»Als wir sagten, eine Katze sei gut, ob weiß oder schwarz, solange sie Mäuse fängt, meinten wir damit, dass jede Maßnahme recht sei, die das Wirtschaftswachstum und den Lebensstandard der Menschen steigere. Die Farbe der Katze war nicht wichtig. Jedoch war unsere Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren eine ›schwarze Entwicklung‹ (…) Sie zeichnet sich durch einen hohen Kapitaleinsatz, eine geringe Effizienz, einen großen Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung aus. Sie hat die Widersprüche zwischen Bevölkerung und Ressourcen sowie zwischen Entwicklung und Umwelt verschärft. Nun hat die ›Farbe der Katze‹ an Bedeutung gewonnen. Wir müssen die ›schwarze Katze‹ in eine ›grüne Katze‹ verwandeln, wir müssen von der schwarzen zur grünen Entwicklung übergehen (Hu Angang: Green Development: The inevitable choice for China).«
Die Ausführungen Hu Angangs, Ökonom und Mitglied der chinesischen Akademie der Wissenschaften, stellten bereits 2006 die bekannte und Deng Xiaoping zugeschriebene »Katz-Maus-Theorie« quasi auf den Kopf: Forderten sie doch nichts weniger als einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik Chinas. Schaut man jüngere Strategiepapiere der chinesischen Führung an, etwa die des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei zur sogenannten »ökologischen Zivilisation« wie auch die Zielsetzungen des aktuellen 13. Fünfjahresplans (2016–2020), dann wird deutlich, dass hier das »Grüne-Katzen-Strategem« Eingang fand. Eine nachhaltige Entwicklung und die globale Markt- sowie möglichst auch Technologieführerschaft bei erneuerbaren Energien und bei der E-Mobilität werden zu expliziten Zielen erhoben. Mit dem avisierten Strukturwandel sucht die Führung Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen mit hohem Konfliktpotenzial, als die die Engpässe in der Energieversorgung sowie die Umweltzerstörung und der Klimawandel mittlerweile wahrgenommen werden.
Ohne Zweifel haben die von Deng vor 40 Jahren eingeleiteten Reformen ein beispielloses Wirtschaftswunder ermöglicht und Hunderte Millionen von Chinesen aus der Armut befreit. Der atemberaubende Aufschwung gewann 2001 mit dem Eintritt des Landes in die Welthandelsorganisation noch einmal an Fahrt. Innerhalb von nur einer Dekade schloss das ehemalige Entwicklungsland zu den führenden Wirtschafts- und Handelsmächten der Welt auf. Mittlerweile ist China der mit Abstand weltweit größte Produzent von Stahl, Zement, Automobilen und anderen Wirtschaftsgütern.
Abschied von der Kohle
China befeuert sein Wirtschaftswunder vor allem mit Kohle. Etwa die Hälfte der weltweiten Kohleproduktion wird in China gefördert und dort auch verbraucht. Der hohe Verbrauch von fossilen Brennstoffen in der Industrie und die Emissionen durch das gestiegene Fahrzeugaufkommen führten zu einem spürbaren Anstieg der Smogbelastung und damit zur Einschränkung der Lebensqualität in den chinesischen Großstädten. Die Brisanz wurde deutlich, als im Frühjahr 2015 der Dokumentarfilm Under the dome der Fernsehjournalistin Chai Jing im Internet veröffentlicht wurde. Obwohl die umfassende und schonungslose Recherche der Ursachen und Gefahren der städtischen Luftverschmutzung bereits nach nur wenigen Tagen im chinesischen Netz blockiert wurde, hatten sie da bereits 200 Millionen Menschen gesehen. »PM2,5«, das wissenschaftliche Kürzel für Feinstaub, ist heute in aller Munde und selbst Kindern geläufig. Regelmäßig überprüfen Städter die Luftqualität mit den entsprechenden Apps und versuchen sich bei Smogalarm mit Hightech-Atemmasken zu schützen.
Die Regierung hat auf diese Herausforderungen mit Aktionsplänen reagiert, die zum Teil auch sehr drastische Eingriffe in die Wirtschaftsstruktur beinhalten. Das ambitionierte Ziel, den Kohleverbrauch in der chronisch von Smog geplagten Hauptstadt Beijing innerhalb von nur vier Jahren um 50 % zu reduzieren, wurde offenbar erreicht. 2017 wurden die letzten vier Kohlekraftwerke in Beijing vom Netz genommen und die Wärmeversorgung auf Gas umgestellt. Nun konzentrieren sich die Anstrengungen auf die Nachbarprovinz Hebei, die Beijing umgibt wie Brandenburg Berlin. Hebei, das in den Nullerjahren zu Chinas größter stahl- und zementproduzierender Region avanciert ist, wurden ebenfalls drastische Vorgaben für die Reduzierung des Kohleverbrauchs auferlegt, die im Winter 2017/18 durch zeitweise Betriebsstilllegungen und das Verbot von Kohleheizungen in privaten Haushalten durchgesetzt werden. Während sich die Einwohner in Beijing im Winter seit vielen Jahren wieder über längere Phasen blauen Himmels und atemmaskenfreie Tage freuen konnten, haben in der Nachbarprovinz viele Menschen zumindest vorübergehend ihre Arbeitsplätze verloren. Tatsächlich gehen die drastischen Maßnahmen gegen Luftverschmutzung mit einer angestrebten Regulierung der Wirtschaftsstruktur und dem Abbau von Überkapazitäten in der Stahl- und Zementindustrie einher. Der als »New Normal« titulierte Strukturwandel führt nicht nur zu einem seit etwa zwei Jahren beobachteten leicht rückläufigen Trend bei der Kohlenutzung, ausgehend allerdings von einem sehr hohen Niveau.
Die Dynamik des chinesischen Wirtschaftswunders und seine Auswirkungen auf die globale Klimabilanz kamen für viele Energie- und Klimaexperten unerwartet. Noch Ende der 90er Jahre erwarteten sie Szenarien, dass China etwa im Jahr 2030 die USA als weltweit größter Emittent von Treibhausgasen einholen würde. Folglich war das damalige Entwicklungsland, das 1998 etwa 14 % zu den weltweiten Emissionen beitrug, im Kyoto-Protokoll von jeglichen Verpflichtungen zur Reduktion von Treibhausgasen ausgenommen. Tatsächlich überholte China die USA bereits acht Jahre später, nämlich 2006 und emittiert heute etwa doppelt so viel CO2 wie die USA. Derzeit trägt China etwa 26 % zu den weltweiten Kohlendioxidemissionen bei. Nach Berechnungen der niederländischen Umweltbehörde PBL liegen die durchschnittlichen Pro-Kopf-Emissionen mit 7,4 Tonnen deutlich über dem Niveau der EU 28.
Verlangsamtes Wachstum und klimapolitische Maßnahmen
Viele Jahre beriefen sich die chinesischen Unterhändler bei den UN-Klimaverhandlungen auf den im Kyoto-Protokoll vereinbarten Status als sogenannter »Nicht-Annex-1-Staat«, also Entwicklungsland, und lehnten mit Hinweis auf das Recht auf Entwicklung jegliche Reduktionsverpflichtungen ab. Doch spätestens seit dem Abkommen auf der UN-Klimakonferenz COP 21 in Paris im Jahre 2015 scheint Bewegung in diese Position gekommen zu sein. China verpflichtete sich zu einer Reduktion der absoluten Emissionen ab dem Jahr 2030, sowie einer Verringerung der CO2-Intensität pro Einheit BIP um 60 bis 65 % (im Vergleich zu 2005) sowie zu einem Anteil von mindestens 20 % nichtfossiler Energien am Energiemix. Diese Ziele sind allerdings nach Analysen des Ökonomen Sir Nicholas Stern eher bescheiden. Stern erwartet, dass China die selbst gesetzten Klimaziele deutlich früher, etwa um 2025 erreichen kann. Tatsächlich gingen 2016 erstmals die in China verursachten Kohlendioxidemissionen leicht zurück. Dies ist zum einen auf das verlangsamte »New Normal«-Wirtschaftswachstum zurückzuführen, aber auch auf die energiepolitischen Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und die staatliche Förderung von sogenannten »nichtfossilen Energien« als Alternativen zu Kohle und Öl.
Neben Wasserkraftwerken, die etwa 20 % der Stromproduktion erzeugen, setzt die chinesische Regierung seit Mitte der Nullerjahre auch auf die umfassende Erschließung der großen Potenziale für Wind- und Solarkraft vor allem im Nordwesten des Landes. 2017 verfügte China bereits über 163 Gigawatt bei Windkraftanlagen und über 77 Gigawatt bei Solarkraftanlagen. Damit ist das Land bei den installierten Kapazitäten weltweit führend. Auch technologisch haben chinesische Hersteller im vergangenen Jahrzehnt rasant aufgeholt. In den zurückliegenden Jahren hat der chinesische Hersteller Goldwind die langjährigen Branchenführer Vestas und General Electric überholt. Zur Förderung von erneuerbaren Energien gehört auch, dass verstärkt in den Ausbau intelligenter leistungsfähiger Ultrahochspannungsstromnetze investiert wird.
Nach chinesischer Definition gehört zu den »nichtfossilen« bzw. »neuen, sauberen« Energien, die schrittweise die Kohle ersetzen sollen, ausdrücklich auch die Kernkraft, die insbesondere im energiehungrigen Osten des Landes die Stromversorgung sicherstellen soll. Die geplante Entwicklung erhielt allerdings auch in China durch das Atomunglück in Fukushima 2011 einen Dämpfer und führte zu einem zweijährigen Moratorium für Sicherheitsüberprüfungen. Nach dieser Unterbrechung hält das Land aber weiterhin an seinem – allerdings etwas gedrosselten – Atomprogramm fest. Derzeit sind 38 Reaktoren in Betrieb, weitere 20 befinden sich im Bau. China ist damit international das einzige Land, in dem noch ein nennenswerter Ausbau der Atomkraft stattfindet. Jedoch trägt sie bislang lediglich 3 % zur Stromerzeugung bei (in Deutschland sind es derzeit noch immer etwa 13 %). Ob der angestrebte Ausbau auf etwa 5 % bis 2020 erreicht wird, scheint derzeit nicht ausgemacht: Auch die chinesische Atomindustrie ist mit Bauverzögerungen aufgrund technischer Probleme, gestiegenen Kosten und mittlerweile Überkapazitäten im Energiesektor konfrontiert. Eine Rolle spielen vereinzelt auch Proteste von besorgten Anwohnern. Auch wenn man nicht von einer Anti-Atomkraft-Bewegung in China sprechen kann, so hat Fukushima doch zu einer Sensibilisierung für die Gefahren der Atomkraft geführt. Chinesische Atomkonzerne suchen den Auftragsrückgang daher zu kompensieren, indem sie mit Rückendeckung durch chinesische Banken nach Kooperationsprojekten im Ausland Ausschau halten. Bislang wurde davon allerdings mit Ausnahme von zwei AKWs in Pakistan nichts realisiert.
Die staatliche Förderung der E-Mobilität ist ein weiterer Schwerpunkt der »grünen« Industriepolitik. Vom Umstieg auf E-Autos verspricht man sich eine deutliche Verbesserung der Luftqualität in den chinesischen Städten. Die Pläne sind ambitioniert, denn auch in China ist der Absatz von E-Autos bislang eher ein Nischengeschäft, aber ab 2018 wird den Autoherstellern eine E-Mobilitätsquote vorgeschrieben: Bis 2020 sollen 12 % aller produzierten Autos mit einem E-Antrieb ausgestattet sein. Hersteller können sich über umfangreiche Subventionen und Gutschriften von CO2-Krediten freuen, während Verbraucher mit günstigen Krediten und bevorzugter Zulassung ihrer Wagen gelockt werden.
Bei Chinas derzeitiger Energie- und Industriepolitik wird der Beitrag zum Klimaschutz als ein willkommener Nebeneffekt der für den Umweltschutz forcierten Maßnahmen mitgenommen. Die »grüne Katze« hat dabei nicht nur den chinesischen Markt im Blick, sondern setzt zum Sprung an die internationale Spitze bei den »grünen Technologien« an.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!