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Schweizer Medienlandschaft vor dem Ausverkauf – ein Sonderfall?

Von einer Umbruchsituation in der Schweizer Medienlandschaft zu sprechen, wäre vor der Volksabstimmung am 4. März eine fahrlässige Verharmlosung gewesen. Es herrschte Panik angesichts eines Flächenbrandes, den die Zeitungsverleger einerseits mit wirtschaftlichen Instrumenten wie Kooperation, Konzentration, Outsourcing, Mittelkürzungen und Abwicklungen zu bekämpfen versuchen, andererseits aber auch mit redaktionellen Kursänderungen. In der Zeitungsbranche der Deutschschweiz beherrschen fünf Medienhäuser den Markt: Ringier AG (mit dem Boulevardblatt Blick sowie einer Sonntags- und einer Gratisausgabe), Tamedia AG (mit dem Tages-Anzeiger und einigen Regionalblättern), Neue Zürcher Zeitung AG (mit NZZ, NZZ am Sonntag sowie einigen Regionalblättern), AZ Medien AG (mit der Aargauer Zeitung und Regionalblättern in der Nordwestschweiz) und Basler Zeitung Medien (mit der Basler Zeitung, regionalen Anzeigern und 25 Gratiswochenzeitungen mit einer Gesamtauflage von 720.000 Exemplaren).

Hinzukommen Joint Ventures unter den Großen: So kooperiert etwa die Basler Zeitung des Rechtsaußen Christoph Blocher eng mit der Somedia-Gruppe (Graubünden, Südostschweiz). Zwei Regionalzeitungen aus Luzern und St. Gallen haben ihre Korrekturabteilungen nach Banja Luka in die Serbische Republik ausgelagert, wo bosnische Germanistinnen, die z. B. als Asylsuchende in der Schweiz und in der BRD abgewiesen wurden, für geringen Lohn die Arbeit erledigen. Die AZ-Gruppe und die NZZ AG fusionieren ihre Regionalzeitungen und ihre Kopfblätter zu einem Pool, aber ohne die Aargauer Zeitung und den Markenprimus NZZ. Dabei geht es darum, eine größere »Reichweite« zu gewinnen und »Größenvorteile« in 13 von 26 Kantonen zu nutzen. Einzelne Kopfblätter der AZ-Medien-Gruppe stellen ihre Samstagsausgabe ein, andere Regionalblätter erscheinen nur noch online. Tamedia schließlich ist längst kein Zeitungsunternehmen mehr, sondern eine multifunktionale Geldmaschine, in der das Zeitungsgeschäft eine Nebenrolle spielt und der Tages-Anzeiger redaktionell und finanziell so ausgetrocknet wurde, dass er nur noch in seiner Form einer Zeitung gleicht. Der Schweizer Medienexperte Christian Müller vermutet dahinter eine Strategie, um die Zeitungen von Tamedia abzustoßen und vorher verkaufsreif zu sparen.

In der fast 240-jährigen NZZ hat man neben den Sparmaßnahmen zudem einen redaktionellen Rechtsruck eingeleitet. Vergeblich versuchte der Aufsichtsrat, den Blocher-Intimus Markus Somm als Chefredakteur zu installieren. Das scheiterte am Widerstand der Redaktion. Eric Gujer, der neue NZZ-Chefredakteur, ein Eigengewächs des Hauses, vollzieht jetzt den vom Aufsichtsrat gewünschten Rechtskurs, der schon zu zahlreichen Abo-Kündigungen geführt hat. Die Hälfte der Inland- und der Feuilletonredaktion wurde ausgewechselt oder gestrichen. Zwei Feuilletonmitarbeiterinnen, die zusammen 50 Jahre bei der NZZ waren, gingen freiwillig, der Philosoph Uwe Justus Wenzel war seit 1989 im Feuilleton für Geisteswissenschaften zuständig und wurde 2017 entlassen, weil er nicht mehr ins Konzept des rechten Feuilletonchefs und FDP-Denkers René Scheu passte. Der reist zum Beispiel für viel Geld in die USA, um Condoleezza Rice zu interviewen (NZZ vom 27.2.2018), von der man dann allerdings nur erfährt, dass sie gern früh aufsteht. Mit keinem Wort fragte Scheu nach der verbrecherischen Außenpolitik von George W. Bush, für die sie mitverantwortlich war. Gegen den Niveauverlust seit Scheus Rechtswende im Feuilleton protestierten 70 Schweizer Intellektuelle und Professoren. Aus Berlin berichten mit Marc Felix Serrao und Christoph Eisenring zwei Autoren, die Positionen vertreten, die sich kaum von jenen der AfD unterscheiden. Das trifft auch für den bei Roger Köppels Hysteriker-Postille Weltwoche abgeworbenen Lucien Scherrer zu. Medien- und demokratiepolitisch ist die Gefahr der Versumpfung der Qualitätszeitungen unter den Sparzwängen größer als das Auswachsen der öffentlich-rechtlichen Anstalten zum »Monster«, das Konservative und Rechte unisono beschwören.

Im Zentrum der Debatte über die Schweizer Medienlandschaft stand aber nicht die bedenkliche wirtschaftliche und redaktionelle Entwicklung auf dem Zeitungsmarkt, sondern der politische Angriff von rechts zur Abwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien. Diese werden getragen von der SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft). Eine Gruppe von jungen rechtsliberalen Politikern lancierte 2013 zusammen mit dem mittelständischen Gewerbeverband eine Verfassungsinitiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren, womit den öffentlich-rechtlichen Anbietern innerhalb einer Übergangsfrist von einem knappen Jahr 75 % der finanziellen Mittel entzogen würden. Die Initiative lehnte sich an den Namen der ehemaligen Gebühreneinzugsfirma »Billag« (vergleichbar mit der GEZ in der Bundesrepublik) an und heißt deshalb »No-Billag«. Bei der Volksabstimmung über diese Initiative am 4. März votierten aber 71,6 % der Schweizerinnen und Schweizer gegen die Initiative der neoliberal-libertären Rechten.

Die Radio- und Fernsehgebühren waren mit 451 Franken pro Jahr (etwa 387 Euro) relativ hoch und wurden im Oktober 2017 auf 365 Franken (etwa 313 Euro), also einem Franken pro Tag, gesenkt. Das Initiativkomitee bestand aus rechten Parlamentariern von Blochers Schweizerischen Volkspartei (SVP) und rechten Journalisten. Vorsitzender des Komitees war der radikalkatholische Abgeordnete Hans-Ulrich Bigler vom rechten Rand der FDP. Der ehemalige Generalstabsoffizier rühmte sich seiner »strategischen Partnerschaft mit Gott« (NZZ vom 11.1.2018). Zustimmung fand die Initiative bei jungen Mediennutzern, die keine Zeitungen lesen und keine Fernsehprogramme sehen möchten, sondern sich ausschließlich über soziale Medien und Plattformen wie Netflix informiert und unterhalten wissen wollen. Es ist vor allem der in diesen Milieus erzeugte, infantile Glaube an den Gratiswahn im Internet, der diese Anhänger der Initiative umtreibt und verblendet.

Unterstützung erhielt der rechte Interessentenkreis von der gediegen konservativen NZZ und ihrem Chefredakteur Eric Gujer: »Heute gibt es keine Massenmedien mehr, ebenso wenig wie Massenparteien alten Schlags. (…) Jeder sucht das für ihn passende Angebot – und findet es in einem bunten Markt der Möglichkeiten« (NZZ vom 16.12.2017). Für Gujer ist das »Lagerfeuer-Fernsehen« an sein verdientes Ende gekommen und die SRG zum »behäbigen Staatssender« und »Dinosaurier« mutiert. Er rät deshalb, wozu alle Marktradikalen raten – zur Privatisierung öffentlicher Einrichtungen für die Grundversorgung, die man in der Schweiz »Service public« nennt. Gujers sozialdarwinistisch imprägnierte Parole lautet: »Wer klug ist, passt sich an. Der Rest geht unter.« Die Zerschlagung des Service public und dessen Umstellung auf die Prinzipien von Markt und Wettbewerb erzielen in der Theorie optimale Resultate, in der Praxis aber versagen sie oft und führen zu katastrophalen Zuständen wie in der italienischen Medienlandschaft, im britischen Eisenbahnsektor oder in der privatisierten Wasserversorgung Großbritanniens.

Man kann die Sorgen der Printmedien angesichts sinkender Werbeeinnahmen und Abonnentenzahlen nachvollziehen. Aber erstens haben sie sich die Verschlechterung ihrer finanziellen Lage selbst zuzuschreiben, weil sie ihr Geschäftsmodell auf der Basis von Gratisangeboten im Netz aufbauten. Als sie den Irrtum endlich einsahen und Gebührenmodelle entwickelten, hatten sich die Jüngeren unter ihrem Zielpublikum bereits an Gratislieferungen gewöhnt und Zeitungsabonnements gekündigt. Und zweitens kann man die Irrtümer von gestern nicht rückgängig machen, indem man die Öffentlich-Rechtlichen bestraft und als »Staatsmedien« (Eric Gujer) und legitime Gebühren als »Zwangsabgaben« denunziert.

Es ging in der Abstimmung nicht nur um die rund 6.000 Arbeitsplätze bei der SRG. Das öffentlich-rechtliche Informationssystem garantiert auch eine Grundversorgung in allen vier Landessprachen, was sich ein privatwirtschaftliches System niemals leisten könnte. Roger Schawinski, von 1998 bis 2001 Betreiber eines Privatsenders und harter Kritiker einzelner SRG-Programme – aber nicht des Systems der obligatorischen Gebührenfinanzierung der Grundversorgung – sprach von »Verneblungstaktik«, wenn die Initiatoren von »No-Billag« vorrechneten, die privatisierte SRG könnte das 1,6 Milliarden-Budget am Markt erwirtschaften, ohne das Programmangebot auf das Niveau von anspruchslosen Privatsendern zu drücken.

Die Debatte um die Initiative in der Schweiz und der Ausgang der Volksabstimmung sind kein helvetischer Sonderfall. ARD und ZDF sind zwar durch zwei bahnbrechende Bundesverfassungsgerichtsurteile vor der Privatisierungsgier besser geschützt als die SRG, aber es wäre fatal, die giftige Dauerpolemik gegen »Zwangsgebühren« für die Öffentlich-Rechtlichen von Verlegern und konservativen Medien wie Die Welt oder Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Wirkung zu unterschätzen.

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