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Wie sich an schulischen Einrichtungen der rechte Nachwuchs formiert Schweigen hilft da nicht

Sie verlassen die Schule. Die Anträge auf Versetzung von der Mina-Witkojc-Schule in Burg in Brandenburg haben Max Teske und Laura Nickel gestellt. Sie gehen, weil die Anfeindungen unerträglich geworden sind und der Rückhalt ausblieb. Im April hatten sie in einem Brandbrief öffentlich gemacht, dass sie an ihrer Schule im Spreewald täglich mit Rechtsextremismus, Homophobie und Sexismus konfrontiert wären. Kein Einzelfall in der Republik. Die angestoßene Debatte hatte Konsequenzen – für die Lehrkräfte.

Generationenübergreifende Effekte

Seit Jahren spiegeln sich in den Schulen sozioökonomische Konflikte und psychologische Probleme. Die Wende im Osten liegt nun schon über 30 Jahre zurück, doch die Auswirkungen sind bis heute spürbar. In vielen Familien ist die Entwertung der eigenen Biografie und die Erfahrung beruflicher Einbrüche virulent. Narrative, die auch Jugendliche berühren, die selbst nicht davon betroffen gewesen sind.

Diese generationsübergreifenden Effekte haben zum Teil zu einer ambivalenten Haltung gegenüber der demokratischen Kultur geführt, sagt David Begrich. Und der Rechtsextremismusexperte vom Verein Miteinander e. V. in Sachsen-Anhalt merkt an, dass die Debatten um Brandmauern gegen rechts selten die gesamte Dimension berücksichtigen. Die Diskussion scheint ein Phänomen im Osten kaum noch auf dem Schirm zu haben: die Akteure der »Baseballschlägerjahre«.

Jene Jugendlichen, die sich in der rechtsextremen Szene zwischen Clique, Kameradschaften und Rechtsrock bewegten. Sie konnten nicht nur mit Baseballschlägern ohne strafrechtliche Konsequenzen mit Gewalt eine kulturelle Vorherrschaft in Regionen durchsetzen, sie konnten auch gemeinsam mit Anwohnern tagelang Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten und Vertragsarbeiter/innen verüben.

In Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen gelang Rechtsextremen und einem Mob 1991 und 1992 »Ausländer« und »Zigeuner« aus der Stadt zu vertreiben, durch den Druck trieben sie auch im Bund die Verschärfung der Asylgesetzgebung mit voran. Die Botschaft für die rechte Szene jener Tage: Mit Gewalt kann der Staat zum Handeln bewegt werden. Diese Erfahrung ist schnell zu einer Erzählung geworden, die auch das Kern-Trio des rechtsextremen Terrornetzwerks »Nationalsozialistischer Untergrund« mit bewegt haben dürfte.

Die einstigen Brandstiftenden und Gewalttätigen sind heute die Biederen und Berufstätigen. Aus den Jugendlichen sind Erwachsene geworden, die ihre Überzeugung aber kaum verändert haben dürften. Als Handwerksmeister mit kleinem Betrieb oder Filialleiterin mit Mitarbeitenden beeinflussen sie vor Ort die Atmosphäre. Nicht alleine die Gescheiterten, ebenso die Erfolgreichen können rechte Ressentiments als Normalität ausstrahlen, das Klima für Wahlerfolge der AfD schaffen.

Die Schulen sind wichtige vorpolitische Diskursräume.

Der AfD nutzt es, an die Widerstandtradition von 1989 zu appellieren. Diese Mentalitäten, so Begrich, würden bei Diskussionen um Brandmauern kaum mitgedacht. Der Diskurs verenge sich auf den politischen Raum und weite sich nicht in den vorpolitischen Raum hinein, mahnt der Rechtsextremismusexperte an. In jenem Raum würden aber demokratische Werte wie auch politische Grenzen verhandelt. Ein Diskursraum von vielen – die Schulen.

In Schulen suchten Schulleitung und Lehrkräfte auch die angemessene Spannung zwischen demokratischem Auftrag und Neutralitätsanspruch. Diese Suche kann im Unterricht allerdings in einer falsch verstandenen Neutralität enden, wo Positionierung geboten wäre. Sie kann auch bei Schulkonferenzen in einem Nicht-Erwähnen von rechten Vorfällen enden. Wer möchte schon – neben allen Belastungen – sich noch mehr belasten, wer möchte durch das Ansprechen selbst zum Ärgernis werden. Teske und Nickel wurden nicht bloß zu Nestbeschmutzern erklärt, sie wurden gar als Feinde markiert.

Angriff statt Auseinandersetzung

In den vergangenen Julitagen waren in dem Kurort Aufkleber mit Fotos von Teske und Nickel und der Botschaft »#'pisst Euch nach Berl*in« angebracht wurden. Über einen Instagram-Account wurde zudem gegen die beiden gehetzt. Einen 16-Jährigen aus der Region ermittelte die Polizei unlängst als Inhaber des Accounts, auf dem er mit Bildern von Teske und Nickel zur »Jagd« aufrief. Bei Worten blieb es nicht. Beim Einkaufen bedrohten zwei junge durchtrainierte Erwachsene massiv Teske. »›Du scheiß Zecke, verpiss dich aus Burg‹«, berichtete der Lehrer für Mathematik und Geografie dem ZDF.

Schon im Juni hatte Teske erzählem müssen, dass das Kollegium nun tief gespalten sei, einige würden sich nicht einmal mehr grüßen. In einem Brief forderten Eltern unlängst die Entlassung der beiden. Die Eltern behaupteten in dem Schreiben, das dem rbb vorliegt, »dass diese beiden ›Lehrer‹ politisch aktiv sind und ihr eigenes Bild von Demokratie haben bzw. eher nur ihre Ideologie als richtig empfinden«. Angriff statt Auseinandersetzung.

Ein Hitlergruß in der Schule hatte das Engagement der Angefeindeten ausgelöst. Auf dem Schulhof sah Teske, dass beim Sportunterricht ein Junge den Gruß zeigte und keine Intervention erfolgte. Er organisierte eine Demonstration auf dem Platz vor dem zuständigen Schulamt in Cottbus. Vor rund 150 Demonstrierenden sprach er über das Ausblenden der Wirklichkeit. In dem Brief mit seiner Kollegin beschrieb der 31-Jährige, dass rechte Parolen und Schmie­rereien Schulalltag seien, sie die Schüler*innen und sich selbst schützen müssten. Es gebe eine »Mauer des Schweigens«.

»Das Gefühl der Machtlosigkeit verstärkt sich durch fehlende Unterstützung.«

Das Gefühl der Machtlosigkeit verstärke sich durch die »fehlende Unterstützung« der Schulleitungen, Schüler*innen, Eltern als auch Kollegen*innen, schreiben sie in dem Brief, der auch anonym an die Medien ging. Zwei Mädchen, 15 Jahre, gehören nicht zu den Schweigenden der Schule. Sie haben auch einen Brief geschrieben. Bereits bei der Demonstration konnten die Teilnehmenden hören, das in den Pausen Schüler*innen mit gehobener Hand, dem sogenannten Hitlergruß ihnen entgegen kämen, doch die meisten Lehrer*innen würden nichts unternehmen.

Im Unterricht würden die Schüler*innen offen angefeindet. »›Ihr scheiß linken Zecken, geht ’nen N*gga ficken und frisst seine Scheiße‹« mussten sie sich anhören. Über die Hälfte der Klasse soll im Geschichtsunterricht gesagt haben, dass sie sich der Hitlerjungend anschließen würden. Einzelne Mitschüler*innen hätten sich über das »Judentum« amüsiert. Wer nicht mitmache, dem drohe die Ausgrenzung, gibt ZeitOnline die Aussagen von Betroffenen wieder.

Ursachen

Das Besondere an dem Konflikt in Burg? Er kam an die Öffentlichkeit. Eine Lehrkraft berichtet, dass man sich zuerst gefreut habe, dass ein Schüler ein Referat zu Rudolf Heß übernahm, um dann die Idealisierung des Stellvertreters von Adolf Hitler als »Friedensflieger«, inklusive Musikbeispiel, zu erleben. Eine andere Lehrkraft bittet Eltern zum Gespräch, da deren Kind die neuesten Modemarken der Szene trägt, und die Eltern dann selbst im Szene-Look erscheinen. Viele Lehrer/innen erzählen, dass sie die Codes und Marken gar nicht so schnell in der Unterrichtspause googeln könnten, da das Internet »nicht funktioniere«, oder sie erzählen, dass sie von Stunde zu Stunde hechten müssten, sodass Dynamiken in den Klassen kaum wahrgenommen werden könnten.

Im Osten wirkt eben nicht alleine die Geschichte der Wende und Nachwendezeit nach, sondern es geht auch um die Gegenwart einer Bildungs- und Schulpolitik in Zeiten des Neoliberalismus, um fehlendes Personal und fehlende digitale Ausstattung. Hier überschneiden sich Bundes- und Lokalebenen.

In Brandenburg ist die Zahl rechtsextremer Aktivitäten an Schulen im Schuljahr 2022/23 deutlich gestiegen. Bis Anfang Juni meldeten die staatlichen Schulämter 70 Vorkommisse. Das Schulamt Cottbus meldete alleine 27 rechtsextreme Vorfälle. 2021/22 waren es drei Fälle. Brandenburgweit registrierte das Bildungsministerium für 2021/22 30 Fälle. In diesem Zeitraum galten aber meist Coronaregelungen. In Thüringen stieg die Zahl der Aktivitäten ebenso. Für das vergangene Jahr meldeten Schulen 91 als rechtsextrem kategorisierte Vorkommnisse – rund 30 mehr als 2021. Bis Mitte Juni fielen in Mecklenburg-Vorpommern 48 Fälle auf. Beim sächsischen Landesamt für Schule und Bildung sind im vergangenen Jahr ebenso 48 Vorkommisse eingegangen. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg gingen beim Kultusministerium für das laufende Schuljahr 13 Vorfälle ein.

Der Abstand zwischen den Ost- und Westbundesländern sollte nicht zu vorschnellen Schlussfolgerungen verleiten. Die Dunkelziffer dürfte in den alten Bundesländern höher sein. Denn nicht immer werden rechtsextreme Aktivitäten als rechtsextremes Engagement wahrgenommen. In einzelnen Ländern führen die Bildungsministerien gar keine Statistik, fiel der Welt am Sonntag auf.

Die Debatte um Burg belegt die Tendenz des Ausblendens. Manuela Schichan, Leiterin der dortigen Schule, sieht in den Jugendlichen, die den Hitlergruß zeigen, wichtigtuerische Draufgänger. ZeitOnline gegenüber sagte sie: »Diese Jungs sind Teenager, sie sind in der neunten Klasse und suchen ihren Platz. Sie wollen sich ausprobieren.« Amtsdirektor Tobias Hentschel fürchtet um den Ruf »unseres Schulstandorts und des Kurorts Burg«.

Das Kultusministerium in Sachsen weist zudem auf den Ermessensspielraum hin. Die Schulen sollten eigentlich alle Vorfälle, die den Schulbetrieb in erheblichem Maße beeinträchtigen, angeben, doch die Meldungen würden in Qualität und Quantität stark voneinander abweichen. Dazu sagt Marlene Jakob, die sächsische Landeskoordinatorin für das Netzwerk für Demokratie und Courage: »Jede Aussage, die man als Lehrkraft unkommentiert lässt oder die man beschwichtigt, trägt dazu bei, dass menschenverachtende Inhalte und Aussagen an der Schule zur Norm werden.«

»Ein offener Umgang mit dem Problem ist die Ausnahme.«

Ein offener Umgang ist jedoch eher die Ausnahme. Bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung erklärte der Leiter eines Gymnasiums in Niedersachsen öffentlich, dass gerade männliche Jugendliche an seiner Schule die rechtsextreme »Identitäre Bewegung« ansprechend fänden. Pubertäres Gehabe oder politische Gesinnung? Zu einer klaren Trennung – wie es die Schulleiterin in Burg vorgemacht hat – wollte sich bei der Diskussion niemand durchringen. Zu schnell sprechen doch Erwachsene gerne Jugendlichen eine mögliche tiefe Überzeugung ab. Von »schlechter Phase« ist dann oft die Rede, oder vom »falschen Umgang«. Auch den »Sozialen Medien« wird dann schnell die Schuld gegeben.

Das typische Einstiegsalter liegt beim Rechtsextremismus zwischen 12 und 15 Jahren, merkt die Bundeszentrale für politische Bildung an. Das Eingeständnis, dass mein Junge, meine Schülerin rechtsextrem ist, fällt schwer. So ein Geständnis kann auch als ein persönliches Scheitern belasten, sagt eine betroffene Mutter der taz. Außer das Kind kommt aus einer rechtsextremen Familie, die auch reichsbewegt und querdenkend seien könnte.

»Eine Kameradschaft ist im digitalen Zeitalter nicht mehr nötig, um zu einer Hate-Community dazu zu gehören.«

Das »Nachgeplapper« wird längst durch die Sozialen Medien angestoßen. Das kann ein vermeintlich lustiges Meme gegen queere Menschen sein, eine TikTok-Story zur ausgemachten eigenen Kultur oder ein Instagram-Post zu angeblich weiblichen Tugenden. Alles mit dem Habitus des Rebellischen gegen die »Gutmenschen« und die »political correctness«. Im viralen Trend liegen Misogynie und Antisemitismus. Eine Kameradschaft ist im digitalen Zeitalter nicht mehr nötig, um zu einer Hate-Coumunity dazu zu gehören. Der Attentäter aus Halle radikalisierte sich via einer globalen Coumunity zum rechten Egoshooter. Der selbsternannte Internet-SSler schoss, doch viele hetzen.

Keine Einzelfälle

Die Militanz offenbarte sich wenige Tage nach dem Brief von Teske und Nickel in Heidensee. In der brandenburgischen Gemeinde bedrohten Jugendliche Berliner Schüler*innen, die an einem Mathe-Camp teilnahmen. Sie mussten überstürzt abreisen. Erneut kein Einzelfall, Klassen mit Schüler*innen, die als nichtdeutsch ausgemacht wurden, brachen im Osten schon öfters Fahrten ab. Einer Baseballschlägertruppe bedarf es da nicht. Manche »Jungen piepen« eben heute so, wie einige »Alten pfeifen« kann in Anlehnung an Heinrich Heine angemerkt werden.

Mit Applaus ihrer Eltern und Sympathie von Anwohnenden könnten sie den Ton angeben. Das anhaltende Pfeifen kann nur durch lauten Widerspruch eingedämmt werden, nicht aber durch eine Mauer des Schweigens. Den »Anstand der Anständigen« gibt es, doch wo ist der Zugriff der Zuständigen? Teske ist nicht der Erste der feststellte: »Niemand hat sich vor uns gestellt«.

Das Schulamt hat derweil eine Abmahnung angedroht, wenn weiterhin schulinterne Vorgänge öffentlich werden.

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