsatz eines ungehinderten Gedankenaustauschs innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jede Art der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in ihrem Lande, in der Gemeinschaft, in der sie leben, und wo immer möglich auch weltweit entgegenzutreten.«
Intellektuelle als das Gewissen der Gesellschaft
Intellektuelle, hat Jean-Paul Sartre einmal gesagt, sind Leute, die sich in Dinge einmischen, die sie nichts angehen. Eine ironische Bemerkung, die auch auf die Gründer des P.E.N. zutrifft, denn von Anfang an wurde das Engagement der Schriftsteller für Frieden und Völkerverständigung und für die Freiheit des Wortes von vielen Regierungen als lästige und inkompetente Einmischung betrachtet. Aber es gab auch schon immer eine positivere Sicht. Besonders in Frankreich hat es der klassische, der intervenierende Intellektuelle allen Anfeindungen zum Trotz zu hohem öffentlichen Ansehen gebracht, das auch heute nicht ganz verblasst ist.
Intellektuelle – so der vor einiger Zeit verstorbene französische Soziologe Pierre Bourdieu – sind Menschen, die »ihre Kompetenz im autonomen Feld der Kultur« dazu nutzen, um »kritisch zugunsten universeller Werte zu intervenieren«. Das ist das klassische Verständnis der Intellektuellenrolle, wie es sich im nachrevolutionären Frankreich herausbildet: Intellektuelle als unbestechliche Anwälte der Freiheit und der Gerechtigkeit, die ihren privilegierten Zugang zur Öffentlichkeit nutzen, um denen beizustehen, denen diese Möglichkeiten nicht offen stehen.
Als der P.E.N. 1921 ins Leben gerufen wurde, saß den Schriftstellern der Schrecken des Ersten Weltkriegs und das Versagen vieler Schriftsteller und Intellektueller, die sich – zumindest anfänglich – von der Kriegsbegeisterung hatten mitreißen lassen, in den Knochen. Die wenigen Damen und zahlreichen Herren, die in den folgenden Jahren dem Aufruf der Gründer folgten – unter ihnen Anatole France, André Gide, Romain Rolland, Maxim Gorki, Joseph Conrad, Heinrich und Thomas Mann, Alfred Döblin, Ricarda Huch, Alfred Kerr, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Franz Werfel, Stefan Zweig und Sigmund Freud – fühlten sich zumeist als Aristokraten des Geistes, die es sich zur Aufgabe machten, durch das grenzüberschreitende literarische Gespräch die Wiederholung einer Katastrophe wie den Ersten Weltkrieg zu verhindern. Sie träumten davon, eine Art »Völkerbund der Literatur« zu schaffen.
»Durch das grenzüberschreitende literarische Gespräch sollte die Wiederholung einer Katastrophe wie den Ersten Weltkrieg verhindert werden«.
Für die meisten der Schriftsteller, die sich im P.E.N. engagierten, war das Eintreten für Völkerverständigung eher eine Frage des Anstands und der Bildung denn der Politik. Ja, man war zumeist sogar davon überzeugt, dass das Verständigungswerk nur gelingen könne, wenn man sich von Politik und Parteienstreit konsequent fernhielt. Entsprechend galt als goldene Regel des Clubs lange, was die Initiatorin Catherine Dawson-Scott und der erste Präsident des P.E.N., John Galsworthy, so formulierten: »No politics in the P.E.N.-Club under no circumstances!«
Politisierung des P.E.N.
Aber schon bald zeigte es sich, dass es eine Illusion war, man könne sich aus den politischen Kämpfen der Zeit heraushalten. Spätestens nachdem die Nazis in Deutschland an die Macht gelangt waren, war eine vornehme Zurückhaltung der »geistigen Menschen«, wie einst Thomas Mann in den Bekenntnissen eines Unpolitischen formuliert hatte, nicht mehr möglich. Das deutsche P.E.N.-Zentrum, das 1924 gegründet worden war und 1926 den vierten Internationalen P.E.N.-Kongress in Berlin ausgerichtet hatte, wurde mit dem Machtantritt Hitlers sofort gleichgeschaltet, die Mehrheit der deutschen Autoren von Rang, unter ihnen auch der Präsident des deutschen Zentrums, Alfred Kerr, wurden ins Exil getrieben. Im gleichgeschalteten deutschen P.E.N. blieben nur Autoren von zweifelhaftem Rang oder begabte Opportunisten zurück.
Auf dem XI. Internationalen P.E.N.-Kongress 1933 in Ragusa, dem heutigen Dubrovnik, kam es zum Eklat, als Ernst Toller in einer mitreißenden Rede, an die deutschen Delegierten gewandt, fragte: »Was haben Sie getan, als die deutschen Schriftsteller Ludwig Renn, Ossietzky, Mühsam, Duncker, Wittfogel, als zehntausend deutsche Arbeiter ins Gefängnis gesperrt wurden?« Als schließlich der Sekretär des Internationalen P.E.N., der Brite Hermon Ould die deutsche Delegation mit der Charta konfrontierte und sie fragte, ob sie bereit seien den verfolgten und ins Exil getriebenen deutschen Autoren beizustehen, verließ die deutsche Delegation unter Protest den Kongress. Die Politik hatte den P.E.N.-Club eingeholt.
Edgar von Schmidt-Pauli, Biograf Wilhelms II. und Verfasser von Büchern über Hitler und seinen ›Kampf um die Macht‹ gab wenige Wochen später den Austritt des deutschen Zentrums aus dem Internationalen P.E.N. bekannt, um so dem sicheren Ausschluss zuvorzukommen. Auf dem Kongress in Edinburgh 1934 wurde dann die Löschung des deutschen Zentrums bekannt gegeben.
Die aus Deutschland geflohenen und verjagten Schriftsteller organisierten sich im von Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, Max Hermann-Neiße und Rudolf Olden gegründeten »Deutschen P.E.N. im Exil«. Sie allein vertraten fortan die deutsche Literatur auf den Internationalen Kongressen des P.E.N.: 1934 in Edinburgh, 1937 in Paris, als Hitlers Legion Condor schon in Spanien für den geplanten großen Krieg probte, 1938 in Prag kurz vor der Besetzung des Landes durch die deutsche Wehrmacht, 1939 in New York, als der Beginn des Zweiten Weltkriegs unmittelbar bevorstand.
Wegen ihrer Nazi-Vergangenheit belastete Schriftsteller sollten außen vor bleiben.
Nach Kriegsende dauerte es noch drei Jahre, bis das ›P.E.N.-Zentrum Deutschland‹ mit Thomas Mann als Ehrenpräsident, Hermann Friedmann, Johannes R. Becher und Ernst Penzoldt als gleichberechtigten Präsidenten und Erich Kästner und Rudolf Schneider-Schelde als Generalsekretären wiederbegründet werden konnte. Eine beim Internationalen P.E.N. angesiedelte Kommission überprüfte die eingereichten Zuwahlanträge, um wegen ihrer Nazi-Vergangenheit belastete Schriftsteller fernzuhalten.
Ganze dreieinhalb Jahre dauerte das Experiment eines gemeinsamen deutschen P.E.N.-Zentrums im politisch geteilten Deutschland. Dann scheiterte dieser Versuch, im sich verschärfenden Klima des Kalten Krieges über alle ideologischen Differenzen hinweg die Einheit der deutschen Literatur zu erhalten. Anfang der 50er Jahre spaltete sich der deutsche P.E.N. in ein westdeutsches und ein ostdeutsches Zentrum, nachdem eine Gruppe von westdeutschen Autoren den gemeinsamen P.E.N. verlassen und ein eigenes Zentrum nur für Westautoren gegründet hatte. Erst Ende der 1990er Jahre nach langen Auseinandersetzungen, während derer nicht wenige Autoren auf beiden Seiten gelegentlich weit unter ihr eigenes Niveau gerieten, und nach einem schwierigen, aber alles in allem beeindruckenden Selbstreinigungsprozess des ostdeutschen Zentrums konnte die Spaltung des deutschen P.E.N. auf dem Vereinigungskongress des Jahres 1998 in Dresden überwunden werden.
Einsatz für verfolgte Schriftsteller
Heute gehört das P.E.N.-Zentrum Deutschland zu den aktivsten der 145 P.E.N.-Zentren in aller Welt. Im Rahmen seiner Writers-in-Prison- und Writers-in‑Exile-Arbeit setzt es sich zusammen mit anderen P.E.N.-Zentren und anderen Menschenrechtsorganisationen für verfolgte Schriftsteller und ihre Angehörigen ein, versucht mit ihnen Kontakt aufzunehmen und die Öffentlichkeit über ihr Schicksal zu informieren, organisiert öffentliche Kampagnen oder nutzt diplomatische Kanäle, um drangsalierten, gefolterten und mit dem Tod bedrohten Kollegen zu helfen und sie nach Möglichkeit dem Zugriff ihrer Häscher zu entziehen. Manchmal, leider nicht immer, mit Erfolg.
Den Schriftsteller und Herausgeber der Kulturzeitschrift Adineh, Faraj Sarkohi haben wir mit Hilfe der deutschen Diplomatie aus der Todeszelle im Teheraner Evin-Gefängnis herausholen können. Bei Ken Saro Wiwa war der weltweite Protest erfolglos. Die damals in Nigeria herrschende Militärclique hat ihn vor den Augen der Weltöffentlichkeit kalblütig umbringen lassen.
Writers-in-Exile-Programm
Aber wenn die Writers-in-Prison-Arbeit des P.E.N. erfolgreich ist und verfolgte Schriftsteller in Deutschland Asyl erhalten, stellt sich sofort die Frage, wie die bei uns im Exil lebenden Schriftsteller als Schriftsteller überleben können?
Als Antwort auf diese Frage hat der deutsche P.E.N. mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung im Jahr 1999 ein Writers-in-Exile-Programm ins Leben gerufen. In mehreren deutschen Städten wurden Wohnungen für Exilschriftsteller eingerichtet. Die dort untergebrachten ausländischen Kollegen erhalten aus einem beim Staatsministerium für Kultur und Medien angesiedelten Etat ein Stipendium, und freiwillige Mitarbeiter des P.E.N. und des P.E.N.-Freundeskreises sorgen dafür, dass ihnen bei den vielfältigen Problemen des Alltags geholfen wird. Gleichzeitig bemüht sich der P.E.N. für diese Autoren um Kontakte zu Verlagen, Übersetzern und Redaktionen, organisiert Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, und publiziert Anthologien mit den Texten der Stipendiaten, um die in Deutschland oft völlig unbekannten Autoren mit ihrem Werk dem einheimischen Publikum vorzustellen.
Mit dem Writers-in-Exile Programm tragen die deutschen Schriftsteller, in den Worten Michael Naumanns, des ersten Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, nur einen Teil jener »Dankesschuld« ab, die sich aus der Tatsache herleitet, dass während der Nazi-Diktatur so viele deutsche Schriftsteller in Großbritannien, den USA, in der Türkei, in Mexiko und Brasilien, einige sogar in Shanghai und in Australien – Aufnahme fanden.
Das Engagement für die Freiheit des Wortes wird mehr denn je gebraucht.
Es ist zu hoffen, dass die kürzlich von einigen eigensüchtigen und intriganten Mitgliedern betriebene neuerliche Spaltung des deutschen P.E.N. nicht dazu führt, dass die wichtige Menschenrechtsarbeit des P.E.N. in Deutschland Schaden nimmt. Denn gerade in einer Zeit, da autoritäre Strömungen überall auf der Welt an Bedeutung gewinnen, wird das Engagement der Schriftsteller für die Freiheit des Wortes gebraucht.
Ich selbst, seit einigen Jahren schon nicht mehr in leitender Funktion beim deutschen PEN, habe erst verspätet erfahren, wie tief der Graben zwischen den sich befehdenden Parteien im Präsidium des deutschen PEN schon geworden war. Meine Versuche, die Spaltung und die Gründung eines zweiten Zentrums in Berlin zu verhindern, scheiterten an der kämpferischen Entschlossenheit beider Konfliktparteien. Noch auf dem Kongress in Gotha 2022 als der Streit kulminierte, versuchte ich vergebens beide Seiten zu bewegen, ihre gegen die jeweils andere Seite gerichteten Abwahl- und Ausschlussanträge zurückzuziehen und in eine sachliche Diskussion der bestehenden Differenzen einzutreten. Mein Antrag erhielt zwar weit mehr Ja- als Nein-Stimmen scheiterte aber an der großen Zahl der Enthaltungen.
Die Sezessionisten, die in Gotha am Ende knapp unterlagen, haben gleich nach diesem desaströsen Kongress angefangen, ihre offenbar schon vorher im eigenen Zirkel geschmiedeten Pläne zur Gründung eines PEN-Berlin zu verwirklichen, obwohl der PEN seit seiner Neugründung im Jahr 1948 in Darmstadt eine von Stadt und Land Hessen großzügig geförderte Heimstatt gefunden hatte. Auch die Zusammenarbeit mit dem Kulturministerium und dem Auswärtigen Amt in Berlin funktionierte von Darmstadt aus in der Regel gut. Es gab also keinen überzeugenden sachlichen Grund für eine Verlegung des deutschen PEN nach Berlin. Fest steht aber, dass zwei deutsche PEN-Zentren, die mehr gegeneinander als miteinander arbeiten, gerade jetzt in unserer fragilen Weltlage für die ohnehin schwierige Menschenrechtsarbeit nichts Gutes bedeuten.
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